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„Wir sind in einer absolut glücklichen Lage“

Dr. Anna-Katharina Wittenstein steht in dritter Generation an der Spitze des Familienunternehmens
„Wir sind in einer absolut glücklichen Lage“

Auf der Chefposition von Wittenstein ist Dr. Anna-Katharina Wittenstein ihrem Vater Dr. Manfred Wittenstein nachgefolgt. Als Vorstandssprecherin spielt die promovierte Ingenieurin bei der operativen Führung des Igersheimer Mechatronik-spezialisten die Teamkarte aus. ❧ Dietmar Kieser

Frau Dr. Wittenstein, als Vorstandssprecherin sind Sie jetzt das Gesicht der Wittenstein SE und haben damit ihren Vater fast schon zwangsläufig beerbt. Durften oder mussten Sie?

Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Ich durfte immer.
Dr. Manfred Wittenstein: Zwang habe ich nie ausgeübt. Es liegt ganz in der Entscheidung meiner Kinder, welchen Weg sie einschlagen.
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Wer mit einem Unternehmen aufwächst, für den ist dieses immer Teil des eigenen Lebens. Deshalb war mein Interesse schon früh geweckt. Mein Vater hat es verstanden, uns Kinder geschickt, aber völlig zwanglos darauf vorzubereiten. Dennoch wurde mir erst gegen Ende des Studiums klar, dass mein Weg mich ins Unternehmen führen wird.
Haben Sie diese Möglichkeit bereits bei der Wahl des Studienfachs erwogen?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Durchaus. Wobei ich mir grundsätzlich Optionen offen ließ. Die Wege, die ich einschlug, sollten mich zwar einen Schritt näher an dieses Ziel bringen, andere Möglichkeiten jedoch nicht verbauen. Auch wenn das übergeordnete Ziel schon immer da war, haben wir für jeden weiteren Schritt die Entscheidung stets wieder neu getroffen. Letztendlich hat dann das Zusammenspiel zum jetzigen Ergebnis geführt.
Lässt sich unternehmerische Begeisterung eigentlich wecken?
Dr. Manfred Wittenstein: Meinen Kindern habe ich immer versucht zu vermitteln, dass es keine übermenschliche Aufgabe ist, ein Unternehmen zu führen, sondern wie jede andere Spaß macht und nicht nur von Sorgen begleitet ist.
Gibt es ein Credo aus der Familientradition heraus, das Sie auf Ihre Tochter übertragen haben?
Dr. Manfred Wittenstein: Gewiss war es mein Wunsch, die Familientradition fortzuführen. Die Strategie dafür haben wir gemeinsam in einer Familiencharta niedergeschrieben, die meine Tochter bereits vor vielen Jahren federführend auf den Weg gebracht hat. Dabei haben wir die im Unternehmen wertigen Grundsätze sinnvoll auf die Familie übertragen, aber auch Familiengrundsätze für das Unternehmen formuliert. Diese innere Auseinandersetzung war sehr hilfreich für ihre heutige Vorstandsposition.
Werden weitere Ihrer vier Kinder einsteigen?
Dr. Manfred Wittenstein: Dank der Entscheidung meiner Tochter Anna-Katharina sind wir beide in einer absolut glücklichen Lage. Der Altersunterschied zwischen meinen Kindern ist groß. Insofern können wir über viele Jahre hinweg Familienmitglieder aufbauen. Sofern sie sich qualifizieren, steht ihnen der Einstieg ins Unternehmen offen. Das erfordert jedoch einige Jahre Erfahrung, wobei jeder die Chance erhält, sich behutsam aufzubauen, heranzutasten und Erfahrungen zu sammeln; wie es bei meiner Tochter der Fall war. Sie erhielt von mir spannende und gewiss nicht harmlose Aufgaben, bei denen sie durchaus Druck verspürte. Sie wollte das aber ausdrücklich.
Sie haben Betriebswirtschaft studiert und in Ingenieurwissenschaften promoviert. Besser kann man sich nicht vorbereiten…
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Es passt alles sehr gut zusammen. Von Anfang an war klar, dass ich bei einem Einstieg ins Unternehmen keine Fachfunktion übernehmen würde. Vielmehr wollte ich als Generalistin mit breitem Überblick die faszinierende Welt dieses Unternehmens erfassen können.
Wie hilfreich ist Ihnen Ihr akademischer Werdegang bei der Verknüpfung von Wissenschaft und Unternehmertum?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Forschen und Promovieren bedeutet, sich auf unbekanntem Gelände zu bewegen. Mit diesem Stress zurechtzukommen, gänzlich Neues zu schaffen, Themen in Zusammenhang zu bringen und zu einem Ergebnis zu führen, gehört auch zum unternehmerischen Tun. Wichtig dabei ist, mit Unsicherheiten umgehen zu können, sich durchzubeißen und auf seine Fähigkeiten zu verlassen und aus diesen heraus etwas zu entwickeln. All das habe ich von dort mitgenommen.
Sie durchliefen Stationen in der Schweiz und den USA in verantwortlicher Position bei Wittenstein. Wie hilfreich ist es für eine Nachfolgerin, sich extern, also nicht in der Konzernzentrale zu bewähren?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Sehr hilfreich. Man lernt, sich auf einem Feld alleine zu bewähren. Mein Vater hat sich damals klug verhalten und sich nicht zu sehr eingemischt. Ab einem Punkt entwickelt man die nötige Reife und agiert situativ richtig. Dieser Teil des Ablöseprozesses ist besonders wichtig, um in der späteren Nachfolge gut zusammenzuarbeiten. Wir begegnen uns im Nachfolgeprozess immer noch als Vater und Tochter. Umso wichtiger ist es, als gereifte Persönlichkeit die Nachfolge anzutreten, sonst funktioniert es nicht.
Haben Sie auf Ihren Auslandsstationen das Firmenführen gelernt?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Ja, mit unterschiedlichen Themen und Aufgabenstellungen. In der Schweiz hatte ich die operative Geschäftsführerrolle inne. Die Rolle in den USA hat mich schon eher auf die Vorstandsarbeit vorbereitet. Dort war ich Chairwoman of the Board und aus Governance-Gesichtspunkten nicht mit der operativen Führung betraut. Die Herausforderung bestand darin, mittelbar zu führen. Das ist genau die Rolle, die ich als Vorstandssprecherin der Wittenstein SE auch einnehme.
Haben Sie ein persönliches Leitmotiv?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Never give up! Es gibt immer einen Weg.
Dr. Manfred Wittenstein: Meine Tochter hatte in den USA die Aufgabe, Wittenstein nicht als deutsche, sondern als amerikanische Firma zu etablieren. Wir wollen nicht einfach nur verkaufen, sondern uns in einer Gesellschaft integrieren. Diese Aufgabe hat sie in Amerika sehr gut gemeistert. Anna-Katharina hat beachtliche Kontakte geknüpft. Es spricht Bände, wenn einen der Gouverneur von Illinois bereits nach kurzer Zeit besucht. Darauf kann sie stolz sein.
Was ändert sich für Sie als Aufsichtsratschef durch den Übergang der operativen Führung von Professor Spath als Fremd-manager auf ein Familienmitglied?
Dr. Manfred Wittenstein: Schon vor Jahren hatten wir uns entschieden, einen Vorstandsvorsitzenden einzustellen, der nicht aus der Familie kommt, um die interne Nachfolge zu meistern und meiner Tochter, falls erforderlich, mehr Zeit zu lassen. Dieser Weg war für mich sicher der schwierigere. Wer plötzlich raus ist aus dem operativen Geschäft, aber dennoch dicht dran, neigt dazu, Einfluss zu nehmen. Deshalb bin ich dankbar für diese Abkühlphase, in der ich gelernt habe, mich anders zu verhalten, als wenn ich unmittelbar im Geschehen wäre. Das ist gerade in Familienunternehmen nicht einfach, besonders in einer Tochter-Vater-Konstellation…
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: …wenn beide zudem ähnlich gepolt sind (lacht) …
Dr. Manfred Wittenstein: … und genauso leidenschaftlich sind. Insofern war es klug, eine Unternehmensleitung von außen einzusetzen, während meine Tochter weiter internationale Erfahrungen sammeln konnte. Dieser Übergang hat wunderbar geklappt.
Verlief der Übergang auf Ihre Tochter sanfter, als im Juni 2013 Professor Dieter Spath bei Ihnen angetreten ist?
Dr. Manfred Wittenstein: Dieser Übergang ist ein ganz anderer. Damals war ich froh, in Herrn Spath einen Frontmann gefunden zu haben. Das Grundvertrauen zu ihm war da. Wenn es dann doch einmal Spannungen gibt, ist es etwas anderes, sich mit einem fremden Menschen auseinanderzusetzen, als mit der eigenen Tochter. Insofern bin ich froh, dass Professor Spath diese Funktion übernommen und mich abgepuffert hat. So dass ich heute gelassener bin.
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Es ist ja kein Übergang auf mich alleine, sondern auf vier Vorstände. Im neuen Vorstand sind wir ressortübergreifend ein Team und setzen uns gemeinsam auseinander. Dies stellt den Übergang auf eine breitere Basis.
Wie breit sind Ihre Aufgaben im Vorstand gestreut?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Jeder Vorstand führt ein Ressort und trägt internationale wie auch Geschäftsverantwortung. In meinen Aufgabenbereich fällt die Konzernentwicklung. Es liegt an mir, die Gesamtstrategie des Unternehmens zusammenzuführen und weiter voranzutreiben.
Dr. Manfred Wittenstein: Diese Aufgaben in ihrer Person zu bündeln, ist sinnvoll, da Anna-Katharina quasi die Schnittstelle zu den Eigentümern bildet. Durch ihre Arbeit an vorderster Front ist auch die Vertrauensbasis innerhalb der Familie gewährleistet, wenn wichtige strategische Entscheidungen getroffen werden.
Ist die Firmierung von Wittenstein als Europäische Aktiengesellschaft, auch Societas Europaea oder kurz SE genannt, auch damit begründet?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Von Anfang an war klar, dass wir uns nach dem dualistischen System mit einem Aufsichts- und einem Leitungsorgan ausrichten wollten. Dadurch können wir uns über die Rollen klar differenzieren. Die Verschmelzung auf eine einzige Rolle, wie bei dem angelsächsischen monoistischen System mit einem CEO, wäre nicht zielführend. Wenn sich in einem Familienunternehmen alles vermischt, weiß man nie, welchen Hut man gerade auf hat. Die formal strukturierte Rolle hingegen verschafft den nötigen Halt, um zwischen den Jobs sauber zu trennen.
In welchen Bereichen muss sich Wittenstein weiterentwickeln? Müssen Sie Start-ups andocken?
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Das ist für uns längst selbstverständlich. Auch haben wir neue Themen in eigene Gesellschaften ausgegründet. Unser Anspruch ist es, die mechatronische Antriebstechnik und unsere umfassende Kompetenz darin weiterzuentwickeln, Mehrwert für unsere Kunden zu schaffen und das Thema international weiter umsetzen. Daran werden wir arbeiten und das Unternehmen entsprechend aufstellen, um das Wachstum vernünftig zu steuern.
Wie lange dauert es, aus Innovationen wie dem Galaxie-Antriebssystem ein gewinnbringendes Geschäft zu entwickeln?
Dr. Manfred Wittenstein: Dafür braucht es einen langen Atem. Bei einer bestehenden Technologie lässt sich eine Entwicklung durchaus abschätzen, nicht aber bei solch grundlegenden Fragen. Mit Galaxie ist etwas entwickelt worden, was bisher in keinem Lehrbuch steht und deshalb eine außergewöhnliche Situation ist. Dieses Antriebssystem entstand nicht aus einem Kundenauftrag heraus. Galaxie haben wir aus uns heraus und damit unter völlig anderen Bedingungen entwickelt.
Und wie läuft es bei Galaxie?
Dr. Manfred Wittenstein: Wir sind sehr zufrieden mit der Entwicklung und sehen viel Potenzial. Dennoch gehen wir auch hier Schritt für Schritt vor. Jede neue Technologie braucht ihre Zeit der Reife. Wir sind ja nicht IT-mäßig unterwegs, auch wenn der Software-Anteil beständig steigt. In unseren Bereichen müssen wir höchste Sicherheit erreichen. Das dauert manchmal etwas länger.
Aber auch Ihr Portfolio muss zu großen Teilen Internet- und vernetzungsfähig sein…
Dr. Anna-Katharina Wittenstein: Absolut. Es ist eine unserer zentralen Aufgaben, vernetzungsfähige Produkte zu bieten.

Vitae
Dr.-Ing. Anna-Katharina Wittenstein (41) studierte Betriebswirtschaftslehre an den Universitäten Würzburg und Mannheim (Abschluss: Dipl.-Kauffrau) und promovierte an der Universität Stuttgart (Dr.-Ing.) zum Thema „Bedarfssynchrone Leistungsverfügbarkeit in der kundenspezifischen Produktentwicklung“. Seit diesem Oktober ist die zweifache Mutter Vorstandssprecherin der Wittenstein SE mit weltweit rund 2000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 302 Mio. Euro (2015/16).
Dr.-Ing. E.h. Manfred Wittenstein (74) ist studierter Wirtschaftsingenieur (TU Berlin), übernahm 1979 die elterliche Firma Dewitta und formte daraus die Wittenstein-Gruppe, deren Aufsichtsratsvorsitzender er seit 2014 ist. Der vielfach ausgezeichnete Unternehmer war VDMA-Präsident (2007 bis 2010) und hat einen Sitz in zahlreichen wissenschaftlichen Gremien. So ist er Wegbereiter der Vierten Industriellen Revolution, etwa als Sprecher und Vorsitzender des Lenkungskreises der Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg und Mitglied im Vorstands- und Lenkungskreis der Plattform Industrie 4.0.
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