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Werkzeugloses Fertigen als Konstrukteurstrick

Rapid Manufacturing: Es gibt Bereits Serien mit bis zu einigen tausend Stück
Werkzeugloses Fertigen als Konstrukteurstrick

Noch ist das Fertigen mit Rapid-Technologien die Ausnahme. Doch das wird sich ändern, konstatiert Dr. Rudolf Meyer von der Fraunhofer-Allianz Rapid Prototyping. Im folgenden Trendbericht benennt er die Chancen für die Produktgestaltung, aber auch die Probleme des Rapid Manufacturing.

Nahezu 20 Jahre sind die so genannten Rapid-Technologien auf dem Markt, und bereits über 20 000 dieser Rapid-Maschinen befinden sich weltweit im industriellen Einsatz. Das ist nicht wenig, da die Systeme bisher primär für den Prototypenbau eingesetzt werden. Doch seit einigen Jahren lässt sich verstärkt der Übergang vom Rapid Prototyping zum Rapid Manufacturing beobachten. In vielen Unternehmen gibt es lukrative Einsatzfelder für Stückzahl 1 und kleine Fertigungsserien, die werkzeuglos hergestellt werden. Die Teile entstehen dabei ohne Vorrichtungen und formbildende Werkzeuge in einer einzigen Prozessstufe. Damit lassen sich Kundensegmente rasch bedienen, die sehr stark von individuellen und flexiblen Lieferansprüchen geprägt sind. Klassische Fertigungstechniken und Rapid Manufacturing-Technologien weisen in ihren Anwendungsbereichen eine gewisse Überlappung auf, werden sich aber im Blick auf die jeweils günstigen Stückzahlen häufig ergänzen können (siehe Diagramm Seite 25).

Unter „Rapid Manufacturing“ (RM) ist nicht die Prototypenherstellung („Rapid Prototyping“ RP) zu verstehen, sondern das schichtweise Fertigen von funktionstüchtigen Bauteilen, die idealerweise direkt eingebaut werden können. Solche RM-Prozesse haben kein so universelles Einsatzprofil wie klassische Fertigungstechniken oder RP-Methoden, mit denen Modelle und Muster hergestellt werden. Potenzielle Anwender müssen daher beim Einführen von Rapid-Manufacturing-Prozessen mehr Sorgfalt auf die Auswahl und Anpassung der Techniken verwenden. Dass die Lösungskorridore kleiner sind und sich die gewünschten Zieleigenschaften nur begrenzt abbilden lassen, hat aber nicht nur negative Auswirkungen: Positiv ist, dass auf ein Unternehmen zu- geschnittene RM-Lösungen gewisse Alleinstellungseffekte mit sich bringen, die den Wettbewerb für eine bestimmte Zeit auf Distanz halten. Ungünstig erweist sich dagegen insbesondere für kleinere Unternehmen, dass sie ständig die (sich dynamisch entwickelnden) Rapid-Fortschritte beobachten müssen und gegebenfalls einen geeigneten RM-Lösungsansatz auswählen, anpassen und einführen sollten.
Die Trends bei den Rapid-Technologien spiegelt alljährlich die Konferenz Euro-uRapid wider. Die Euro-uRapid2006 in Frankfurt/Main skizzierte im November in nahezu 40 Vorträgen den weltweiten Stand der Entwicklung und Anwendung von Rapid-Technologien in Branchen und Einsatzfeldern. Auf diese Beiträge stützt sich auch die vorliegende Trendbetrachtung. Im Mittelpunkt standen Trend- und Anwenderberichte zu Rapid Manufacturing bei international renommierten OEM, Zulieferern und Dienstleistern, vor allem aus den Bereichen Produktion, Werkzeug- und Formenbau, Engineering sowie Forschung und Entwicklung. Präsentiert und diskutiert wurden Rapid-Applikationen in den wichtigsten Industriebranchen von Automotive über Luft- und Raumfahrt bis Medizin und Umformtechnik. Auf der Euro-uRapid2006 wurden außerdem vor dem Hintergrund der Ausschreibungen zum 7. Forschungsrahmenprogramm der EU die Handlungsbedarfe und Zukunftsstrategien zu Rapid Manufacturing erörtert – unter Beteiligung von Prof. Heinrich Flegel, Chef des EU-Forschungsprogramms ManuFuture sowie weiterer EU-Repräsentanten.
Für viele Experten ist die Vision des Multimilliarden-Marktes Rapid Manufacturing ein Traum, der möglichst schnell Wirklichkeit werden sollte. Allerdings bescheidet sich die Rapid-Welt heute noch mit einem weltweiten Umsatz etwa um 1 Mrd. US-$, Anlagen und Dienstleistungen eingeschlossen. Eine schlagartige Expansion ist in absehbarer Zeit sicher nicht zu erwarten, auch wenn erhebliche Fortschritte bei RM sichtbar sind. Immer noch behindern schwerwiegende Defizite einen sprunghaften Durchbruch der High-Speed-Schichtprozesse in der Industrie. Im Eröffnungsvortrag zur Euro-uRapid2006 brachte der Chairman diese Defizite mit dem kritischen Hinweis auf ein „Dekadenproblem“ auf den Punkt: Oberflächengüte, Maßgenauigkeit und Bearbeitungsgeschwindigkeit (Aufbaurate) sind um den Faktor 10 verbesserungswürdig, die Kosten für die anspruchsvollen Rapid-Techniken um den Faktor 10 zu hoch. Diese „Wunschliste“ teilen nicht alle Experten. Andererseits sieht der eine oder andere durchaus noch weitere Rapid-Hürden. Das betrifft beispielsweise die zu verbessernde Reproduzierbarkeit von Prozessresultaten und die zielwirksame Steuerung des Prozesses, auch beim Einsatz effizienterer Postprocessing-Techniken.
Dennoch ist bei den Experten die Überzeugung weit verbreitet, dass direkte Rapid-Manufacturing-Prozesse aufgrund ihrer extremen Effizienzpotenziale das Haupt-Zukunftsziel bleiben werden. Dafür sprechen der größer werdende Hang zu Produktindividualisierungen und Mass-Customization-Konzepten, zu sinkenden Stückzahlen sowie der Bedarf nach höherer Flexibilität. Um diesen vielfältigen Bedarf zu stillen, gibt es aus heutiger Sicht keine wirkliche Alternative zu den einstufigen Rapid Manufacturing-Prozessen – vorausgesetzt, sie sind in der Lage, die geforderten geometrischen und stofflichen Eigenschaften exakt abzubilden. Von daher richten sich die Bemühungen der Branche darauf, sowohl die genannten Rapid-Hemmnisse schrittweise abzubauen als auch die bereits bestehenden Einsatzvorteile wirksamer zu nutzen.
Progressive Unternehmen, wie Zentrifugenhersteller Hettich, stützen sich dabei auf neuartige „Design for Rapid“-Konzepte. Zeit- und Kosteneinsparungen wollen sie dadurch erlangen, dass sie Produktgestaltung, -konstruktion und -herstellung vordergründig an positiven Alleinstellungsmerkmalen von Rapid-Technologien ausrichten – während die Anwender normalerweise den umgekehrten Weg gehen (erst konstruieren, dann Rapid-Technologien bestimmen). Die Synergien sind natürlich besonders hoch, wenn bei der Produkt-Kreation gezielt die Möglichkeiten der multifunktionellen Rapid-Manufacturing-Methoden berücksichtigt werden, wie es die Andreas Hettich GmbH & Co. KG, Tuttlingen, tut.
Hinter diesen Konzepten verbergen sich anspruchsvolle mehrdimensionale Lösungsansätze. Sie sind einerseits bestimmt durch das Zusammenführen von Einzelteilen und ihren Teilfunktionen in ein komplexstrukturiertes Integralteil, andererseits durch das Optimieren und Anpassen von Produkten für länderspezifische Normen und Gestaltungsvorgaben. Daraus ergeben sich vielfältige Synergien wie etwa Werkzeug- und Prozesseinsparungen und eine hohe Lieferflexibilität.
Potenzielle RM-Nutzer lassen sich beim Rapid Manufacturing von Zeit- und Kosteneinsparungen überzeugen, die in erster Linie durch Prozess- und Produktsubstitutionen entstehen. Gegenüber Rapid Prototyping bedeutet dies einen weiteren, großen Schritt nach vorne: Dort stand das Substituieren traditioneller Visualisierungs- und Simulationstechniken im Vordergrund, im Nutzen verstärkt durch Prozess-Reorganisation und Prozeßparallelisierung in frühen Stufen der Produktentwicklung. Die Rapid-Bemühungen der letzten Jahre zielen demgegenüber zunehmend darauf, ganze klassische Fertigungsprozesse (oder zumindest Teile davon) zu verdrängen. Die Vorteile äußern sich im Allgemeinen in extrem verschlankten Prozesshierarchien. Im Idealfall reicht eine einzige Prozessstufe vom CAD-Datensatz zum Fertigteil – dem eigentlichen Ziel von Rapid Manufacturing. Im Bereich Stückzahl 1 bis zu kleinen Serien gelingt dies recht häufig. Besonders interessant sind Rapid-Applikationen für Medizin-Anwendungen, weil jedes Produkt oder Implantat in der Regel ein Unikat darstellt und extrem komplexe Strukturen aufweisen kann.
Aber auch das indirekte Rapid Manufacturing kann bei stark komplizierten Funktionsbauteilen erhebliche Potenziale freisetzen. Hier wird die Bauteilform generativ erzeugt und mit einer Oberflächen- oder Eigenschaftsveredelung kombiniert. Auf der Euro-uRapid demonstrierte die Alphaform AG, Feldkirchen, verschiedene Branchenapplikationen für das von ihr entwickelte Metalcoating-Verfahren für Rapid-Bauteile aus Kunststoff (Artikel Seite 26). Insbesondere auch bei dünnwandigen Teilen kann das Verfahren die mechanischen Eigenschaften erheblich verbessern – und fördert damit die Substitution von Blech- und Druckgussteilen.
Bei günstigen Verhältnissen von Bauvolumen zu Prozessraumgröße werden Kunststoffteile sogar in Seriengrößen von einigen tausend Stück durch Rapid Manufacturing produziert. Voraussetzung ist in jedem Fall, dass funktionsfähige Teile mit serienkonformen Produkteigenschaften entstehen. Bei partiellen Parametern werden gewisse Einschränkungen zugelassen. Seriennahe Eigenschaften reichen nur dann aus, wenn eine Vorserie oberste Priorität besitzt, oder wenn es darum geht, schnell funktionelle Teile im Prototypenstadium zu erhalten.
Aktuelle Applikationen belegen, dass die Einschränkungen bei den verfügbaren Rapid-Materialien schrittweise abgebaut werden und sich in Zukunft weitergehende Nutzerbedarfe befriedigen lassen. Besonders interessant ist diese Entwicklung dann, wenn extreme Anwenderansprüche erfüllt werden können wie zum Beispiel im Motorsport oder in der Luftfahrt. So lassen sich mit der Einführung eines carbonverstärkten Kunststoffes in Lasersinterprozesse ohne weiteres auch hochbelastete Baugruppen für Formel-1-Boliden fertigen.
Die Euro-uRapid deckt sämtliche Aspekte von Rapid-Technologien ab. Weitere Themen im November waren zum Beispiel das Rapid Manufacturing für keramische Formteile und die Blechumformung, das Rapid Repairing sowie TQM-Methoden für RM.
Großes Interesse weckten auch neue Verfahren zur Mikro- und Makrostrukturierung von Werkzeugoberflächen. Die nächste Euro-uRapid2007 findet am 3. und 4. Dezember in Frankfurt/Main statt, unmittelbar vor der Euromold.
Dr. Rudolf Meyer Koordinator der Fraunhofer-Allianz Rapid Prototyping
Qualität wird weiter verbessert

Neue Technologien
Zum werkzeuglosen Fertigen existieren unterschiedliche Meinungen. Die einen beklagen die bestehenden Defizite. Die anderen handeln und nutzen die schon jetzt greifbaren Vorzüge: Zum Beispiel bauen sie Schlüsselkomponenten ihrer Produkte kundenindividuell durch Rapid Manufacturing und gewinnen damit an Flexibilität gegenüber den Kunden-Anforderungen – im Zweifelsfall ein entscheidender Vorteil.
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