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Den Rücken freihalten

Familienpflegezeit verstärkt moderne Sozialpolitik
Den Rücken freihalten

Die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf wird aufgrund der alternden Gesellschaft immer wichtiger. Das Bundesfamilienministerium will die Familienpflegezeit gesetzlich verankern. Einige Pionierunternehmen halten heute schon ihren Mitarbeitern den Rücken frei, wenn bei ihnen Pflegenotstand herrscht.

„Wir wollen unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Rücken frei halten und sie mit unserem Familienprogramm so weit wie möglich unterstützen. Schließlich sind wir ein Familienunternehmen, und da hat die Betreuung naher Angehöriger eine besondere Bedeutung“, betont Markus Dörle, Personalchef des Motorsägenherstellers Andreas Stihl in Waiblingen. Die Sekretärin Anna Maria Munz, die ihren kranken Vater betreut hatte, bestätigt aus eigener Erfahrung: „Die familienfreundlichen Maßnahmen unserer Firma waren für mich eine sehr große Erleichterung. Alltag und Berufsleben haben sich dadurch deutlich entspannt.“ Zwei Äußerungen aus der Praxis einer Entwicklung, die – in unserem Alltag oft unbemerkt – immer mehr Raum beansprucht.

Das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verweist deshalb nicht zu Unrecht auf die in diesem Zusammenhang auch wirtschaftlich immer notwendigeren Forderungen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter zu verbessern. Immerhin halten einer Allensbach-Studie zufolge 87 % der Bevölkerung eine berufliche Erleichterung der Pflege kranker Angehöriger für existenziell wichtig.
Die Ursache dafür: Natürlich die demographische Entwicklung mit ihrem rasant wachsenden Anteil älterer Menschen. Mittlerweile hat sich aber auch bereits gezeigt, dass der beängstigende Fachkräftemangel dem Erhalt qualifizierter Mitarbeiter im Betrieb immer größere Bedeutung zukommen lässt. Deshalb bereitet das BMFSFJ ein Gesetz zur Familienpflegezeit vor, von dem es heißt, dass es im Frühjahr 2012 verabschiedet werden soll, „um einen neuen Weg im Umgang mit der Angehörigenpflege ohne Kostenspirale für Wirtschaft und Unternehmen einschlagen zu können“.
Das soll durch vertraglich zu vereinbarende Rahmenbedingungen ermöglicht werden, die die Arbeitszeit auf nicht unter 15 Wochenstunden reduziert und deren Wiederaufstockung nach der Pflegephase zusagt. Ferner soll ein Lohnvorschuss während der Pflegephase im Umfang von 50 % der Arbeitszeitreduktion und dessen Rückzahlung nach individuellen Vereinbarungen durch den Arbeit nehmer in der Nachpflegephase Berücksichtigung finden.
Im Ministerium ist man zuversichtlich, dass Regelungen dieser Art auf breite Zustimmung in der Wirtschaft treffen, zumal Umfragen bereits ergeben haben, dass auch 82 % der Unternehmen es für wichtig halten, die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu erleichtern.
Nicht wenige der in den Betrieben schon heute vorhandenen Pflegeprogramme gehen über die Forderungen einer künftigen legislativen Regelung hinaus, zumal die vor allem von der Hertie-Stiftung eingeführten Audits von Familienprogrammen im Betrieb sich dafür als Wegbereiter erwiesen haben. Dem Gesetzgeber muss es dabei auf die Breitenwirkung ankommen. Ihrer ist man sich dabei in Berlin ebenso sicher wie bei der Altersteilzeit. Aber in jedem Fall wird es der Pionierunternehmen bedürfen, die für diese Entwicklung Zeichen setzen.
Die B.Braun Melsungen AG im nordhessischen Melsungen präsentiert beispielsweise einen Informationsflyer, in dem es heißt: „Die Familienteilzeit ist eine besondere Form der Teilzeit, die es Ihnen ermöglichen soll, Berufstätigkeit und familiäre Aufgaben noch besser miteinander zu vereinbaren.“ Sowohl zur Kinderbetreuung als auch zur Pflege von Angehörigen kann in diesem Unternehmen „Familienteilzeit“ in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist eine zweijährige Betriebszugehörigkeit und im Falle der Kinderbetreuung die häusliche Gemeinschaft mit dem Kind. Für die Angehörigenpflege muss ein jährlich zu erneuerndes ärztliches Attest vorgelegt werden. Das Maximum der Betreuungszeit zu Pflege von Angehörigen liegt bei drei Jahren, in Ausnahmefällen bei maximal fünf Jahren. Die Kinderbetreuung kann bis zu acht Jahren in Anspruch genommen werden.
Im Durchschnitt arbeiten die Mitarbeiter während der Laufzeit der Familienteilzeit 50 % und erhalten dabei zusätzlich zu ihrem monatlichen Entgelt einen finanziellen Aufstockungsbetrag in Höhe von 15 %. Dieser Aufstockungsbetrag wird vom Unternehmen getragen und muss vom Mitarbeiter nicht zurückgezahlt werden. Die B.Braun Melsungen AG fördert mit dem Modell der Familienteilzeit die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, bindet Mitarbeiter langfristig ans Unternehmen und verringert familienbedingte Ausfallzeiten.
In der Stihl AG wiederum werden zum Beispiel 130 flexible Arbeitszeitmodelle richtigerweise auch als Einrichtung zur Unterstützung von Familienverpflichtungen der Mitarbeiter gewertet. Schließlich ist die Flexibilisierung von Arbeitszeit genau aus diesem Grund vor nunmehr fast 30 Jahren in der Schwarzwälder Firma Interflex von Willi Haller entwickelt worden. Außerdem legt man bei Stihl großen Wert auf Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Dafür wurde durch eine Kindertagesstätte und ein Kinderferienprogramm, das mittlerweile auf drei Wochen ausgedehnt werden konnte und 120 Mitarbeiterkinder betreuen half, ein besonders positives Belegschaftsecho erzielt.
Die Familienpflegezeit wiederum, die jeder dafür geforderte Mitarbeiter nach zweijähriger Betriebszugehörigkeit beantragen kann, wird für maximal zwei Jahre gewährt. Sie ermöglicht es den Betroffenen, mit einer Wiedereinstellungsgarantie aus dem Unternehmen auszuscheiden, ihm aber auch wie im Rahmen der anderen Familienprogrammpunkte, Arbeits- wie berufliche Qualifizierungsphasen zu vermitteln.
Zu den daraus entstehenden Kosten bemerkt man im Hause Stihl: „Wir sehen diesen Aufwand als notwendig an, um auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber zu bleiben.“ Deshalb wird die Bereitschaft betont, das bereits vorhandene Angebot je nach Bedarf der Beschäftigten in Zukunft noch weiter auszubauen. Das soll auch dazu beitragen, die Möglichkeiten einer zunehmenden Berufstätigkeit von Frauen zu verbessern.
Grundsätze wie diese dürften für das Bundesfamilienministerium eine willkommene Basis dafür bieten, darauf hinzuweisen, dass die Unternehmenspraxis vor allem von Familienunternehmen wie eh und je mit praktischen Beispielen das Allgemeinwohl unterstützt.
Rosemarie Fiedler-Winter Journalistin in Hamburg
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