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Herz des Formenbaus schlägt künftig im Takt

Komplexitätsmanagement: Chance im globalen Wettbewerb
Herz des Formenbaus schlägt künftig im Takt

Die Dynamik des Marktes, kurzfristige Änderungen und immer kompliziertere Bauteile erschweren den Alltag von Werkzeugbauern. Wie gut und effizient sie die Komplexität der Prozesse beherrschen, entscheidet über ihren Erfolg.

„Komplexität ist die Chance des deutschen und des europäischen Werkzeug- und Formenbaus“, sagt Prof. Günther Schuh. Dabei gehe es nicht nur um komplizierte Werkzeuge und Komponenten, sondern auch um die Planung und Koordination der Prozesse. Der Wissenschaftler gehört den Direktorien des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen und des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen an. Gerade auch im Werkzeugbau sind die Abläufe geprägt von dynamischen und unvorhersehbaren Entwicklungen. Diese Prozesse sicher und effizient zu beherrschen ist nicht einfach und erfordert ebenso viel Erfahrung wie hohe Kompetenz. Diese Aspekte – Erfahrung mit komplexen Systemen und Abläufen sowie die hohe Qualifikation und das Know-how der Mitarbeiter – sind die Basis, auf der sich deutsche Special Tooler vom Druck internationaler Konkurrenz frei schwimmen können.

Schuh sieht vier Handlungsfelder, die dem Werkzeug- und Formenbau Ansatzpunkte liefern, die Komplexität zu managen:
  • die Strukturierung der Werkzeuge,
  • das Wissensmanagement,
  • die Synchronisierung der Prozesse und
  • clevere Varianten von Werkzeugen.
Der Institutsleiter fordert beispielsweise die Definition firmeneigener Konstruktionsstandards. Sie schränken zwar einige Freiheitsgrade ein, weil sich die Konstrukteure nicht immer wieder mit den gleichen Details beschäftigen müssen, schaffen sie aber auch Raum für die Suche nach der idealen Gesamtlösung. Der Forscher gibt zu bedenken: „Aufgrund fehlender Konstruktionsstandards und der Handschrift einzelner Konstrukteure wird viel zu oft die optimale Gesamtlösung nicht erreicht.“ Das Ziel bei der Konstruktion darf also nicht lauten, immer wieder aufs Neue möglichst kreative Werkzeuge, Formen oder Gesenke zu entwerfen. Vielmehr gilt es, Standardkomponenten auf clevere Weise zu einem innovativen Ganzen zusammenzufügen. Konsequent umgesetzt, führen intelligent strukturierte Werkzeuge unter anderem zu einer höheren Produktivität in der Konstruktion, und sie bieten die Möglichkeit, den Formenbau zu standardisieren. Das wiederum hilft beim Synchronisieren der Prozesse und steigert die Effizienz des Services.
Besonders in Technologie orientierten Regionen, in denen Werkzeuge wegen ihres Innovationsgrades gekauft werden, gehören das Wissen und die Kompetenz der Mitarbeiter zu den kostbarsten Gütern eines Unternehmens. Dieses Wissen zu kanalisieren und leicht zugänglich zu machen, ist die Aufgabe einer Disziplin, die immer wichtiger wird – dem Wissensmanagement. Laut Schuh sind hier insbesondere im Werkzeug- und Formenbau zwei Trends von Bedeutung: Zum einen muss Raum für neue Denkweisen geschaffen werden, andererseits muss sichergestellt sein, dass das bestehende Wissen leicht abzurufen ist und weitergegeben werden kann. „Um weiterhin innovativ zu sein – und hier meine ich nicht inkrementelle, sondern fundamentale, bahnbrechende Innovationen – brauchen wir Platz für neue Ideen“, sagt Schuh. Neuen Platz finde man jedoch nicht in alten Grenzen, und deshalb seien neue Formen der Kooperation gefragt. „Heute geht es nicht mehr darum, Probleme selbst zu lösen, sondern sie anderen zugänglich zu machen und so innovative Lösungsvorschläge zu generieren.“ Innerbetrieblich sollte dieses Vorgehen längst gebräuchliche Praxis sein, aber auch hier liegen vielfach noch große Potenziale brach. Für viele neu und daher ungewohnt ist dagegen die Idee, auch überbetrieblich so vorzugehen. Während sich bisherige Kooperationen im Werkzeug- und Formenbau im Wesentlichen auf den gemeinsamen Einkauf oder das Nutzen externer Kapazitäten als verlängerte Werkbank beschränken, geht es künftig um offene Kooperationen, insbesondere auch in der Werkzeugkonstruktion. Dr. Wolfgang Boos erläutert wie das aussehen könnte: „In den USA gibt es beispielsweise Automobilzulieferer, die für eine Problemlösung einen Preis ausschreiben. Auf diese Weise generieren sie Ideen und Anregungen aus Bereichen, die sie sonst nie erreicht hätten. Der Preis ist so attraktiv, dass sich eine Teilnahme durchaus lohnt. Die Lösung des Problems ist für das Unternehmen jedoch viel mehr wert.“ Boos leitet die Abteilung Unternehmensentwicklung am WZL-Lehrstuhl für Produktionssystematik und ist Geschäftsführender Oberingenieur des Aachener Werkzeug- und Formenbaus. Er gibt zu, dass dieser Ansatz hierzulande noch nicht auf viel Gegenliebe stößt. „Aber das ist die Zukunft, und es gibt einige, die das ausprobieren wollen.“
Eine Möglichkeit, bestehendes Wissen anderen zugänglich zu machen, sind so genannte Wikis. Der Name dieser Web-basierten Informationssysteme ist an die Internet-Enzyklopädie Wikipedia angelehnt. Wikis erlauben jedem Mitarbeiter – abhängig von seinen Rechten – Seiten aufzurufen und auch zu editieren. Auf diese Weise lässt sich gemeinsames Wissen schnellst möglich verbreiten und kontinuierlich weiterentwickeln. Zudem sichern die Rückmeldungen anderer Spezialisten in einer Art Autor-Kritiker-Zyklus die Qualität. Regelmäßiges Sichern der Daten und der Historie des Artikels sollen die Rückverfolgbarkeit gewährleisten und so vor Schäden infolge absichtlicher Falschaussagen schützen. Einer konservativen Einstellung, die Wissen möglichst lange unter Verschluss halten will, erteilt Prof. Schuh eine Absage: „Wissen ist heute eine schnell verderbliche Ware, die wir nutzen müssen, solange sie noch frisch ist.“
Große Spar- und Effizienzpotenziale bergen die Prozesse im Werkzeugbau. Unnötige Iterationsschleifen, mangelnder Informationsaustausch, Wartezeiten oder zu frühe Fertigstellung sind Beispiele für Verschwendung. Um das zu verhindern, gilt es
  • Abläufe zu synchronisieren,
  • gleichartige Tätigkeiten zusammenzufassen,
  • einzelne Teilprozesse aufeinander abzustimmen,
  • Arbeitsinhalte sowie deren Dauer zu definieren,
  • dokumentierte Arbeitsanweisungen zu erstellen sowie
  • Schnittstellen und Übergabekriterien zu definieren.
Der Nutzen: stabile und effiziente Prozesse, hohe Produktivität, gute Planbarkeit, Lern- und Wiederholeffekte, kurze Durchlaufzeiten und definierte Fertigstellungstermine. „Eine Synchronisierung ist zwar umso einfacher, je gleichartiger die Produkte sind“, sagt Wolfgang Boos, „aber auch bei einem heterogenen Produktportfolio ist sie möglich.“ Die Definition der Schnittstellen, der Übergabekriterien und der Takte erfordert dann allerdings mehr Gehirnschmalz. Boos betont: „Wichtig ist, dass alle Beteiligten mitziehen, sonst geht´s schief. Jedem müssen die Konsequenzen aus nicht eingehaltenen Terminen klar sein.“ Auch der tägliche Ablauf und das Aufgabenspektrum werde sich für manchen ändern. Viele Tätigkeiten werden aus der Werkstatt in die Arbeitsvorbereitung verlagert.
Als viertes Handlungsfeld nennt WZL-Direktor Schuh den Bereich der Werkzeugvarianten. Ein modularer Aufbau der Formen und Gesenke soll die Voraussetzung für ein effizientes Wechselkonzept schaffen. Durch den Tausch einzelner Komponenten lässt sich das Tool für unterschiedliche Teile nutzen. Einen Schritt weiter geht das Tool-in-Tool-Konzept von Karmann. Um verschiedene Bauteilvarianten auf demselben Werkzeug herstellen zu können, müssen lediglich einzelne Schieber und Stempel zugesteuert werden. Dem Kunden bietet das System einen echten Mehrwert. Er spart nicht nur mehrere Werkzeuge, auch die Umrüstzeiten fallen viel kürzer aus. Schuh regt in diesem Zusammenhang an, nicht nur das Unternehmen, sondern auch die Werkzeuge flexibel zu gestalten.
Ein ausgewogenes System zu schaffen, mit dessen Hilfe die steigende Komplexität zu beherrschen ist, sieht der Hochschullehrer als neue Herausforderung des Werkzeugbaus. Komplexitätsmanagement müsse daher eine Kernkompetenz der Betriebe sein. Den Vergleich mit einem Sinfonieorchester sieht der Wissenschaftler hier als durchaus angebracht: „Beide Künste erfordern Taktgefühl, Talent, Teamarbeit und Training.“
Probleme nicht selbst lösen, sondern andere lösen lassen
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