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Schaumschlagen gehört künftigzur hohen Kunst des Konstruierens

Geschäumte Aluminium-Platten sind leichter und steifer als Stahlbleche
Schaumschlagen gehört künftigzur hohen Kunst des Konstruierens

Schaumschlagen gehört künftigzur hohen Kunst des Konstruierens
Die Wilhelm Karmann GmbH in Osnabrück stellte ein Prototypen-Konzept mit Aluminium-Schaumplatten vor. Die dabei verwendeten Aluminium Foam Sandwiches sind um bis zu 50 % leichter und bis zu zehnmal steifer als vergleichbare Stahlbleche. Nach Schätzungen könnten solche Teile 20 % der typischen Karosseriestrukturen von Autos ersetzen (Bilder: Karmann)
Bis vor wenigen Jahren konnte sich niemand etwas darunter vorstellen: Schäume aus Aluminium. Das poröse Material ist leichter als Wasser und zeichnet sich durch eine hohe Steifigkeit aus. Anwendungsperspektiven gibt es im Maschinen- und Automobilbau.

Dr. Catrin Kammer ist freie Fachjournalistin in Goslar für den Bereich Leichtmetalle sowie Autorin mehrerer Fach- und Lehrbücher

Aluminiumschäume sind eine interessante, noch junge Werkstoff-Alternative, wo herkömmliche Alu-Legierungen auf Grenzen stoßen – zum Beispiel wenn eine noch geringere Dichte oder ein erhöhtes Stoßabsorptions-Potenzial gefordert sind. Die Wilhelm Karmann GmbH, Osnabrück, hat schaumgefüllte Aluminiumplatten für eine Fahrzeugstudie hergestellt, die bis zu 50 % leichter und bis zu zehnmal steifer sind als vergleichbare Stahlbleche.
Dr. John Banhart vom Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung (IFAM), Bremen, sieht die Einsatzmöglichkeiten jedoch keineswegs auf den Automobilbereich beschränkt: „Für den Maschinenbau ist besonders das günstige Verhältnis von Steifigkeit zu Masse interessant. Anwendungsideen umfassen Messtische, tragende Maschinenelemente und rotierende Teile wie Walzen.” In der Messtechnik ließen sich Alu-Schäume außerdem als Schwimmermaterial bei hohen Drücken und Temperaturen einsetzen. Als Gehäusewerkstoff für elektronische Geräte könnten sie Magnetfelder abschirmen.
Es gibt eine Vielzahl von Anwendungsideen. Sie basieren allesamt auf den außergewöhnlichen Eigenschaften des isotropen, hochporösen Materials. Aufgrund der geringen Dichte schwimmen die Schaumkörper auf Wasser. Je nach Porosität liegt der Betrag für die Dichte zwischen 0,3 und 0,8 g/cm3, wobei der untere Wert einer Porosität von 90 % entspricht.
Alu-Schäume weisen eine reduzierte Leitfähigkeit auf, sowohl für Wärme als auch für den elektrischen Strom. Die Schäume zeigen eine gute Dämpfung. Sie sind formstabil bis zum Schmelzpunkt, unbrennbar und nicht giftig.
Dass sich Metallschäume bisher dennoch kaum in Produkten wieder finden, kann daran liegen, dass „die Eigenschaften für viele Anwendungen noch nicht ausreichen”, wie Dr. Banhart einräumt. Allerdings hält er dem entgegen: „Das Optimierungspotenzial ist nicht ausgeschöpft. Und den Konstrukteuren mangelt es noch an Daten, um gute Lösungen zu finden. Erste Schritte sind hier getan, aber es bleibt noch viel zu tun.”
In ihrer Struktur gleichen die metallischen Schäume den bekannten Kunststoffschäumen. Wände und Stege zwischen den Lufteinschlüssen werden jedoch von Aluminium gebildet, wobei geschlossen- und offenporige Schäume zu unterscheiden sind.
Als erfolgversprechende Fertigungsmethode haben sich vor allem schmelz- und pulvertechnologische Prozesse erwiesen. Ein Beispiel für die erste Gruppe ist das Norsk-Hydro-Verfahren, mit dem sich geschlossenporige Schäume herstellen lassen. Ein rotierender Impeller bläst ein Gas in eine SiC- oder Al2O3-haltige Aluminiumschmelze. Der dabei entstehende Schaum wird mit Hilfe eines Förderbandes als Platte abgeschöpft und weist eine Porosität zwischen 80 % und 97 % auf.
Bei der pulvermetallurgischen Herstellmethode entstehen im Gegensatz zu den schmelzmetallurgischen Methoden ausschließlich geschlossenporige Schäume. Das Grundprinzip besteht darin, aus einem Aluminiumpulver mit feinverteiltem Treibmittel ein Halbzeug herzustellen, das sich durch Erwärmen aufschäumen lässt. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten liegen vor allem im Kompaktieren des Pulvers, aus dem so das Halbzeug entsteht. Das IFAM setzt dafür das axiale Heißpressen oder Extrudieren ein, die Mepura GmbH in Ranshofen/Österreich verwendet das kontinuierliche Strangpressen. Werden die Halbzeuge auf Schmelztemperatur erwärmt, zerfällt das Treibmittel und setzt Gase frei – nun beginnt das Aufschäumen. Sobald die gewünschte Dichte erreicht ist, wird der Schäumprozess durch Abkühlen abgebrochen. Das Ergebnis ist ein Schaum mit dichter Außenhaut und Porositäten zwischen 60 % und 85 %. Prinzipiell lässt sich jede Aluminiumlegierung schäumen. Knetlegierungen der Reihen 1XXX (Reinaluminium), 2XXX (Al-Cu) und 6XXX (Al-Mg-Si) kommen dafür ebenso in Frage wie Gusslegierungen, etwa AlSi7 oder AlSi12.
Der Konstrukteur möchte in erster Linie Formteile fertigen. Dazu bieten sich ihm unterschiedliche Möglichkeiten. Im einfachsten Fall lässt er das Halbzeug vor dem Aufschäumen durch Walzen, Schmieden oder Strangpressen umformen. So können nicht nur gebogene Bleche, (Hohl-)Profile und Stangen, sondern auch komplexere Teile entstehen. Solange die Umformtemperatur unterhalb der Schmelzpunktes liegt, ist eine vorzeitige Expansion nicht zu befürchten.
Halbzeuge können auch nur selektiv aufgeschäumt werden. So hergestellte Bauteile haben den Vorteil, dass die nicht porösen Bereiche ihre hohe Dichte behalten und zum Beispiel als Krafteinleitungsbereiche genutzt werden können. Ein ähnliches Ergebnis lässt sich erreichen, wenn aufschäumbare Halbzeugbleche mit massiven Blechen verschweißt werden. Nach dem Aufschäumen befindet sich das poröse Material nur dort, wo seine besonderen Eigenschaften gefordert sind – ähnlich wie bei den „Tailored Blanks”, die in Autokarosserien zum Einsatz kommen.
Teile mit relativ komplizierten Geometrien lassen sich realisieren, wenn die Halbzeuge in einer Form aufgeschäumt werden. Dabei entstehen reine Schaum-Formteile oder Werkstoffverbunde, die mit Schäumen gefüllt sind
Die Neuman Alu Foam GmbH, Marktl/Österreich fertigt komplex gestaltete Aluminiumschaum-Formteile in einer an das Spritzgussverfahren angelehnten Technologie. Ausgangsmaterial ist auch hier ein pulvermetallurgisch hergestelltes, aufschäumbares Halbzeug. In einem Rezipienten wird es auf Schmelztemperatur aufgeheizt, so dass ein flüssiger Schaum entsteht und sich selbst in die gewünschte Form presst.
Durch Kombinieren von Aluminiumschaum-Lagen mit Deckblechen entstehen Leichtbau-Sandwichverbunde. Bei der einfachsten Variante werden die Bleche auf die Schaumplatten aufgeklebt. Ist eine höhere Haltbarkeit gefordert, können aufschäumbare Halbzeuge und Deckbleche auch durch Walzplattieren verbunden werden. Die Deckbleche sollten jedoch einen höheren Schmelzpunkt als der Schaumwerkstoff haben. Rein-Aluminium lässt sich beispielsweise für AlSi12-Schäume verwenden, Stahl für alle Aluminiumschäume. Das Besondere an den Plattenbauteilen ist, dass sie auch in räumlich strukturierter Form gestaltet werden können. Walzplattierte Halbzeuge lassen sich vor dem Aufschäumen sogar umformen.
Die Verarbeitung von reinen Aluminiumschäumen zu fertigen Produkten ist in der Regel einfach: Die Schaumkörper lassen sich zum Beispiel schneiden, bohren, sägen, lackieren. Mit anderen Teilen werden sie am einfachsten durch Schrauben verbunden. Buchsen oder Blindnietmuttern können die Haltbarkeit noch erhöhen und lassen sich sogar einschäumen. Löten ist möglich. Beim Schweißen erwies sich vor allem der Laserstrahl als geeignet, weil der geringe Wärmeeintrag nur zu geringfügigem Verziehen der Alu-Schäume führt.
Die mechanischen Eigenschaften der Schäume charakterisiert am besten der Druckversuch: Hier ergibt sich eine typische Dreiteilung der Spannungs-Stauchungs-Kurve mit einer Geraden im Anfangsbereich, dann einem Plateau nahezu konstanter Spannung und einem steilen Anstieg, wenn die Poren sich verdichten (siehe Diagramm Seite 36).
Untersuchungen verschiedener Schäume zeigten übereinstimmend: Der Plateau-Bereich ist umso länger, je niedriger die Dichte ist – dies jedoch auf Kosten der Plateauhöhe und damit der Druckfestigkeit. Durch das lange Plateau sind Schäume prädestiniert dafür, viel Energie auf einem niedrigen Spannungsniveau zu absorbieren. Je höher und länger der Plateau-Bereich ist, desto mehr Energie wird absorbiert – und dieser Effekt lässt sich mit dem Ausschäumen von Bauteilen gezielt nutzen. Den Schäumen eröffnen sich damit vielfältige Anwendungsmöglichkeiten, insbesondere in der Insassensicherheit von Fahrzeugen.
Die Automobilindustrie zeigt großes Interesse an Aluminiumschäumen. Neben dem Insassenschutz könnten sie zusätzlich Lärm dämpfen und zur Gewichtseinsparung beitragen. Im Gespräch sind Anwendungen, in denen Schäume die Crashsicherheit verbessern, da sie sich beim Aufprall plastisch und irreversibel verformen. Durch Alu-Ausschäumen der Stoßfängerbereiche vorn und hinten, der Längsträger und der Seitenstruktur (A-, B-, C-Säule und Schweller) ließe sich beispielsweise der Front- oder Seitenaufprallschutz erhöhen. Das Knick- und Stauchverhalten von Hohlprofilen kann durch Ausschäumen nachhaltig beeinflusst werden.
Großflächige Schaumbauteile können in Bereichen des Fahrzeugs eingesetzt werden, die hohe Anforderungen an die Stabilität stellen wie Motorhaube, Kofferraumdeckel und Schiebedach. Diese Bauteile dürfen zum Beispiel durch den Fahrtwind keine elastischen Verformungen erleiden oder gar zu schwingen beginnen – ein Effekt, den die Dämpfungseigenschaften des neuen Materials nahezu ausschließen. Vorteilhaft erscheint daher auch das Versteifen von Cabrios und Lastwagen-Aufbauten.
Die Wilhelm Karmann GmbH stellte mit ihrer Studie „Aluminium Foam Body” ein interessantes Prototypen-Konzept vor. Die Konstruktion basiert auf einem Space-Frame. Die verwendeten Sandwiches wurden auf Basis des IFAM–Verfahrens hergestellt. Da sie wie erwähnt um bis zu 50 % leichter und zehnmal steifer sein können als vergleichbare Stahlbleche, bestehen Anwendungsmöglichkeiten für tragende Teile der Karosserie und in Crash-Zonen an Front und Heck. Um Stirn- und Querwand der Karosserie zu versteifen, setzt Karmann großflächige Sandwich-Teile ein. Schätzungen zufolge ließen sich dadurch 20 % der typischen Karosseriestrukturen von Automobilen ersetzen.
Metallschäume könnten die Massen bewegter Teile in Maschinen unterschiedlichster Industriebereiche reduzieren. Für die Druck- oder Papierindustrie wären sehr leichte, ausgeschäumte Walzen interessant. Auch im Baubereich gibt es viele Ideen: Alu-Schäume ließen sich sinnvoll für den Brandschutz einsetzen, da sie im Feuerfall für rund 30 min ihre Tragfähigkeit bewahren. Für den Schallschutz eignen sie sich unter schwierigen Betriebsbedingungen wie hohen Temperaturen, Staub, Feuchtigkeit oder Gasströmungen. In Japan wurden sie daher sogar schon unter Brücken verbaut.
Nachgefragt: „Billiganwendungen kommen nicht in Frage“
Dr. John Banhart vom IFAM nimmt Stellung zu den Einsatzperspektiven für Metallschäume in der Industrie
? Herr Dr. Banhart, wo sehen Sie Anwendungsmöglichkeiten für Aluminiumschäume im Maschinenbau?
! Für den Maschinenbau ist hauptsächlich das günstige Verhältnis von Steifigkeit zu Masse interessant. Anwendungsideen gibt es für rotierende Teile und für leichte, steife Plattformen als Messtische oder tragende Maschinenelemente. Außerdem ist an Schutzvorrichtungen in Werkzeugmaschinen gedacht, zum Beispiel Splitterschutz.
? Können Metallschäume jetzt mit reproduzierbaren Eigenschaften hergestellt werden?
! Hier hat es bedeutende Fortschritte gegeben. Die Porenstruktur lässt sich heute wesentlich homogener herstellen als noch vor zwei Jahren. Allerdings treten in der Fertigung immer wieder Ausreißer auf, die in einer Massenproduktion nicht akzeptabel wären.
? Worin liegt die Ursache, dass die Schäume trotz interessanter Eigenschaften bisher kaum in Produkten zu finden sind?
! Für viele Anwendungen haben die Schäume noch nicht ausreichend gute Eigenschaften. Das Optimierungspotenzial ist allerdings auch noch nicht ausgeschöpft. Viele Eigenschaften sind außerdem einfach noch nicht bekannt. Dem Konstrukteur mangelt es an Daten, um gute Lösungen mit Metallschäumen zu finden. Als eine weitere Ursache kommt der Preis hinzu. Metallschäume sind nicht billig, vor allem nicht in der jetzigen, frühen Phase der Einführung. So genannte Billiganwendungen kommen deshalb nicht in Frage. Die Situation wird sich in Zukunft sicher etwas entspannen. Der Kostendruck wird jedoch bleiben.
? Können auch andere Metalle geschäumt werden?
! Sehr gut schäumbar sind Zink, Zink-Legierungen, Blei und Zinn-Legierungen. Gold-Legierungen wurden auch schon geschäumt. Mit anderen Verfahren, zum Beispiel aus der Galvanik oder dem Gießen, lassen sich auch zellulare Nickel-, Titan- und Stahlbasiswerkstoffe herstellen.
? Gibt es dafür potenzielle Einsatzbereiche?
! Nickelschwamm wird bereits in NiMeH-Batterien eingesetzt. Blei kommt als Trägermaterial für Elektroden in Blei-Säure-Akkumulatoren in Frage.
Anwendungsperspektiven: Schäume werden wahr im Maschinenbau
Einsatzfelder für Alu-Schäume eröffnen sich dort, wo Bauteile zusätzlich zu ihrem geringen Gewicht weitere hohe Anforderungen erfüllen müssen. Beispiele sind
– bewegte Teile mit reduziertem Gewicht: zum Beispiel ausgeschäumte Walzen in Druck- und Papiermaschinen, steife Plattformen in Maschinen und Mess-Anlagen,
– hitzebeständige Bauteile: Wärmekapselungen, Wärmetauscher, Hitzeschilder, Katalysatorträger,
– offenporige Schäume mit Filtereigenschaften, zum Beispiel für Diesel-Rußpartikel,
– Messtechnik: Alu-Schäume als Schwimmermaterial bei hohen Drücken und Temperaturen,
– Gehäusematerial für elektronische Geräte zum Abschirmen von elektromagnetischen Wellen im Frequenzbereich von 0,1 MHz bis 1000 MHz.
– Fahrstuhldämpfer nutzen die stoßabsorbierende Wirkung von Alu-Schäumen.
– Vibrationsschutz für hohle Bauteile.
– Anwendungen gibt es auch in der Bauindustrie: Beispielsweise für Brand-, Vibrations- oder Schallschutz in Gebäuden; oder als leichte Fahrbahn-Platte für bewegliche Brücken…
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