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Vollstopp für die Vollhydraulik?

Elektrische und hybride Antriebe liegen im Trend bei energiesparenden Spritzgießmaschinen
Vollstopp für die Vollhydraulik?

Die Krise hat bei den Spritzgießern ihre Spuren hinterlassen: Sie legen bei Investitionen in neue Maschinen jetzt vor allem Wert auf hohe Modularität sowie Energieeffizienz. Bei vielen Anbietern bedeutet dies das Ende der Vollhydraulik.

„Auch wenn die Krise so langsam überwunden scheint, sind ihre Auswirkungen noch deutlich spürbar“, sagt Tetsuya Okamura, Geschäftsführer der Sumitomo (SHI) Demag Plastics Machinery GmbH. Nicht nur für sein Unternehmen, sondern für die gesamte Branche waren 2009 wichtige Absatzmärkte eingebrochen. „Bis auf die Verpackungsindustrie und die Medizintechnik lief weltweit nicht viel“, blickt Okamura zurück.

Die Investitionsbereitschaft der Kunststoffverarbeiter ist seit Beginn des Jahres deutlich gestiegen, doch hat die Krise auch hier tiefe Spuren hinterlassen: „Die Kunden gehen noch verantwortungsvoller mit ihren Investitionsentscheidungen um“, sagt etwa Carl Schiffer, Geschäftsführer der Dr. Boy GmbH & Co. KG. „Kunden investieren ganz spezifisch auf die gestellten Anforderungen. Nice to have, sofern es mit Kosten verbunden ist, wird nicht mehr gekauft“, bestätigt Georg Tinschert, Geschäftsführer der Wittmann Battenfeld GmbH.
Und Gerold Schley, Managing Director bei Ferromatik Milacron Maschinenbau GmbH beobachtet: „Der Markt ist schneller und individueller geworden. Die Kunden stehen oft unter einem enormen Zeitdruck und benötigen Hilfestellung bei der Prozesseinrichtung und bei Spezialtechnologien.
Das heißt, die Anbieter von Spritzgussmaschinen sind gefordert, noch mehr als bisher auf die Anforderungen ihrer Kunden eingehen, indem sie ihnen ein möglichst effizientes Fertigen ermöglichen – und das zugleich möglichst wirtschaftlich. Es gilt, mit einem durchdacht aufgebauten modularen Maschinensystem die Anforderungen gut und spezifisch abzudecken. Den Kunden bringt dies vor allem Investitionsschutz und den Vorteil, dass sie die Maschinen je nach Bedarf für neue Aufgaben leicht umrüsten oder auch um- und ausbauen können. Das Konzept setzt sich in der Branche mehr und mehr durch.
So ersetzt Ferromatik Milacron ab 2011 Schritt für Schritt seine drei bestehenden Serien Elektra (vollelektrisch), K-Tec (hydraulisch) und Vitesse (hybrid) durch die neue modulare F-Serie, die auf der K-Messe erstmals vorgestellt wird. Nach kompletter Markteinführung wird sie in zehn Schließkräften von 500 bis 6500 kN erhältlich sein. Durch die Plattform-Philosophie ist es dem Kunststoffverarbeiter dann möglich, die einzelnen Module zu einem maßgeschneiderten Produkt zu kombinieren. Dabei kann je nach Schwerpunkt wie Leistung, Energieverbrauch, Bewegungscharakteristik und Positioniergenauigkeit beliebig zwischen elektrisch und hydraulisch angetrieben Einzelachsen gewählt werden. „So kann die wirtschaftlichste Maschine zusammengestellt werden. Aufgrund des variablen Konzeptes lassen sich Nachrüstungen und leistungstechnische Anpassungen bereits ausgelieferter Maschinen einfach realisieren. Dies bietet eine enorme Investitionssicherheit“, erklärt Managing Director Schley.
Auch Wittmann Battenfeld hat sein Produktprogramm modular aufgebaut. Ein Beispiel: Bei der servoelektrischen Ecopower kann die Maschine ausgehend vom Grundrahmen entweder mit Luft- oder Wasserkühlung bezogen werden, die Nebenbewegungen entweder servohydraulisch oder servomechanisch fahren, Spritzgeschwindigkeiten in Standard- oder in Highspeed-Ausführung haben, Peripherie in den Rahmen integriert werden oder nicht. Somit gibt es unterschiedlichste Ausführungslevels zu unterschiedlichen Preisen und damit eine sehr gute Anpassbarkeit. Ähnliches gilt für die anderen neuen Produkte.
Auch die Effizienzsteigerung im Fertigungsprozess schreiben sich die Anbieter auf die Fahnen. So rüstet Wittmann Battenfeld seine Serie Macropower neuerdings mit dem Verriegelungssystem Quicklock aus, das für einen schnellen und einfachen Werkzeugwechsel sorgt. Gleichzeitig ermöglicht das Verriegelungssystem besonders kurze Holme und damit einen praktisch holmfreien Zugang beim Werkzeugwechsel. Es besteht aus zwei Halbschalen, die in die Schließplatte integriert sind. Die Verriegelung erfolgt über einen Klappmechanismus, der den Vorteil bietet, dass nur die Hälfte der Halbschale betätigt wird, da die andere Seite fix über einen Drehpunkt gelagert ist. Damit werden die bewegten Massen auf die Hälfte reduziert. Dies garantiert eine schnellere Bewegung bei gleichzeitig geringerem Energiebedarf. Die Bewegungsabläufe sind synchronisiert.
Sumitomo Demag dreht zur Effizienzsteigerung an der Schraube Ölfilter: Bei allen Systec-Maschinen ist ein zusätzlicher Hydraulikkreislauf im Standard installiert. Dieser wird durch eine kleine energieeffiziente Flügelzellenpumpe im Niederdruckbereich betrieben und versorgt ausschließlich den Ölfilter und Kühler. Dieser zusätzliche Hydraulikkreis arbeitet unabhängig von den anderen Hauptdruckkreisen und ermöglicht so den Einsatz des Filter-Kühlsystems Activecool+Clean. Ein laminarer Ölfluß ohne Pulsation auch während der zyklusbedingten Pausezeiten ermöglicht laut Hersteller eine Ölstandszeit von 40 000 Stunden. Das Filter-Kühlsystem macht außerdem die aufwendige und kostenintensive Zwischenreinigung hinfällig. Auf ein externes Ölreinigungsaggregat kann somit verzichtet werden.
Wesentlich größere Effizienzgewinne verspricht allerdings die Automatisierung. „Durch Kostendruck und Rationalisierungsbedarf steigt die Nachfrage nach automatisierten Fertigungszellen, in die vor- und nachgeschaltete Prozesse bereits eingebunden sind“, bringt es Herbert Kraibühler auf den Punkt, Geschäftsführer Technik bei der Arburg GmbH & Co KG. Kollege Roboter hält somit zunehmend Einzug in die Spritzgussfertigung. „Die Nachfrage nach Automatisierungslösungen nimmt eine absolute Sonderstellung ein“, sagt auch Gerd Liebig, Marketing Direktor bei der Engel Austria GmbH. „So ist der Markt für Automatisierung nur kurzzeitig um etwa ein Viertel gesunken. Automatisierungslösungen stehen unverändert im Fokus der Investitionen der Spritzgießverarbeiter.“
So integriert Boy selbst bei seinem Kompaktmodell Boy XS ohne zusätzliche Aufstellfläche Peripheriegeräte zum Trocknen, Fördern und Einfärben. Weiterhin sorgt ein integriertes Handlinggerät sowohl für die Teileentnahme als auch für die Teilezuführung in das Werkzeug.
Ferromatik Milacron hat seine neue modulare Maschine F 160 mit 1600 kN Schließkraft und einer Spritzeinheit der Größe General Purpose (GP) 50 mit einem Schneckendurchmesser von 50 mm mit einem Roboter gekoppelt. Die Maschine produziert auf einem Zweifach-Werkzeug des italienischen Werkzeugmachers Incos Verpackungen aus Polypropylen in einer Zykluszeit von 6 s. Der Roboter FMR 8–5 Advanced entnimmt die Spritzteile und stapelt sie. Es handelt sich um einen Roboter des schwedischen Herstellers Wemo. Dabei wurde die Steuerung des Roboters in die der Maschine integriert.
In Kooperation mit dem Süddeutschen Kunststoffzentrum (SKZ) in Würzburg hat Wittmann Battenfeld auf seiner Maschine Ecopower 240/750 eine Roboter-Anwendung mit integrierter Inline-Thermographie für die Qualitätssicherung realisiert. Das Fertigteil, ein Baustein aus ABS, wird mit einem Roboter W821 vor eine Thermokamera gehalten. Der Roboter ist mit einer Drehachse ausgestattet, sodass ein so genannter thermischer Fingerabdruck (Thermobild) von fünf Seiten des Bauteils gemacht werden kann. Die ausgewerteten Thermographieaufnahmen werden zur Dokumentation für die Qualitätssicherung genutzt. Außerdem werden die Werte für die Regelung der Werkzeugtemperierung herangezogen. Nach Aufnahme der Thermobilder führt der Roboter die Bauteile einer Laserbeschriftungsstation zu.
Auch bei Sumitomo ist Kollege Roboter etabliert: Die neue Spritzgussmaschine Intelect Smart 450 produziert am Messestand in Düsseldorf in einem 16-fach-Werkzeug von Fischer einen Steckverbinder für eine Elektronik-Anwendung. Die Teileentnahme erfolgt mit dem dreiachsigen Roboter SDR 33. Er wurde gemeinsam mit Sepro entwickelt und ist als Demag-Robot freigegeben.
Doch die Automatisierung stellt die Hersteller nicht nur vor Fragen der technischen Integration. „Je komplexer die Anwendung wird, desto einfacher sollte sie zu bedienen sein. Ein wichtiger Faktor für effizientes Spritzgießen ist deshalb die Mensch-Maschine-Schnittstelle“, ist Arburg-Manager Kraibühler überzeugt. Der Hersteller hat deshalb seine Selogica-Steuerung um einen Einrichtassistenten erweitert, der den Bediener beim Rüstvorgang geführt unterstützt und das Teachen eines gesamten Maschinenablaufs ermöglicht – einschließlich eines Sechs-Achs-Roboters.
Das Ergebnis sind laut Arburg reduzierte Rüst- und Zykluszeiten sowie minimierte Schulungsaufwände. Ein Beispiel dafür ist das flexible und vollautomatische Umspritzen von Kabeln auf dem vertikalen Allrounder 375 V und einem Kuka-Sechs-Achs-Roboter. Hinzu kommt bei dieser Anwendung, dass das manuelle Vorbereiten und Einlegen der Kabel vollständig entfallen. Das Kabel wird als biegeschlaffes Teil in mehrere Kavitäten an jeweils frei wählbaren Positionen eingelegt. Die Länge der Kabelschlaufen lässt sich ohne Limits festlegen.
Auf eine unkomplizierte, schnelle und gleichwohl sichere Bedienung seiner Spritzgießautomaten legt auch Boy Wert. Daher ist die Procan Alpha Steuerung mit einem 15 Zoll großen Touch-Display ausgestattet, das sich laut Hersteller intuitiv bedienen lässt. Leicht verständliche Analogdarstellungen veranschaulichen fortlaufend die Prozessabläufe. Bildaufbau- und -wechselzeiten sind extrem kurz. Außerdem wird der Bediener durch einen so genannten „Iterativ Lernenden Regler“ (ILC) entlastet. Denn dieser sorgt dafür, dass schnell ein stabiler Zustand der Istwerte erreicht wird. Die Ist-Profile werden den Soll-Profilen weitgehend angenähert und Überschwingungen so minimiert.
Energieeffizienz ist ein weiteres Thema, das bei den Anwendern derzeit im Vordergrund steht. „Energieeffizienz ist der Mehrwert, auf dem wir uns derzeit für unseren Kunden fokussieren. Alle Kunststoffanwendungen sind betroffen: Verpackungsbranche, Automobilindustrie oder Medizintechnik. Jede Branche betrachtet diesen Aspekt als sehr wichtig. Energieeffizienz ist ein Ziel, das heutzutage weltweit in der Verarbeiterszene berücksichtigt wird, um zukünftig wettbewerbsfähiger zu werden“, sagt Korbinian Kiesl, CEO von Billion SAS.
Die Mehrzahl der Anbieter geht dabei den Weg, die vollhydraulischen Maschinen durch elektrische oder hybride zu ersetzen. Billion beispielsweise hat mit Select eine elektrische Baureihe im Programm. Und Netstal ergänzt seine Elion-Baureihe, in der es bereits vollelektrische Modelle gibt, nun um hybride Antriebe.
Ferromatik stattet seine Baureihe Vitesse, die im vergangenen Jahr eingeführt wurde, mit einer hybriden Spritzeinheit aus. So können laut Hersteller Energieeinsparungen von bis zu 30 % im Vergleich zu vollhydraulischen Spritzgießmaschinen erreicht werden. Auch Arburg baut seine Baureihen Hidrive und Alldrive mit hybriden beziehungsweise elektrischen Maschinen aus. Dabei reicht die Schließkraft des hybriden Allrounders 920 H jetzt bis 5000 kN.
Nach Darstellung von Arburg-Geschäftsführer Kraibühler zeigen Vergleichsberechnungen, dass die Zykluszeiten mit hybriden und elektrischen Maschinen um bis zu 20 % gesenkt werden können. Die höheren Anschaffungskosten gegenüber vollhydraulischen Maschinen können sich deshalb, abhängig von den Stückzahlen, meist schon nach ein bis zwei Jahren amortisieren. „Doch welche Lösung die wirtschaftlichste ist, hängt vom Einzelfall ab“, so sein Hinweis. „Dies zeigt, wie wichtig eine individuelle Beratung und eine kunden- beziehungsweise anwendungsspezifische Auslegung der Spritzgießmaschinen und der Fertigungszellen ist.“
Wittmann Battenfeld erhöht die Energieeffizienz seiner vollelektrischen Spritzgießmaschine Ecopower zusätzlich durch den Einsatz des aus der Formel 1 bekannten KERS-Systems. KERS steht für Kinetic Energy Recovery System und bezeichnet alle Systemkomponenten zur Nutzung der Bremsenergie in der Spritzgießmaschine. Diese lässt sich durch das Abbremsen der Schließeinheit und der Schnecke beim Einspritzen gewinnen. Beim Abbremsen arbeiten die Elektromotoren als Generatoren. Die dabei erzeugte Strommenge wird über einen Gleichstromzwischenkreis in Kondensatoren gepuffert oder an Verbraucher innerhalb der Spritzgießmaschine abgegeben – nicht jedoch, wie allgemein üblich, mit Verlusten in das Stromnetz rückgespeist oder gar in Bremswiderständen verheizt.
Aus dem Energiespeicher werden permanent die Maschinensteuerung und die Motorsteuerungen mit Steuerspannung versorgt, sowie die Restenergie zum Beheizen des ersten Heizbandes genutzt. Damit wird die gesamte Bremsenergie in Nutzenergie gewandelt, zusätzlich macht sich die Maschine „immun“ gegen kurzzeitige (bis rund 100 ms währende) Netzschwankungen und Kurzzeit-Netzausfälle und steigert so ihre Verfügbarkeit. Das angespeiste Heizband ist ein Standardheizband.
Boy singt das Hohelied auf hybride oder elektrische Antriebe indes nicht. „Wir sehen auch in Zukunft noch weiteres Verbesserungspotential für hydraulisch betriebene Spritzgießmaschinen“, stellt Geschäftsführer Schiffer klar. Als Highlight in der Energieeffizienz bezeichnet er seine Spritzgießautomaten mit servomotorischem Pumpenantrieb. „Hier können die Kunden sogar noch günstigere Werte als elektromechanisch angetriebene Maschinen erreichen – ohne deren Nachteile in Bezug auf Verschleiß der mechanischen Komponenten hinnehmen zu müssen.“ Dies ist im Wesentlichen dadurch zu erklären, dass alle Maschinenfunktionen über nur einen Antrieb und nur einen Umrichter gesteuert werden.
Die Ölkühlung wird bei dieser Technik nur zur Temperaturregelung benötigt. Die erforderliche Kühlenergie tendiert gegen Null. Darüber hinaus, so Schiffer, verursache der servomotorische Pumpenantrieb deutlich weniger Geräuschemissionen und verbessere Präzision und Dynamik.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen
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