Startseite » Allgemein »

„Jetzt erst recht!“

WZL-Direktor Prof. Günther Schuh über die Zukunft des Instituts nach dem Brand
„Jetzt erst recht!“

In der Nacht zum 5. Februar hat das Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen seine Maschinenhalle durch einen Großbrand verloren. Prof. Günther Schuh, geschäftsführender WZL-Direktor, erläutert, wie es mit dem Institut und den Forschungsprojekten weiter geht. ❧ Mona Willrett

Herr Prof. Schuh, wann und wie haben Sie vom Hallenbrand erfahren?

Ich hatte an dem Abend, an dem der Brand ausbrach, einen Vortrag zu halten und war gerade etwa zehn Minuten zu Hause, als der Anruf kurz vor 23 Uhr kam. Zunächst hoffte ich auf einen schlechten Karnevalsscherz. Trotzdem fuhr ich so schnell es ging zum Institut. Ich war zu der Zeit der einzige von uns vier Professoren, der in Aachen war. Schon bevor ich das WZL erreichte, war dann klar, dass es sich leider um keinen Scherz handelte: Der Himmel war rot erleuchtet und die Qualmwolken verhießen nichts Gutes. Es war dann schnell klar, dass die Halle nicht zu retten ist. Die Feuerwehr hat einen fantastischen Job gemacht und das Übergreifen der Flammen auf die Nachbargebäude verhindert.
Welche Lehrstühle des WZL sind vom Hallenbrand betroffen?
Am schlimmsten getroffen hat es die Kollegen Klocke und Schmitt. Deren Versuchseinrichtungen sowie vier Werkstattbereiche des Instituts sind im Prinzip komplett zerstört. Kollege Brecher hat glücklicherweise nur einen kleinen Teil seiner Einrichtungen verloren. Meine Bereiche sind nicht betroffen.
Sie haben angekündigt, dass die Forschungsprojekte in verschiedenen Provisorien weiterlaufen. Wie sehen diese aus?
Als erstes möchte ich betonen, dass wir sehr dankbar sind für die überwältigende Welle an Anteilnahme und Hilfsbereitschaft. Das gilt sowohl für benachbarte Institute – von denen einige sofort sehr konkret Hilfe anboten und uns in ihren Hallen Asyl gewähren –, als auch für unsere Projektpartner. An manchen Schreiben konnte man sich richtig festhalten. Das hat uns nicht nur sehr geholfen, sondern bei allen hier die Einstellung geweckt: Jetzt erst recht! Auch einige Maschinenbauer haben uns schnelle Hilfe angeboten und Maschinen direkt von der Düsseldorfer Messe Metav leihweise zu uns nach Aachen gebracht. Was die Räumlichkeiten angeht, haben wir uns für Ersatzflächen von rund 3500 Quadratmetern an zehn Standorten in der direkten Umgebung des WZL entschieden. Einige benachbarte Institute stellen uns in ihren Hallen Flächen zur Verfügung. Außerdem profitieren wir davon, dass wir seit zehn Jahren den Aachener Campus aufbauen. Dort werden demnächst einige für andere Unternehmen vorgesehene Hallen fertig, in denen wir Teile nutzen können. So wird beispielsweise die WBA, die Aachener Werkzeugbau-Akademie, nicht gleich vollständig in ihre neue Räumlichkeiten einziehen.
Wann kann der Betrieb fortgeführt werden?
Uns war es zunächst wichtig, für alle Betroffenen – insbesondere für die, die quasi in der Halle gewohnt haben – sehr schnell eine sinnvolle Arbeit zu finden. Das ist uns innerhalb von wenigen Tagen gelungen. Nun verstärken beispielsweise einige Werkstattmitarbeiter die Kapazitäten in unseren Campus Clustern, wo wir sonst Leiharbeiter gebraucht hätten. Lediglich unsere Auszubildenden mussten wir für zwei Tage nach Hause schicken, bis wir alles sortiert hatten.
Ist das zu stemmen, alle Forschungsprojekte termingerecht weiterzuführen?
Einige Projekte laufen bereits weiter. Hier können wir ähnliche Einrichtungen bei Partnern nutzen. Andere können wir in Kürze wieder aufnehmen, sobald wir die Leihmaschinen in Betrieb genommen haben. Für einzelne Projekte, bei denen sich eine Unterbrechung nicht vermeiden lässt, haben uns die Projektträger bereits eine Fristverlängerung zugesagt. Wir hoffen, dass – vom Brandtag an gerechnet – spätestens nach acht bis zehn Wochen alle Projekte wieder laufen. Wir geben jedenfalls keines auf!
Gibt es Erkenntnisse zur Brandursache?
Nein. Die Kripo hat noch kein Statement abgegeben. Eine Aussage der Feuerwehr lässt darauf schließen, dass der Brand unter dem Dach ausgebrochen ist. Was wir definitiv sagen können: Es war niemand in der Halle, als der Brand ausgebrochen ist.
Ist der veröffentlichte materielle Schaden von rund 100 Millionen Euro noch aktuell?
Die rund 100 Millionen Euro, die wir veröffentlicht haben, stellen die voraussichtlich nötige Summe dar, um den Schaden zu beheben. Der Neubau der Gebäude ist dabei mit rund 30 Millionen veranschlagt, die Wiederbeschaffung von Maschinen, Laboreinrichtungen und sonstiger Ausstattungen mit rund 60 Millionen. Etwa zehn Millionen benötigen wir für die Überbrückung und den Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Instituts. Darunter fallen unter anderem Reinigungs-, Umzugs- und Mietkosten, aber auch zusätzlich erforderliche Ausrüstungen – wie im Fall des provisorischen Messraums, in den wir eine Klimatisierung einbauen müssen.
Wie groß ist der immaterielle Schaden, etwa durch den Verlust an Daten?
Der hält sich glücklicherweise in Grenzen. Das wichtigste Anliegen unseres Krisenmanagements war es zunächst, dass die betroffenen Mitarbeiter nicht verzweifeln und den Glauben an die Zukunftsfähigkeit des WZL zurückgewinnen. Hinsichtlich der Daten konnten 95 Prozent gerettet werden. Hier bin ich den beteiligten IT-Experten sehr dankbar, die das geschafft haben. Unser Serverraum war zwar nicht direkt vom Brand betroffen, die Datenträger aber stark mit Ruß kontaminiert. Das größte Problem war, dass wir im Versuchsbereich viele Spezialprogramme nutzten und zwar alle Daten, nicht aber alle alten Programmversionen kontinuierlich gesichert haben. Insofern ist es problematisch, ältere Messwerte wieder nutzbar zu machen. Aufgrund dieser Erfahrungen werden wir nun unsere Strategie der Datensicherung anpassen und verfeinern.
Welche Auswirkungen hat der Brand auf Studien-, Diplom- und Doktorarbeiten?
Direkt betroffen sind 37 Bachelor- und Masterarbeiten. Das ist angesichts von 400 bis 500 Arbeiten, die jährlich am WZL und am IPT erstellt werden, glücklicherweise nur ein relativ kleiner Teil. Mit den betroffenen Studenten konnten wir durchweg eine Lösung finden. So wurden beispielsweise experimentelle Arbeiten in Simulationsaufgaben umdefiniert. Teilweise wurden die Abgabefristen verlängert. Auch bei den Promotionen wurden – wo nötig – die Aufgabenstellungen so angepasst, dass der Abschluss für alle Betroffenen gesichert ist. Ich bin sehr stolz, dass auch aus dieser Gruppe geschlossen die Aussage kam, „wir wollen unseren Teil dazu beitragen, uns aus dieser Situation wieder heraus zu kämpfen“.
Wie soll das WZL der Zukunft aussehen?
Gerade in unserer aktuellen Situation haben wir gespürt, was enge Zusammenarbeit und echter Zusammenhalt bedeuten. Wir wissen, dass die Integration der Technologien eines der Zukunftsthemen ist. Dabei geht es nicht nur ums Verketten von Maschinen und die Integration von Technologien in die Maschine, sondern vor allem auch um übergreifende Systeme, Prozesse und Betriebsabläufe sowie die entsprechenden Schnittstellen. Wir haben jetzt die Möglichkeit, eine Art produktionstechnische Klinik aufzubauen. Sie soll zeigen, wie die schwierigsten Fälle zu lösen sind. Wir glauben, eine Infrastruktur aufbauen zu können, mit der sich echte Industrie-4.0-Prozessketten abbilden lassen. Nach der Trauerphase, die wir alle hatten und die besonders auf unserer Betriebsversammlung in der Woche nach dem Brand deutlich zu spüren war, wollen wir diese Katastrophe für unser Institut jetzt als Gelegenheit nutzen, um aus dem WZL ein Living Lab zu machen. Wie das genau aussehen soll, daran arbeiten wir seit zwei Wochen. Die Ergebnisse werden wir auf dem nächsten AWK, dem Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium, im Frühjahr 2017 präsentieren.
Was planen Sie hinsichtlich des Neubaus?
Die Konzepte sind noch nicht vollständig. Fest steht, wir hatten in der Halle eine maximale Packungsdichte, die wir so nicht mehr umsetzen können und wollen. Die Abstände zwischen den Maschinen müssen größer werden. Dazu kommt, dass viele Maschinen heute einfach größer sind. Bei gleicher Hallengröße müssten wir uns deshalb von rund 40 Mitarbeitern verabschieden. Aber das wollen wir auf keinen Fall. Weil das Kellergeschoss trotz des Brandes voraussichtlich erhalten werden kann, wäre es sicher die wirtschaftlichste Lösung, die Halle an gleicher Stelle in ähnlicher Form wieder aufzubauen. Da das für uns aber eindeutig zu wenig Platz wäre, planen wir in unmittelbarer Nachbarschaft eine Erweiterungshalle. Das Problem dabei: Im Hochschulbereich ist es sehr schwierig, bei einem Neubau zusätzliche Flächen zu bekommen. In der Regel wird versucht, die Fläche zu reduzieren.
Ist das der Grund, weshalb Sie eine WZL-Stiftung gegründet haben?
Auch. Die Stiftung haben wir schon länger geplant und vorbereitet. Ursprünglich war sie dazu gedacht, die produktionstechnische Forschung zu fördern. Sie sollte unter anderem die Startfinanzierung besonders ambitionierter Projekte erleichtern und beschleunigen. Die Erfahrung zeigt nun aber, dass es für die Genehmigung von Projekten wie unserer Erweiterungshalle durchaus hilfreich sein kann, wenn man eigenes Geld beisteuern kann. Deshalb soll die Stiftung nun auch dazu beitragen, die Erweiterungshalle möglichst schnell bauen zu können. Wir vier Professoren des Instituts werden unsere privaten Anteile an der WZL Aachen GmbH vollständig in die Stiftung einbringen und sie so mit einem Grundkapital von rund zwei Millionen Euro ausstatten. Dennoch brauchen wir die Unterstützung durch Dritte. Um die Erweiterungshalle zur Not komplett in Eigenregie realisieren zu können, sind noch weitere Spenden und Zustiftungen in Höhe von mindestens vier Millionen Euro erforderlich. Schöner wäre es allerdings, wenn das Land die Halle finanzieren würde.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de