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Eine Fabrik ohne Zäune und Lichtschranken

Sicherheitstechnik: Flexible Kameras ersetzen starre Systeme
Eine Fabrik ohne Zäune und Lichtschranken

Mit dem flexiblen Videosystem SafetyEYE will der Automobilbauer DaimlerChrysler herkömmliche Sicherheitssysteme in der Produktion ersetzen. Das Ziel: Eine Fertigung ohne Schutzgitter und Lichtschranken, in der sich die Mitarbeiter gefahrlos und frei bewegen können.

Es begann mit einem unscheinbaren Video, das sich Anton Hirzle zusammen mit anderen Mitarbeitern von DaimlerChrysler Mitte 2001 anschaute: Ein Assistenz-System für Autofahrer analysiert eine typische Verkehrs-Situation aus dem Pkw heraus. „Wir waren erstaunt, was die Bildverarbeitung alles erkennen konnte“, erinnert sich Hirzle, Senior Manager Abteilung Automatsierung- und Steuerungstechnik bei der DaimlerChrysler AG in Sindelfingen. „Markierungen auf den Straßen, Schilder oder andere Fahrzeuge – alles wurde von der Kamera identifiziert.“ Plötzlich war dem Manager klar: Mit dieser Technik können wir auch in der Produktion etwas bewegen.

Fünf Jahre später ist aus der ersten Idee ein handfestes Produkt geworden. Zusammen mit dem Sicherheitsspezialisten Pilz GmbH & Co. KG aus dem schwäbischen Ostfildern haben die pfiffigen Autobauer ein System entwickelt, mit dem das Arbeitsumfeld in der Produktion künftig sicherer werden soll. Die neue Technik heißt SafetyEYE. „Damit lassen sich bislang notwendige und teure Sicherheitssysteme komplett ersetzen“, erklärt Günter Walz, Leiter der Produktionsplanung der Mercedes Car Group. Nach Ansicht von Walz sind die Mitarbeiter durch die neue Technik besser geschützt. Zudem soll SafetyEYE die Kosten drücken und die Leerlaufzeiten im Betrieb kürzen.
Das neue Gemeinschaftsprodukt arbeitet nach dem Prinzip der Umfelderkennung. Drei Videokameras, die in einem Gehäuse vereint sind, kontrollieren mit Unterstützung eines leistungsstarken PC lückenlos den gesamten Aktionsraum der Produktionsanlage, zum Beispiel eine Roboterzelle. Herkömmliche Sicherheitssysteme wie Lichtschranken, Laserscanner, Sicherheitshebel oder Trittmatten werden dadurch überflüssig. Während die konventionelle Technik nur zweidimensionale und damit eingeschränkte Bereiche absichern kann, überwacht das neue Konzept einen dreidimensionalen Sicherheitsbereich, der vom Benutzer frei definiert werden kann.
Derzeit befindet sich SafetyEYE noch im Erprobungsbetrieb. Ab April 2007 soll das System an rund zehn Stationen in der regulären Produktion im Sindelfinger Werk zum Einsatz kommen. Bis dahin rechnet der Karossenhersteller auch mit einer abschließenden Zertifizierung des Systems durch die Berufsgenossenschaft.
Die schwäbischen Autobauer haben bislang rund 1,2 Mio. Euro in das Projekt investiert. Nach Ansicht von Anton Hirzle lohnt sich der Aufwand: „Zwar kommt es auch mit den herkömmlichen Sicherungseinrichtungen kaum zu Unfällen, aber Verbesserungspotenzial ist dennoch vorhanden.“ So überwachen Lichtschranken und Laserscanner keinen Raum, sondern bestenfalls Ebenen. Sie bilden gleichsam optische Zäune und können auch nur dort installiert werden, wo freie Sichtverbindung besteht. Andernfalls müssen andere Sicherheitseinrichtungen eingesetzt werden wie beispielsweise Trittmatten. „Eine lückenlose Überwachung des gesamten Aktionsraumes ist nur mit einer Kombinationen von Sensoren möglich – wenn überhaupt“, weiß Hirzle.
Herkömmliche Sicherungssysteme lösen bei Gefahr immer die Notstopp-Funktion aus. Der Roboter bleibt wie festgefroren stehen. Bei SafetyEYE hingegen gibt es eine Schutz- und Warnraumumschaltung. Betritt ein Werker die Warnraumzone, bewegt sich der Roboter zunächst mit reduzierter Geschwindigkeit. Das System reagiert flexibel auf Gefahrensituationen, so dass ein Notstopp oft gar nicht notwendig ist.
Wo das neue Videosystem zum Einsatz kommt, ist von üblichen Sicherheitseinrichtungen nichts zu sehen. Der Raum um die Anlage herum ist völlig offen und wirkt zunächst ungesichert. In etwa 5 m Höhe hängt lediglich ein Aluminiumgehäuse, in dem drei digitale Schwarzweiß-Kameras den Aktionsraum der Anlage überblicken. Die Kameras liefern auch bei großen Helligkeitsunterschieden noch ein verwertbares Bild. Das ist entscheidend bei den oft sehr unterschiedlichen Lichtverhältnissen in den Fabrikhallen. „Mit seinen drei elektronischen Augen übertrifft das System im räumlichen Sehen sogar den Menschen“, glaubt Werner Progscha. „Während wir mit unseren zwei Augen Schwierigkeiten haben, die Abstände von Objekten entlang einer waagrechten Linie genau zu erfassen, schaffen das die drei Kameras problemlos“, so der Projektleiter SafetyEYE bei DaimlerChrysler.
Von den Kameras werden die Bilder an zwei Rechner weitergeleitet, die die Aufnahmen parallel und unabhängig voneinander als redundantes System analysieren. Die Software sucht einen festgelegten Bereich, zum Beispiel den Aktionsraum des Roboters, nach Objekten ab, die auf Grund ihrer Bewegungsrichtung und Geschwindigkeit mit dem stählernen Kollegen kollidieren können. Es genügt bereits, wenn einer der beiden Rechner eine gefährliche Situation erkennt, und das System schlägt Alarm.
Die überwachten Räume sind am Monitor als farbige, halbtransparente Würfel und Quader auf dem Schwarzweißbild dargestellt. Diese Gefahrenbereiche definiert der Nutzer über Raumkoordinaten. Die Raumsegmente zusammen bilden eine Art Sicherheitskokon. Objekte außerhalb werden nicht berücksichtigt. Objekte, die in den Kokon eindringen, lösen eine Reaktion aus.
Auf diese Weise wird der gesamte Raum abgesichert – anders als bei herkömmlichen Systemen, die nur die Flächen und Ebenen eines Risikoraumes begrenzen. „In der Praxis zeigt sich der gravierende Unterschied“, umschreibt Günter Walz den Vorteil. „Wird zum Beispiel eine Werkzeugkiste in einen Bereich geschoben, der von einem Laserscanner abgesichert ist, dann wird der optische Zaun durchbrochen und der Roboter stoppt.“ Die neue Technik hingegen reagiert in der gleichen Situation womöglich gar nicht. Etwa dann, wenn der zu überwachende Aktionsraum erst einen Meter über dem Boden beginnen muss. In diesem Fall würde der Roboter die Kiste darunter gar nicht erreichen.
Die 3D-Raumüberwachung vermeidet nicht nur unsinnige Unterbrechungen, sondern soll auch für mehr Sicherheit sorgen. Montiert zum Beispiel ein Werker an einem Karosserierahmen im Bereich des Motorraums, dann könnte er sich dabei auf den vorderen Träger des Transportschlittens stellen. Eine Trittmatte erfasst diese Situation nicht, sodass sich der Mitarbeiter in einem ungesicherten Bereich befindet. Auch herkömmliche optische Sicherungen versagen in dieser Situation, da sie nicht von oben das Arbeitsfeld einsehen können. Das neue Sicherheitskonzept überwacht dagegen einen Schutzkokon, der sich beliebig formen lässt und für jede einzelne Produktionseinrichtung maßgeschneidert ist.
Die Flexibilität des Systems zeigt sich auch darin, dass bisher je ein abgeschlossenes Sicherheitssystem pro Maschine notwendig war. Wird das SafetyEYE geschickt positioniert, lassen sich gleich mehrere Schutzbereiche überwachen. „Das Verschmelzen benachbarter Sicherheitszellen schafft mehr Spielraum und ermöglicht eine Anlagenkonzeption, bei der die Stationen ineinander übergehen“, erzählt Anton Hirzle.
Der Aufbau des programmierbaren Schutzraums dauert nur wenige Stunden. Bis eine herkömmliche Sicherheitseinrichtung positioniert, eingerichtet und überprüft ist, vergeht mindestens ein Tag. „Zudem kostet das neue Konzept bis zu 70 % weniger als ein vergleichbares System mit mehreren Komponenten“, weiß Günter Walz.
Produktion wird nicht mehr unnötig gestoppt

Neue Technologien
Auf so ein Produkt haben die produzierenden Betriebe gewartet. Mit dem flexiblen Videosystem SafetyEYE lassen sich die Kosten für die Sicherheitstechnik in der Fertigung um bis zu 70 % drücken. Zudem kann die neue Technik bei geschickter Positionierung der Kameras mehrere Schutzbereiche gleichzeitig überwachen. Das ermöglicht ein Anlagenkonzept, bei dem die Stationen ineinander übergehen.
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