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Zwischen Kundenwunsch und Kostenzwang

Variantenfertiger suchen den goldenen Mittelweg
Zwischen Kundenwunsch und Kostenzwang

Der Kunde ist König – besonders bei den Variantenfertigern. Indem fast jeder Wunsch erfüllt wird, steigen die Variantenzahlen – und mit ihnen die Kosten. Nur ein gezieltes Management aller an der Herstellung beteiligten Prozesse hilft, die Vielfalt zu beherrschen und die Kosten in den Griff zu bekommen.

Sabine Klug ist Journalistin in Dortmund

Aus 40 bis 60 Varianten kann ein Werkzeug bestehen, das für den Maschinenbau gefertigt wird. Die Unterschiede liegen etwa im Werkstoff, in der Oberflächenbeschaffenheit und der Bauteilgeometrie.
Noch augenscheinlicher sind die Beispiele aus dem Bereich der Möbelindustrie. Zwar besteht ein kundenauftragsbezogen hergestellter Möbel-Unterschrank nur aus wenigen Standardteilen, um so zahlreicher aber sind die Variationsmöglichkeiten. Um auf die gehobenen Wünsche der Kunden einzugehen, werden unterschiedliche Front- und Seiten-Teile, Griffe, Füße sowie Farben angeboten. Da steigt die Produktkomplexität schnell: ein Schrank in vier Fronten mit zwei Anschlägen, zwei Griffen und drei Breiten ermöglicht 48 Varianten. Mit zusätzlichen drei Schubkastenkombinationen sind es schon 144 Varianten.
Auch bei Dorma Hüppe Raumtrennsysteme GmbH + Co. KG in Westerstede ist kein System wie das andere: Höhe, Breite, Material, Furniere, Spezialanforderungen wie Schallschutz oder Feuerhemmung setzen den Produktwünschen für Raumtrennsysteme keine Grenzen. „Unsere Produktvielfalt umfasst etwa eine Million an Varianten und Merkmalen“, weiß Stefan Humpert, IT- Leiter des mittelständischen Unternehmens.
Im Wettbewerb um den Kunden sind die Produzenten auf Kundenorientierung und Flexibilität programmiert. Immer schneller müssen die Hersteller von Produkten, Komponenten oder Maschinen auf Marktveränderungen reagieren und eine große Modellvielfalt aus einem möglichst kleinen Baukasten an Basiselementen herstellen. Dem Kunden wird die Wahl gelassen, sein Produkt immer individueller zusammenzustellen. Verlangt ist ein Höchstmaß an Variantenvielfalt bei einem gleichzeitigen Höchstmaß an Variantenvermeidung. Ein Spagat, der praktisch unmöglich ist. Damit die Kosten aber nicht explodieren, suchen die Variantenfertiger den goldenen Mittelweg.
„Unternehmen sehen sich mit einer steigenden Komplexität in Prozessen und Strukturen konfrontiert“, stellt Prof. Dr. Wolfgang Kersten fest, Lehrstuhlinhaber für Produktionswirtschaft an der Technischen Universität Hamburg-Harburg. „Diese verursacht direkte und indirekte Kostenwirkungen und beeinflusst damit langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens.“ Die Kosten der Varianten- und Komplexitätsvielfalt entstehen dabei in allen Bereichen: von der Entwicklung und der Einkaufsabteilung über die Produktion mit Arbeitsvorbereitung sowie Produktionsplanung und -steuerung bis hin zum Vertrieb.
Nach Professor Kersten sind neben der Erfüllung von Kundenwünschen, die „schleichende Variantengenerierung“ im Arbeitsprozess und das fehlende Bewusstsein der Mitarbeiter für den Anstieg der Vielfalt verantwortlich. Häufig genug werden beispielsweise vom Vertrieb zusätzliche Varianten gefordert, um einen Auftrag zu erhalten, ohne an die dadurch entstehenden Kosten zu denken. Aber: „Je größer die Menge gleichartiger Teile ist, die ich produziere, desto niedriger werden die Stückkosten. Insofern führt eine höhere Anzahl an Varianten automatisch dazu, dass die Stückkosten steigen und die Umrüstzeiten an den Maschinen zunehmen.“
Zeit ist Geld. Dieser griffige Slogan trifft in der Variantenfertigung den Nagel auf den Kopf. Weniger Zeit im Produktionsdurchlauf, ein insgesamt schnellerer Herstellungsprozess bedeuten geringere Produktionskosten. Dadurch werden mittelständische Unternehmen in die Lage versetzt, schneller und flexibler auf die Nachfrage am Markt zu reagieren.
Schon in der Produktkonzeptions-Phase sollen daher überflüssige Varianten und damit zuviel Komplexität vermieden werden. Professor Kersten: „Wenn eine Variante von vornherein vermieden werden kann, anstatt sie später wieder aus der Produktion nehmen zu müssen, erziele ich einen Einspareffekt von eins zu zehn.“ Um trotzdem auf möglichst viele Kundenwünsche individuell eingehen zu können und Produktqualität, Prozess- und Fertigungskosten sowie Termingenauigkeit im Griff zu behalten, bauen Unternehmen auf für Variantenfertiger entwickelte IT-Lösungen. Sie unterstützen das Variantenmanagement für einen durchgängigen Datenfluss von der Auftragsgewinnung und -bearbeitung bis hin zur Maschinenanbindung.
Mittelständler Dorma Hüppe, der in Deutschland mit 220 Mitarbeitern Raumsysteme fertigt, die ausschließlich kunden- auftragsbezogen und individuell nach Maß gefertigt werden und eine Million Varianten erzeugen, baut auf eine solche IT-gestützte Variantenlösung: „Unsere hohe Variantenvielfalt kann das SAP-System natürlich nicht abbilden“, betont IT-Leiter Stefan Humpert. „Deshalb setzen wir ein SAP-Template für Variantenfertiger ein, um über die Varianten und Merkmale unsere Produktion zu steuern.“ Dorma Hüppe nutzt dazu die Funktion Grobterminierung zur exakten Koordinierung und Terminplanung der einzelnen Arbeitsschritte.
Zudem sammelt das Modul Variantenfertiger-Listengenera- tor die definierten Daten aus den Vertriebsbelegen und den zugehörigen Fertigungsaufträgen. Es kann die Daten verändern, verdichten, sortieren und in unterschiedlichen Formaten ausgeben. So lassen sich etwa im Rahmen der Grobterminierung Auftragstermine, Durchlaufzeiten und Kapazitätsanforderungen automatisch ermitteln. Um zusätzliche Kosten zu senken, hat Dorma Hüppe den gesamten SAP-Betrieb und auch die Variantenfertigungs-Branchenlösung an das Rechenzentrum der BCT AG ausgelagert. Stefan Humpert: „Damit können wir uns auf unsere Kernaufgaben in der Produktion konzentrieren und die Lösung weitertreiben. In einem nächsten Schritt entwickeln wir mit BTC zusammen eine SAP-basierte Lösung, die es unseren Verkaufsberatern vor Ort erlaubt, direkt beim Kunden ein qualifiziertes Angebot online abzugeben.“
Diese Art der Variantenbeherrschung durch ein effektives Variantenmanagement ermöglicht Kostenvorteile. Informationstechnologie wird in diesem Rahmen ein wichtiges Werkzeug, die Variantenvielfalt zu managen. Wer hier alle Register zieht, kann nach einer eher konservativen Einschätzung von Prof. Kersten locker 5 bis 10 % an Produktionskosten einsparen.
(siehe „Nachgefragt“ Seite 20)
Wer Varianten beherrscht, reduziert Kosten
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