Startseite » Allgemein »

Kraft aus dem Keller

Mini-BHKW: Energie-Allianz soll den Strommarkt verändern
Kraft aus dem Keller

Volkswagen und der Hamburger Stromanbieter Lichtblick wollen gemeinsam bis zu 100 000 Mini-Kraftwerke mir Erdgasmotoren bauen und vernetzen. Auch für Betriebe eignet sich das neue Konzept der Wärme- und Stromversorgung.

Der Plan klingt verwegen: Mit den Kraftwerken, die 2010 auf den Markt kommen sollen, wollen die Unternehmen Volkswagen und Lichtblick tausende Verbraucher weitgehend von den etablierten Stromversorgern emanzipieren. Die Blockheizkraftwerke sollen in Wohn- und Nutzbauten installiert werden, um deren Warmwasserversorgung und Heizung zu regulieren. Gleichzeitig sollen die Generatoren gewaltige Strommengen in die öffentlichen Netze einspeisen. Die Idee ist gut: Moderne Mini-BHKW arbeiten nach dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung. Um das Maximum aus dem eingesetzten Brennstoff heraus zu holen, wird gleichzeitig Wärme und Strom erzeugt. Der Wirkungsgrad der Mini-BHKW liegt so meist über 90 %, währen herkömmliche Kraftwerke einen Wirkungsgrad von 30 bis 40 % erreichen.

Für die Stromproduktion wird dazu ein Stromgenerator angetrieben, daher ist Bewegungsenergie notwendig. Im Gegensatz zu einem vergleichsweise simplen Heizkessel mit Brenner, ist bei einem Mini-BHKW daher immer eine Art Motor oder Turbine notwendig. Die Bewegungsenergie wird je nach Hersteller mit einem Vier-Takt-Motor, einem Stirling-Motor, einer Gasturbine oder einem dampfbetriebenen Kolben erzeugt. Bei dem VW-BHKW kommt ein herkömmlicher gasbetriebener Vierzylinder Reihenmotor zum Einsatz. Auf Kritik hier reagierte Lichtblick und will die Anlagen in Zukunft auch mit regenerativem Biogas betreiben – dann laufen sie sogar klimaneutral.
Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist das Angebot attraktiv: Für einen Pauschalbetrag von 5000 Euro soll das alte Gerät entsorgt und durch ein VW-Blockheizkraftwerk samt Wärmespeicher, Daten- und Stromnetzanschluss ersetzt. Der Kunde zahlt dann neben dem Grundpreis von 20 Euro ausschließlich die von ihm verbrauchte Wärme auf Grundlage des vom Statistischen Bundesamt ermittelten Gaspreisindex. Zudem erhalten Verbraucher 0,5 Cent Bonus für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde Strom. Reparaturen und Wartung übernimmt Lichtblick umsonst.
Theoretisch ist das Konzept eines virtuellen Kraftwerks dazu geeignet, einen weiteren wichtigen Beitrag auf dem Weg zu einer ökologisch verträglichen Energieversorgung zu leisten. Aber die schöne neue Welt von Lichtblick ruft auch Kritiker auf den Plan. Schließlich setzt die europäische Senertec (Baxi Group) nach eigenen Angaben seit 1996 rund 20 000 Mini-BHKW der Marke „Dachs BHKW” ab und ist damit im europäischen Bereich Marktführer. Honda hat nach eigenen Aussagen bisher rund 80 000 Mini-BHKW in Japan und den USA verkauft. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Absatzziele für das BHKW von Volkswagen recht optimistisch.
Bei dem Kritikpunkt der Überdimensionierung könnte eine Ausweitung der Zielgruppe auf Nutzbauten und kleinere Gewerbebetriebe Abhilfe schaffen. Denn die „stromproduzierenden Heizungen” lassen sich nur mit dem angekündigten Wirkungsgrad betrieben, wenn das ganze Jahr über Wärme abgerufen wird, was in gut isolierten Privathäusern selten der Fall ist. Auch im Leistungsangebot zielt die Lösung eher auf größere Gebäudeeinheiten. Jedes einzelne der VW-BHKW leistet 20 kW an elektrischer Leistung und 34 kW an thermischer Leistung für Heizung und Heißwasser. Das ist drei- bis viermal so viel Wärme, wie ein regulär isoliertes Einfamilienhaus am kältesten Tag des Jahres benötigt. Das schränkt den Anwendungsbereich auf eher mäßig isolierte Nutzbauten ein.
Fragen gibt es auch beim möglichen Investitionszuschuss. Zwar sind Blockheizkraftwerke, die nach dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Prinzip arbeiten, ökologisch und politisch gewünscht. Die wichtigste dieser Förderungen ist der Zuschuss für Mini-KWK-Anlagen vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). Förderfähig sind nach Expertenmeinung nur KWK-Anlagen die wärmegeführt ausgelegt sind. Der Wärmebedarf steuert hier die Betriebsweise der Anlage und eben nicht, wie Lichtblick beabsichtigt, der Strombedarf. Steht die Wärmeführung aber in Frage, entgehen dem Betreiber einer Anlage vom Kaliber eines VW-BHKW bis zu 20 000 Euro an Investitionszuschuss. Auch scheinen die Betriebsabläufe noch nicht transparent zu sein. Betreiber müssen sich nämlich nicht nur mit dem BAFA (KWK-Zuschlag), dem Zoll (Erdgassteuerrückerstattung), dem lokalen Energieversorger (Einspeisevergütung, vermiedene Netznutzungsentgelte), der Bundesnetzagentur (Anzeige der Energiebelieferung) und nicht zuletzt mit dem Finanzamt arrangieren. Auch die Wartung eines Vier-Zylinder-Gasmotors ist gegenüber einer regulären Gasbrennwert-Heizung aufwendiger. Dazu gibt es auch bei der Komplexität ungeklärte Fragen. Es müssen 100 000 dezentrale Steuerungen vernetzt werden. Es müssen viele verschiedenen Komponenten und Services reibungslos ineinander greifen, um den aus Endkundensicht erwarteten sorgenfreien Betrieb zu gewährleisten.
Das Lichtblick-Konzept gehe dennoch in die richtige Richtung, sollten all diese Bedenken gegenstandslos werden. Dazu kommt, dass die dezentrale Stromproduktion durch ihre schnelle Reaktionszeit Schwankungen in der Wind- und Sonnenenergie sehr gut ausgleicht – und so dazu beiträgt, die Nutzungsmöglichkeiten von Ökostrom zu erweitern. Die Reaktionszeit der Mini-Generatoren ist äußerst schnell: „Binnen einer Minute sollen Tausende Zu-Hause-Kraftwerke zu einem virtuellen Großgenerator vernetzt werden können“, erläutert der Lichtblick Vorstandsvorsitzende Dr. Christian Friege mit.
Die Kraftwerke versorgen künftig nicht nur lokal Gebäude mit Wärme, sondern werden von Lichtblick zu einem modernen Großkraftwerk vernetzt. „Man muss sich das wie einen Fischschwarm vorstellen: Viele kleine Einheiten bilden eine große, leistungsfähige Gemeinschaft, die Schwarm-Strom erzeugt. Lichtblick vernetzt diese noch virtuellen 100 000 Klein-Kraftwerke zu Deutschlands größtem Gaskraftwerk“, erläutert Friege. Mit einer Leistung von 2000 Megawatt soll dieses dezentrale Gaskraftwerk die Kapazität von zwei Atomkraftwerken erreichen. Während die Mini-BHKW auf Nachfrage Strom erzeugen, wird die dabei entstehende Wärme gespeichert, so dass die Gebäude jederzeit zuverlässig mit Heizenergie und Warmwasser versorgt werden. Dank der effizienten Volkswagen-Technologie sparen die Kraftwerke im Erdgasbetrieb bereits heute bis zu 60 % CO2 gegenüber der herkömmlichen Wärme- und Stromerzeugung.
Mit dem SchwarmStrom-Konzept wird Lichtblick den Ausbau der erneuerbaren Energien ergänzen. Nach Expertenschätzungen wird bis 2020 fast die Hälfte des Stroms aus regenerativen Quellen stammen. Herkömmliche Grundlastkraftwerke können nicht schnell genug an- oder abgeschaltet werden, um die wetterbedingt schwankende Stromeinspeisung aus Windrädern oder Photovoltaik auszugleichen. Schwarm-Strom kann hingegen binnen einer Minute ins Netz eingespeist werden. „Wir liefern vor allem dann Schwarm-Strom, wenn der Wind nicht weht. So machen wir den Weg frei für den Ausbau der erneuerbaren Energien und die flexible und klimafreundliche Stromerzeugung der Zukunft“, so Friege.
Das Mini-Kraftwerk, bislang ein Nischenprodukt, soll durch die Marke VW massenmarkttauglich werden – und auch etablierten Erzeugern in einem wichtigen Geschäftsfeld Konkurrenz machen: Bislang federn die Konzerne Leistungsspitzen im Stromnetz mit sogenannten Schattenkraftwerken ab, die nur dann aktiv werden, wenn der Energiebedarf steigt. Entsprechend groß ist die Nachfrage nach den Mini-Kraftwerken – beim Produzenten VW in Salzgitter läuft die Produktion gerade erst an. In die Massenproduktion sollen die Kraftwerke erst Ende 2010 gehen.
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de