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Galvanotechnik als Atelier für neue Oberflächen

Maßgeschneiderte Werkstoffe: Galvanische Schichten und Formen
Galvanotechnik als Atelier für neue Oberflächen

Den galvanischen Prozess haben die Ingenieure mittlerweile so gut im Griff, dass sie unterschiedlichste Produkte maßschneidern können. Von Werkzeugbeschichtungen über bleifreie Lote bis hin zu Spritzgussformen für Armaturentafeln im Leder-Look reichen die Anwendungen.

Harald Holeczek ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Das IPA bietet der Industrie seine Unterstützung bei der Entwicklung galvanotechnischer Produktionsverfahren vom Prozess bis zur Anlage an Web-Adresse: www.ipa.fhg.de

Galvanische Prozesse können Bauteile mit vielfältigen Oberflächeneigenschaften ausstatten. Mit Hilfe der Galvanik werden sie beispielsweise unempfindlich in korrosiven Umgebungen oder verschleißbeständig. Oft erfordert die Funktion eines Gerätes auch eine Kombination mehrerer Eigenschaften. Hier kann die Galvanik wirtschaftliche Lösungen liefern, indem sie teure Werkstoffe als kostengünstige Beschichtungen anbietet.
Selbst scheinbar widersprüchliche Anforderungen lassen sich in vielen Fällen sehr gut durch gezieltes Aufeinanderabstimmen von Grundwerkstoff und angepasster Funktionsschicht erfüllen. Dies gilt zum Beispiel dann, wenn ein Teil sehr leicht und trotzdem verschleißfest sein soll: Werkstoffe mit geringer Dichte wie Aluminium oder Magnesium sind in der Regel nicht sehr hart. Galvanische Beschichtungen können die Härte aber wesentlich verbessern, ohne den Gewichtsvorteil zunichte zu machen.
Eine wichtige Rolle für den Fortschritt in der Galvanik spielt die moderne Anlagentechnik. Um konstante Beschichtungsergebnisse auf hohem Qualitätsniveau zu erzielen, sind konstante Prozessbedingungen sehr wichtig. Gleich bleibende Bedingungen lassen sich heute am besten mit neuen, abgeschlossenen und modular aufgebauten Anlagen realisieren. Konventionelle Anlagen mit offenen Behältern und Bädern bekommen daher Konkurrenz durch kompakte Module, die direkt in die Fertigung integriert werden. Diese arbeiten mit hohen Abscheidegeschwindigkeiten und sind genau auf die zu produzierenden Teile abgestimmt. Häufige Fehler beim Kontaktieren oder Positionieren der Bauteile müssen heute nicht mehr hingenommen werden. Vielmehr kehrt die Galvanotechnik mit neuen, teils automatisierten Anlagenkonzepten direkt in die Fertigungslinie zurück und macht es zum Beispiel möglich, Walzen für Druckmaschinen oder die Blechveredelung mit 60 µm dicken Chromschichten zu versehen, deren Schichtdicke um maximal 2 µm vom Soll abweicht.
Eine spezielle, sehr innovative Disziplin innerhalb der Galvanotechnik ist die Galvanoformung. Hier handelt es sich um ein galvanisches Urformverfahren, das komplexe Bauteile mit zugleich präziser Oberflächenstruktur hervorbringt: Auf Modellen werden bis zu mehrere Millimeter dicke Metallschichten abgeschieden. Diese bilden dann selbsttragende Strukturen, die beispielsweise als Formeinsätze für den Kunststoffspritzguss verwendet werden. Die Abformgenauigkeit ist so groß, dass Oberflächenstrukturen wie die von Leder hochpräzise abgebildet werden können – zu dekorativen oder funktionellen Zwecken. In dieser Genauigkeit ist die Galvanotechnik den meisten anderen bekannten Verfahren weit überlegen. Zwei gegensätzliche Anwendungen können dies verdeutlichen: Einerseits entstehen durch Galvanoformung die Formwerkzeuge, mit denen Armaturenbretter im Leder-Look produziert werden. Zum anderen lassen sich teure Spiegel, die auf einen Nanometer genau poliert sind, mit Galvanoformung präzise in Nickel reproduzieren. Darin zeigt sich, dass jede vorgegebene Struktur bis in kleinste Dimensionen hinein abgeformt werden kann.
Zukünftig wird die Galvanoformung in Technologiegebieten wie der Mikrosystemtechnik oder der Optik weiter an Bedeutung gewinnen. Schon heute werden beispielsweise galvanogeformte Prägeplatten mit Strukturen im Nanometer-Maßstab verwendet, um Optiken mit reduzierten Lichtverlusten zu kreieren, die etwa in Overheadprojektoren zum Einsatz kommen. Solche strukturierten Optiken werden in Form von Folien hergestellt.
Galvanische Prozesse machen viele verschiedene Werkstoffe als Beschichtungsmaterialien verfügbar. Dazu zählen Mono-Werkstoffe wie Chrom, Nickel oder Zink, aber auch Legierungen wie Zink-Nickel, Zink-Eisen oder Nickel-Phosphor. Viele dieser Prozesse und Verfahren sind seit langem bekannt und in der industriellen Praxis gut eingeführt. Die Eigenschaften der gängigen Schichten wurden gründlich untersucht, wobei spezielle Variationen und neue Kombinationen immer wieder zu innovativen Schichten oder Schichtsystemen geführt haben und weiterhin führen. Manchmal genügt schon die Wahl einer anderen Dicke als üblich oder die Kombination zweier Werkstoffe, um Schichten mit neuen Eigenschaften herzustellen.
In der Galvanotechnik werden überwiegend Lösungsmittel auf Wasser-Basis für die Elektrolyse verwendet. Sollen aber unedle Metalle durch die Wirkung des elektrischen Stroms auf dem Werkstück (= Anode) abgeschieden werden, stößt dies auf Probleme. Denn aufgrund der so genannten elektrochemischen Spannungsreihe werden zuerst die edlen Metalle wie zum Beispiel Silber und Gold abgeschieden, dann Wasserstoff und erst danach die unedlen Metalle. Bei wässrigen Lösungen mit Leichtmetallen wie Aluminium, Titan, Silizium oder Tantal, die für Bereiche wie die Medizintechnik oder Mikrosystem- und Sensortechnik interessant sind, führt die Elektrolyse lediglich zur Wasserstoffproduktion. Um auch unedle Metalle applizieren zu können, müssen daher wasserfreie Prozessmedien verwendet werden. Solche wasserfreien Elektrolyte sind für Aluminium seit langem bekannt und werden heute auch für andere der genannten Metalle entwickelt.
Galvanik eignet sich auch für Legierungsschichten
Neben dem Abscheiden durch elektrischen Strom lassen sich auch Verfahren mit so genannten außenstromlosen Elektrolyten einsetzen. Sie erfordern keine externe Energiequelle. Vielmehr sorgt eine chemische Reaktion innerhalb des Elektrolyten dafür, dass das gelöste Metall auf dem Werkstück in die feste Phase übergeht. Dadurch können Bauteile sehr gleichmäßig beschichtet werden. Im Gegensatz dazu gibt es bei elektrochemischen Prozessen häufig das Problem der zu ungleichen Schichtdickenverteilungen, das bei außenstromlosen Prozessen nicht auftritt. Allerdings ist bei der außenstromlosen Elektrolyse auf die Strömungsführung als wichtigen Parameter zu achten, um qualitativ hochwertige Schichten zu erzielen.
Durch den Einsatz von Elektrolyten mit zwei oder sogar drei gelösten Metallen lassen sich auch Legierungsschichten herstellen. Ihre Zusammensetzung hängt nicht nur von der Zusammensetzung des Elektrolyten ab, sondern wird auch stark von der Wahl der Prozessparameter bestimmt. Durch eine geeignete Auslegung des Prozesses können also maßgeschneiderte galvanische Schichten hergestellt werden. Ein Beispiel sind Lotlegierungen für die Elektronik. Um Chips direkt auf Leiterplatten zu befestigen, werden winzige Lotmengen mit Hilfe einer Maske positionsgenau abgeschieden. In der Vergangenheit kamen dafür Legierungen wie Zinn-Blei zum Einsatz. Zukünftig werden aber bleifreie Legierungen verwendet, weil Blei langfristig aus allen Elektronikgeräten verschwinden soll. Auch hier hilft die Galvanik mit speziellen Legierungen und Abscheideverfahren, neue Herausforderungen zu erfüllen.
Wachsende Anforderungen aus der Anwendung geben auch den Anstoß, hochfeste Partikel wie Karbide oder Nitride in eine weichere Matrix wie Nickel einzulagern. Solche Dispersionsschichten sind vielfältig im Einsatz, beispielsweise als Funktionsschichten auf Profilschleifwerkzeugen. Bei einem Spezialprofil, mit dem etwa Verzahnungen hergestellt werden sollen, dient eine Nickel-Phosphor-Schicht als bindende Matrix für extrem harte Partikel von kubischem Bornitrid (cBN). Diese Komposition wird auf dem Werkzeuggrundkörper abgeschieden, wobei die cBN-Partikel die abtragende Funktion übernehmen.
Durch die Wahl geeigneter Prozessbedingungen lassen sich mit galvanischen Prozessen auch nanokristalline Schichtwerkstoffe herstellen. Möglich ist dies heute bereits für eine Vielzahl von Metallen und Legierungen wie Nickel, Eisen, Kobalt- oder Phosphorlegierungen. Durch das nanokristalline Gefüge erhalten die Metalle eine höhere Härte, Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit. Nickel weist zusätzlich die Fähigkeit auf, Wasserstoff einzuspeichern. Diese Eigenschaft könnte eines Tages zu innovativen Anwendungen führen.
Allgemein lässt sich mit Hilfe von Prozessparametern wie Strom, Temperatur, Strömung und Elektrolytzusammensetzung die Schichtbildung so steuern, dass Beschichtungen mit einem weiten Spektrum von Eigenschaften möglich werden. Auch dazu ein Beispiel: Hartchrom erreicht im allgemeinen Härten zwischen 800 HV und 1100 HV. Durch Ändern der Prozessparameter lässt sich aber auch eine weichere Hartchrom-Schicht generieren, die keine Mikrorisse ausbildet und somit weniger Angriffspunkte für Korrosion bietet. Solche Beschichtungen sind bereits für Automobilteile eingesetzt worden.
Noch wesentlich weiter gespannte Möglichkeiten ergeben sich durch Kombinationen der Galvanotechnik mit anderen Technologien wie PVD- oder Niedertemperatur-Plasmaverfahren, Sol-Gel-Beschichtungen oder der Plasmapolymerisation. Sie bieten die Chance, ganz unterschiedliche und mitunter sogar widerstreitende Anforderungen zu erfüllen.
Industrieanzeiger
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