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Zellulare Metalle auch in Werkzeugmaschinen

Chemnitzer bauen weltgrößtes Metallschaumteil für Fräsmaschine
Zellulare Metalle auch in Werkzeugmaschinen

Metallschäume tauchen nunmehr in der Serie auf: In Werkzeugmaschinen senken sie das Gewicht und erhöhen die Dämpfung. Weitere zelluläre Strukturen dienen als Schallabsorber, Flammensperren, Filter oder Wärmetauscher.

Dr. Jörg Hohlfeld ist Gruppenleiter Leichtbau und Metallschaum am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz. Dr. Thomas Hipke ist Abteilungsleiter Produktionssysteme am IWU und Leiter Metallschaumzentrum

Noch sind zellulare metallische Werkstoffe für viele ein Fremdwort, doch das wird sich ändern. Die F+E-Arbeit der letzten zehn Jahre hat zu hochwertigen Anwendungen geführt. Zu den zellularen Metallen gehören offen- und geschlossenporige Metallschäume ebenso wie metallische Hohlkugel- und Faserstrukturen oder im Verbundguss gefertigte Werkstoffe. Den Einsatz auf breiter Linie verhindern noch relativ hohe Fertigungskosten und mangelnde Akzeptanz. Doch diesen Barrieren stehen handfeste Vorteile gegenüber:
Zellulare Metallstrukturen verbinden eine geringe Dichte mit einem hohen Energieabsorptions- und Dämpfungsvermögen. Sie sind multifunktionelle Leichtbauwerkstoffe. Dass sich ihre Eigenschaften gezielt kombinieren lassen, prädestiniert sie für viele Anwendungen: Sie werden in Leichtbau- und Dämpfungskomponenten von Werkzeugmaschinen eingesetzt, in Crash-absorbierenden Elementen von Fahrzeugen sowie als Hitzeschutzschilde und Flammensperren. Offenzellige Schäume und Faserstrukturen eignen sich durch ihre für Medien durchlässige Struktur auch als Hochtemperaturfilter, Dieselrußfilter oder für Katalysatoren und Wärmetauscher.
Einer der Kompetenzträger für diese Materialgruppe ist der Verbund zellulare Werkstoffe Sachsen. Im VZWS haben sich Institute und Unternehmen mit dem Ziel zusammengeschlossen, die Entwicklung und den Marktzugang zellularer Metalle zu forcieren und Anwender zu beraten. Die im VZWS organisierten Partner produzieren die Materialien selbst und können sie dem Anwender zur Verfügung stellen.
Herstellen lassen sich die zellularen metallischen Werkstoffe in Form von Blöcken, Platten, Sandwiches sowie 3D-Teilen und können mit gängigen Verfahren wie Sägen und Wasserstrahl-Abrasivschneiden weiterbearbeitet werden. Zum Fügen eignen sich das Kleben, Schrauben und Schweißen (siehe auch Seite 32).
Nachfolgend stellen wir Anwendungsbeispiele vor, die jedoch nur einen Ausschnitt des Einsatzpotenzials widerspiegeln.
Geschlossenporige Metallschäume
Aluminiumschaum weist eine geringe Dichte, ein gutes Masse-Steifigkeits-Verhältnis und ein hervorragendes Energieabsorptionsverhalten auf. Besonders im Maschinenbau lassen sich damit sehr interessante Ansätze verfolgen: Bewegte Baugruppen können leichtgewichtig ausgelegt und Maschinenstrukturen bedämpft werden. Beides zusammen bedient die Forderungen nach kurzen Haupt- und Nebenzeiten bei steigender Produktqualität. Das Metallschaumzentrum des Fraunhofer-Instituts IWU in Chemnitz fertigt Halbzeuge und Fertigteile. Überwiegend handelt es sich dabei um Verbunde aus Stahl und Alu-Schaum, wie Sandwiches und ausgeschäumte Profile, die zu sehr großen Baugruppen verschweißt werden.
Der Erfolg dieser Arbeit manifestiert sich in Prototypen und Kleinserien (siehe auch Seite 31). Für eine Fräsmaschine im Großwerkzeug- und Formenbau etwa hat das IWU das weltweit größte Metallschaumteil gefertigt. Der 6 m lange Querträger wurde aus 1,20 m x 1,20 m großen Sandwichplatten durch Schweißen gefügt. Bedingt durch sein Eigengewicht, biegt er sich um nur 14 µm durch, während eine adäquate Konstruktion aus Stahlträgern auf eine Durchbiegung von 34 µm käme.
Hervorhebenswert ist auch die gemeinsam mit der Niles-Simmons Industrieanlagen GmbH, Chemnitz, realisierte Vision, eine erste Serien-Werkzeugmaschine mit Alu-Schaum am Markt zu etablieren. Konstruktive Maßnahmen und Sandwiches aus Alu-Schaum und Stahl ermöglichten es, gegenüber Vorgänger-Versionen deutlich Masse einzusparen und ein sehr gutes dynamisches Verhalten zu erzielen.
Metallische Hohlkugelstrukturen
Metallische Hohlkugeln entstehen durch das Beschichten vorwiegend organischer Trägerwerkstoffe mit Metallpulvern. Aus solchen „Grünkugeln“ zusammengesetzte Hohlkugelstrukturen werden durch Sintern zu Fertigbauteilen weiterverarbeitet. Aber auch das Löten oder Verkleben gesinterter Einzelkugeln ist möglich. Diese Strukturen zeigen ebenfalls ein großes Energiedissipationsvermögen.
Das Fraunhofer-Institut Ifam in Dresden hat gemeinsam mit der Glatt Systemtechnik GmbH, Dresden, und der Plansee AG, Reutte/Tirol, metallische Hohlkugelstrukturen entwickelt, die kurz vor der industriellen Umsetzung stehen. Neben den erwähnten multifunktionalen Leichtbau-Eigenschaften besitzen diese zellularen Werkstoffe ein sehr gutes Schallabsorptionvermögen. Im Frequenzbereich bis 1000 Hz schneiden sie wesentlich besser ab als die bisher eingesetzten Fasermaterialien. Bei Tests wurden Schallpegel nachgewiesen, die bis zu 15 dB unter denen von Faserstrukturen lagen. Die Arvin-Meritor GmbH in Gifhorn, ein namhafter Hersteller von Abgasanlagen, erprobt diese Schallabsorptionsstrukturen zurzeit im Feldtest.
Metallische Faserstrukturen
Metallfasern werden durch Schmelzextraktion gewonnen. Mit speziellen Aufbereitungs- und Deponiertechniken und anschließendem Sintern entstehen Platten, Ringe, Rohre und spezielle Formkörper daraus. Potenzielle Anwendungen sind beispielsweise Heißgas- und Dieselpartikelfilter, Katalysatorenträger und Explosionsschutzvorrichtungen.
Der Explosionsschutz von Elektromotoren in Ex-gefährdeten Umgebungen wurde bisher durch sehr enge Toleranzen für die Gehäusespalte und insbesondere den Wellenspalt erreicht. So kann explodierendes Gas nur erschwert aus dem Gehäuse entweichen. In der Prüfpraxis treten jedoch immer wieder Zünddurchschläge auf mit hohen Folgekosten. Die Hersteller müssen dann die Spaltmaße modifizieren und die Prüfprozedur erneut durchlaufen.
Abhilfe schafft ein neuartiges Flame-Stop-Element aus Metallfaserstrukturen. Es senkt das Risiko eines Zünddurchschlages unabhängig von den Fertigungstoleranzen des druckfesten Motors: Zwangsgeführt durch die veränderte Spaltkonstruktion durchströmt heißes Explosionsgas die Metallfaserstrukturen, kühlt dort ab und wird so weit entschärft, dass beim Austritt keine Gefahr besteht. Auf diese Weise lassen sich extrem enge Spalttoleranzen vermeiden und zeit- und kostenaufwendige Genehmigungen umgehen.
Offenporige Metallschäume
Offenporige Metallschäume entstehen durch modifiziertes Feingießen. Sie können als Platten und Zylinder in verschiedenen Legierungen und Porositäten gefertigt werden. Durch ihre offene Struktur eignen sie sich als Wärmetauscher, Katalysatorträger, Energieabsorber, Filter oder Mischer. Wärmebildkameras belegen, dass die Wärme in den Schäumen sehr gleichmäßig verteilt wird. Die Bauteile passen sich annähernd gradientenfrei an Temperaturveränderungen an. Dieses Verhalten ist bei Katalysatoren gefordert. Im gesamten Volumen müssen konstante Reaktionsbedingungen auf den Oberflächen herrschen. Zudem verkürzt die geringe Masse der Schäume die Aufheizphasen. Beides sorgt bei gut durchmischten Reaktanten für optimale Reaktionsbedingungen.
Verbundgusswerkstoff aus Leichtmetall und Mineralkeramik
Leichtmetalle können das Gewicht von Maschinenbaugruppen deutlich reduzieren – allerdings auf Kosten der Bauteilsteifigkeit. Die Folge ist eine höhere Schwingungsanfälligkeit. Eine Lösung bieten Verbundwerkstoffe aus Leichtmetallguss mit mineralkeramischen Insertkörpern geringer Dichte. Diese Insertkörper werden vor dem Vergießen geometrisch zu einer makroskopischen Form verbunden. Die Vielzahl von Grenzflächen und Hohlräumen reduziert den Geräuschpegel schwingungserregter Maschinengehäuse deutlich.
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