Startseite » Technik »

Pulver, Panscher und Pistolen

Oberflächentechnik: Pulverbeschichten statt Nasslackieren
Pulver, Panscher und Pistolen

Das Pulverbeschichten von Blechteilen bietet gegenüber dem Nasslackieren deutliche Vorteile: Es ist schneller, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher. Außerdem ist das Einsatzspektrum breiter, als vielfach angenommen.

Jürgen Fürst
Fachjournalist in Fellbach

Die Vorteile und Möglichkeiten des Pulverbeschichtens beim Veredeln von Metalloberflächen werden bislang bei weitem nicht ausgeschöpft. „Wir kämpfen ständig gegen tiefsitzende Vorurteile, obwohl an den Fakten kein Weg vorbei geht: Die Pulverbeschichtung ist schneller, wirtschaftlicher, beständiger, umweltfreundlicher und in beinahe allen Fällen der Nasslackierung überlegen“, betont Alexander Döring, Geschäftsführer der Sedotec GmbH & Co. KG im badischen Ladenburg. Der industrielle Metallverarbeiter, der Blechteile hochautomatisiert für ganz unterschiedliche Anwendungen fertigt, liefert im täglichen Einsatz den Beweis. Nicht umsonst besitzt er die begehrte und selten vergebene Zulassung der Deutschen Bahn AG.
 
Wie so oft, sei es auch hier Kopfsache, meint Döring: „In vielen Köpfen steckt nun Mal die Auffassung, dass es sich beim Pulverbeschichten um ein minderwertiges Lackierverfahren handelt, das nur für bestimmte Bauteile geeignet ist.“ Der Sedotec-Chef kämpft beharrlich gegen dieses Vorurteil an. Mit seiner hauseigenen, hochmodernen Pulverbeschichtungsanlage des Herstellers Eisenmann AG, Böblingen, zeigt der Spezialist für Blechbearbeitung, dass die Fakten eher für das Gegenteil sprechen.
 
Beim Pulverbeschichten wird elektrostatisch aufgeladenes Kunststoffpulver auf Werkstücke aus elektrisch leitenden Metallen wie Stahl und Aluminium gesprüht, das dadurch anhaftet. Durch anschließendes Erhitzen im Ofen auf 150 bis 200 °C schmilzt das Pulver und vernetzt sich zu einer dauerhaften und dekorativen Oberfläche. Typische pulverbeschichtete Teile sind Schaltschränke, Heizkörper, Hausgeräte, Maschinenverkleidungen oder Tischuntergestelle, doch werden inzwischen auch viele Autoteile wie Alufelgen, Fahrwerksteile oder Dachrelings von Kombis pulverbeschichtet. Gleiches gilt für Gabelstapler, Traktoren oder Teile von Zügen.
 
„Sowohl die funktionalen als auch die optischen Eigenschaften der Pulverbeschichtung halten jedem Vergleich mit nasslackierten Oberflächen stand“, versichert Dipl.-Ing. Olaf Lederer, Experte und unabhängiger Berater für Oberflächentechnik. „Pulverbeschichtete Oberflächen sind von höchster chemischer und mechanischer Beständigkeit, wenn beim Verfahren auf Qualität geachtet und die Vorbehandlung gründlich durchgeführt wird.“ Der Korrosionsschutz sei besonders gut, die Oberfläche außerdem kratz- und schlagfest, witterungs- und abriebfest. Beim anschließenden Biegen des Werkstücks platze sie nicht auf. Selbst kleine Unebenheiten im Metall ließen sich überdecken. Darüber hinaus sei der Lack bei Verwendung von Polyesterharzen UV-beständig, ohne dass ein Klarlack aufgetragen werden müsse. „Auch bei der Optik müssen heutzutage keinerlei Abstriche mehr gemacht werden“, begegnet Lederer einem weiteren hartnäckigen Vorurteil. „Es sind alle Farben und Oberflächenqualitäten sowie auch Metallictöne möglich.“
 
Bei Farbwechseln muss die Sprühkabine gründlich gereinigt werden. Qualifizierte Anbieter verfügen aufgrund verbesserter Sauberkeit und Zeiteffizienz über Wechselkabinen. Um einen Farbwechsel schnell durchführen zu können, arbeitet Sedotec mit zwei Multi-Color-Automatikkabinen. Während in der einen Kabine lackiert wird, kann die andere gereinigt und vorbereitet werden. Bei Farbwechsel lassen sich die Kabinen, die auf Schienen laufen, einfach hinzu- oder wegfahren. „So ist ein Farbwechsel im Handumdrehen erledigt“, merkt Sedotec-Chef Döring an.
Der Farbanteil bei Pulverlacken beträgt 100 % und ist damit erheblich höher als der je nach Lackart 30- bis 60-%-Anteil bei den Nasslacken. Pulverlacke enthalten darüber hinaus keinerlei umweltgefährdende Lösemittel oder Schwermetallanteile.
Aufgebracht wird das Pulver mit einer Sprühpistole. Es gibt zwei Systeme, um das Pulver in der Pistole aufzuladen. Beim Korona-Verfahren sorgt eine in der Pistole integrierte Hochspannungskaskade für Aufladung. Tribo-Sprühpistolen arbeiten mit einer reinen Reibungsaufladung, indem das Pulver durch ein Kunststoffrohr geschossen wird.
 
Beim Farbauftrag entsteht zwischen dem geerdeten Werkstück und der Elektrode ein elektrisches Feld mit einer Spannung von bis zu 100 kV, das die einzelnen Lackpartikel negativ auflädt. Da sich die gleich aufgeladenen Teilchen auf ihrem Weg von der Sprühpistole zum Werkstück voneinander abstoßen, verteilen sie sich in einer feinen Pulverwolke und schlagen sich gleichmäßig auf dem geerdeten Teil nieder.
 
Wenn das Werkstück anschließend den Brennofen durchläuft, bildet sich binnen 10 bis 15 min ein widerstandsfähiger Lackfilm. Anders als beim Nasslackverfahren, entstehen keine umweltkritische Stoffe. Sammler, Abscheider oder Thermische Nachverbrennung sind nicht erforderlich. Die ab nächstem Jahr noch schärferen Grenzwerte der VOC-Richtlinie können der Pulverbeschichtung nichts anhaben. Das Verfahren ist jedoch nicht nur unter Umweltgesichtspunkten von Vorteil: Es benötigt 30 bis 50 % weniger Material als die Nasslackierung. Zudem ist dieses noch bis zu 50 % kostengünstiger, da keine teuren Lösemittel enthalten sind.
Pulverbeschichtete Werkstücke lassen sich mit verschiedenen Prüfungen eingehend auf Qualität und Beständigkeit testen: 1000 Stunden im Salz-Sprühnebel-Test muss der Lack ohne Probleme aushalten, damit die Deutsche Bahn AG ihr Zertifikat erteilt.
 
Bei Sedotec, das früher einmal die ABB Schaltanlagentechnik war, werden überwiegend Schaltschränke für Elektroanlagen in der ganzen Welt hergestellt. Die Produkte aus Ladenburg stehen im Flughafen Athen, im neuen Arsenal-Stadion in London oder in Staudämmen, Kohlekraftwerken und Krankenhäusern. Geschäftsführer Döring vergleicht: „Unsere Schaltschränke für Maschinen und elektrische Anlagen haben eine Durchlaufzeit von zweieinhalb Stunden. Beim Nasslackieren waren es vier Stunden, wobei zusätzlich noch 24 bis 48 Stunden Aushärtung an der Luft hinzukamen.“ Die pulverbeschichteten Schränke seien direkt nach dem Brennofen weiterzuverarbeiten. „Sofort nach dem Abkühlen können wir Türen oder Fachböden montieren und das Produkt versandfertig stellen.“
 
Da die eigentliche Pulverbeschichtung keine Fehlerquellen in sich birgt, liegen die qualitätsentscheidenden Merkmale in der Vorbehandlung des Werkstücks. Doch gerade sie werde oft vernachlässigt, weiß Berater Lederer. „Hier unterscheiden sich Profis von Panschern.“
 
Bei Sedotec werden die Blechteile in sechs Stufen vorbereitet, bevor Pulver aufgesprüht wird. Es wird vorentfettet, entfettet, zwei Mal mit voll entsalztem Wasser (VE-Wasser) gespült, anschließend eine rund 20 µm dicke Eisen-Dickschicht-Phosphatierung als Konversionsschicht aufgetragen und getrocknet. „Durch die beiden Entfettungs- und Spülbäder erhöhen wir den Wirkungsgrad signifikant“, erklärt Alexander Döring. Die hohe Qualität der Anlage und der Ergebnisse wird regelmäßig sichergestellt, indem die Werte der Bäder täglich gemessen, geprüft und vom Verantwortlichen mit seiner Unterschrift bestätigt werden.
 
An Teile, die zum Pulverbeschichten vorgesehen sind, gibt es grundsätzlich keine besonderen Anforderungen. Konstrukteure von Serienteilen sollten eine Aufhängung, ein Loch oder eine Auflagefläche einplanen. Auch sollte das Wasser der Vorbehandlungsbäder abtropfen können. Für die Teilegröße gibt es fast keine Einschränkung: Auch sehr große Werkstücke können heute pulverbeschichtet werden.
 
Für Einzelteile, Kleinserien oder sperrige Teile gibt es große Hand- und Automatikkabinen mit eigenen Kammeröfen. Sedotec beschichtet in einer solchen Kabine Teile bis 3200 mm x 1200 mm x 1400 mm (L x B x H). „Und wenn die Verbesserung der Reparaturfähigkeit pulverbeschichteter Bleche gelingt, werden wir auch komplette Pkw- und Lkw-Karosserien pulverbeschichten“, ist Döring überzeugt.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de