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„Produkte kommen schneller in den Markt“

Round-Table-Gespräch Talent- und Produktentwicklung in ASEAN
„Produkte kommen schneller in den Markt“

Standort | Global agierende deutsche Mittelständler fahren in Südostasien zunehmend nachhaltige Strategien, um Nachwuchstalente zu rekrutieren und an die Markterfordernisse angepasste Produkte zu entwickeln. ❧ Werner Götz und Dietmar Kieser

Für innovative deutsche Mittelständler ist der Kontakt zu Hochschulen und Universitäten unverzichtbar. Diese Verzahnung nutzen immer mehr Unternehmen, die auch in südostasiatischen Wachstumsmärkten mit innovativen und wettbewerbsfähigen Lösungen erfolgreich sein wollen. In Singapur als Brückenkopf in die ASEAN-Region funktioniert der Verbund aus Wirtschaft und Wissenschaft besonders gut. Mittelständler wie Erbe Medizintechnik und SLM Solutions haben erkannt, wie relevant die sinnvolle Anpassung der Produkte an die Markterfordernisse wird. Für das Familienunternehmen Rohde & Schwarz ist das Fachkräftepotenzial ein bestimmender Treiber für lokale Entwicklungsaktivitäten und Produktion vor Ort geworden. Wie aus Kooperationen neue Technologien entwickelt oder angepasst werden können und Aus- und Weiterbildungsinitiativen entstehen, diskutierten führende Manager dieser Unternehmen im Round-Table-Gespräch.

 Wie überlebenswichtig ist es für einen Anbieter von 3D-Druckern für Metalle wie SLM Solutions, Nachwuchs für Entwicklung und Vertrieb für diese Technologie zu finden, gerade auch in Südostasien?
Ritt: Diese Situation ist dem stark wachsenden 3D-Printermarkt geschuldet. Vor fast 60 Jahren gegründet, ist SLM Solutions vor fünf Jahren in diesen Markt eingestiegen. Beim Börsengang 2014 zählte das Unternehmen 80 Mitarbeiter. Heute sind es rund 270, von denen über die Hälfte noch nicht länger als ein Jahr im Unternehmen sind. Der Anteil junger Mitarbeiter unter 30 Jahren ist hoch, da wir diese an den Universitäten rekrutieren. Geeigneten Nachwuchs zu finden und ihn auszubilden, ist für uns durchaus überlebenswichtig.
Auch in Südostasien, etwa in Singapur?
Ritt: Dank der großzügigen Förderung der singapurischen Regierung stehen in den vielen Ausbildungsinstituten des Stadtstaates an die 50 3D-Druckanlagen für Metalle wie Kunststoffe von Herstellern aus aller Welt. Dabei reden wir von einem Standort in der Größe von Hamburg samt Umland! Um in Singapur Nachwuchs für die Technologie zu finden, hat SLM Solutions 2014 über das Wirtschaftsministerium eine Kooperation mit der Nanyang Technological University über drei Jahre geschlossen. Wir bilden dort, wie auch in unserer Dependance im German Centre in Singapur, Studenten und Doktoranden aus. Im Rahmen von Austauschprogrammen erfolgt dies teilweise auch an unserem Stammsitz in Lübeck. Dabei müssen wir das Sachproblem des stark wachsenden 3D-Metalldruckmarktes lösen: Wir bauen alle Autos, ohne dass wir an die Fahrschulen und Tankstellen gedacht haben. Das müssen wir jetzt nachholen.
Hat auch das Familienunternehmen Erbe Elektromedizin mit seiner 165-jährigen Tradition an dieser Stelle einen Nachholbedarf?
Reick: Auch bei uns gehen die Weichenstellungen in diese Richtung. Unsere Tochtergesellschaft in Singapur besteht seit zweieinhalb Jahren und organisiert den kompletten Vertrieb für die Region South-East-Asia sowie den Direktvertrieb in Singapur. Die Tochtergesellschaft fungiert dort inzwischen als Servicestützpunkt für Südostasien. Auch wir betreiben seit kurzem ein Hochschulprogramm und bilden in Kooperation mit der Nanyang Polytechnic-Hochschule Praktikanten aus. Diese Schiene nutzen wir für Kontakte wie auch für die Nachwuchsgewinnung. Geplant ist, den Berufsnachwuchs für ein Praktikum nach Tübingen zu holen.
Herr Knapek, wie schöpft der Weltkonzern Rohde & Schwarz, der allein am Standort Singapur fast 200 Entwicklungs-Ingenieure beschäftigt, Nachwuchstalente?
Knapek: Zunächst einmal finden wir die Ingenieure, die wir brauchen, auch in Singapur nicht im Überfluss. Auch wir müssen uns bemühen, die richtigen Leute zu finden und zu binden. Gewiss können wir aus dem dortigen Talentpool schöpfen. Eine wichtige Infrastruktur bilden für uns die technischen Universitäten wie die nationale Universität NUS, die Nanyang Technical University, das SIT Singapore Institute of Technology, aber auch die TU München, die mit der TUM Asia in Singapur eine Niederlassung unterhält und mit denen wir zusammenarbeiten. Allerdings sind erstklassige Hochfrequenztechniker, die wir brauchen, in einem Talent-Hub wie Singapur ebenso rar wie in Deutschland. Umso wichtiger ist es, dass der Staat Singapur großen Wert auf technische Ausbildung legt. Und dass in einer stark von der Finanzindustrie und Logistik geprägten Wirtschaft die entwickelnde und produzierende Industrie wertgeschätzt wird.
Sun: Singapur ist eine Stadt mit vielen Toptalenten aus Indien, China und dem südostasiatischen Raum, die hier zur Schule gegangen sind. Viele haben danach mit Stipendien studiert und promoviert, teilweise auch in Europa und den USA. Der Talent-Pool Singapurs wirkt in Asien wie ein Magnet, weshalb Unternehmen und Forschungsinstitute hochqualifizierte Mitarbeiter finden können.
Knapek: Die gediegene, langfristige Arbeit an kniffligen technischen Problemstellungen muss noch mehr an Wert gewinnen. Dass junge Singapurer auch jenseits der hoch im Kurs stehenden Wirtschaftszweige wie der Finanzindustrie mit solider Ingenieursarbeit Karriere machen können, zeigen wir ihnen mit Programmen wie Poly-goes-UAS und polytechnischen Ausbildungsgängen auf. Rohde & Schwarz ist eines von neun deutschen Unternehmen, die zusammen mit dem Staat Singapur das duale Studium vorantreiben.
Wofür steht der Begriff Poly-goes-UAS?
Knapek: UAS ist die Abkürzung für University of Applied Science, ein Begriff, den deutsche Fachhochschulen wie auch die Duale Hochschule Baden-Württemberg zusätzlich verwenden. Deren Erfolgsmodell des dualen Studiums haben wir nach Asien exportiert. Die Bezeichnung für das Studienprogramm Poly-goes-UAS stammt übrigens von Rohde & Schwarz. Von solchen Programmen haben wir einige aufgelegt, etwa Azubi-goes-Bachelor für unseren dualen Studienprogrammierkurs. Unsere ersten singapurischen dualen Studenten konnten wir im letzten August begrüßen.
Ang: Hinter diesem Programm steht die Idee, Talente auf einem nachhaltigen Weg an mittelständische Unternehmen heranzuführen. Das Singapore Economic Development Board (EDB) ist bestrebt, mit Unternehmen wie Rohde & Schwarz zusammenzuarbeiten, die Ingenieurstudenten auch Perspektiven und Entwicklungsmöglichkeiten bieten können. Im Grunde genommen ist es eine Ausbildung für die Zukunft. Deshalb sehen wir dieses Programm als eine langfristige Unterstützung an.
Welchen Stellenwert hat die Kooperation mit Hochschulen, technischen Universitäten und Forschungseinrichtungen der Region für die Produktentwicklung?
Ritt: Mit einem 3D-Drucker für Metalle allein ist es nicht getan. Für den Einsatz braucht ein Kunde die gesamte Prozesskette, die aus zehn bis zwölf Schritten besteht. In dieser Komplexität ist unsere Anlage, die es ja erst seit zehn, fünfzehn Jahren gibt, in erster Linie ein Forschungs- und Entwicklungsprodukt. Metallischer 3D-Druck zielt nicht auf die Großserie, sondern bedeutet heute Einzelteile- und Kleinserienfertigung. Folgerichtig haben wir die ersten Maschinen an Universitäten und Forschungsinstitute verkauft und nicht an Produktionseinrichtungen. Da kommt es uns zu Gute, dass Singapur auch das riesige Feld weltweit renommierter Universitäten beherbergt.
Wird es in Zukunft dennoch notwendig sein, F+E in Singapur aufzubauen?
Ritt: Eine ,heimliche’ F+E-Abteilung haben wir dort bereits. Sie heißt School of Aerospace and Mechanics an der Nanyang Technological University. Hier hat Professor Chee Kai Chua Zugriff auf 400 Doktoranden, die an verschiedenen Bereichen forschen. Für unsere Technologie gibt es dort auch Sekundärforschung, etwa Metallurgie oder nanobehandelte Pulver, die im 3D-Druck vielleicht künftig zum Einsatz kommen. Dabei wird nicht nur an den Anlagen selbst geforscht, sondern auch bei den Grundlagen, beispielsweise das Laserschmelzen von Metallen. Aber auch Anwendungsforschung findet in unserem Sinne statt, etwa der 3D-Druck im Bereich der Luftfahrt.
Herr Reick, gibt es bei Erbe Überlegungen, den Singapur-Hub künftig auch für die Produktentwicklung zu nutzen?
Reick: Dieser Weg ist denkbar und könnte über den Aufbau einer strategischen Einkaufsabteilung führen. Die riesigen Absatzmärkte in der Region rund um Singapur, vor allem für unsere täglich massenhaft genutzten chirurgischen Einmalinstrumente, könnten zukünftig eine Produktion wie auch eine Entwicklung dieser Produktgruppe vor Ort rechtfertigen. Auch um sich besser abzusprechen und rasch reagieren zu können, wäre diese Verzahnung vorteilhafter, als ein von der Produktion in Deutschland getrenntes Local Sourcing. Das könnte für uns ein Weg sein, um sich in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln. Den Einstieg proben wir derzeit über ein gefördertes Regierungsprogramm, das deutsche Unternehmen unterstützt, indem ein strategischer Einkäufer ein Jahr lang finanziert wird.
Knapek: Auch wir setzen verstärkt auf Local Sourcing, insbesondere aus dem asiatischen Markt. Dabei nutzen wir den Standort Singapur, um auch mal Alternativen in unserer Unternehmensorganisation zu entwickeln. Bewusst setzen wir mit unserer Fertigung in Singapur und im angrenzenden Johor Bahru auf eine andere Produk-tionsstrategie als in Deutschland. Während unsere hiesigen Werke eine extrem hohe Fertigungstiefe kennzeichnet, arbeiten unsere Werke in Singapur vermehrt mit Zulieferern. Von dort aus wird auch der strategische Einkauf gesteuert. Erklärtes Ziel ist es, sich etwas zu diversifizieren, was auch für Entwicklung und Produktion gilt. Sind beide Abteilungen in einer gesunden räumlichen Distanz voneinander, wirkt sich dies positiv aus. So haben wir in Deutschland gute Erfahrungen gesammelt, wenn der Entwickler nicht permanent in die Produktion eingreifen kann oder die Produktion nicht ständig beim Entwickler nachfragt.
Wie haben Sie dies umgesetzt?
Knapek: Im Stadtteil Loyang, in dem Produktionsindustrie ansässig ist, und auch im angrenzenden Malaysia haben wir eine überschaubare Fertigungswerkstatt aufgebaut. 60 Mitarbeiter produzieren dort die von uns in Singapur entwickelten Geräte. Dieses Muster werden wir in der nächsten Zeit weiter verfolgen. Als Entwicklungsstandort spielt der Stadtstaat eine bedeutende Rolle. Unsere 330 Mitarbeiter starke, im Changi Businesspark ansässige Entwicklungsgesellschaft verantwortet konzernweit die Entwicklung bestimmter Geräte.
Wird die Bedeutung dieses F+E-Standorts in den nächsten Jahren noch zunehmen?
Knapek: Daran arbeiten wir. Unser vor kurzem bezogenes Gebäude bietet noch ausreichend Platz.
Sun: Deutsche Mittelständler in Singapur berichten davon, dass es ein Vorteil sei, in Asien für Asien und für den globalen Markt zu entwickeln und zu produzieren. Zudem ist in Asien die Herausforderung eine andere. Dortige Kunden benötigen eine andere Komponente. Wird diese in Singapur und Asien allgemein entwickelt, entstehen andere Produkte, als wenn diese mit deutschen Design- und Engineering-Verfahren entstanden wären. Die Ergebnisse sind oft beeindruckend. Zudem lassen sich mit diesen Midsized-Produkten in Asien viele Kunden gewinnen und später auch in anderen Schwellenländern und selbst in Europa.
In Singapur gewinnt man also eher tiefe Einblicke in das Konsumentenverhalten?
Reick: Genau an diesem Punkt werden wir Singapur in puncto F+E ab jetzt verstärkt einbinden. Konkret: bei der Marktzulassung neuentwickelter Geräte und Instrumente. Bevor wir diesen Sommer den weltweiten Launch einer neuen Technik vorbereiten, werden wir Singapur in die Evaluationsphase einbeziehen. Dort ist für uns die Zulassung nicht nur überschaubar, vielmehr erhält man dort auch für die Vor-Vertriebs-Freigabe von topausgebildeten Fachkräften und Spezialisten wichtiges Feedback, eventuell auch aus wichtigen Märkten der Region und Australien. Wir können dort beispielsweise Ärzte des größten Krankenhauses, dem Singapore General Hospital, einbeziehen, die nicht nur in der Region, sondern auch weltweit eine tolle Reputation haben.
Ang: Wir wissen von Robotikfirmen, dass sie coole Ideen für Einsätze im Pflegebereich haben, aber nicht die Möglichkeit, ihre Systeme in einem entsprechenden Umfeld real zu testen. Im Trainingscenter der von Ihnen angesprochenen Klinik wurde jetzt eine Simulations- und Testinfrastruktur aufgebaut, die von diesen Firmen sehr einfach genutzt werden kann. Auch das ist ein Weg, wie Singapur Unternehmen hilft, ihre Produkte schneller in den Markt zu bringen.
Welchen Stellenwert hat der Schutz des geistigen Eigentums bei der Standortwahl in Asien?
Ritt: Wir wollen nicht, dass unsere in Deutschland erfundene Technologie in Asien schnell kopiert wird. Damit meine ich im wesentlichen China und Südkorea. China besinnt sich derzeit darauf, eigenes Engineering und eigene Intelligenz in die Entwicklung von Produkten zu stecken. Das ist zu begrüßen, dazu wollen wir mit der Lieferung unserer Maschinen gern beitragen. Doch gerade in China beobachten wir, wie in den letzten zwei Jahren mit einer gewissen Kaltschnäuzigkeit rasant kopiert wird. Dagegen ist Singapur eine feste, wenn auch teure Burg mit einem internationalen Rechtssystem, das auch eine wirtschaftliche Rechtssicherheit bietet.
Hat sich SLM Solutions deshalb für den Stadtstaat als Standort entschieden?
Ritt: Ausschlaggebend war die globale wie auch lokale Stellung Singapurs. In dem südostasiatischen Wachstumsraum brauchen wir einen Hub, der aufgrund der Zeitverschiebung, aber auch der sprachlichen Verständigung die umliegenden Länder betreut, von Malaysia und Indonesien über Vietnam bis zu Australien und Neuseeland. Dort sehen wir einen Wachstumsraum der nächsten zehn Jahre. Wir haben mit Singapur ein sehr westliches, verlässliches System, mit Einwohnern, die kosmopolitisch sind und perfekt Englisch sprechen.

Die Teilnehmer
Hans Knapek, Leiter des Bereichs Personal, Mitglied der Geschäftsleitung Rohde & Schwarz, München
Michael Reick, Direktor Verkauf International, Erbe Medizintechnik, Tübingen
Stefan Ritt, Vice President globales Marketing und Kommunikation, SLM Solutions, Lübeck
Tobias Ang, Direktor Deutschland und Niederlande, Singapore EDB, Frankfurt/M.
Yidan Sun, Direktor Deutschland und Österreich, Singapore EDB, Frankfurt/M.
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