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Klimaschutz krempelt Automobilindustrie um

Auswirkungen der CO2-Reduktion auf die Pkw-Produktion
Klimaschutz krempelt Automobilindustrie um

Automobilproduktion | Während ihrer bald 130-jährigen Geschichte standen Kfz noch nie vor so großen Veränderungen wie heute. Denn gesellschaftspolitische Entwicklungen und gesetzgeberische Maßnahmen zum Klimaschutz stoßen bahnbrechende Veränderungen in der Automobilindustrie an.

Werner Bruckner Journalist, Tübingen

Wenige Herausforderungen verbinden die internationale Staatengemeinschaft so stark wie der vom Menschen verursachte drohende Klimawandel. Von den hauptsächlich dafür verantwortlich gemachten Treibhausgasen, unter denen Kohlendioxid am meisten zur Erderwärmung beiträgt, entfallen laut Umweltbundesamt etwa 90 % auf die Energieerzeugung und die Industrieprozesse. Da vor allem Verbrennungsvorgänge und somit auch Pkw Kohlendioxid ausstoßen, haben die Gesetzgeber in den weltweit wichtigsten Märkten die Emissionen dieses Gases bei Fahrzeugen streng reglementiert. So soll nach dem Willen der EU die europäische Pkw-Neuwagenflotte in 2020 ihren durchschnittlichen Ausstoß auf unter 95 g Kohlendioxid pro Kilometer senken, in den USA laut CAFE-Standard auf 121, in China auf 117 und in Japan auf 105 g pro Kilometer. Herstellern, die die Grenzwerte überschreiten, drohen für jedes g mehr Kohlendioxid drastische Strafsteuern. Alle großen Wirtschaftsregionen planen schon jetzt, diese Grenzwerte danach in regelmäßigen Abständen weiter zu verschärfen.
Emissionen im Betrieb und in der Produktion
Heute stoßen konventionelle Pkw während des Betriebs rund 80 % aller Kohlendioxid-Emissionen aus. Der Großteil der restlichen 20 % entsteht vor allem in der Produktion. Während der Gesetzgeber aber mit seinen Grenzwerten noch den Pkw-Betrieb im Fokus hat, zeichnet sich schon ab, dass auch die Fertigung und Entsorgung ihren Beitrag leisten müssen. Indirekt übernimmt die Industrie schon jetzt ihren Anteil daran, da die öffentliche Hand durch preisliche und steuerliche Lenkungsmaßnahmen den Energieverbrauch und den Ausstoß verringert. Auch aus einem weiteren Grund rückt die Fertigung in Sachen Emissionen weiter in den Mittelpunkt: Neue technologische Entwicklungen wie Elektroautos, Leichtbau oder die Werkstoffvielfalt verschieben den Produktionsanteil an den Gesamtemissionen auf die Hälfte und im Maximalszenario sogar auf bis zu 80 %. Letzteres dürfte beispielsweise bei Elektrofahrzeugen mit Aluminium-Struktur, Carbonfasern und Ökostromnutzung der Fall sein.
Um die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten oder zu unterschreiten, bietet sich die Kombination zweier Ansätze an. Zum einen können Infrastrukturmaßnahmen wie Verkehrswegeausbau, optimierter Rollwiderstand des Belags oder intelligente Verkehrsleitsysteme die Kohlendioxid-Emissionen reduzieren. Zum anderen muss die Einhaltung der Grenzwerte aber auch über direkte Eingriffe am Fahrzeug erfolgen. Bei solchen Maßnahmen zeigt sich jedoch, dass sie nahezu auf alle Systeme im Fahrzeug ausstrahlen und viele gängige technologische Lösungen und Prozesse betreffen. Beispiel Leichtbau: Eine Faustregel besagt, „100 kg weniger Gewicht bei einem Mittelklasse-Pkw senkt den Verbrauch pro 100 km um bis zu einem halben Liter“.
Konsequenterweise arbeiten darum Autohersteller, Zulieferer sowie Anlagenbauer und Systemlieferanten wie die Eisenmann SE in Böblingen seit langem intensiv an Technologien und Verfahren, um Leichtbau-Fahrzeuge zu produzieren. Die Leichtbauweise setzt auf veredelte Stahlsorten, auf Aluminium, auf Carbonfasern und auf andere anspruchsvolle Werkstoffe. Doch damit solche Materialien zur Anwendung kommen, müssen vorher Änderungen an der Architektur der Fahrzeuge erfolgen, neue Fertigungstechnologien Einzug halten und sich die Werkstoffe intelligent miteinander kombinieren lassen. Nicht zuletzt ermöglichen spezialisierte Klebetechniken die Verbindung dieser Materialien. All diese Prozesse erfordern einen hohen Aufwand und haben relativ lange Vorlaufzeiten. Materialien wie Aluminium bewähren sich im Leichtbau bereits, anderen steht die große Zukunft im Automobilbau noch bevor.
Die Leichtbauweise, aber auch andere technische Entwicklungen im Umfeld der Emissionsthematik, wie die Optimierung des Rollwiderstands, des Antriebsstrangs oder des Energiemanagements, haben einen immensen Einfluss auf die Geschäftsmodelle der Zulieferer. Insgesamt erschließen die Effizienztechnologien laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) sowie der Rheinisch-Westfälischen Hochschule (RWTH) Aachen ein beachtliches Marktvolumen. Je nach Szenario liegt das Marktpotenzial der Effizienztechnologien zwischen 2000 und 5000 Euro pro Fahrzeug, um im Jahr 2020 den dann geltenden Grenzwert von 95 g Kohlendioxid pro km zu erreichen.
Kosteneffizienz der Maßnahmen
Damit Zulieferer an diesem großen Marktvolumen bestmöglich partizipieren, sollten sie dem jeweiligen Fahrzeug-Hersteller (OEM) die richtige Technologie zum passenden Zeitpunkt und im entsprechenden Reifegrad anbieten. Je früher Zulieferer die technologische Roadmap des Herstellers kennen, desto wirkungsvoller können sie ihre eigenen Prozesse daran ausrichten und maßgeschneiderte Angebote platzieren. Prinzipiell können die Zulieferer davon ausgehen, dass OEMs ihre Entscheidungen überwiegend aus dem Blickwinkel der Kosteneffizienz treffen. Dabei lässt sich das Verhältnis zwischen der Reduktion in g Kohlendioxid pro Kilometer je Pkw und den Kosten für die jeweilige Maßnahme in einer Matrix mit einheitlichem Kennzahlensystem anordnen. Der Fokus liegt zunächst auf der Einführung günstiger Lösungen. Eine weitere Emissionsreduktion bedarf aber neuer Technologien und einer Bündelung verschiedener Maßnahmen, um notwendige Grenzwerte zu erreichen.
Noch konzentrieren sich viele Anlagenhersteller in der Automobilindustrie auf bestimmte Bereiche der Produktionsprozesse. Doch um eine maximale Emissionsreduktion zu erzielen, sollten alle Beteiligten über ihren Tellerrand hinaus blicken. Neben Umwelttrends nehmen weitere Einflussfaktoren auf die Branche stark zu: Die Vielfalt der Varianten nimmt zu, die Zahl der Produktderivate wächst, die Volatilität der Märkte steigt und klassische Kernmärkte verschieben sich. Als Konsequenz daraus steigt auch der Bedarf an Flexibilität in der Produktion. Eisenmann bringt hier neben der Kernkompetenz Lackierung flankierende Expertise im Rohbau, in der Montage und der Produktion mit – eine Planungskompetenz, auf die OEMs immer häufiger zurückgreifen. Sie beziehen den Anlagenhersteller frühzeitig in ihre Pläne mit ein, sodass die Partner – teilweise schon im Ausschreibungsumfeld – gemeinsam optimale Lösungen erarbeiten.
Beispiel Lackierung
So sollten beispielsweise beim Thema flexible Lackierung die Anlagen in der Lage sein, verschiedene Karosserietypen in einer Lackierlinie zu produzieren, damit der Kunde auf kurzfristige Nachfrageänderungen schnell reagieren kann. Zudem müssen die Anlagen einen Mix unterschiedlicher Werkstoffe schonend behandeln können. Die KTL Fördertechnik E-Shuttle 300 veranschaulicht diesen Ansatz besonders deutlich. Diese lässt sich einzeln programmieren und je nach Karossentyp einstellen. So trägt die Fördertechnik dazu bei, dass jegliche zukünftige Karosse den perfekten Korrosionsschutz erhält und für Kunden nach dem Kauf noch lange wie neu aussieht.
Kurz- bis mittelfristig treiben primär die konventionellen Maßnahmen die Effizienzsteigerung an Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren voran. Erst langfristig greifen die Elektrifizierung der Antriebe und Veränderungen an der Verkehrs-Infrastruktur. Für die Partizipation an den Geschäftsfeldern neuer Technologien müssen Lieferanten ihr bestehendes Produktportfolio frühzeitig überprüfen und gegebenenfalls adaptieren.
Um die OEM-Bedarfe für den CO2-Megamarkt mit den erforderlichen Kompetenzen der Lieferanten optimal zu verknüpfen, brauchen alle Beteiligten neue Formen der Zusammenarbeit. Bisher haben die OEMs die breit gefächerten Kompetenzen der KMUs trotz steigender Bedarfe nicht systematisch in die Entwicklungsprozesse eingebunden. Leistungsfähige Automobil-Netzwerke oder beratende Institutionen verstärken die Geschäftsanbahnungen zwischen OEMs und KMUs. Die Lieferanten sollten dabei eine zielgerichtete Kontaktanbahnung sicherstellen, insbesondere bezogen auf prozessuale Aspekte sowie den passenden Reifegrad und Nutzen für den OEM.
Der enorme Anstieg an notwendigen Produktinnovationen zur Erfüllung der CO2-Gesetzgebung erfordert im Innovationsmanagement leistungsstarke Methoden und Prozesse. Diese müssen sich dabei an den Produktentstehungsprozessen ihrer Abnehmer orientieren. Auch OEMs sollten ihre Innovationsprozesse auf die Ausbaufähigkeit speziell für die geforderten CO2-Maßnahmen überprüfen. Die Umsetzung der Effizienzziele am Fahrzeug führt zu massiven Umbrüchen am Produkt sowie in der Herstellung und bedeutet eine erhebliche Zunahme neuer Antriebs-, Fahrzeugaufbau- und Werkstoffkonzepte. Lieferanten sollten analysieren, welche aktuellen neuen Geschäftsmöglichkeiten sich daraus bestmöglich langfristig etablieren lassen. Sie sollten Chancen und Risiken professionell abwägen.
Die Vielzahl zusätzlicher technologischer Antriebs- und Fahrzeugaufbauvarianten in Verbindung mit überlagernden Entwicklungen wie Modelloffensiven sowie die globalen Produktionsverbünde führen zu einem stark steigenden Flexibilitätsbedarf in der Fertigung. Lieferanten sollten mögliche Beiträge zur Flexibilisierung der Fahrzeugproduktion identifizieren, bewerten und diese an die OEMs herantragen, um gemeinsam Chancen einer strategischen Zusammenarbeit frühzeitig abzuklären und zu sichern. •
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