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Im virtuellen Labor bleibt kein Fehler verborgen

Wälzlager: Zuverlässiger durch Simulation
Im virtuellen Labor bleibt kein Fehler verborgen

Modellrechnungen zeigen den Ingenieuren im Voraus, was im belasteten Lager passiert. Dem Anwender bleiben so Ausfälle erspart, deren Ursache sonst nur in aufwendigen Tests zu entdecken wäre.

Wolfgang Gläntz ist Mitarbeiter der Schweinfurter SKF GmbH

Wälzlager sind Präzisionsprodukte, die weltweit in großen Stückzahlen hergestellt werden. Werkzeugmaschinen und extrem hochtourige Antriebssysteme erfordern jedoch maßgeschneiderte Lager mit Toleranzen, die an die jeweilige Einbau- und Betriebssituation optimal angepasst sind.
Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, müssen Anwendungsingenieure berücksichtigen, wie sich die beteiligten Maschinenelemente bei unterschiedlichen Bedingungen beeinflussen. Diese Aufgabe erleichtern heute numerische Simulationsmethoden, für die immer leistungsfähigere Rechnersysteme eingesetzt werden.
Solche Programme wenden auch die Mitarbeiter der Göteborger SKF AB an: Die Orpheus-Software wurde ursprünglich entwickelt, um Maschinenschwingungen zu untersuchen und zu minimieren – wegen des Bezugs zu angenehmeren Klängen wurde das Programm auf den Namen des griechischen Sagenhelden und Sängers getauft.
Abgesehen von den Anwendungen zur Schwingungsanalyse eignet sich die Software auch, um rotierende Welle-Lager-Systeme zu beschreiben und Spindelanordnungen auf ihre Laufgenauigkeit zu untersuchen. Das Programm berücksichtigt sogar Verformungen der bewegten Bauteile.
Die SKF-Ingenieure modellieren mit der Software Rillenkugellager, Kegelrollen- sowie Zylinderrollenlager und bestimmen die auftretenden Schwingungen und Schwingungsformen der Wälzlagersysteme. Daraus leiten sie Anweisungen für die Fertigung ab, so dass der Anwender Lager bekommt, die speziell an seine Anforderungen angepasst sind.
Je nachdem, was der Anwender fordert, kann das Programm folgende Parameter verändern:
– Innere Geometrie des Lagers
– Lastbedingungen, Lagerluft, Vorspannungszustand
– Welligkeiten und Exzentrizität der beteiligten Lagerbauteile
– Abstand der Wälzkörper untereinander
– Elastizität der Lagerringe
Um die Einflüsse der umgebenden Bauteile zu berücksichtigen, lassen sich auch Fehler wie Schiefstellungen simulieren, die beim Einbau oder beim Ausrichten entstehen. Abweichungen bei Gehäusebohrung und Wellensitz, die einen unrunden Lauf verursachen, werden ebenfalls erfasst. Auch für die Elastizität der Welle und des Gehäuses sowie die gegenseitigen Einflüsse von Lagern und anderen Maschinenbauteilen sind Modelldaten vorhanden.
Mit der Orpheus-Software haben die Lagerspezialisten unter anderem eine mitlaufende Reitstockspitze analysiert. Das System aus drei verschiedenen Lagern haben sie so angepasst, dass der Anwender die Reitstockspitze wie geplant in einer Drehmaschine mit austauschbaren Einsätzen verwenden konnte.
Die elastisch modellierte Spitze wird in diesem Beispiel von einem zweireihigen Schrägkugellager, einem Axialkugellager und einem Nadellager abgestützt. Das Welle-Lager-System ist daher insgesamt relativ komplex und statisch überbestimmt. Um vorherzusagen, wie Lagerqualität oder Einbaufehler das System beeinflussen würden, gab es nur zwei Alternativen: aufwendige Messungen oder eine Simulation.
Der schnelle Rechenalgorithmus von Orpheus lieferte ein Ergebnis über mehrere Wellenumdrehungen in weniger als einer Minute. Das Programm berechnete die Radialbewegung der Körnerspitze anhand folgender Parameter: Ovalität von Lagersitz und Lagerringen, Exzentrizität, Welligkeit von Laufbahnen und Wälzkörpern, Streuung der Kugelgröße, Koaxialität der Laufbahnen, Rechtwinkligkeit der Flansche und Schiefstellung der Ringe. Die Vorgaben für die Fertigungsspezifikation wurden entsprechend variiert und darüber hinaus die Genauigkeit erhöht, mit der die Bauteile für die geforderten Wälzlager hergestellt werden.
Simulationsbeispiel: Lagerringe sind nicht immer rund
Eine besondere Fähigkeit des Simulationsprogrammes Orpheus ist die Funktion, Lagerringe als vollelastische Komponenten zu modellieren. So lässt sich berechnen, welche Schwingungsform ein umlaufendes Kugellager mit flexiblem Außenring annimmt.
In der Computersimulation laufen die Wälzkörper auf der komplizierten Oberfläche einer verformten und welligen Laufbahn. Werden die maßgeblichen lagerspezifischen Parameter verändert, lassen sich Fertigungstoleranzen optimieren und neue Anweisungen für Qualitätsprüfungen ableiten. Am Beispiel eines Pendelrollenlagers, das in ein Stehlagergehäuse eingebaut ist, wird beispielsweise ein elastischer Außenring in einem elastischen Gehäuse modelliert. Dabei soll sich zeigen, ob bei unterschiedlicher Belastung verschiedene Wellenschwingungen ausgelöst werden.:
Spezial-Tool: Härtetest für den Käfig
Um Wälzlager unter besonders komplexen Bedingungen zu simulieren, haben die Ingenieure im europäischen Forschungszentrum ERC der SKF das Computerprogramm Bearing Simulation Tool (Beast) entwickelt.
Bewegungsabläufe und Kräfte innerhalb eines Lagers lassen sich mit dem Simulationsprogramm Beast unter verschiedenen Lastsituationen ermitteln. Welche Kräfte auf die Wälzkörper eines Schrägkugellagers wirken, zeigen Vektoren in einer räumlichen Darstellung. Darüber hinaus macht die Berechnung anschaulich, wie sich diese Kräfte im zeitlichen Verlauf verändern. So bietet die Software ein virtuelles Labor, in dem die Entwickler das gesamte Lager oder einzelne Bestandteile unter verschiedenen Belastungs- und Betriebsbedingungen untersuchen können.
Wie es die komplexen Anwendungen erfordern, lassen sich hier noch eine größere Anzahl lagerspezifischer Parameter verändern als mit dem Programm Orpheus. Auch Beast macht bisher notwendige und besonders kostspielige Tests auf Prüfmaschinen überflüssig oder kann den Aufwand dafür zumindest reduzieren. So ließen sich lagerungstechnisch schwierige Anwendungsfälle beschreiben. Darüber hinaus half das Programm beim Entwickeln der Carb-Toroidallager, die beispielsweise in Papiermaschinen eingesetzt werden. Auch die Abrollverhältnisse von Rollenlagern oder die Festigkeit von Käfigen unter Extrembedingungen lassen sich überprüfen. Nach Marktuntersuchungen soll das Programm Beast derzeit zu den leistungsfähigsten und effektivsten Tools gehören, die Ingenieure der Hersteller zum Optimieren von Wälzlagern einsetzen
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