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„Leichtbau verlangt ein komplettes Umdenken“

Landesagentur Leichtbau BW: Dr. Wolfgang Seeliger skizziert visionäre Leichtbau-Technologie
„Leichtbau verlangt ein komplettes Umdenken“

Leichtbau | Weiterentwickelte Leichtbaukonzepte sieht die Initiative „Leichtbau BW“ als „Voraussetzung für eine intakte Weltgesellschaft“ – nichts weniger. Was die Baden-Württemberger dazu beitragen können, erklärt Dr. Wolfgang Seeliger, Geschäftsführer der noch jungen Landesagentur. §

Autor: Olaf Stauß

Herr Dr. Seeliger, mit „Leichtbau BW“ gibts nun eine weitere Landesinitiative. Macht das Sinn?

Uns geht es ja nicht darum, den Wettbewerb mit anderen Ländern anzufachen. Vielmehr wollen wir das vorhandene Potenzial besser nutzen, indem wir die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Forschung erhöhen und beides miteinander verknüpfen. Dies erzeugt einen gewaltigen Mehrwert. Und dafür haben wir in Baden-Württemberg sehr gute Voraussetzungen: Hier gibt es entlang der Wertschöpfungskette eine so hohe Industrie- und Forschungsdichte, dass sich Partner schon fast auf der anderen Straßenseite finden lassen. Mit diesem Pfund können wir wuchern.
Wie reagiert die Industrie auf die Leichtbau-Aktivitäten des Landes?
Sehr engagiert. Inzwischen gehören über 550 Unternehmen zu unserem Netzwerk. Am Prozess der Strategiefindung beteiligen sich zu 35 Prozent Hochschulen und zu 60 Prozent die Industrie. Und den „1. Technologietag Hybrider Leichtbau“, an dem wir im Mai erste Ergebnisse vorstellten, haben 200 Fachleute besucht.
Wie können Sie verhindern, dass es zu Doppelentwicklungen mit anderen Netzwerken kommt?
Mit anderen Clustern haben wir ein Gentleman’s Agreement, dass wir nichts doppelt entwickeln. Wir wollen vielmehr auf dem aufbauen, was im Leichtbau bereits erreicht worden ist, uns gegenseitig ergänzen und so den Leichtbau auf eine neue Stufe heben.
Was kann die Industrie im Südwesten Besonderes für den Leichtbau der Zukunft leisten?
Um dies zu erklären, nehme ich einen Aspekt unserer Strategiefindung vorweg. Kürzlich hatten wir mit Bayern Innovativ ein hochinteressantes Gespräch. Es machte deutlich, dass die Bayern in der Roh- und Werkstoffentwicklung stark sind, während die Baden-Württemberger in der automatisierten Produktionstechnik und in der Simulation sehr viel zu bieten haben. Mit diesem Wissen in Produktion und CAE können wir den Leichtbau auf ein neues Niveau heben.
Inwiefern?
Noch dauert es Wochen und Monate, bis die iterativen Prozesse in der Entwicklung von Leichtbaustrukturen zu einem Ergebnis führen. Gelingt es, diesen Prozess auf 24 Stunden zu verkürzen, haben wir einen enormen Wettbewerbsvorteil durch eine dramatisch kürzere time-to-market. Oder wir nutzen die gewonnene Zeit, um ein besseres Produkt zu entwickeln.
Wie lauten die ersten Eckpunkte der Leichtbau-Strategie, die Sie erarbeiten?
Wir gehen unsere Strategie über drei Themen an – Mehrwert, Prozesse und Simulation. Leichtbau beginnt zunächst einmal schon beim Produktkonzept, das bereits 60 bis 80 Prozent des Gewichts festlegt. Wir müssen also von Anfang an alles neu durchdenken. Mit „Mehrwert“ betonen wir, dass das Einsparen von Gewicht und Material kein Selbstzweck ist. Vielmehr bringt Gewichtsreduzierung einen Mehrwert für das Produkt, für den der Kunde zu zahlen bereits ist – bei Autos oder Maschinen beispielsweise eine höhere Dynamik.
Die „Prozesse“ haben einen großen Einfluss auf die Produktgestaltung und enthalten daher ein hohes Leichtbaupotenzial. Da das Know-how häufig bei Zulieferern sitzt, müssen sie stärker und früher in die Entwicklung eingebunden werden. Und drittens müssen wir diese Prozesse mithilfe der „Simulation“ auf den Rechner bringen. Wie erwähnt haben wir als Ziel gesetzt, Iterationsschleifen in nur 24 Stunden zu ermöglichen und so die Produktentstehung dramatisch zu beschleunigen.
Wie gehen Sie vor bei der Strategiefindung?
Im vierten Quartal 2013 haben wir mit Hochdruck begonnen, ein Netzwerk aufzubauen. Dabei haben wir die Industrie- und Forschungspartner intensiv befragt zu ihren Stärken und Schwächen, nach Chancen, Herausforderungen und Erwartungen. Dieser erste Schritt der Bedarfsanalyse floss bereits in den Strategieprozess ein. Und es ist zugleich ein Experiment. Denn erstmals versuchen wir, Methoden der Unternehmensentwicklung auf ein ganzes Land anzuwenden.
Ist die angekündigte Roadmap schon in Sichtweite?
Wir haben im Januar und Februar zwei Workshops in Tagungsstärke durchgeführt: In so genannter Großgruppentechnik definierten über 70 Teilnehmer wichtige Themenblöcke, die anschließend priorisiert wurden. Daraus sind 13 Projektgruppen entstanden, von denen bereits acht aktiv arbeiten. Die Ergebnisse fließen in die Roadmap für die Leichtbau-Strategie ein. Im Durchschnitt sind die Projektgruppen zu 57 Prozent mit Unternehmensvertretern und zu 36 Prozent mit Forschern besetzt. Zu den restlichen sieben Prozent gehören unter anderen auch Experten aus Verbänden.
Kristallisieren sich schon erste Meilensteine heraus?
Dazu gehören Themen wie Simulierbarkeit, Werkstoffcharakterisierung oder Produktionstechnik. Die Projektgruppen arbeiten daran. Einige Teilnehmer haben sich schon konkrete Ziele vorgenommen, zum Beispiel eine Methodenlandkarte zu erstellen, um den Ingenieuren die vielfach noch wenig bekannten Tools vorzustellen.
Wann steht die Roadmap?
Ansätze und Entwürfe gibt es schon – letztendlich Gestalt annehmen wird sie im Herbst. Bereits erschienen ist unsere Studie über Leichtbau-Trends und Zukunftsmärkte. Sie soll unsere Netzwerk-Partner durch fundierte Information unterstützen ebenso wie der geplante Kompetenzatlas, der bei der Suche nach Know-how-Trägern hilft. Eine Beta-Version steht bereits online.
Welche Wünsche äußerten die baden-württembergischen Leichtbau-Akteure in der Bedarfsanalyse?
An erster Stelle nannten die Befragten den Netzwerkaufbau, dann das Initiieren von Projekten und schon an dritter Stelle das Bündeln und Systematisieren. Offensichtlich ist eine gemeinsame, strategische Ausrichtung als Notwendigkeit empfunden worden – auch von denen, die bereits in Netzwerken organisiert sind.
Und welche technologischen Stärken erkannte die Analyse in BaWü?
Auffallend ist vor allem die immense Breite an Know-how. Darüber hinaus schälen sich Kompetenzen heraus, mit denen sich das Land von anderen Regionen abhebt, zum Beispiel in der Produktionstechnik und Automation. Die Unternehmen arbeiten vielfach in Netzwerken mit wie dem Carbon Composites e.V. oder MAI Carbon in Augsburg. Weiter gibt es Stärken bei CAE und Simulation in Forschung und Industrie, die die Region dazu prädestinieren, Fortschritte in der IT-basierten Entwicklung zu erzielen. Hinzu kommen Kompetenzen im Metall-Leichtbau, im Kunststoff-Spritzguss, bei Carbon und in der Werkstoff- und Bauteilprüfung.
Welche nahen und fernen Ziele hat sich das Netzwerk Leichtbau BW gesetzt?
Die nahen Ziele sind die Umsetzung von Projekten in ein bis zwei Jahren, damit kleine und mittlere Unternehmen zügig zu handhabbaren Produktentwicklungen kommen, mit denen sie Geld verdienen können. Langfristiges Ziel ist eine durchgängige Datenkommunikation über der gesamten Wertschöpfungskette, so dass wir in der Zukunft zum Beispiel ein Auto in nur 24 Stunden komplett neu durchrechnen und optimieren können.
Beteiligen sich die großen OEM an der Arbeit?
Ja, von ihnen kommt sogar ein großer Teil der Ideen, die wir weiter verfolgen.
Wie wird der Leichtbau in zehn Jahren die Technik verändert haben?
Hier skizziere ich gerne das Beispiel eines Mittelständlers, der eine besonders leichte Ölwanne entwickelt hat. Leider ragt sie ein winziges Stück in den Bauraum des Motors. Heute ist klar: das geht nicht, dafür müsste der Motorraum neu durchkonstruiert werden. Ließe sich dies digital aber schnell bewerkstelligen, würde sich der OEM vielleicht doch darauf einlassen. Denn so erschließt er die großen Potenziale des Leichtbaus. •

Unser Ziel ist es, mit dem hybriden Leichtbau die Industrie zu revolutionieren.“
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