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Von Apfelmus, Äpfeln und komplexen Systemen

Unternehmensführung: Management im Wandel
Von Apfelmus, Äpfeln und komplexen Systemen

Erfolgsmethoden der alten Welt sind in einer neuen nutzlos, ja schädlich. So ist es mit dem Übergang von einfachen Systemen zu komplexen und hyperkomplexen Systemen. Ihr Management muss radikal anders sein, als das Management, durch das sie entstanden sind.

Wie macht man Äpfel aus Apfelmus? Dorthin kommt man leicht, zurück führt aber kein Weg. Das dominierende Weltbild bietet dafür auch keine Orientierung. Apfelmus gehört gewissermassen einer neuen Welt an, in der die Erfolgsmethoden der alten Welt nutzlos, ja schädlich sind. So ist es mit dem Übergang von einfachen Systemen zu komplexen und hyperkomplexen Systemen. Ihr Management muss radikal anders sein, als das Management, durch das sie entstanden sind.

Das vorherrschende Welt- und Managementbild folgt den Kategorien einfacher Systeme. Bildlich gesprochen entspricht es dem Auto, das wir beliebig oft in seine Bauteile zerlegen und wieder zum Auto zusammenfügen können. Die Kategorien in diesem Verständnis sind Reversibilität, Kausalität, Reduzierbarkeit auf Bestandteile, Berechenbarkeit und Wiederholbarkeit. Nichts von den einfachen Systemen gilt in ihrem Gegenpol, in der Welt der komplexen Systeme. Das wird augenfällig, sobald man vom Auto zum Fahren, und von diesem zum komplexen System des Verkehrs weiterdenkt.
Daher unterscheidet sich das Management-System (siehe Grafik „General Management-Modell für Corporate Management“), das ich in 30 Jahren Forschung und Praxis für die Führung komplexer Unternehmen entwickelt, getestet und implementiert habe, grundlegend von den betriebswirtschaftlichen und MBA-Vorstellungen von Unternehmensführung. Es funktioniert nach ganz anderen Prinzipien: nämlich den Gesetzmäßigkeiten der komplexen Regulierungs- und Steuerungssysteme der Natur, die dank der heutigen Technologie für die Unternehmensführung genutzt werden können.
Der Übergang von einfachen zu komplexen und hyperkomplexen Systemen wird in den kommenden zehn Jahren größere Veränderungen in der Unternehmensführung mit sich bringen, als in den 200 Jahren zuvor. Was vor sich geht, ist nicht weniger, als eine Revolution der grundlegenden Kategorien, in denen Gesellschaft und Wirtschaft wahrgenommen werden müssen, um sie zu verstehen – vergleichbar mit dem Übergang vom Scheiben- zum Kugelmodell der Erde oder der Kopernikanischen Revolution vom geo- zum heliozentrischen Weltbild.
Als Ergebnis der Erfolgsmethoden des 20. Jahrhunderts – nämlich Markt und Management – gehen Wirtschaft und Gesellschaft durch eine der größten Transformationen, die es geschichtlich je gab. Der Schlüsselbegriff ist Komplexität, und der Treiber ist sich beschleunigende Komplexifizierung, deren Quellen wiederum die komplexen Systeme selbst sind – ein sich selbst verstärkender, aufschaukelnder Prozess. Das führt zur Komplexitätsgesellschaft, wie ich sie nenne, einem Netzwerk aus vernetzten, interdependenten, dynamischen, sich selbst ständig transformierenden hyperkomplexen Systemem.
Etwa ein Drittel der Manager, mit denen ich zu tun habe, sieht und versteht das, nicht alle sehen aber die Lösung. Ein zweites Drittel spürt zwar die Veränderung, versteht sie aber nicht, ist unsicher und kann sie nirgends zuordnen. Das letzte Drittel ist blind für den Wandel und hält die heutige Welt für die einzig mögliche.
Viele vermögen im Neuen nur das Alte zu sehen, reagieren mit den alten Reflexen und bauen auf die alten Rezepte und Methoden. Damit kann man die Herausforderungen der Komplexität nicht bewältigen. Vor allem kann man damit die Chancen nicht nutzen, die komplexe Systeme bieten. Die Maxime des Managements komplexer Systeme heißt, Komplexität zu nutzen, um ständig besser im Wettbewerb zu sein und um immer anspruchsvollere Kunden immer besser zu bedienen.
Management des 20. Jahrhunderts war das Management einfacher Systeme. Die komplexen Systeme der heutigen Gesellschaften und ihren globalen Wirtschaften erfordern nun aber radikal andere Führungssysteme, Organisationen und Lenkungsmodelle als das bisherige Management.
Betriebswirtschaftslehre wird zwar weiterhin für die Lösung von Sachaufgaben nötig sein, aber zum Management von Komplexität haben die Betriebswirtschaftslehre und ihre amerikanische Form der Business Administration wenig zu tun.
Das Management des 21. Jahrhunderts muss zwar ökonomischen Gesetzmäßigkeiten entsprechen, aber diese bestimmen in der neuen Welt der Komplexität nicht den Erfolg, obwohl es vielen so erscheint, weil sie – um im Bild zu bleiben – statt der Kugel nur die Scheibe sehen. Die Grundlagen für Wirksamkeit und Erfolg liefern heute die Komplexitätswissenschaften, nämlich Systemik, Bionik und die Kybernetik der hyperkomplexen Systeme. Es ist das Wissen von den Naturgesetzen des Funktionierens.
Die beiden wichtigsten Rohstoffe für das Management komplexer Systeme sind Wissen und Information, nicht Geld und Macht. Wissen ist stärker als Geld, denn ohne Wissen ist Geld rasch verloren. Information ist wirksamer als Macht, wie der Zusammenbruch der totalitären Systeme gezeigt hat. Hierarchie wird durch Regulierung verdrängt; Lenkung tritt an die Stelle der Berechenbarkeit; Real Time Control ersetzt Prognose; heuristische Strategie verdrängt Langfristplanung und unternehmenspolitische Master Controls befähigen das Unternehmen zur Selbst-Organisation, damit es seine Komplexität besser nutzen kann als die Konkurrenten. Die „Geheimnisse“ des Managements komplexer Systeme sind das Wissen über Regulierungsvorgänge, über Lenkung und Steuerung und – auf logisch höherer Ebene – das Wissen über die Anwendung dieses Wissens.
Erfahrene Führungskräfte und Unternehmer wissen, dass sie ihre Unternehmen nicht wie eine Maschine konstruieren und kontrollieren können. Sie wissen auch, dass ein Unternehmen letztlich allein von der wirtschaftlichen Seite her nicht erfolgreich geführt werden kann. Über kurz oder lang kommen sie zu organismischen Vorstellungen und wenden sich biologischen Bildern zu, denn sie spüren, auch wenn ihnen die Theorie dazu fehlt, dass ein Unternehmen am ehesten mit einem lebenden Organismus zu vergleichen ist.
Was für das zuverlässige Funktionieren eines komplexen Systems nötig ist, verstehen am schnellsten jene Ingenieure, die mit der fortgeschrittensten Technik komplexer Regulierungsvorgänge zu tun haben. Sie finden in der neuen Art von Management vieles, was ihnen vom Grundsatz her vertraut ist.
Wäre die untergegangene Swissair als Firma nach denselben Grundsätzen wie ihre Flotte gemanagt worden, und hätte sie ihre Manager gleich gut, intensiv und mit modernstem Gerät regelmäßig trainiert wie ihre Piloten, dann wäre sie ein erfolgreiches Unternehmen. Auch das DaimlerChrysler-Management hätte enorm profitiert von den Funktionsgesetzen der komplexen intelligenz-verstärkenden Regulierungs- und Steuerungssysteme der Autoelektronik in ABS-Systemen, Satelliten-Navigation und radargestützten Distance Control Systems.
Allerdings geht Management komplexer Systeme darüber noch weit hinaus, denn es ist der Fortschritt vom Regulieren zum Selbst-Regulieren, vom Lenken zum Selbst-Lenken und vom Organisieren zum Selbst-Organisieren.
Prof. Dr. Fredmund Malik Verwaltungsratspräsident des Malik Management Zentrum St. Gallen
Organisieren für Selbst-Organisation

Die wichtigsten Leitsätze für den Wandel
  • 1. Das 21. Jahrhundert hat in den Tiefenstrukturen bereits radikaleren Wandel mit sich gebracht, als an der Oberfläche wahrgenommen wird. Nicht nur ein Paradigmenwandel findet statt, sondern ein Wandel der Kategorien, in denen wir Paradigmen als solche wahrnehmen.
  • 2. Die komplexen Systeme des 21. Jahrhunderts sind zwar durch die Erfolge der Denkweisen und Methoden des 20. Jahrhunderts entstanden, aber sie können mit eben diesen nicht mehr gemanagt werden, weil die Systeme global dafür zu komplex geworden sind.
  • 3. Die globalen Gesellschaften transformieren sich zur Komplexitätsgesellschaft.
  • 4. Das relevante Wissen für das Funktionieren von Unternehmen in dieser Gesellschaft kommt aus den Komplexitätswissenschaften. Das sind Kybernetik, Systemtheorie und Bionik.
  • 5. Die entscheidende Herausforderung für Funktionieren im 21. Jahrhundert ist Komplexität. Die wichtigste Fähigkeit ist, Komplexität zu meistern und zu nutzen. Die wichtigste Funktion dafür ist kybernetisches Management. Das wichtigste Mittel dafür ist kybernetische Unternehmenspolitik. Die wichtigste Voraussetzung dafür sind Bedingungen zur Selbstorganisation, die die Eigendynamik komplexer Systeme nutzen und es Menschen ermöglichen, sich selbst zu führen.
  • 6. Die Epoche von Beliebigkeit von und im Management ist zu Ende, denn die Kybernetik komplexer Systeme etabliert die wissenschaftlich zwingenden Gesetzmäßigkeiten und Maßstäbe für funktionierendes Management im Komplexitätszeitalter. Auch zu Ende ist damit die Epoche des bisher auf Beliebigkeit beruhenden Opportunismus in den Management-Consulting-Services aller Kategorien.
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