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Der Projektabbruch ist ein versteckter Erfolgsfaktor

Erfolgsfaktoren im Innovationsmanagement
Der Projektabbruch ist ein versteckter Erfolgsfaktor

„Die Angst vor dem Irrtum ist ein gewichtiges Innovationshemmnis“, sagt Professor Oliver Gassmann, Ordinarius für Technologiemanagement mit besonderer Berücksichtigung des Innovationsmanagements an der Universität St. Gallen, und rät: „Besser eine falsche als gar keine Entscheidung!“

Für den Innovationsforscher Dr. Oliver Gassmann keine Frage: Erfolgreiche Innovationen sind das Ergebnis richtiger Entscheidungen. Doch wer jetzt jubelt „Sag ich doch!“, sollte sich noch einen Moment zurückhalten. Denn „richtige Entscheidungen“ sieht Gassmann differenziert. Tatsache sei, bei Entwicklungsprojekten werde immer unter hoher Unsicherheit entschieden. Das fördere eine gewisse Zögerlichkeit im Entscheidungsprozess. Zu oft würden offene Situationen ausgesessen oder Kommissionen, Ausschüsse und Stäbe gegründet, um nicht entscheiden zu müssen.

Und dann lässt er die Katze aus dem Sack: „Die Kosten von Fehlentscheidungen werden vielfach nachkalkuliert, die Kosten einer Nicht-Entscheidung bleiben im Dunkeln. Generell gilt aber: Eine Fehlentscheidung ist besser als Nicht-Entscheiden.“ Also: Auch die Korrektur einer sich als falsch entpuppenden Entscheidung ist eine richtige Entscheidung. Denn, so Gassmann: „Projektabbruch ist ein versteckter Erfolgsfaktor im Innovationsmanagement. Hier können enorm viel Energien und Ressourcen freigesetzt werden“.
Gassmann nennt zwei Knackpunkte der Entscheidungsfindung:
  • Routineentscheidungen fallen leichter als Grundsatzentscheidungen, deshalb sollten Erstere häufiger hinterfragt werden. Meist würden bei Entscheidungen im Alltagsgeschäft zu oft nur die Symptome und zu wenig die Ursachen von Problemen analysiert. Gassmann verweist dazu auf die 5-Why-Methode von Toyota: Bei jedem Problem fünf Mal „Warum?“ fragen – auf jede Antwort ein weiteres Warum. Dadurch würden Entscheidungsgrundlagen rasch auf eine völlig neue Basis gestellt.
  • Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen trifft der Mensch täglich 10 000 intuitive Entscheidungen. In den Ingenieurs- und Naturwissenschaften seien intuitive Entscheidungen aber nur für Nobelpreisträger erlaubt. Einfache Projektteams müssten mit aufwendigen Nutzwertanalysen nachweisen, dass die getroffene Entscheidung objektiv und richtig ist. Dabei habe einer der einflussreichsten Sozialwissenschaftler des 20. Jahrhunderts, der 1978 für seine bahnbrechende Erforschung der Entscheidungsprozesse in Wirtschaftsorganisationen mit dem Nobelpreis geehrte Herbert A. Simon, gezeigt, dass gerade kollektive Entscheidungen in Unternehmen enorm irrational seien.
Gassmann: „Die emotionale Seite von Entscheidungen spielt eine große Rolle, sie ist wichtiger, als wir es wahrhaben wollen.“ Und diese „emotionale Seite“ ist breit gefächert. Dazu gehören:
  • Systemrechtfertigung: Es besteht stets die Tendenz zum Status Quo.
  • Extrem-Aversion: Werden der Geschäftsleitung drei Alternativen vorgestellt, wählt diese in den meisten Fällen die Mitte aus. In fast allen Ländern vermeiden Menschen Extreme.
  • Ankereffekt: Wird einmal eine Zahl in den Raum gestellt, so werden die folgenden Alternativen daran gemessen.
  • Sunk Costs: Es ist deutlich schwieriger ein Projekt zu stoppen, das bislang 3 Mio. Euro gekostet hat als eines mit nur 50 000 Euro.
  • Frequenz-Validität: Je häufiger eine Tatsache gehört wird, umso eher wird sie geglaubt. Vielfach sind Vorstände selbst von einer unsinnigen Prognose überzeugt, weil sie diese sofort gehört haben. Es ist enorm schwierig, einmal herrschenden Irrglauben auszuräumen.
  • Zero-Risk-Bias: Wir bevorzugen die Variante A, bei der ein kleines Risiko völlig eliminiert ist, vor der Variante B, bei der ein großes Risiko drastisch reduziert wird. Auch wenn alle Erwartungswerte für die Variante B sprechen.
  • Asch-Effekt: Der Gruppenzwang wurde 1951 vom Psychologen Solomon Asch mit dem Konfirmitätsexperiment nachgewiesen. Menschen passen sich der Mehrheitsmeinung an. Gibt es keine Bedenkenträger oder hat der Chef ein starkes Plädoyer gehalten, findet sich nur noch Zustimmung – auch gegen die eigene Überzeugung.
Neben dem Entscheidungsprozess sieht Gassmann auch im Führungsprozess einen wesentlichen Erfolgsfaktor im Innovationsgeschehen. Er rät, sich vom vorherrschenden transaktionalen Denken zugunsten des transformationalen zu lösen. Der transaktionale Führungsansatz geht davon aus, dass die Führenden die Motive und Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter kennen, Zielerreichung belohnen, Abweichungen hingegen sanktionieren. Von zentraler Bedeutung in der transaktionalen Führung sind Ziele als Basis von Leistung und Gegenleistung.
Doch, so Gassmann, „Innovation und Kreativität benötigen mehr als eine zielorientierte Steuerung einer Organisation.“ Und dieses Mehr böte die transformationale Führung. Den Hauptunterschied zwischen beiden Führungsstilen sieht Gassmann in der Motivation der Geführten: „Der transaktionale Zuckerbrot- und Peitschenansatz wirkt über Geld, Status, Komfort (extrinsische Motivation), während der transformationale Führungsstil die Mitarbeiter durch die Arbeit selbst begeistert (intrinsische Motivation).“
Stellschrauben der Begeisterung sind:
  • Idealisierter Einfluss: Die Führungskräfte werden als Vorbilder empfunden und genießen bei ihren Mitarbeitern Respekt, Bewunderung und volles Vertrauen. Die Mannschaft kann sich auf ihre Leader verlassen. Häufig verbindet auch ein gutes Charisma Mitarbeiter und Chef eng miteinander.
  • Inspirierende Motivation: Vorgesetzte motivieren und inspirieren ihre Mitarbeiter durch anspruchsvolle Ziele und tieferen Sinn. Gassmann: „80 Prozent aller Pharmaforscher erleben keinen kommerziellen Erfolg während ihrer gesamten Lebensarbeitszeit. Die Vision einer Welt ohne Aids und Krebs hält diese Forscher motiviert bei der Arbeit. Gemeinsame Werte und geteilte Vision wirken hoch motivierend.“
  • Intellektuelle Stimulierung: Die Führenden wecken die kreativen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter und ermuntern diese zu eigenständigem Problemlösen. Kritisches Hinterfragen von Bestehendem wird gefördert, Kreativität wird provoziert und unterstützt.
  • Individuelle Berücksichtigung: Vorgesetzte gehen auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter ein und coachen diese als Mentor. Die Stärken der Mitarbeiter werden gefördert und weiterentwickelt.
Forschungserkenntnisse von Gassmann verweisen auf zwei weitere Erfolgsfaktoren im Innnovationsmanagement: „Unterschätzt werden sollte auch die Wirkung von Aussagen und Darstellungen sowie die Unternehmenskultur nicht!“ Oft präsentierten Projektleiter der Geschäftsleitung großartige Ideen, ritten die aber mit der Art und Weise ihrer Präsentation zu Schanden. Gassmann: „Wer eine Idee unverständlich, mit Formeln und mit allen technischen Details gespickt darstellt, darf sich nicht wundern, wenn die Geschäftsleitung die Idee nicht aufnimmt“. Nicht zuletzt auch, „weil die Präsentierenden die Sprache der Technik ungenügend in die Sprache des Geldes übersetzen“.
Die Erfahrung zeige, dass an der Wiege gelungener Innovationen nicht selten gelungene Präsentationen stünden. Und – das richtige Bewusstsein von der Wirkung der Unternehmenskultur. Gassmann: „Gerade in technischen Bereichen wird Kultur als Erfolgsfaktor oft unterschätzt und gar nicht adressiert.“
Hartmut Volk Freier Publizist in Bad Harzburg
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