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Kein Mann an Deck

Fraunhofer CML und Partner forschen am kapitänslosen Frachter
Kein Mann an Deck

Autonome Schifffahrt | Schiffe der Zukunft sollen unbemannt über die Weltmeere steuern. Ein neuer Simulator hilft, das Konzept für den autonomen Frachter voranzutreiben.

Der Blick von Hans-Christoph Burmeister schweift über die Bordinstrumente: eine elektronische Seekarte, ein Display für die Wassertiefe, der Monitor daneben zeigt das Radarbild. Dann greift Burmeister zum Ruder und steuert seinen 220 m langen Massengut-Frachter in eine neue Richtung: „Jetzt fahren wir auf einem Kurs von 290 Grad, Geschwindigkeit zwölf Knoten.“ Auch wenn das Szenario realistisch wirkt – Burmeister ist kein Kapitän auf seiner Brücke, sondern steht mitten in einem Raum des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML in Hamburg. In der Einrichtung des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik IML ist ein Schiffsführungssimulator aufgebaut. Die Steuer- und Anzeigeinstrumente ähneln denen eines Frachters. Der Simulator soll helfen, ein ehrgeiziges Unterfangen voranzutreiben: Beim EU-Projekt „Munin“ entwickeln die Fraunhofer-Forscher gemeinsam mit Partnern aus fünf Ländern das Konzept für ein autonomes Schiff: einen Massengutfrachter, der ohne Besatzung über die Weltmeere schippert.

Im Ansatz gibt es die Technik für ein autonomes Schiff bereits; auf einer modernen Schiffsbrücke ist vieles automatisiert: Der Autopilot steuert einen vorgegebenen Kurs mit Unterstützung von GPS, eine Tempoautomatik hält die Geschwindigkeit. Radargeräte und Schiffserkennungssysteme suchen die Umgebung ab und schlagen bei Gefahr automatisch Alarm. Zusätzlich soll ein autonomes Schiff mit weiteren Sensoren bestückt werden: Herkömmliche und Infrarot-Kameras sollen die Meeresoberfläche beobachten, um besonders kleinere Fahrzeuge, Treibgut oder Schiffbrüchige zu erkennen.
Operator kann im Notfall per Satellit eingreifen, um Kollisionen zu vermeiden
Als Kern des unbemannten Frachters dient eine zentrale Software. Sie wertet die Daten sämtlicher Sensoren aus und entscheidet zum Beispiel darüber, ob und wie das Schiff seinen Kurs ändert, um Kollisionen zu vermeiden – zum Beispiel mit einem umhertreibenden Container, der von einem anderen Frachter gefallen ist. Völlig unbeaufsichtigt wird das unbemannte Schiff allerdings nicht fahren. Via Satellit soll ein Mensch das Geschehen überwachen und, wenn nötig, eingreifen. „Es sind Situationen denkbar, in denen die autonomen Systeme an Bord überfordert sind – etwa, wenn mehrere Schiffe gleichzeitig auf Kollisionskurs sind oder es zu technischen Ausfällen kommt“, erläutert Burmeister. Für diese Fälle steht eine Station an Land bereit, die per Satellitenkommunikation eingreifen und das Schiff fernsteuern kann.
Um zu zeigen, wie dies in der Praxis aussehen könnte, setzt Burmeister seinen Simulator in Gang. Auf dem Bildschirm nähert sich von Backbord ein Containerschiff. Obwohl Burmeisters Frachter Vorfahrt hat, will es einfach nicht ausweichen. Um einen Zusammenstoß zu vermeiden, übernimmt der Forscher die Kontrolle über das autonome Schiff: „Ich deaktiviere den Autopiloten, leite eine Kursänderung nach Steuerbord ein, reduziere die Geschwindigkeit und warte, bis das andere Schiff vorbeigefahren ist.“ Auch beim An- und Ablegen soll der Mensch das Ruder übernehmen. Läuft das Schiff aus dem Hafen aus, ist eine Crew an Bord. Erst wenn der Frachter das offene Meer erreicht, verlässt die Mannschaft per Lotsenboot oder Helikopter das Schiff, die automatische Steuerung übernimmt. Am Ziel läuft es umgekehrt: Rechtzeitig vor der Einfahrt geht eine Mannschaft an Bord, um den Frachter sicher in den Hafen zu steuern.
Computersimulation soll bis Herbst 2015 fertiggestellt sein
Im Herbst 2012 startete das Munin-Projekt. Da die Anforderungen an ein autonomes Schiff höchst vielfältig sind, tüfteln die Experten an den unterschiedlichsten Detailfragen. So muss gewährleistet sein, dass der Schiffsantrieb auch dann zuverlässig läuft, wenn wochen- lang kein Maschinist nach dem Rechten schaut. Bislang sind die Maschinenräume so ausgelegt, dass man sie 24 Stunden unbeaufsichtigt lassen kann. Würde an Bord – verursacht durch einen Kurzschluss – ein Feuer ausbrechen, müssten automatisch Sprinklersysteme anspringen. Kritische Bereiche ließen sich vorsorglich mit CO2 fluten. Damit könnte hier ein Brand gar nicht erst entstehen. Bei schwerem Seegang sollte der Autopilot den Rumpf so drehen, dass ihm die Wellen möglichst wenig zusetzen und generell würde man versuchen, aufziehende Unwettergebiete von vornherein zu umschiffen.
Im Herbst 2015 soll das EU-Projekt abgeschlossen sein. Das Ziel ist eine Computersimulation, mit der die Experten ihre Ideen virtuell testen und überprüfen können. Danach wäre es denkbar, ein reales Schiff mit Komplett-Automatik auszustatten. „Doch bereits vorher könnte die bemannte Schifffahrt von unseren Resultaten profitieren“, so Burmeister. Denn einzelne Komponenten, an denen die Munin-Fachleute tüfteln, wären schon heute auf jeder Schiffsbrücke hilfreich: So würde ein automatisches Ausguck-System die Crew ebenso entlasten wie ein verbessertes Warnsystem für Kollisionen. (ah) •
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