Startseite » Allgemein »

Vertrauen und Fairness sind das A und O

Verhaltensregeln: Grundlage der elektronischen Partnerschaft
Vertrauen und Fairness sind das A und O

Reverse Auction – dieser Begriff treibt Einkäufern Dollar-Zeichen in die Augen und Zulieferern Tränen. Die Liste der Vorwürfe ist lang: kurzsichtige Preisdrückerei, manipulierte Gebote, Auktionen ohne Zuschlag und und und. Jetzt sollen von Lieferanten, Abnehmern und Plattform-Betreibern gemeinsam erarbeitete Verhaltensregeln das Vertrauen in elektronische Geschäftsbeziehungen wieder herstellen.

Dirk Hölscheid

Es ist noch gar nicht so lange her, als angesehene Unternehmensberater verkündeten, durch Anbindungen an B2B-Plattformen und elektronische Marktplätze seien beim Automobilhersteller weit über 1000 US-$ pro zu fertigendem Fahrzeug zu sparen. Und das bei einem ohnehin schon hohen Preisdruck bei den Zulieferern. „Prozesskostenoptimierung“ heißt seitdem das elektronische Zauberwort. Die umfassende Vernetzung der Automobilhersteller mit bewährten Zulieferern und denen, die es gerne einmal werden möchten, begann. Dabei tauchte ein weiteres digitales Phänomen auf: die „reverse auction“.
Die umgekehrte Auktion wird in fast jeder Hinsicht als das Paradebeispiel für die Optimierung bisher langwieriger und kostenintensiver Prozesse angeführt: Sie schrumpft die ehemals Tage oder Wochen dauernden Angebotsverhandlungen zwischen Einkäufer und Zulieferer zu einem computergesteuerten Zeitfenster zusammen, liefert dabei noch als Bonus eine genaue Abbildung des Angebotsverhaltens der Lieferanten und zum Abschluss den tiefstmöglichen Preis. – Keine Neuheit, die bei den Zulieferern für Euphorie gesorgt hat.
Im Gegenteil: Noch heute verstellt diese preisdrückende, enge Fokussierung des E-Business den Blick vieler Unternehmer auf die Chancen, die in der elektronischen Vernetzung mit ihren Kunden noch verborgen liegen. Diese Chancen ergeben sich aber nur, wenn man statt kurzfristiger Kostendrückerei die partnerschaftlichen und langfristigen Verbindungen zwischen Zulieferer und Abnehmer in den Vordergrund stellt. Leider bleibt aber der vertrauensvolle Umgang miteinander zu oft auf der Strecke. Von der Fairness ganz zu schweigen: Auch wenn die Kritik langsam abnimmt, viel zu oft war in der vergangenen Zeit von manipulierten Geboten, Auktionen ohne Zuschlag, aber mit Nachverhandlung, überzogenen „Eintrittsgebühren“, kurzfristig terminierten Auktionen oder ungleicher Qualifikationen der zugelassenen Anbieter zu hören.
Schnell riefen diese Missstände die Wirtschaftsverbände auf den Plan. Die Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ), zu der auch der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung (WSM) gehört, erkannte sehr schnell die Notwendigkeit klarerer Regeln für mehr Fairness und legte diese als einer der ersten Verbände vor. Inzwischen gibt es mehrere dieser Verhaltenskodizes, selbst die EU-Kommission hat sich der Thematik angenommen.
Und das scheint auch dringend notwendig: Bei einer Internetumfrage der EU-Kommission im Mai 2002 gaben über 57 % der Plattform-Benutzer an, nicht ausreichend über ihre Rechte und Pflichten informiert zu sein. Das Fehlen klarer, transparenter Spielregeln bei Auktionen wurde dabei immer wieder besonders betont. Angaben der Plattform-Betreiber bestätigten dies: Nur knapp 36 % der Portal-Provider erklärten, dass sie an Verhaltensregeln arbeiten oder diese zugrunde legen.
Angesichts dieses großen Nachholbedarfs hat die Kommission eine Expertengruppe eingerichtet, deren Endbericht nun vorliegt. Der Prämisse „kein Vertrauen – kein Geschäft“ folgend, empfiehlt die Expertengruppe EU-Kommissar Liikanen dringend, die Entwicklung von Verhaltens- und Fairnessregeln in einzelnen Branchen auf EU-Ebene zu fördern und deren Verbreitung zu unterstützen. Auch die Erstellung eines Katalogs unfairer Praktiken wird erwogen. Gleichzeitig wird aber auch immer wieder die Eigenverantwortung der Marktteilnehmer betont. Es ist Aufgabe der Unternehmen, gemeinsam einen Verhaltenskodex zu entwickeln und das dazu passende Verhalten immer wieder von allen Akteuren einzufordern.
Es ist wichtig, dass Verhaltensregeln von möglichst vielen Beteiligten zusammen erarbeitet und dadurch letztlich von allen akzeptiert werden. Nur wenn Anbieter, Plattformbetreiber und Kunden gemeinsam an einem Strang ziehen, können die neuen Formen des E-Business zu einer sinnvollen Win-win-Situation auf allen Seiten führen und neue Chancen eröffnen. Ein gutes Beispiel für gemeinsam erarbeitete und von allen Seiten anerkannte Verhaltensregeln ist die Vereinbarung, die kürzlich der Wirtschaftsverband Stahl- und Metallverarbeitung, stellvertretend für die Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie, mit dem Plattformbetreiber SupplyOn AG, Hallbergmoos, und den Einkaufsverantwortlichen der darüber einkaufenden Unternehmen wie Bosch, Siemens oder ZF geschlossen hat: Klar und transparent werden Grundregeln in den Feldern „Vorbereitung von Geschäften“, „Spezifikation von Ausschreibungen“, „Verhalten und Fairness bei einer Auktion“ sowie „Vertraulichkeit und Sicherheit von Daten“ festgelegt. Im Streitfalle kann eine Schiedsstelle angerufen werden.
„Die Regeln, auf die wir uns nun gemeinsam verständigt haben, sind die Basis für eine konstruktive Zusammenarbeit und bieten eine gute Chance für mittelständische Unternehmen, vom Einsatz des Marktplatzes zu profitieren“, erklärt WSM-Geschäftsführer Dr. Theodor L. Tutmann. „Darüber hinaus können sie aktiv an der Gestaltung des Marktplatzes und seiner Funktionalitäten teilhaben.“
Ist mit festgelegten Verhaltensregeln der erste Grundstein für eine Partnerschaft im E-Business gelegt, so steht den vielfältigen, neuen Formen der Zusammenarbeit wie E-Engineering, E-Procurement oder Supply-Chain-Integration eigentlich nichts mehr im Wege. Ein gesundes Maß an unternehmerischer Vorsicht sollte aber weiterhin vorhanden sein. Die zunehmende, elektronische Vernetzung entlang der Wertschöpfungskette bietet viel Optimierungspotenzial und fördert die Transparenz der Abläufe. Dies mag Vorteile bei der Verschlankung von Prozessen bringen, aber die beim Abnehmer vorhandenen, umfassenden Daten über den Zulieferer können auch unfaires Verhalten des Kunden ermöglichen.
Marktstarke Abnehmer, die die elektronische Supply-Chain kontrollieren, und dabei in die Abläufe und Planungen der Zulieferer Einfluss nehmen wollen, vernichten so schnell das gerade aufgebaute Vertrauensverhältnis. Initiativen in diese Richtung, wie etwa das Projekt „Electronic Capacity“ von Volkswagen, wo über die Plattform vwgroupsupply.com die freien Kapazitäten vergleichbarer Lieferanten „von oben“ gesteuert werden sollen, wecken schnell die Befürchtungen, zum gläsernen Zulieferer degradiert zu werden.
Der WSM nimmt diese Befürchtungen ernst und wird sich auch weiterhin für eine konstruktive und faire Zusammenarbeit zwischen Kunde und Zulieferer einsetzen. Denn nur durch konkrete Erfolgsbeispiele lässt sich das Porzellan, das in der Startphase des E-Business allzu leichtfertig zerschlagen wurde, wieder kitten.
Langfristige Partnerschaft statt kurzsichtiger Kostendrückerei
Feste Verhaltensregeln sind Grundstein der Zusammenarbeit

Verhaltensregeln sollten enthalten
Angaben
  • zu weiteren, geltenden Regelwerken (z. B. Einkaufsbedingungen),
  • zu Schulungen im Umgang mit der Plattformsoftware/-oberfläche,
  • über Zertifikate (Datenschutz, Einhaltung der Fairnessregeln) durch Dritte,
  • zur Identität und Haftung der Plattformbetreiber (im Streitfall wichtig),
  • zu grundlegenden Auswahlkriterien der Anbieter auf der Plattform,
  • zu Maßnahmen bei Verstößen gegen die Regeln,
  • über Möglichkeiten der Streitschlichtung/Schiedsstelle,
  • über den Umfang der gesammelten Daten und deren Verwendung,
  • zum genauem Ablauf einer (reverse) auction:
  • 1. Zeitplan (vom Versand der Angebotsunterlagen bis zur Lieferung),
  • 2. Bedingungen für den Zuschlag,
  • 3. ergänzende Angaben zum Angebot,
  • 4. keine nachträgliche Veränderung von Ausschreibungen/Losgrößen,
  • 5. Service und Verhalten bei Fehlfunktionen,
  • 6. Korrektur von Fehlern,
  • 7. kein „Eingreifen“/Mitbieten durch Kunde oder Dritte
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 5
Ausgabe
5.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de