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Magnetismus macht erfinderisch

Magnetischer Kühlschrank braucht kein Kältemittel mehr
Magnetismus macht erfinderisch

Den Preisdruck aus Fernost pariert die europäische Magnettechnik-Branche mit stärkerer Automatisierung und hochwertigen Technologien. Highlights sind magnetische Kühlaggregate und virtuose Magnetisier- und Entmagnetisiertechniken.

Die Magnetbranche hat mit dem weltweiten Wettbewerb zu kämpfen, wie die gesamte Industrie. Hinzu kommt noch: Die Kosten für wichtige Rohstoffe sind in den letzten zwei Jahren stark gestiegen, teils haben sie sich verdoppelt. China ist nicht nur der wichtigste Rohstoff-Lieferant, sondern zu einem starken Wettbewerber geworden. Asiatische Anbieter vermarkten ihre Magnetprodukte inzwischen direkt in Europa zu relativ günstigen Preisen. In dieser Situation bleibt der europäischen Industrie nichts anderes übrig, als sich auf ihre Stärken zu besinnen: Kompetenz in Technologie und Fertigung.

So liefert die Magnetfabrik Schramberg GmbH & Co. KG seit einigen Jahren nicht mehr nur fertige Magnete, sondern komplett montierte Magnetbaugruppen wie etwa Ringmagnetsysteme für Automatikgetriebe. Sie lässt sich frühzeitig in die Entwicklung einbinden und konnte dadurch viele neue Aufträge gewinnen. „Wenn wir ein mehrpolig magnetisches Zahnrad für die Drosselklappensensorik produzieren, liegt es nahe, auch das Gegenstück zu liefern“, erklärt Dietmar Schwegler, Leiter Produktentwicklung und Vertrieb. Die Schlüsseltechnologien in der Baugruppenfertigung sind das Kleben und das Um- und Ausspritzen mit polymergebundenen Magneten.
Die Bedeutung des Magnet-Spritzgießens wächst kontinuierlich, da sich damit sehr komplexe Formen zu relativ niedrigen Kosten herstellen lassen. Zudem können Kunststoffelemente integriert werden (siehe Seite 21). Die Schramberger setzen sogar das Mehrkomponenten-Spritzgießen ein, um Magnetkomponenten zu produzieren. Die Bereiche Baugruppen und kunststoffgebundene Magnete machen in Schramberg inzwischen einen Umsatzanteil von über 50 % aus.
Trotz hartem Wettbewerb geht es der Magnetfabrik im Schwarzwald gut. Schwegler berichtet von Zuwächsen – führt die Erfolge aber in erster Linie auf Automatisierungs-Anstrengungen zurück. „Wir greifen einen Bereich nach dem anderen auf, um vollautomatisch zu produzieren. Bei den Klebeverbindungen und im Spritzguss stehen uns heute komplett automatisierte Fertigungsstraßen zur Verfügung.“
Zugute kommt der Branche die boomende Nachfrage nach Sensoren in der Automobilindustrie, für die Magnete mit teils komplexen Geometrien auf engem Raum gebraucht werden. Die Magnetfabrik Bonn GmbH beispielsweise macht ihren Umsatz zu rund zwei Dritteln mit der Automotive-Industrie und liefert ihre Magnete fast zu 80 % für Sensorik-Anwendungen. Im Gegensatz zur Magnetfabrik Schramberg haben sich die Bonner ganz auf polymergebundene Magnete spezialisiert. Mit hochwertigen Produkten wie etwa einem 40-poligen Magneten für die Positionserkennung gelingt es ihnen sogar, nach Asien zu exportieren. Adressaten sind die asiatischen Produktionen europäischer Automobilzulieferer.
Gefragt ist Technologie. Frank Burilov, Vertriebsleiter der Magnetfabrik Bonn, stellt daher auch fest, dass es immer häufiger zum direkten Schlagabtausch mit der heimischen Konkurrenz kommt: „Wir haben unsere Wettbewerber im Umkreis von 500 Kilometern. Dieser ständige Benchmark macht uns technologisch und preislich so leistungsfähig, dass wir uns die fernöstliche Konkurrenz vom Leib halten können.“
Fortschritte lassen sich auch bei den Werkstoffen selbst feststellen: Polymergebundene Magnete zum Beispiel hinken in der Feldstärke nach wie vor den gesinterten Magneten hinterher, verringern aber den Abstand. Bei den Weichmagneten bleiben die leistungsfähigen nanokristallinen Legierungen die teurere Alternative, bieten aber ein attraktiveres Preisniveau als vor Jahren (Seite 24).
Kluge Köpfe der Branche nutzen zudem den Fortschritt in Bereichen wie der Elektronik, um Neues zu entwickeln. Albert Maurer etwa, Chef der Maurer Magnetic AG im schweizerischen Grüningen, verstand sich früher als reiner Händler. Jetzt ist er auch Hersteller und schickt sich an, innerhalb kürzester Zeit schon die zweite, bahnbrechende Innovation zu präsentieren – und lässt damit erahnen, wieviel Möglichkeiten die Magnettechnik noch zu bieten hat. Bei der ersten Erfindung handelte es sich um eine neuartige Entmagnetisiermethodik: Basierend auf moderner Invertertechnik entwickelte Maurer mobile, geregelte Geräte, mit denen sich Teile reproduzierbar bis auf „taktisch Null“ entmagnetisieren lassen – auf Werte unter denen des Erdmagnetfeldes.
„Wir sind inzwischen in der ganzen Welt unterwegs, um zu entmagnetisieren“, sagt Maurer. Zum Beispiel wurde er nach Brasilien zu Sinterpressen gerufen, deren Restmagnetismus das Produktionsergebnis gefährdete. Die Magnetfelder in Anlagenteilen behinderten das gleichmäßige Einrieseln des Eisenpulvers und damit die Teilequalität.
Schwieriger war der Einsatz im Reinraum eines irischen Chip-Werks. Dort störte ein Großwälzlager mit 3 bis 4 m Durchmesser den Betrieb des Rasterelektronenmikroskops, neben dem es aufgebaut wurde. „Ein Elektronenmikroskop reagiert auf Nano-Tesla. Da wird es schon zum Problem, wenn ein Lkw in zehn Metern Entfernung vorbeifährt und das Erdmagnetfeld umlenkt.“ Um die Entmagnetisierung zu bewerkstelligen, musste Maurer drei Mal hin. Der Platz um das Lager war sehr beengt. Schließlich gelang die Entmagnetisierung mit einem Spezialgerät, das er eigens baute. „Solche Situationen liefern uns die Impulse für Neuentwicklungen. Für ähnlich heikle Fälle habe ich das neue Gerät jetzt immer dabei.“
Inzwischen haben die Schweizer eine Reihe von Entmagnetisiergeräten für unterschiedliche Anwendungen auf den Markt gebracht. Die Nachfrage entwickelt sich allerdings langsamer als die nach der Entmagnetisier-Dienstleistung. „Der Restmagnetismus wird gerne übergangen oder schlichtweg verdrängt“, nennt Albert Maurer den Grund. „Häufig melden sich die Anwender erst dann, wenn ihnen keine andere Wahl mehr bleibt.“ Wenn zum Beispiel ferromagnetische Schmutzpartikel auf Teilen zum Problem werden. Restmagnetismus kann auch zum Ärgernis werden, wenn neue Stahlsorten zum Einsatz kommen, die das Fräsen großer Werkstücke verzugsfrei überstehen. Da der Anwender Kosten sparen kann, verzichtet er auf das Spannungsarmglühen – ohne zu wissen, dass er damit früher nebenbei die Magnetfelder beseitigt hatte…
Seit Albert Maurer ins Entmagnetisiergeschäft einstieg, hat er sein Unternehmen um vier auf heute 14 Mitarbeiter verstärkt. Für den zweiten Coup, den er demnächst landen will, plant er eine weitere Stelle ein: Im Auftrag eines Partners aus der Autoindustrie arbeitet er an einer Methode, mit der sich montierte Rotoren von außen magnetisieren lassen. Die Magnete werden im noch unmagnetisierten Zustand montiert. Dieses Verfahren soll sich für mehrpolige Synchronmotoren eignen, wie sie für Hybridantriebe benötigt werden. Es bietet etliche Vorteile: Noch ohne Magnetismus lassen sich die „Magnete“ leichter handhaben, positionieren und kleben. Kurze Taktzeiten beim Montieren und enge Polteilungen führen dabei zu keinen höheren Kosten. Maurer: „Unser Kunde kann eine effizientere Prozesskette mit höherer Qualitätssicherheit aufbauen.“
Zum Magnetisieren von außen nutzt Maurer den Streufluss einer Spule. Möglich wird dieser patentierte Ansatz durch Fortschritte in der Schalttechnik: Sehr kurze Strompulse sorgen für hohe Flussdichten dank der kleinen Induktivität der Spule. Die kurzen Pulse haben noch einen weiteren Vorteil. Da sie nur geringe Wärmeverluste verursachen, halten sie den Energiebedarf niedrig.
Das ebenfalls aus der Schweiz stammende Projekt des „magnetischen Kühlschrankes“ wiederum verdankt sich Fortschritten in der Materialforschung. Jetzt gibt es metallische Legierungen, die den magnetokalorischen Effekt bei Raumtemperatur aufweisen. Sie erwärmen sich, wenn sie einem Magnetfeld ausgesetzt werden, und kühlen sich ab, wenn sie sich daraus wieder entfernen. Die Professoren Peter W. Egolf und Osmann Sari von der Ingenieurschule HEIG-VD in Yverdon-les-Bains haben auf der Hannover Messe ein Kühlaggregat vorgestellt, das sich diesen Effekt zunutze macht. Es enthält einen zylindrischen Wärmetauscher aus den genannten magnetokalorischen Legierungen, der rotiert und einseitig ein Magnetfeld durchläuft. Im Bereich des Magnetfeldes wird ein Luftstrom erwärmt, während auf der Gegenseite ein kalter Luftstrom den Wärmetauscher verlässt.
Ein solches magnetisches Kühlaggregat arbeitet leise, kommt ohne problematische Kältemittel aus und nimmt voraussichtlich nur die halbe Leistung heutiger Kühlaggregate auf. Als nächstes fassen die Wissenschaftler zusammen mit Industriepartnern erste Anwendungen ins Auge. „Wir wollen zunächst mit kleinen Geräten beginnen“, erklärt Prof. Egolf. „Zum Beispiel mit einem Flaschentemperierer, der den Wein von 25 auf 14 Grad Celsius herunterkühlt.“

Neue Technologien
Moderne, leistungsfähige Magnetwerkstoffe lösen immer wieder Innovationen aus – vor allem in Kombination mit dem technischen Fortschritt auf Gebieten wie der Elektronik. Zum Beispiel ein magnetisches Kühlaggregat ohne Kältemittel.
Industrieanzeiger
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