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Ingenieure des Aufbruchs

Erneuerbare Energien: Ein Wachstumsmarkt auch für Zulieferunternehmen
Ingenieure des Aufbruchs

Als Leitmärkte der Zukunft sieht Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die innovativen Energietechnologien. Deutsche Unternehmen haben sich in diesem Sektor bereits positioniert, und eine Reihe von Zulieferern will von den Wachstumschancen profitieren.

„Wir sind dem indischen Mutterkonzern viel Geld wert, da unsere Mitarbeiter langjährige Erfahrung haben.“ Wir, das sind viele gut ausgebildete Ingenieure der Suzlon Energy GmbH in Rostock. Und der, der so etwas über das Verhältnis zum Mutterunternehmen sagen kann, ist Niederlassungsleiter Wolfgang Conrad. Seine mittlerweile 110 Mitarbeiter setzen ihr Know-how ein, um elektrotechnische Komponenten für Windkraftanlagen zu entwickeln. Wie gut dieses Geschäft läuft, zeigt der Blick auf die Quartalszahlen des indischen Anlagenherstellers Suzlon Energy Limited: Die internationale Nummer Fünf der Branche meldete im September einen Umsatzzuwachs von 74 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum, womit sie bei weitem das weltweit gemeldete Wachstum der Windkraftbranche von 30 % übertrifft. Suzlon-Chef Tulsi R. Tanti kommentiert die „höchsten jemals erreichten Umsätze und Gewinne“ denn auch mit dem Vorsatz, weitere Initiativen in Angriff zu nehmen und die früheren Pläne nach oben hin zu korrigieren.

Gute Zeiten für die Verfechter der erneuerbaren Energien, sollte man meinen, und einer ihrer traditionellen Heimatstandorte ist Deutschland. Dementsprechend wächst auch die deutsche Windkraft-Branche stärker als der Weltmarkt. Nach Angaben des Osnabrücker Bundesverbandes Wind-Energie e.V. betrug die deutsche Wertschöpfung an allen weltweit produzierten Anlagen und Komponenten 5,6 Mrd. Euro, was einem Zuwachs von 40 % gegenüber dem Vorjahr entspreche. Und nicht umsonst hat es sich Suzlon im Mai 1,3 Mrd. Euro kosten lassen, die deutsche Repower Systems AG einem französischen Interessenten, dem Energiekonzern Areva, wegzuschnappen – wobei den Franzosen inzwischen 51 % der Anteile an der Bremerhavener Multibrid Entwicklungsgesellschaft mbH gehören, die sich auf besondere Technologien für die Offshore-Nutzung der Windkraft mit 5-MW-Anlagen spezialisiert hat.
Dass die einst belächelten Vorreiter in der Windkraft-Branche solche Erfolgserlebnisse erfahren, hängt natürlich mit der jetzt auch international laut gewordenen Forderung nach einem reduzierten CO2-Ausstoß zusammen. Wachsender Energiebedarf und schrumpfende Vorräte an fossilen Brennstoffen machen die regenerativen Energien wirtschaftlich interessant, und Investitionen in diese Technik rechnen sich früher, als manche Experten vorhergesagt hatten.
Welche Perspektiven die Politik für Windkraft, Biomasse, Solarenergie und Geothermie in den kommenden 40 Jahren allein in Deutschland sieht, zeigt die Leitstudie 2007 „Ausbaustrategie Erneuerbare Energien“, die im Auftrag des Bundesumweltministeriums entstand. Demnach lassen sich die Klimagasemissionen bis zum Jahr 2050 im geplanten Maß herunterfahren, wenn nach und nach erstens die erzeugte Energie effizienter genutzt wird, zweitens effizientere Kraftwerke zur Erzeugung von Energie eingesetzt werden – und drittens verstärkt erneuerbare Energien zum Tragen kommen. Etwa die Hälfte des Primärenergieverbrauchs sollen sie 2050 insgesamt abdecken: Bezogen auf den jeweiligen Endenergieverbrauch entspricht das beim Strom bis zu 80 %, beim Brennstoffbedarf für Wärme 48 % und beim Kraftstoffverbrauch 42 %. Damit würden sie fünf Mal so viel Energie liefern wie im Jahr 2005, so dass die Rede von einem Wachstumsmarkt für diesen Zeitraum wohl gerechtfertigt sein dürfte. Das bestätigen auch die Analysten der international aktiven Unternehmensberatung Frost &Sullivan, die ein zweistelliges Wachstum in vielen Marktsegmenten erwarten und für Unternehmen unterschiedlicher Größe und Ausrichtung Möglichkeiten erkennen, von diesem Markt zu profitieren.
Die Biomasse-Nutzung hat dabei nach den Angaben der Leitstudie des Bundesumweltministeriums mengenmäßig jetzt und auf absehbare Zeit in Deutschland die Nase vorn. Sie lieferte 2005 bereits 68 % der Energie, die aus erneuerbaren Quellen stammte, und soll auch 2050 noch mit 38 % der wichtigste Baustein im Mix der erneuerbaren Energien sein. Der Windkraft bescheinigen die Experten das Potenzial, auf lange Sicht rund ein Viertel der erneuerbaren Energiemenge beizusteuern, gleiches gilt in etwa für die Nutzung der Solarenergie. Die wird aber eher als Spätzünder gesehen: Von einem heutigen Anteil von rund 2 % soll sie es bis 2030 auf 14 % schaffen, und es dann mit einem weiteren steilen Anstieg auf etwa 24 % bis 2050 bringen. Auf lange Sicht, so heißt es, wird sie gemeinsam mit der Erdwärmenutzung das weitere Wachstum der erneuerbaren Energien tragen.
Auf diesen Markt setzen heute schon viele Industrieunternehmen, die klassischerweise ihren Absatzmarkt im allgemeinen Maschinen- und Anlagenbau hatten. Allein in den VDMA-Fachverbänden Power Systems sowie Antriebs- und Fluidtechnik liefern etwa 100 Unternehmen in den Bereich der Windenergie und werden von der VDMA Arbeitsgemeinschaft Windenergie-Zulieferindustrie repräsentiert. Dem Maschinen- und Anlagenbau kommt laut Fachverband Power Systems eine Schlüsselrolle bei der Umwelt-, Klima- und Energiepolitik zu.
Wie das im Einzelnen aussehen kann, zeigt beispielsweise der Blick auf die Bremer Franz Gottwald Hydraulik- und Industriebedarf GmbH & Co. KG, einem Großhändler mit Vertragslieferanten wie Freudenberg, Rectus oder FAG. „Wir sind dabei, uns mehr auf Windkraft und erneuerbare Energien zu spezialisieren“, sagt Geschäftsführer Norbert Brothun. Hier entwickele sich ein völlig neuer Wirtschaftszweig. „Besondere Umsätze machen wir bislang mit Hydraulikfiltern, Kleb- und Schmierstoffen sowie automatischen Schmierstoffgebern für Windkraftanlagen.“
Für den Antriebshersteller Getriebebau Nord hat sich die Erzeugung von Energie aus Biomasse als interessanter Absatzmarkt erwiesen. Geschäftsführerin Jutta Humbert sieht für Umwelttechnik und erneuerbare Energien „einen nahezu unendlichen Bedarf, weil in vielen Ländern bisher noch nichts in dieser Richtung unternommen wurde oder das Niveau noch so niedrig ist, dass ein großer Nachholbedarf besteht“. Projekte aus der Umwelttechnik und verwandten Anwendungen betreuen die Ingenieure ihres Unternehmens seit über zehn Jahren. In letzter Zeit seien Biogas- und Biodiesel-Anlagen in den Vordergrund gerückt. Da es in solchen Anlagen durchweg um energieintensive Prozesse gehe, müssten die Antriebe vor allem wirtschaftlich und effizient, zum Teil auch hygienisch ausgelegt sein oder mit unbedenklichen Getriebeölen arbeiten. Für Anwendungen, in denen ein Getriebemotor unter einer dicken Staubschicht aus gemahlener Rapssaat arbeitet, stünden Schmutzunempfindlichkeit, Temperaturtoleranz sowie Explosionsschutz obenan und forderten spezielles Branchenwissen.
Für den italienischen Antriebshersteller Bonfiglioli sind die Anlagenbauer aus der Windkraft-Branche eine wichtige Abnehmergruppe, wobei das Know-how hierfür vorwiegend in der deutschen Tochtergesellschaft angesiedelt ist. Derzeit läuft ein Großteil des Geschäfts mit Azimut-Getrieben für Anlagen bis 2,5 MW, von denen im Jahr 2008 etwa 6000 Stück gebaut werden sollen. „Da lohnt es sich auch, die Getriebe zu optimieren, indem wir zum Beispiel Gussteile verbessern, statt wie früher etwas zu verschrauben“, erläutert Jürgen Weber, Windkraft-Fachmann bei Bonfiglioli. Azimut-Antriebe stellen die Gondel in die richtige Richtung zum Wind. 2008 soll auch ein neues Azimut-Getriebe in Serie gehen, das für Anlagen der 5-MW-Klasse und damit für die zukünftige Offshore-Nutzung entwickelt wurde. Rund 2,2m hoch sind diese Getriebe mit einem Drehmoment von 220 000 Nm und 2,2 t Gewicht.
Ein weiteres Standbein für die Bonfiglioli-Experten ist die Solarbranche. „Das ist ein Markt, auf den unsere Philosophie des Value Based Selling passt, weil es hier nicht darum geht, über den Preis zu verkaufen“, sagt Michael Endemann, bei Bonfiglioli zuständg für die erneuerbaren Energien. Tracker-Antriebe, die Solar-Panels dem Lauf der Sonnenstrahlung nach- und am Abend wieder in die Sonnenaufgangsposition führen, seien besonders interessant, da die Anforderungen industriellen Anwendungen sehr ähnlich seien. Bis zu 50 000 Antriebe sollen hierfür im Jahr 2008 geliefert werden, wobei im übrigen auch Wechselrichter erforderlich sind – die aus der gleichen Hand kommen sollen.
Dabei ist die Solarbranche noch am wenigsten weit entwickelt – aus dem gleichen Grund aber vielleicht auch eines der chancenreichsten Segmente der erneuerbaren Energien. Derzeit geht es den Herstellern der Solarzellen noch darum, die Produktionstechnologien zu verbessern und damit die Solarstromkosten weiter zu senken, um dem Masseneinsatz den Weg zu bereiten. Ansatzpunkte dafür sind beispielsweise der Einsatz von Ultrakurzpuls-Lasern, um passivierende Oxidschichten auf der Solarzelle zu strukturieren. Daraus könnte eine Alternative zur kostenintensiven Photolithographie entstehen. Eine Solarzelle wiederum, die auf ihrer der Sonne zugewandten Seite möglichst wenig Schatten durch Metallkontakte abbekommt, könnte einen höheren Wirkungsgrad erreichen. An einer entsprechenden Lösung arbeiten Forscher des Freiburger Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme (ISE). Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) in Köln wiederum entwickelt ein Mess-System, das mehr Präzision beim Aufbau von solarthermischen Kraftwerken bringen soll, damit 95 % der vom Kollektorspiegel reflektierten Sonnenstrahlen das Absorberrohr auch treffen. Der Schlüssel zum Erfolg ist hier die Formgenauigkeit der einzelnen, etwa 70 m² großen Kollektormodule. Ebenfalls am Fraunhofer ISE entstand mit einem US-amerikanischen Partner der weltweit erste Photovoltaik-Wechselrichter auf der Basis von Siliziumkarbid-Transistoren, die einen Wirkungsgrad von 98,5 % ermöglichen sollen – nach Angaben der ISE-Experten ein Rekordwert.
Obwohl die Branche noch am Anfang ihrer technologischen Entwicklung steht, tun sich heute schon Nischen für die Zulieferindustrie auf. Die Mitarbeiter der Düsseldorfer Deussen Fördertechnik beispielsweise haben eine solche Nische entdeckt: Mit speziell beschichteten Zahnriemen ermöglichen sie es, empfindliche Solarmodule in einer modernen Produktionsstätte der Hamburger Conergy AG ohne Schädigungen und Stöße mit einer Geschwindigkeit von 18 m/h zu transportieren. Laut Bernd Lier, technischer Leiter bei Deussen Fördertechnik, war die Förderstrecke bei Conergy in Frankfurt an der Oder eines der ersten Projekte, die das Unternehmen in der Energietechnik umgesetzt hat. „Momentan wächst die Solarstrombranche jährlich um 40 Prozent, und wir erwarten in den nächsten Jahren deutlichen Zuwachs bei Fördertechnik-Projekten in diesem Bereich.“
Am weitesten von einer breiten Nutzung entfernt und dennoch als zukünftiger Wachstumsträger identifiziert ist derzeit die Geothermie. Ihr bescheinigen Experten ein schier unerschöpfliches Potenzial für die Energieerzeugung: In den obersten 3 km der Erdkruste soll genug Wärme für die nächsten 100 000 Jahre vorhanden sein. Am leichtesten fällt die Nutzung der Erdwärme natürlich in Ländern, in denen mehrere hundert Grad heißes Wasser an die Oberfläche tritt oder mit einer Bohrung einfach zu erreichen ist. In den USA oder Island wird diese Möglichkeit bereits genutzt.
Für Deutschland ist dieses Thema interessant, wenn es gelingt, das in der Tiefe vorhandene, 100 bis 150 °C warme Wasser in Zukunft nicht nur als Wärmequelle, sondern auch für die Stromerzeugung zu nutzen. Nach Angaben von Fachleuten soll diese Art der Energieerzeugung sogar grundlastfähig sein, also regelmäßig eine bestimmte Menge des Energiebedarfs decken können. Bisher gibt es dazu vor allem Pilotanlagen, die Deutschland zur Technologieführerschaft bringen sollen. Zu den Pionieren zählt das Kraftwerk Neustadt-Glewe, das eine Leistung von 230 kWh bringt und schon seit einigen Jahren Strom erzeugt. Im Jahr 2007 gingen jedoch bereits zwei weitere Kraftwerke in Unterhaching und in Landau ans Netz.
Die Geothermie-Experten betonen, dass die Nutzung der Erdwärme eher ein finanzielles denn ein technische Problem sei, und dass sie in Zeiten niedriger Energiepreise nicht wirtschaftlich war. Bis 2050 dürfte sich das allerdings geändert haben – und aus den erneuerbaren Energien in florierender Wirtschaftszweig geworden sein.
Dr. Birgit Oppermann birgit.oppermann@konradin.de
Pläne werden nach oben korrigiert
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