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Die Zukunft auf dem Schirm

Predictive Maintenance
Die Zukunft auf dem Schirm

Fehler erkennen, bevor sie passieren – was wie ein Wunschtraum klingt, wollen Maschinenbauer und IT-Anbieter in die Tat umsetzen. Sie arbeiten an Lösungen, mit denen eine vorausschauende Wartung möglich werden soll.
Der Ausfall einer Maschine ist ärgerlich und kostet viel Geld. Darum werden regelmäßige Wartungen vorgenommen. In der Regel folgen diese zwei Ansätzen: Zum einen werden sie in einem festgelegten Intervall durchgeführt, das sich an einem bestimmten Parameter orientiert – zum Beispiel der Anzahl der Betriebsstunden. Zum anderen sind sie erforderlich, wenn der Ernstfall eintritt – wenn die Maschine also aufgrund eines Defekts still steht. Das heißt: Eine Wartung erfolgt entweder zu früh oder zu spät.
Maschinenbauer arbeiten daher daran, dieses Vorgehen zu optimieren. Industrie 4.0 – also die Vernetzung und zunehmende Intelligenz der Anlagen – schafft die dafür notwendigen Voraussetzungen. Sensoren an den Maschinen liefern kontinuierlich Daten, die von den Herstellern per Fernzugriff gesammelt und ausgewertet werden können. Druckmaschinenhersteller KBA zum Beispiel erfasst täglich zwischen 10 000 und 20 000 Sensormeldungen.
Daten werden mit Erfahrung kombiniert
„Wir sehen zwei Faktoren, die im direkten Zusammenhang mit der Idee von Industrie 4.0 eine wesentliche Rolle spielen: Produktionssicherheit und Effizienz“, sagt Karsten Decker, Energiemanager und Systemberater bei der Kompressoren- und Drucklufttechnik-Sparte von Atlas Copco. Sicherheit bedeute, dass die Druckluft, der Stickstoff oder auch das Vakuum zu jeder Zeit in der gewünschten Menge, mit dem benötigten Druck und in der erforderlichen Qualität zur Verfügung stehen. Effizienz stehe dafür, dass für die Erzeugung dieser Medien so wenig Energie wie möglich verbraucht werden solle.
„Um beides sicherzustellen, müssen Maschinen und Geräte kontinuierlich überwacht und sinnvollerweise mit dem Know-how und den Erfahrungen des Herstellers vernetzt werden“, so Decker. Der Maschinenbauer übernimmt also die Überwachung seiner Produkte, die beim Anwender im Einsatz sind.
Atlas Copco beispielsweise hat dafür seine Software Smartlink entwickelt. Das Programm vernetzt alle Kompressoren, Vakuumpumpen oder Gaseerzeuger, überwacht diese in Echtzeit und wertet die anfallenden Daten aus. Eine so genannte Smart-Box sammelt und überträgt die Zustandsdaten. Sie ist serienmäßig in den neuen Kompressoren integriert.
Smartlink bietet unter anderem die Funktion, dem Betreiber im Notfall eine Warnmeldung per E-Mail oder SMS auf sein – gegebenenfalls mobiles – Endgerät zu schicken. „Dieser kann zeitnah die notwendigen Handlungen einleiten, um einen Ausfall zu verhindern“, erklärt Decker. Auf der zur Software gehörenden Website erscheinen die aktuelle Warnung sowie der Status der betroffenen Kompressoren. Außerdem ist die Historie früherer Zwischenfälle einsehbar.
Rockwell Automation bietet Fernwartungs- und Fernüberwachungsdienste, um über mehrere Produktionsbereiche hinweg Echtzeitdaten zu sammeln, zu organisieren und aufzubereiten. „Mithilfe von leistungsstarken Visualisierungs- und Analysewerkzeugen lassen sich so nutzbare Einblicke in die verschiedensten Produktionsbereiche gewinnen“, sagt Lars Petri, Business-Manager bei Rockwell Automation.
Dank Fernzugriff können Maschinenhersteller die Problemfälle auch direkt lösen. „Wir können 75 % aller Fehler über diesen Zugriff beheben und müssen gar keinen Techniker zum Kunden schicken“, berichtet Thomas Göcke, Leiter für Marketing und Kundenmanagement für den Bereich Offset-Druck bei KBA (siehe auch Interview Seite 20).
Großes Kino
Doch den Maschinenbauern schwebt noch mehr vor. Sie wollen eine vorausschauende Wartung – Fehler sollen erkannt werden, bevor sie überhaupt entstehen. Industrie 4.0 soll den Blick in die Glaskugel ermöglichen.
„Das ist großes Kino“, sagt Göcke. Er weiß, dass dazu komplexe Berechnungen notwendig sind. Man begebe sich damit unter anderem in Richtung Mustererkennung. Doch davon lässt sich KBA nicht abschrecken: Predictive Maintenance steht beim Druckmaschinenspezialisten auf der To-Do-Liste.
Auch Atlas Copco will seine Maschinen künftig vorausschauend warten. Der Anbieter schnürt bereits „Industrie-4.0-Pakete“, mit denen die Kompressoren noch differenzierter überwacht werden sollen. Mittels verschiedener Sensoren lassen sich beispielsweise Temperatur, Feuchtigkeit oder Schwingungen kontinuierlich messen und über Smartlink auslesen sowie bewerten. Auf diese Weise können laut Hersteller eventuelle Probleme frühzeitig aufgespürt und Motoren sowie Maschinen noch besser geschützt werden.
„Ich kann zum Beispiel einen Pt-1000-Temperaturfühler und eine Antikondensationsheizung optional in den Motor einbauen, um diesen zusätzlich zu schützen“, führt Decker eine der Möglichkeiten auf. „Außerdem bieten wir unseren Kunden eine Schwingungsüberwachung an oder einen Sensor für die Feuchtemessung, der anzeigt, ob der Trockner richtig arbeitet.“
SKF nutzt ebenfalls die Möglichkeiten der vernetzten Fabrik. Die in die produzierten Wälzlager integrierten Sensoren liefern eine Vielzahl von Informationen zu relevanten Parametern wie etwa Drehzahlen, Temperaturen, Schmierbedingungen, Schwingungen oder auch die Akustik. Diese werden heute schon ausgewertet. Doch noch müssen viele Bewertungen und Handlungsanweisungen, die sich aus den Analysen ergeben, in den so genannten Remote Diagnostic Centern von SKF weitgehend manuell erstellt werden. Gegenwärtig sind das noch etwa 80 % der Daten, die einzeln betrachtet und bewertet werden. Das ist teuer, kostet Zeit und hindert manch hochqualifizierten SKF-Spezialisten daran, in seiner wertvollen Arbeitszeit technisch wirklich anspruchsvolle Analysen durchführen zu können.
Gemeinsam mit IT-Anbieter IBM arbeitet SKF daher daran, die Analyse-Software zu trainieren, um die Auswertung stärker zu automatisieren. Künftig sollen nur noch 20 % der Daten manuell bewertet werden müssen. Zudem sollen die Analysen schneller – auch in Echtzeit – erfolgen und zusätzliche Informationen wie etwa Wetterprognosen sowie weitere Kunden- und Produktdaten in die Analysen miteinfließen. Der Nutzer erhält dann zu jeder Phase des Lebenszyklus‘ nicht nur Auskunft über den aktuellen Zustand des Wälzlagers, sondern wird auch darüber informiert, welche Aktionen zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig werden, um die Lebensdauer eines individuellen Lagers zu verlängern.
Ziel ist es, nicht wie sonst üblich über die Korrelation von Daten einfach nur den Verschleiß zu dokumentieren. „Der Anwender soll auch selbst aktiv Einfluss darauf nehmen können, dass ein Wälzlager länger lebt“, erklärt Christian Gill, Director Digital Business Solutions bei SKF. Das Wälzlager meldet zum Beispiel, dass ihm Fett fehlt. Und der Betreiber sorgt dann für die notwendige Schmierung. „Oder SKF übernimmt das für ihn und pumpt per Fernzugriff das Fett in das Wälzlager“, so Gill.
Längere Lebensdauer lohnt sich
Bei den Produkten von SKF zeigt sich besonders der Nutzen von Predictive Maintenance. Denn die Lager kommen unter anderem in Windkraftanlagen zum Einsatz. Und ein Hauptlager in einer Windturbine kostet laut Gill zwischen 50 000 und 70 000 Euro. Wenn sich dessen Lebensdauer verlängern lässt, ergeben sich deutliche Kostenvorteile.
Zudem ist die Wartung naturgemäß besonders aufwändig. Wenn ein Unternehmen etwa die Fahrten eines Service-Technikers zu einer Offshore-Anlage reduzieren kann, lassen sich ebenfalls große Einsparungen erreichen.
Das Beispiel SKF verdeutlicht aber auch, wie komplex eine vorausschauende Wartung ist. Der Hersteller sammelt mittlerweile die Informationen von mehr als 700 000 Maschinenkomponenten. An einem Beispiel lassen sich die Datenvolumina hochrechnen, mit denen es SKF zu tun hat: Qualitätssysteme messen die Profile von Ringen, die Bestandteil eines Wälzlagers sind. Jede Messung eines solchen einzelnen Rings generiert laut Gill ein Megabyte an Daten. „Und wir produzieren mehrere Millionen davon pro Tag“, so Gill.
Bedingt durch die ständige Weiterentwicklung der Sensoren, sowie den Einsatz neuer – auch mobiler – Technologien wächst der Datenberg bei SKF stetig an. Zudem kommen die Daten aus verschiedenen Quellen und liegen in unterschiedlicher Form vor. Dazu gehören Informationen zum aktuellen Zustand der Produkte, zur Produkt- und Wartungshistorie, zu ihren Standorten und vieles mehr.
Für Predictive Maintenance müssen aber diese unterschiedlichen Daten zusammengeführt werden. Die verschiedenen Kennwerte werden mithilfe spezieller Algorithmen miteinander korreliert und auch Erfahrungswerte in Form historischer Daten in die Analyse miteinbezogen. Als Ergebnis lässt sich dann eine Vorhersage treffen beziehungsweise ein Trend erkennen – zum Beispiel, dass eine spezielle Maschinenkomponenten innerhalb einer bestimmten Anzahl von Betriebsstunden ausfallen wird.
Mittlerweile gibt es IT-Systeme auf dem Markt, die mit diesen großen Datenmengen und der kombinierten Analyse von strukturierten sowie unstrukturierten Informationen fertig werden. Unter anderem hat dazu die Entwicklung der Datenbank-Technik In-Memory beigetragen. Daten werden dabei nicht auf der Festplatte, sondern im Hauptspeicher abgelegt. Auf diese Weise lassen sich die Informationen wesentlich schneller verarbeiten.
In-Memory-Technik kommt zum Beispiel in SAPs Datenbank Hana zum Einsatz. Der Druckluftsysteme-Anbieter Kaeser etwa nutzt die Lösung aus Walldorf, um Maschinendaten, die von Kunden aus aller Welt kommen, in Echtzeit auszuwerten. Über eine Breitbandverbindung werden die Betriebsdaten der Druckluftstationen an das Rechenzentrum von Kaeser in Coburg übertragen, sodass die Spezialisten des Herstellers das Equipment aus der Ferne permanent überwachen und bei Bedarf vorausschauend eingreifen können. Kaeser arbeitet auch mit Simulationen, um dadurch verschiedene Szenarien durchspielen zu können.
Auf Basis von Hana hat SAP eine spezielle Predictive-Maintenance-Lösung entwickelt. Die löst im Ernstfall einen Alarm auf dem Rechner des Nutzers aus, so dass dieser entsprechend reagieren kann. Eine Art Landkarte bietet ihm einen Überblick über alle überwachten Maschinen. Diese zeigt die Maschinen mit ihren Betriebswerten und die Orte, an denen sie sich befinden.
Neben SAP haben viele weitere IT-Anbieter erkannt, dass die Fernwartung ein großes Einsatzfeld für ihre Technologien bietet. Cisco etwa kooperiert dafür mit dem Cloud-Spezialisten Salesforce, HP stellt unter anderem seine Analytics-Software zur Verfügung und auch jüngere Unternehmen wie Blue Yonder mischen mit.
IBM hat eine Lösung unter dem Namen Predictive Maintenance and Quality im Portfolio. Mit dieser lassen sich verschiedene Datentypen einschließlich Kenndaten aus unterschiedlichen Quellen bezüglich Nutzung, Verschleiß und Zustand untersuchen. Laut IBM können so Fehlermuster und qualitativ minderwertige Komponenten früher als mit herkömmlichen Methoden der Qualitätskontrolle erkannt werden. Zu den Funktionen der Lösung zählen unter anderem Dashboards und Frühwarnalgorithmen für alle Datentypen und -umfänge. Weitere Eigenschaften sind laut Hersteller die Echtzeitfunktionalität sowie eine offene Architektur.
Außerdem lässt sich die Lösung mit anderen Geschäftsprozessen verknüpfen. Die Anwender erhalten zum Beispiel Empfehlungen für die Ausführung von Arbeitsaufträgen in bestehenden Enterprise-Asset-Management- Systemen.
Damit bietet die IBM-Lösung eine Funktion, die auch andere Predictive-Maintenance-Systeme auszeichnet. Der Nutzer erhält nicht nur ein Analyseergebnis. Er kann auch direkt Maßnahmen ergreifen, um das Problem zu lösen.
Bei einem Maschinenbauer, der auf diese Weise seine Produkte bei den Kunden überwacht, kann dann zum Beispiel die Predictive-Maintenance-Lösung automatisch Aktionen im ERP-System auslösen. Dort befinden sich schließlich die Daten der betroffenen Maschine.
Cloud bringt Vorteile
Die IT ist aber nicht nur leistungsfähiger als früher. Sie steht dank Cloud Computing auch einer größeren Gruppe an potenziellen Anwendern zur Verfügung. Unternehmen müssen etwa SAPs Hana nicht im eigenen Haus installieren. Wie auch andere Anbieter stellen die Walldorfer Softwerker ihre Systeme als Cloud-Service zur Verfügung. So können theoretisch auch kleinere Unternehmen in den Genuss leistungsfähiger Informationstechnik kommen.
Die IT aus der Wolke bietet aber noch weitere Vorteile. Bei SKF hilft sie dabei, die Struktur aus vielen verschiedenen Datensilos aufzubrechen. Die neue Infrastruktur, die SKF gemeinsam mit IBM entwickelt hat, führt sämtliche Informationen in Cloud-Servern zusammen und integriert sie an einer Stelle.
In einem weiteren Schritt wird eine ebenfalls Cloud-basierte Analyse-Software eingesetzt, um diese Daten auszuwerten. Die Auswertungen der Informationen dienen dann wiederum als Grundlage für die Diagnose und die vorausschauende Wartung etwa der Wälzlager. Damit stehen laut IBM jedem Beteiligten nicht nur die exakt gleichen Informationen zur Verfügung, sondern es wächst auch das Verständnis über das Profil eines klassischen Wälzlager-Lebenszyklus.
Die Zugriffsmöglichkeit von überall und zu jeder Zeit gehört für Gill zu den Hauptvorteilen, welche die Cloud beim Thema Wartung bieten. Außerdem müsse eine IT-Lösung für Predictive Maintenance aufgrund der wachsenden Datenmengen hochgradig skalierbar sein. „Und sie muss sich so einfach wie möglich bedienen lassen“, meint Gill. Jeder müsse in der Lage sein, einen Nutzen aus dem System zu ziehen. All diese Möglichkeiten biete IT aus der Wolke.
Auch künstliche Intelligenz könnte die Fähigkeit voranbringen, vorausschauend zu warten. Gill kann sich zum Beispiel vorstellen, dass auch das Computersystem Watson eine Rolle spielen wird in der Lösung, an der SKF gemeinsam mit IBM arbeitet. Mit Watson hat IBM ein System aus verschiedenen Technologien entwickelt, das unter anderem lernfähig ist, große Datenmengen in kurzer Zeit verarbeitet und Wahrscheinlichkeiten abschätzen kann.
Doch trotz der leistungsfähigen Technik bleibt vorausschauende Wartung eine komplexe Angelegenheit. Wie andere Unternehmen steht auch SKF gerade am Anfang. „Wir betreten Neuland“, so Gill, „und gehen den Weg langsam Schritt für Schritt.“
Markus Strehlitz, Journalist in Mannheim

Prognosen dank künstlicher Intelligenz
Das Institut für industrielle Informationstechnik (inIT) der Hochschule OWL arbeitet zusammen mit internationalen Partnern in einem EU-Projekt an einer virtuellen Fabrik, bei dem es auch um Predictive Maintenance geht. Dabei sollen drei Typen von selbstlernenden Maschinen-Modellen entstehen: Verhaltens-, Kausalitäts- und Prognosemodelle. Das Verhaltensmodell erkennt Anomalien, das Kausalitätsmodell modelliert Abhängigkeiten, die den Grund einer Anomalie erkennen, und das Prognosemodell simuliert eine vorausschauende Wartung und Optimierung der Anlage.
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