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Welchen Auskunftsanspruch hat ein abgelehnter Stellenbewerber?

Arbeitgeber sollten nicht leichtfertig ihre Beweggründe für eine Bewerbungsabsage offenbaren
Welchen Auskunftsanspruch hat ein abgelehnter Stellenbewerber?

Kann ein abgelehnter Bewerber vom angeschriebenen Unternehmen Auskunft darüber verlangen, ob die ausgeschriebene Stelle durch einen anderen Bewerber besetzt wurde? Diese Rechtsfrage hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 20. Mai 2010 zum Aktenzeichen 8 AZR 287/08). Im Falle einer Bejahung der Frage will das BAG weiterhin wissen, wie weit der Auskunftsanspruch geht, konkret: Muss der Arbeitgeber die Kriterien offen legen, aufgrund derer die Einstellung eines anderen Bewerbers erfolgte? Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Armin Rudolf aus Hannover erläutert die Entscheidung. Er ist Mitglied im Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte (VDAA).

Dem Beschluss des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die 1961 in Russland geborene Klägerin hatte sich im Jahre 2006 auf die von dem beklagten Unternehmen ausgeschriebenen Stelle eines/einer Softwareentwicklers/in beworben. Die Klägerin erhielt hierauf eine Absage mit folgendem wesentlichen Inhalt: „… vielen Dank für Ihre Bewerbung und Ihr Interesse. Die Auswahl aufgrund der Vielzahl der Bewerbungen fiel nicht leicht. Leider sind Sie nicht in die engere Auswahl gekommen. Beim nächsten Mal werden Sie bestimmt das kleine Quäntchen mehr Glück haben. Wir drücken Ihnen für Ihre weitere berufliche Neuorientierung ganz fest die Daumen und wünschen Ihnen alles Gute. …“ Die Beklagte teilte der Klägerin demgemäß nicht mit, ob sie einen anderen Bewerber eingestellt hatte. Auch die Kriterien, die für ihre Entscheidung maßgeblich waren, wurden der Klägerin nicht offenbart.
Die Klägerin behauptet, sie habe die Voraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle optimal erfüllt und sei lediglich wegen ihres Geschlechts, ihres Alters und ihrer Herkunft nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Aus diesem Grunde liege ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor. Sie sei diskriminiert worden. Die Klägerin hat von der Beklagten eine Schadensersatzzahlung in Höhe von 18.000,00 Euro verlangt. Sowohl das Arbeitsgericht (Az.: 12 Ca 512/06), als auch das Landesarbeitsgericht Hamburg (Az.: H 3 Sa 102/07) haben die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat ausgeführt, dass Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG sei, dass der Arbeitgeber gegen das sich aus § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG ergebende Benachteiligungsverbot verstößt. Erforderlich ist demgemäß eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Altes oder der sexuellen Identität. Die Klägerin habe nicht schlüssig vorgetragen, dass eine Benachteiligung aus einem dieser Gründe erfolgt sei oder dies zumindest vermutet werden könnte.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Indizien, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt gem. § 22 AGG diejenige Prozesspartei, die sich auf eine solche Benachteiligung beruft. Die Bestimmung in § 22 AGG sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Auf der ersten Stufe steht der Nachweis einer Diskriminierungsvermutung durch den Arbeitnehmer. Nur für den Fall, dass dieser Nachweis gelingt, trifft auf der zweiten Stufe den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Benachteiligung gerechtfertigt war.
In dem vom Landesarbeitsgericht Hamburg entschiedenen Fall sollen weder in den Stellenausschreibungen noch in den Absageschreiben der Beklagten Anhaltspunkte enthalten gewesen sein, aus denen sich eine Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung hätte ergeben können. Der Vortrag, dass die Klägerin als über 45 Jahre alte Frau nicht deutscher Herkunft nicht zu einem Bewerbungsgespräch geladen wurde, reiche allein nicht aus, denn die allgemeingültige Erfahrung zeige nicht, dass Bewerber mit den persönlichen Merkmalen der Klägerin nur wegen dieser Merkmale nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden.
Auch das BAG sieht aufgrund der Regelungen im deutschen Arbeitsrecht keinen Anspruch der Klägerin auf Auskunft gegen die Beklagte als gegeben an, wonach diese mitteilen müsste, ob sie einen anderen Bewerber eingestellt hat und gegebenenfalls aufgrund welcher Kriterien dies erfolgt ist. Das BAG sah sich aber an einer abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits gehindert, weil diese von einer dem EuGH obliegenden Auslegung des Gemeinschaftsrechts abhängen soll.
Tipp für Arbeitnehmer: Arbeitnehmer sollten nur dann eine Diskriminierungsklage in Betracht ziehen, wenn sie Indizien für eine unzulässige Benachteiligung substantiiert darlegen und im Bestreitensfalle auch beweisen können. Bloße Behauptungen „ins Blaue hinein“ ersetzen keinen hinreichenden Tatsachenvortrag. Sie sind aus diesem Grunde auch nicht geeignet, die Vermutung einer verbotenen Benachteiligung zu begründen.
Tipp für Arbeitgeber: Arbeitgeber sollten nicht leichtfertig ihre Beweggründe offenbaren, weshalb sie einen Bewerber um eine offene Stelle abgelehnt und sich für einen anderen Aspiranten entschieden haben. Je mehr preisgegeben wird, umso größer ist unter Umständen die Angriffsfläche eines abgelehnten Stellenbewerbers. Nach deutschem Recht besteht kein Auskunftsanspruch im Zusammenhang mit Klagen wegen einer Diskriminierung bei Einstellungen von Arbeitnehmern. Dies entspricht dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass keine Prozesspartei gehalten ist, dem Gegner das Material für dessen Prozesssieg zu verschaffen.
Fazit: Letztlich bleibt vorerst die weitere Entwicklung in der Rechtsprechung abzuwarten, bevor endgültig entschieden werden kann, wie künftig verfahren werden sollte.
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