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Mutter Erde heizt ein

Geothermie: bis zu dreistellige Zuwachsraten
Mutter Erde heizt ein

Island ist ein heißes Pflaster – wärmetechnisch gesprochen. Doch auch die vergleichsweise kühlen Deutschen besinnen sich immer stärker auf die Hitze unter ihren Füßen. Energie ohne Ende, umweltfreundlich dazu – doch noch ist Geothermie ein eher kleiner Wachstumsmarkt.

Beheizte Gehwege, beleuchtete Überlandstraßen: Island kann sich derlei Luxus leisten. Geothermie macht’s möglich. Die Insel der Vulkane und Geysire gewinnt über 50 % der benötigten Primärenergie aus Erdwärme, die sich dort ebenso einfach wie preiswert nutzen lässt. Der unterirdische Wärmespeicher lässt sich aber selbst dort anzapfen, wo wie in Deutschland keine vulkanischen Anomalien vorhanden sind.

Allerdings verursachen solche Ansätze einen ungleich höheren Aufwand, und der hat seinen Preis. Das bekommt der deutsche Bauherr zu spüren. In der Broschüre „Erdwärmesonden – Tipps für Häuslebauer“ rechnet die Geothermische Vereinigung – Bundesverband Geothermie e.V. in Geeste ein Beispiel für ein Einfamilienhaus im Raum Paderborn vor. Obwohl dort die Investitionskosten für eine geothermische Heizung aufgrund der geologischen Bedingungen relativ niedrig sind, liegen sie mit 18 000 Euro dennoch erheblich über denen für eine Ölheizung (12 500 Euro) oder eine Gasheizung (8800 Euro). Dafür sind die Betriebskosten wesentlich niedriger, sodass sich die Anlage den Angaben zufolge nach fünf beziehungsweise neun Jahren rechnet.
„Wenn die Preise für Öl und Gas in dieser Zeit nicht weiter steigen sollten“, fügt der Fachverband hinzu. Kein Wunder, dass Erdwärme auch in der Industrie immer beliebter wird. „Für größere Unternehmen gibt es eigentlich schon seit Jahren nichts Besseres zum Heizen und Kühlen“, sagt Werner Bußmann, der Geschäftsführer der Geothermischen Vereinigung. In Deutschland würden bereits hunderte von gewerblichen und industriellen Neubauten mit Erdwärme versorgt.
Die Branche spricht von einem regelrechten Boom. Wurden 1998 bundesweit rund 3700 oberflächennahe Erdwärmesysteme verkauft, so wird für 2008 mit bis zu 40 000 neuen Anlagen gerechnet. Den größten Sprung nach vorne brachte das Jahr 2006 mit einem Zuwachs von 115 %, 2007 stagnierte der Absatz. Im kommenden Jahr soll der Umsatz 1 Mrd. Euro erreichen.
„Ende 2008 dürften über 150 000 Haushalte eine eigene oberflächennahe Erdwärmeanlage besitzen“, prognostiziert Bußmann. Zudem seien dann zwischen 10 000 und 15 000 Wohneinheiten an geothermisch gespeiste Nah- oder Fernwärmenetze angeschlossen.
Gut ist denn auch die Auftragslage in dem noch relativ kleinen, aber stark wachsenden Wirtschaftszweig. Qualifiziertes Personal ist gefragt. Offiziell ist von derzeit etwa 10 000 Beschäftigten die Rede, es könnten auch 100 000 sein, denn die Branche lässt sich nicht genau abgrenzen. Geothermieanlagen setzen sich aus den verschiedensten Komponenten zusammen, Heizungsinstallateure, Brunnenbauer oder Bohrbetriebe sind ebenso beteiligt wie der Wärmepumpenbau oder die chemische Industrie.
Zur Attraktivität der Erdwärme trägt neben wachsendem Umweltbewusstsein die staatliche Förderung bei. So unterstützt die Bundesregierung seit Januar 2008 den Einbau von Wärmepumpen im Wohnbereich mit satten Zuschüssen. Und auch in Sachen Strom aus Erdwärme tut sich etwas. Wenn ab 2009 die neuen Regelungen des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) greifen, erhöht sich etwa die Grundvergütung für Anlagen mit einer Leistung bis zu 10 MW, die vor 2016 ans Netz gebracht werden, auf 20 Cent pro kWh. Einen Bonus von 3 Cent gibt es, wenn zusätzlich die Abwärme der Kraftwerke genutzt wird, 4 Cent kommen bei der Nutzung petrothermaler Techniken hinzu. Dadurch werde endlich auch ein breiterer Einstieg in die geothermale Stromproduktion möglich, sagt Björn Klusmann, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE).
„Das Geschäft brummt“, heißt es denn auch bei der Geothermischen Vereinigung: Noch nie sei an so vielen Projekten gleichzeitig gearbeitet worden. Vor allem im Voralpenland und am Oberrhein schrauben sich die Bohrmeißel in den Untergrund, um Energie aus der Erdkruste für Strom- und Heizkraftwerke zu gewinnen. Niedrigthermale Tiefengewässer, wie im süddeutschen Molassebecken, im Oberrheingraben und der Norddeutschen Tiefebene, eignen sich besonders: In 1000 bis 2500 m Tiefe werden hier Temperaturen bis zu 100 ºC erreicht.
Etwa 25 geothermische Heizwerke sind in Deutschland bereits in Betrieb, Strom wird derzeit erst an zwei Standorten produziert. Das erste kleine Erdwärme-Kraftwerk ging 2003 in Neustadt-Glewe in Mecklenburg-Vorpommern ans Netz, eine Kraft-Wärmekopplungs-Anlage, die nur im Sommer mit voller Leistung Strom produziert. Die Leistung von 210 KW entspricht dem Bedarf von etwa 500 Haushalten. Aus rund 2250 m Tiefe wird 98 ºC heißes Wasser gefördert: Daher treibt nicht Wasserdampf die Turbine an, sondern ein synthetischer organischer Stoff, der bereits bei 30 ºC siedet.
Für eine andere Technik hat man sich im badischen Bruchsal entschieden, wo im Januar der Grundstein für ein Geothermie-Kraftwerk gelegt wurde. Bei dem 17-Millionen-Euro-Projekt kommt der so genannte Kalina- Prozess zum Einsatz: Hier zirkuliert ein Ammoniak-Wasser-Gemisch als Arbeitsmedium. Mit einer Leistung von 550 KW soll die Anlage künftig rund tausend Haushalte mit CO2-frei erzeugtem Strom versorgen. Im südpfälzischen Landau arbeitet bereits ein geothermisches Kraftwerk mit einer Leistung von 3 MW. EinHeizkraftwerk im bayerischen Unterhaching soll bis zu 3,4 MW elektrische Energie ins Stromnetz einspeisen können.
Wie groß das technische Potenzial zur geothermischen Stromnutzung ist, unterstreicht ein Sachstandsbericht des Bundestags aus dem Jahr 2003: Es liegt bei 1200 Exajoule (EJ) – dem 600-fachen des deutschen Jahresstrombedarfs. Berücksichtigt man die Nachhaltigkeit, errechnet sich daraus ein jährliches Angebotspotenzial von 300 Terawattstunden (TWh/a), das entspricht der Hälfte der gegenwärtigen Bruttostromerzeugung. Tatsächlich wurden 2004 erst 0,04 % des gesamten Primärenergieverbrauchs durch Geothermie gedeckt.
Ein Anfang ist also gemacht, die Zukunft scheint viel versprechend – doch gibt es kritische Stimmen. Negative Schlagzeilen brachte etwa ein Geothermieprojekt in Basel, das gleich mehrere Erdstöße verursachte. In Freiburg im Breisgau trafen Erdsondenbohrungen einen Abwasserkanal und verschmutzten das Grundwasser. Schon warnt die Wasserwirtschaft davor, den Boden zu durchlöchern wie einen Schweizer Käse.
Die Branche sieht das anders. „Durch Geothermiebohrungen ausgelöste Beben sind verhinderte größere Erdbeben“, erklärt Werner Bußmann. Und Gefahren für das Grundwasser gingen allenfalls von Bohrunternehmen aus, die ohne die notwendige Sorgfalt und Qualifikation arbeiteten. Demgegenüber sieht er die vielen Vorteile der Erdwärme, allen voran ihre Stetigkeit. Sie ist grundlastfähig, steht immer zur Verfügung – daher ist die Geothermie für Björn Klusmann auch die „sichere Bank“ unter den erneuerbaren Energien. „Das Mengenwachstum sehen wir eher im Wärmesektor als im Stromsektor“, ergänzt der Experte vom BEE. Er geht davon aus, dass die Geothermie künftig neben der Bioenergie und der Solarthermie die gleichrangige dritte Säule der erneuerbaren Energien in der Wärmeversorgung bilden wird.
Bettina Gonser Freie Journalistin in Stuttgart
Rund 40 000 Anlagen soll das Jahr 2008 bringen
Zwei Dutzend Heizwerke nutzen schon die Geothermie

Wärmen – Kühlen – Strom erzeugen

Oberflächennahe Geothermie nutzt die im Erdreich und im Grundwasser enthaltene Wärme bis zu einer Tiefe von etwa 400 m und dient vor allem zum Heizen und Kühlen von Gebäuden und zur Warmwasserbereitung. Die Wärme wird über vertikale Sonden oder horizontale Kollektoren entzogen. Wärmepumpen dienen dazu, die Temperatur anzuheben. Als ideal gilt ein Wärme-Kälte-Kreislauf: In der Heizperiode sinkt die Temperatur des oberflächennahen Reservoirs, das im Sommer zum Kühlen dient – und im Winter umgekehrt.
Tiefengeothermie erschließt bis zu mehrere tausend Meter unter der Erdoberfläche gelegene Wärmequellen und dient auch zur Stromerzeugung. Je tiefer gebohrt wird, desto höher sind die Temperaturen, die Faustregel für Mitteleuropa lautet: 3 ºC pro 100 m. Besonders ergiebig sind Hochenthalpie-Lagerstätten vulkanischer Gebiete. Bei Niederenthalpie-Lagerstätten wie in Deutschland muss in der Regel mehr als 2000 m tief gebohrt werden. Während hydrothermale Systeme natürliche Grundwasserleiter (Aquifere) nutzen, wird bei petrothermalen Systemen Wasser in wenig durchlässiges Gestein gepresst. So bilden sich Risse, das Wasser kann zirkulieren. Auch tiefe Erdwärmesonden gewinnen Energie.
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