Die Energieeffizienz eines Gebäudes wird maßgeblich von der Qualität der Gebäudehülle bestimmt. Nachhaltige Konzepte setzen auf Multifunktionalität in Kombination mit einer ganzheitlichen Planung. Seitens der Systemtechnik ist die hoch integrierte Fassade bereits entwickelt.
Die Baustoff- und Systementwicklung für Fassaden wurde in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Faktoren Energie-Einsparimpulse des Gesetzgebers, Wirtschaftlichkeitserwägungen der Gebäudebetreiber sowie ein wachsendes Umweltbewusstsein vorangetrieben. Die Entwicklungsrichtung hingegen wurde durch die Ansprüche an bauliche Ästhetik und Transparenz bestimmt: Da im Objektbereich niemand mehr auf die Vorzüge Licht durchfluteter Räume verzichten wollte, konzentrierten sich die Anstrengungen ganz wesentlich auf transparente Fassadensysteme. Wärmedämmbeschichtete Baugläser in zwei- oder dreischaligem Aufbau werden heute mit thermisch optimierten Rahmenkonstruktionen aus Stahl, Aluminium, Holz oder Kunststoff kombiniert. Selbst Zusatzfunktionen wie Brand-, Sonnen- und Schallschutz, Sicherheit und Zutrittskontrolle sind mittlerweile auf Systemebene einfach integrierbar.
„Doch hoch integrierte Systemtechnik allein macht noch kein ökologisch sinnvolles und nachhaltiges Gebäudekonzept aus“, meint der Bauphysiker Prof. Hans-Peter Leimer. Mit seinem BBS-Ingenieurbüro in Wolfenbüttel verfolgt er eine „integrale Betrachtung“ von Konzepten und Bestandsbauten, die „Brandschutz, Wärmeschutz, Feuchteschutz und Akustik in ihrer Wechselwirkung untersucht“. Ziel dieses Ansatzes, der über die isolierte Betrachtung des Brandschutzes oder der Sicherheit deutlich hinaus geht, ist „die Sicherstellung aller objektspezifisch erforderlichen Funktionen zu geringst möglichen Investitions- und Betriebskosten für den Gebäudebetreiber“. „Ein bis maximal zwei Promille der Baukosten macht diese bauphysikalische Betrachtung aus, die sich in aller Regel durch Einsparungen bei der Gebäude- und Fassadentechnik vollständig refinanziert“, sagt Leimer. So beispielsweise wenn in der Fassade durch eine alternative Brandabschnittführung teure Spezialverglasungen und -konstruktionen eingespart werden können oder wenn differenzierte akustische Analysen ergeben, dass in Teilbereichen der Fassade die Schallschutzklassen gesenkt werden können. Enorme Einsparpotentiale sieht Leimer darüber hinaus in einer koordinierten Haustechnik – bis zu 20 % der Kosten für Heizung, Lüftung und Klima könnten diese nach seiner Einschätzung betragen.
Ganzheitlichkeit und Nachhaltigkeit treiben aber auch die Systementwickler im Fassadenbau um. Die Bielefelder Schüco International KG präsentierte 2007 erstmals ihre hoch integrierte „E² Fassade“. Bei der von Professor Stefan Behling, Leiter des Instituts für Baukonstruktion an der Universität Stuttgart, maßgeblich begleiteten Entwicklung handelt es sich um eine intelligente Schnittstellenlösung, die so unterschiedliche Themen wie Anlagentechnik (Lüftung / Heizung / Klimatisierung), Öffnungselemente, Sonnenschutz und solare Energiegewinnung auf wirtschaftliche und umweltfreundliche Weise zu einem modularen Gesamtsystem verbindet. Neben energetischen Gesichtspunkten liegt eine Betonung auf der baulichen Ästhetik, ohne die sich ein solches System in der Objektarchitektur nicht durchsetzen ließe. Ästhetik heißt hier, dass High-Tech-Funktionen weitgehend unsichtbar bleiben. So nehmen die Fassadenprofile sämtliche Leitungs- und Verkabelungssysteme auf und bieten intuitive Bedienelemente, die in den Fassadenpfosten integriert sind.
Bei der E² Fassade sind die Module für die dezentrale und damit individuell regelbare Anlagentechnik kompakt in den Bereich vor der Geschosstrenndecke verlegt. Das Technikmodul ist dabei so bemessen, dass es alle mechanischen Komponenten und Aggregate für Zu-/Abluft, Heizung, Kühlung und den außen liegenden Sonnenschutz aufnehmen kann. Besonderen Wert legten die Entwickler auf eine flexible Lösung, die unterschiedlich komplexe Varianten von Lüftung, Heizung und Kühlung in einer einheitlichen Bauart unterstützt. Sichtbar und damit Stil prägende Elemente der integrierten Fassade sind großflächige transluzente Flachkollektoren für die solarthermische Energiegewinnung und der außen liegende Sonnenschutz aus filigranen Lamellen, die nach einem kompakten Wickelprinzip Raum sparend im Technikmodul verschwinden. Schüco selbst macht mit dem Motto „Energy² – Energie sparen und Energie gewinnen“ den Anfang und setzt zahlreiche Ideen in die bauliche Praxis um. Neben einer hoch integrierten und damit Energie sparenden und gewinnenden Fassade sorgen solarbetriebene Wärmepumpen mit Erdwärme für einen spürbar geringeren Verbrauch von fossilen Brennstoffen.
Mehr Energie gewinnen als verbrauchen – diese ehrgeizige Bauherrenvorgabe vom Inhaber der Bionorica AG, Prof. Michael Popp, verfolgt das Konzept der neuen Firmenzentrale in Neumarkt/Oberpfalz. Bei dem viergeschossigen Bau mit quadratischem Grundriss wurden moderne Fassadentechnik, effiziente Heiztechnik und Photovoltaik miteinander kombiniert. Maßgeschneiderte PV-Module bedecken das leicht geneigte, etwa 480 m² große Flachdach, das quasi als riesiges Sonnensegel das Erscheinungsbild des Objektes prägt. In der Mitte befindet sich ein quadratisches, ebenfalls mit PV-Modulen ausgestattetes Oberlicht, das im Empfangsbereich des Obergeschosses das Gefühl aufkommen lässt, unter freiem Himmel zu arbeiten. Das Solardach absorbiert die passiven Solargewinne. Die integrierten Solarzellen wirken wie Verschattungselemente. Die eingetragenen thermischen Lasten werden auf umweltfreundliche Art über einen Klimatisierungsprozess abgefangen.
Zusammen mit den Modulen an der Südostfassade erbringt das Dach eine Leistung von etwa 45 kWp und deckt damit den Verbrauch. Die Wärme wird durch einen Pelletkessel mit einer Leistung von 450 kWin Verbindung mit einem Pflanzenöl-Blockheizkraftwerk mit einer thermischen Leistung von 140 kW und einer elektrischen Leistung von 100 kW erzeugt. Diese Wärme dient im Winter zur Erwärmung der Verwaltungsgebäude und zu Produktionszwecken.
Dr. Dieter Koch Fachjournalist, Bochum
Teilen: