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Der Roboter meldet sich arbeitslos

Organisation: Handarbeit trotz hoher Taktzahlen
Der Roboter meldet sich arbeitslos

Wer sich schon bei der Ausschreibung vorschnell für ein Roboter-System entscheidet, findet nicht immer die beste Lösung. Teilautomatisierte Linien sind zuweilen schneller und günstiger, wie ein aktuelles Beispiel zeigt.

Die Tür geht auf, und ein Roboter tritt ein – um sich arbeitslos zu melden: Davon träumen die Jobvermittler der Bundesagentur. In Schorndorf könnte sich das abspielen, denn dort hat der Automobilzulieferer Hartmann Exact dieser Tage anstelle einer Roboterlösung ein teilautomatisiertes Montagesystem von Schneider Sondermaschinenbau aus Baiersbronn in Betrieb genommen. Die Aufgabe ist die Montage taktiler Sensoren, die in modernen Pkw das Anlegen der Sicherheitsgurte überwachen.

„So manches Montagesystem ist überautomatisiert“, sagt M.-Philipp Lindner, Leiter der Fertigungsplanung und -steuerung bei dem Schorndorfer Zulieferer. Vergangenes Jahr wurde ein Projekt aufgelegt, um Gurtschlossschalter rationell zu montieren. Lindner wollte nicht den Weg gehen, sich auf ein vollautomatisiertes System festzulegen. Hartmann Exact schrieb die neue Anlage deshalb funktionell aus. Das Unternehmen gab nicht vor, welche Handgriffe Roboter ausführen sollen und welche von einfachen Linearachsen übernommen werden. Derjenige Anlagenbauer sollte den Zuschlag erhalten, der auf die höchste Gutteilequote und zugleich auf die niedrigsten Stückkosten kommt.
Damit wollten die Schorndorfer verhindern, dass die Lösung im frühen Planungsstadium auf einen vorgegebenen Pfad gedrängt wird. Lindner: „Die von uns eingeladenen Sondermaschinenbauer verfügen allesamt über umfangreiche Erfahrungen, und diese wollten wir nutzen.“ Wie richtig dieses Vergabeprinzip ist, zeigte sich bei der Präsentation der Lösungswege. Der Gewinner: Der Vorschlag des Baiersbronner Sondermaschinenbauers Schneider, der auf den Einsatz von Robotern verzichtet und geschickt Handarbeitsplätze mit teilautomatisierten Arbeitsschritten kombiniert.
Roland Schneider, Geschäftsführer des Sondermaschinenbauers, gibt zu: „Ich dachte angesichts der Stückzahlen zunächst auch an eine hoch automatisierte Lösung.“ Denn die Anlage sollte im Jahr bis zu 5,26 Millionen Gurtschlossschalter produzieren, woraus beim Dreischichtbetrieb an 225 Arbeitstagen pro Jahr eine Taktzeit von unter 2,5 Sekunden resultiert. Doch bei der sorgfältigen Analyse der Aufgabe habe das Projektteam erkannt, dass die Lösung immens teuer geworden wäre. „Deshalb suchten wir nach einem alternativen Weg. Eine solche Anlage muss ohnehin beaufsichtigt werden, also wollten wir nicht die Maschinenbediener zu Prozessbeobachtern machen, sondern ihre Präsenz geschickt nutzen.“
Schneider dachte ihnen Handarbeitsplätze zu, zum Beispiel für das Einlegen der Druckfedern in die Schaltschieber. Dort, wo das Risiko der Handarbeit aus Gründen der zu erzielenden Qualität zu hoch erschien, unterstützen Vorrichtungen die Montiererinnen und Montierer, zum Beispiel beim Einlegen der Kontaktfedern in die Gehäuse. Philipp Lindner betont, „dass beim Einlegen der filigranen Kontaktfedern das Risiko besteht, diese zu überdehnen oder dass Mikrospäne entstehen.“ Deshalb entschied sich das Team dafür, das Einsetzen der Federn mit Hilfe einer Vorrichtung vorzunehmen. Dabei weitet die Vorrichtung die Schaltkontakte in einem genau definierten Maß auf und kippt diese danach in das Gehäuse ein.
Sorge bereitete dem Hartmann-Team, dass die Schalter in drei Varianten hergestellt werden müssen. Da die Fertigung erst kurzfristig vor dem Liefertermin aus den Abrufen erfährt, welche Typen sie in welcher Menge liefern muss, war ein flexibles System mit kurzen Umrüstzeiten gefragt. „Jede Rüstzeit hätte sich gewaltig auf die Produktionskapazität der Anlage ausgewirkt“, gibt Roland Schneider zu bedenken. Als Ausweg wäre nur noch eine aufwändigere Auslegung der Anlage geblieben, wodurch die Stückkosten gestiegen wären. „Aus diesem Grund analysierten wir genau die Geometrien der Varianten und entwickelten Vorrichtungen, die fast ohne Rüstzeiten alle drei Varianten aufnehmen können“, erläutert der Firmenchef. Dadurch bleibt nun die volle Anlagenkapazität erhalten. Es gibt jetzt bei Hartmann Exact drei manuelle Montageplätze:
  • Am ersten Handarbeitsplatz werden die Schieber mit Druckfedern bestückt. Eine Arbeit, die hinsichtlich der Vollautomatisierung Kopfzerbrechen bereitet hätte. Montiererinnen müssen meist nicht einmal hinschauen, denn die taktilen Fähigkeiten der Hand reichen aus, um die Federn beim Entnehmen aus dem Vorratsbehälter zu vereinzeln. Auch das Einsetzen in den kleinen Aufnahmedorn des Schaltstücks dauert nur einen Sekundenbruchteil.
  • Ein weiterer Handarbeitsplatz dient dem Einsetzen der Kontakte in eine Spreizvorrichtung. Außerdem werden die vormontierten Schaltergehäuse in die Werkstückaufnahme eingesetzt. Am Ziel angekommen, bewirkt ein Endschalter über die SPS die Freigabe des pneumatischen Einpressvorgangs.
  • Der dritte Handarbeitsplatz kombiniert den Funktionsumfang der beiden anderen Plätze und dient damit der Abdeckung des Spitzenbedarfs oder der Komplettmontage eines Schaltertyps, der nur in relativ kleinen Mengen benötigt wird.
Die Prüfanlage hingegen hat Schneider bis auf das Einlegen der Fertigprodukte vollautomatisch gestaltet. Eine Maschinenbedienerin legt am Stehsitzarbeitsplatz die fertigen Schalter in eine Vorrichtung ein. „Zunächst waren wir überrascht, dass das Schneider-Team den Rundtisch nicht mechanisch weitertaktete, sondern von Hand“, berichtet Philipp Lindner.
Doch Schneider zeigte, dass durch ein pneumatisches Weitertakten die Prüfkapazität gelitten hätte: „Die Bedienerin hätte aus Sicherheitsgründen beide Hände aus dem Arbeitsraum nehmen und eine Zweihand-Sicherheitsschaltung betätigen müssen“, erläutert der Maschinenbauer. Bei der jetzigen Lösung dreht sie das Karussell sofort nach dem Einlegen eines Schalters mit der linken Hand weiter und die rechte Hand greift zeitgleich schon aus dem Vorratsbehälter den nächsten Schalter. Zu guter Letzt werden die Schalter aus der Werkstückaufnahme entnommen und die Gutteile ausgesondert. Das geschieht aus Gründen der Prozesssicherheit vollautomatisch.
Die letzte Aufgabe ist es, die Gutteile zu zählen und in Polybeutel zu packen. Dafür hat Schneider sich ein zweites Karussell ausgedacht, an dem 30 Polybeutel mit Hilfe kleiner Schnellspanner unter Abwurfrohre geklemmt werden. Fällt ein Schalter vom Gutteileband in den Schacht, wird er von einem optischen Sensor gezählt. Sind 100 Schalter im Beutel, taktet das Karussell um einen Beutel weiter. Sind alle 30 Beutel voll, müssen die vollen Beutel getauscht und die vollen zugeschweißt werden.
Lindners Fazit: „Man muss tatsächlich darauf achten, dass nicht Mannjahre von Automatisierungs- und Instandhaltungskräften aufgewendet werden, um schließlich Lohnkosten bei der Montage zu sparen.“
Britta Haun ist Journalistin in Königsbrunn
Keine Angst vor Umrüstzeiten
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