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Ein globaler Fußabdruck, der zum Erfolg führt

Global Footprint: Die Strategie zur Internationalisierung
Ein globaler Fußabdruck, der zum Erfolg führt

Niederlassungen im Ausland, den Stammsitz im Inland und überall wirtschaftlich arbeiten: So lautet die Herausforderung für deutsche Unternehmen, um strategisch global richtig aufgestellt zu sein. Beispielhafte Firmen meistern die Globalisierung mit maßgeschneiderten Produkten und einem pfiffigen Fertigungsverbund. Denn mit dem Verlagern von Wertschöpfung allein ist es nicht getan, warnen Experten. (Bild: www.photocase.com)

Von unserem Redaktionsmitglied Tilman Vögele-Ebering

Da steht er nun, der Unternehmer aus dem Bergischen Land, der seinen Namen nicht gedruckt sehen will: Er hat eine defizitäre Fertigung am Stammsitz, auf die er nicht verzichten kann. Seine verlängerte Werkbank in Polen arbeitet produktiver als erhofft. Täglich rollen die Lkw. Und der deutsche Standort gerät durch den Erfolg der polnischen Niederlassung noch mehr unter Druck.
„Die Quersubventionierung von teuren Standorten muss aufhören“, sagt Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Andreas Merchiers, wissenschaftlicher Mitarbeiter am WZL-Lehrstuhl für Produktionssystematik an der RWTH Aachen. Dort beschäftigt man sich mit der Frage, was nach der Verlagerungswelle folgt und unter welchen Voraussetzungen für das Verarbeitende Gewerbe die Produktion am Standort Deutschland noch möglich sein wird.
Die Unternehmer müssten weg vom Mischkalkulationsgedanken, so lautet die These des Aachener Teams. Sie müssten ihre Wertschöpfungsstrukturen so optimieren, dass an jedem Standort das produziert wird, was sich rechnet. „Standorten müssen klar definierte Rollen zugewiesen werden“, erläutert Merchiers. Diese Rollen begründen sich daraus, wie lokale Vorteile und Synergien genutzt werden können und wie es um die Spezialisierung steht. „Die Produktion einfach zu verlagern, reicht langfristig nicht mehr aus, das macht die Konkurrenz ja auch“, erläutert der junge Experte.
Global Footprint heißt das Zauberwort für die Internationalisierung der deutschen Industrie. Der am Lehrstuhl von Prof. Dr-Ing. Günther Schuh geprägte Begriff beschreibt den globalen Wertschöpfungs-Fußabdruck des Unternehmens. Was fertigt der Unternehmer wie, wo und warum? „Deutsche Industrieunternehmen müssen jetzt ihre globale Wertschöpfungsstruktur neu definieren, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben wollen“, formuliert Schuh die Herausforderung.
Eine Studie des Werkzeugmaschinenlabors, die gemeinsam mit Roland Berger organisiert wurde, sorgte für Furore. Demnach planten 2004 rund 90 % der befragten Unternehmen, innerhalb der nächsten fünf Jahre Teile ihrer Wertschöpfung zu verlagern. Ein Grund für diesen Run: Die Fertigungsqualität in Polen und den anderen ehemaligen Ostblockstaaten erreicht mittlerweile westliche Standards. Lediglich mit der Produktivität hinkt Osteuropa hinterher.
Ging es in den 90ern, den Jahren der Goldgräberstimmung, darum, im Osten lohnkostenintensive Teile der Produktion auf unterem technischen Niveau zu fertigen, sieht es seit ein paar Jahren anders aus: Komplette Oberklasse-Fahrzeuge rollen dort in gleicher Qualität vom Band.
Ein Unternehmen, das nach eigener Auskunft bewusst nie verlagert hat, um im Inland Jobs abzubauen, ist die Trumpf-Gruppe aus Ditzingen: „Wir haben schon früh begonnen, die Zukunft unserer deutschen Standorte zu sichern“, berichtet Dr.-Ing. Mathias Kammüller, der für das Thema Produktion zuständige Geschäftsführer. Das Familienunternehmen richtete sich schon in den 90ern nach den Grundsätzen der Lean Production aus und entwickelte das firmeneigene Synchro-Produktionssystem. Auf der Personalseite wagten die Ditzinger mit als erste ein weit reichendes betriebliches Bündnis für Arbeit.
Trumpf betreibt die Internationalisierung Schritt für Schritt. Ein Beispiel: Die Schwaben bauten im vergangenen Jahr eine Fertigung in China auf. In einer neuen Produktionsstätte in Taicang fertigen sie einen Operationstisch, das Basismodell. Mit dem Operationstisch sammelt das Familienunternehmen Fertigungs-Erfahrung im Reich der Mitte und nutzt dabei die Kompetenzen des Konzerns bei der Blechbearbeitung.
Eine richtige Erfolgsstory gelang in den USA. Dort wagte Trumpf eine neue Vorgehensweise. Die Ditzinger sprangen über ihren schwäbischen Schatten und ließen erstmals die US-amerikanische Tochterfirma ran, um eine neue Maschine zu entwickeln. Die US-Kollegen brachten die pragmatische, amerikanische Ingenieur-Denke ein. Ergebnis: die 2D-Laserschneidanlage Trumatic L 2510. Sie verfolgt ein pfiffiges Konzept, sie ist kompakt, flexibel und braucht nur einen Motor, wo früher zwei nötig waren. Zugeschnitten auf den US-Markt, produziert vor Ort, wird die Laserschneidanlage von den Kunden als amerikanisches Produkt wahrgenommen.
Trumpf setzt auf einen Fertigungsverbund: Die Trumatic L 3050 beispielsweise wird am Standort Grüsch in der Schweiz montiert, der Maschinenrahmen kommt aus dem französischen Hagenau und der Laser aus Ditzingen. Alle 15 Fertigungsstätten arbeiten nach dem gleichen Produktionsprinzip just in time.
Einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren, um sich international langfristig aufzustellen, ist, die gesamte Wertschöpfungskette zu optimieren, wie Prof. Schuh in seiner Studie zum Global Footprint betont. Denn jede Unternehmensfunktion müsse an dem Standort erbracht werden, der in Effizienz, Qualität, Know-how und Marktnähe die größten Vorteile biete. So ergibt sich die Rolle für die inländischen Fertigungsstätten – und die Maßnahmen, um sie zu sichern.
So hat Trumpf vor kurzem das Bündnis für Arbeit erneuert. Mehr Arbeit gegen mehr Anreize, so lautet die Lösung. „Deutschland ist für die Hochtechnologieprodukte, die wir fertigen, ein guter, wenn auch unverändert teurer Standort“, gibt Dr. Kammüller zu bedenken. „Bei unserer Internationalisierung wurde auch Produktion verlagert, zum Beispiel in die Schweiz oder nach China“, räumt der Trumpf-Geschäftsführer ein. Dies sei jedoch nicht rein aus Kostengründen geschehen. „Unsere strategische Stoßrichtung ist, durch Produktion vor Ort Präsenz und Kompetenz im Markt zu zeigen.“
Nicht viele Unternehmen können sich derzeit mit solchen Musterunternehmen messen, wissen Experten. „Global Footprint Design – Internationale Wertschöpfung beherrschen“, unter diesem Titel bietet das WZL in diesen Tagen ein Seminar an, das den Unternehmen Konzepte liefert, wie sie Produktion im Inland und Internationalisierung unter einen Hut bekommen. „Der Standort Deutschland muss die Stärke seiner wissensorientierten Gesellschaft klar in den Vordergrund stellen“, rät WZL-Experte Andreas Merchiers.
Dabei müsse die Rolle als Technik- und Innovationsstandort mit einem überdurchschnittlichen Maß an Flexibilität, Kundenorientierung und Produktivität unterstrichen werden. Eine Kombination dieser Stärken könne die deutschen Unternehmen fit machen für eine Führungsrolle im globalen Produktionsverbund: als Pilotanwender und Koordinator im Produktentstehungsprozess.
Zusätzlich Anforderungen entstehen durch die Internationalisierung in Bezug auf die Komplexität. „Massenhersteller müssen für die Region ihre Produkte anpassen“, erläutert auch Prof. Schuh. Dies ist ein weiterer Komplexitätstreiber. Kommt die Anforderung nach einem Local Content hinzu, wird aus den in der Heimat konstruierten Standards schnell ein unübersichtliches Durcheinander.
Aufmerksam registrieren Fachleute vereinzelte Rückkehrer aus dem Osten. Denn geht einer der ursprünglichen Standortvorteile im Ausland verloren, rechnet sich dort schnell die Produktion nicht mehr. Dr. Hannes Hesse, Hauptgeschäftsführer des VDMA, berichtet sogar von Betrieben der Textilindustrie, die sich in jüngster Zeit wieder in Deutschland ansiedeln – und in Osteuropa, Südeuropa oder Asien die Zelte abgebrochen haben. Sie sind meist hochspezialisiert und hochautomatisiert. Hesse: „Aber dort gibt es in den Fabrikhallen fast keine Menschen mehr.“
Der Stammsitz übernimmt die Führungsrolle

Studie: Die Internationalisierungs-Strategien
Der Standort-Deutschland- Wertschöpfer (17% der Unternehmen)
fokussiert sich auf die Stärken seiner deutschen Entwicklungs- und Fertigungsstandorte. Er bedient aus heimischen Werken westeuropäische und
ausgewählte darüber hinaus globale Kunden.
Der Regionale Kostensenker (22 %) verlagert lohnkostenintensive Fertigungs- und Montageschritte in Niedriglohnländer Osteuropas oder Ostasiens. Eine Mischkalkulation der Faktorkosten sichert die Wettbewerbsfähigkeit.
Der Globale Markterschließer (33%) bedient die wichtigsten Weltmärkte
aus lokalen Fertigungs- und Vertriebsstandorten. Vor-Ort-Präsenz sichert Marktwachstum und Verständnis für Kundenanforderungen.
Der Global Footprint Champion (28 %) wählt für jede Unternehmensfunktion den optimalen Standort und bündelt Ressourcen effizient in einem globalen Netzwerk.
Global Footprint Champions unter den Industrieunternehmen zeichnen sich laut der WZL-Studie durch drei wichtige Erfolgsfaktoren aus:
  • Sie bündeln und optimieren ihre gesamte Wertschöpfungskette von der Konstruktion bis zum Service und stellen ihr Unternehmen weltweit auf.
  • Sie bewerten kritisch die Gesamtkosten und Risiken jeder Veränderung der Wertschöpfungsstruktur und bündeln nur dort, wo signifikante Effizienzvorteile realisiert werden.
  • Für diese Unternehmen ist Global Footprint Design eine Aufgabe des Topmanagements, und erfordert große Disziplin und Ressourceneinsatz.
Quelle: Studie Global Footprint Design

So bleibt der Standort top
Produktionsbetriebe müssen die Standortvorteile in Deutschland effizienter nutzen und gleichzeitig gegen die Schwächen vorgehen.
Technologien integrieren
Die Innovationskraft am Standort Deutschland ermöglicht es, disziplinübergreifend Technologien zu integrieren und so neue Prozessketten zu schaffen. Damit lassen sich nicht nur neue Produkte herstellen, sondern auch eine neue Ebene der Effizienz erschließen. Beispiele sind neue Möglichkeiten der temporären Automatisierung (Beispiel: Werkstückbestückung), eine zunehmende Integration des Menschen in die Automatisierung durch die Mensch-Maschine-Kooperation sowie die Nutzung von Augmented Reality bis in die Kleinserie. Dies bringt gerade kleineren Unternehmen enorme Effizienz- und Flexibilitätssteigerungen gegenüber Osteuropa und Asien.
Lean Management
Erhebliche Potenziale im Bereich der Ablauf- und Aufbaustrukturen sind noch nicht erschlossen. Mit Blick auf die in Deutschland noch vorhandenen Produktionskompetenzen – vornehmlich in der Montage – lässt sich mit den Prinzipien der konsequenten Kundenorientierung und der Konzentration auf wertschöpfende Tätigkeiten die Effizienz steigern. Im Sinne einer kundeninduzierten Produktion kann das Unternehmen dadurch Fixkosten massiv senken und die Flexibilität steigern.
Wertschöpfungskette beherrschen
Vor dem Hintergrund der sinkenden produktbezogenen Wertschöpfung in Deutschland gilt es, die Geschäftsprozesse über die Werksgrenzen hinaus zu beherrschen. Ein Optimum an Verbesserungspotenzial lässt sich dadurch erzielen, dass die Supply Chain eng eingebunden wird. Kosten- und Terminziele zu vereinbaren sowie deren Controlling reicht nicht aus. Komplexitäts- und Kostenvorteile lassen sich durch eine optimale Outsourcing- und Einkaufsstrategie erzielen.
Arbeitszeitmodelle flexibilisieren
Erfolgversprechende Maßnahmen werden überlagert durch die hohen Lohnkosten in Deutschland. Neben den Rahmenbedingungen wie den hohen Lohnnebenkosten sind es die unflexiblen Arbeitszeiten, die zu den hohen Lohnstückkosten führen. Mangelnde Flexibilität verursacht eine schlechte Auslastung des teuren Personals und führt dazu, dass die Aufgaben durch weniger anspruchsvolle Arbeiten erweitert werden.
Autoren: Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Günther Schuh, Dr.-Ing. Achim Kampker, Dipl.-Ing. Dipl.-Wirt. Ing. Andreas Merchiers
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