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Automatisieren ab Losgröße 15

Schweißtechnik: Automatisieren lohnt sich sogar für Mini-Serien – mit oder ohne Roboter
Automatisieren ab Losgröße 15

Das Führen des Schweißbrenners ist eine Kunst, die mit viel Übung und zahlreichen Kursen erworben wird. Warum dieses Können für Routinearbeiten vergeuden? Auch kleine Jobs lassen sich mit Gewinn automatisieren – mit und ohne Roboter.

Maritime Krane, Seilbagger, Tiefbaugeräte und Raupenkrane stellt die Liebherr-MCCtec GmbH in Österreich her – durchweg Sondermaschinen. Kein Kran gleicht dem anderen, doch in ihren Komponenten ähneln sie sich alle. Die Verantwortlichen in Nenzing haben das zum Anlass genommen, eine Roboterschweißzelle einzurichten, die Einzelteile in „Losgröße 1“ fügen soll.* Begonnen haben die Projektentwickler bei Arretierschlitten, Konsolen, Auslegerteilen und Windenrahmen. Nach sechs Monaten hatten sie den Roboter EA 1900 von Motoman so weit, dass er insgesamt 58 Anleger-Stücke mit unterschiedlicher Grundkonstruktion verschweißen konnte.

Der Roboter nimmt die Einzelteile auf, positioniert, fixiert und verschweißt sie endgültig. Dazu nutzt er die MAG-Stromquelle, mit der auch die rund 100 Handschweißer bei Liebherr vorwiegend arbeiten, einer TransPuls Synergic 5000 von Fronius. „Wir wissen jetzt, wie wir die Abläufe für Einzelbauteile programmieren und ins Programm für die Roboterzelle integrieren können“, resümiert der Leiter der Schweißerei, Wolfgang Partel, nach dieser ersten Sechsmonats-Phase. Und dabei wird es nicht bleiben: Aus den Bahnen der einzelnen Werkstücke bauen die Projektentwickler eine Datenbank auf. Für ähnliche Bauteile kopieren sie das jeweilige Programm, modifizieren es und legen es neu ab. So wird ihr Teile-Repertoire immer umfangreicher.
Mittelfristig sollen sich 30 % des Einzelteile-Spektrums in der Roboterzelle verschweißen lassen. Den Effizienzvorteil beziffert der Abteilungsleiter auf rund 50 %. Doch nicht die höhere Schweißgeschwindigkeit sei maßgeblich dafür, „sondern der komplette Produktionsprozess inklusive Handling“. Leicht vorstellbar bei den massigen Teilen, die Liebherr verarbeitet: Bis zu 12 m lang sind die fachwerkartigen Auslegerarme und entsprechend schwer zu handhaben. Außerdem sorgt der Roboter für Qualität und verhindert Nacharbeit: „Die Positioniergenauigkeit beim Fixieren und Abfahren der Bahn gewährleistet, dass die Konturen der Schweißnaht immer stimmen“, betont Schweißerei-Chef Wolfgang Partel. „Und daraus erwächst uns auch der angestrebte Produktivitätsvorteil.“
„Losgröße 1“ – ein gewagtes Projekt einer ambitionierten Unternehmensleitung, das kaum Schule machen wird? Ganz und gar nicht, meint Wolfgang Queren, Referent für Lichtbogenschweißen und Automatisierung beim DVS in Düsseldorf (Deutscher Verband für Schweißen und verwandte Verfahren e.V.). „Automatisieren bis zur Losgröße 1 ist zum Schlagwort geworden.“ Das Thema werde in der Branche diskutiert, zum Beispiel auf den Tagungen, die der Verband anbietet. Und er nennt auch den Grund dafür. Seit der Zeit, als sich Schweißroboter in der (Automobil-)Produktion etabliert haben, also etwa seit 1980, „sind die Preise für Roboter auf zehn Prozent gefallen und ihre Leistung hat sich vervierfacht.“ Der Roboter wird immer flexibler eingesetzt. Inzwischen liegt es im Trend, auch das Schweißen von kleineren Losen zu automatisieren.
Zu den Treibern dieser Entwicklung gehört die Automobilindustrie. Um in Varianten fertigen zu können, braucht sie eine möglichst flexible Produktion. Doch Nutznießer sind gerade auch die kleineren Unternehmen mit ihren niedrigen Losgrößen. Hersteller von Garagentoren oder Lüftungsteilen etwa nennt Queren als Beispiel: Ihre Produkte unterscheiden sich von Auftrag zu Auftrag geringfügig und damit auch die zu erledigenden Fügeprozesse. Durch Anpassen der Steuerungssoftware lässt sich der Roboter aber leicht auf den veränderten Schweiß-Job einstellen, den er dann mit derselben hohen Qualität erledigt wie den zuvor.
Queren: „Die Hersteller bemühen sich heute, das Umprogrammieren des Roboters für den Anwender leicht zu machen. Dafür bieten sie Offline-Programmierung, Simulations-Tools und graphische Benutzeroberflächen an. In der Praxis heißt das: Der Roboter schweißt ein Bauteil, wird mit einfachen Methoden neu programmiert und schweißt ein ähnliches Teil.“ Fällt dasselbe Los später wieder einmal an, lässt sich der Job erneut abrufen.
Ein Fortschritt, der sich moderner, modularer Steuerungssoftware mit ihren Möglichkeiten verdankt. Diese sind aber nicht auf Roboter beschränkt. Und so existiert noch eine weitaus günstigere Methode, Schweißaufgaben zu automatisieren, und zwar ohne Roboter. Wiederum ein Unternehmensbeispiel: Die Kämmer Ventile Flowserve Essen GmbH produziert Regelventile mit ständig neuen Typen und maßgeschneiderten Varianten. Vieles wird geschweißt, hauptsächlich Rundmaterial und Rohre. „Die Automatisierung, die wir benötigen, muss sich an unsere permanent wechselnden Aufgabenstellungen und Kleinststückzahlen anpassen können“, erklärt Konstruktionsleiter Andreas Nagel. Denn die Ventile aus Essen gehen in so unterschiedliche Bereiche wie die Petrochemie oder die Lebensmittelindustrie, in Tiefsttemperaturanwendungen ebenso wie in die Aseptik. So reicht die Material-Bandbreite von Edelstahl über Nickelbasislegierungen bis hin zu Titan- oder Tantal-Werkstoffen.
Flowserve löste seine WIG-Schweißaufgaben mit einem Rundnahtsystem der Lorch Schweißtechnik GmbH, Auenwald. Lorch bietet Module an, die sich individuell zusammenstellen und in Produktionen integrieren lassen, bestehend aus einer Steuerungseinheit, Grundgestellen, Brenner-Positioniereinheiten, Drehkipptischen bis 500 kg, WIG-Kaltdrahtvorschub, Schweißdatenüberwachung und -stromquellen. Kürzlich ist eine Längsnaht-Einrichtung hinzu gekommen.
Als Basiskomponente reichte für die Flowserve-Anlagen der kleinste Lorch-Drehtisch Round 50 TIG aus. Er kann Lasten bis 50 kg aufnehmen. Eine vektorgesteuerte Frequenzumrichtung sorgt dafür, dass der Tisch gleichläuft und die Nahtqualität nicht durch Schwankungen beeinflusst wird. „Besonders positiv ist die einfache Programmierung. Die kann der Werker oft selbst durchführen“, sagt Dirk Gernoth aus der Qualitätssicherung bei Flowserve. Wie beim Roboter lassen sich die Abläufe und Kenngrößen in der Steuerung hinterlegen: Parameter wie zum Beispiel die Drehgeschwindigkeit oder die an der Schweißstromquelle eingestellten Werte werden abgespeichert.
Nach der Erprobungsphase sieht der Regelventilhersteller das Automationsziel voll erreicht, Kleinserien wirtschaftlicher zu fertigen. Als nächstes will er das Potenzial zur Qualitätsverbesserung erschließen, indem er die bisher aufs Handschweißen zugeschnittenen Toleranzen einengt. Denn durch den nun reproduzierbaren Schweißprozess verringern sich auch die Bauteilverzüge.
Als wirtschaftliche Mindest-Losgrenze für das automatische Schweißen haben die Essener rund zehn bis 15 Stück ausgemacht, je nach Produkt. Denn für das Umrüsten der Anlage auf eine neue Schweißaufgabe benötigt der Werker nach Gernoths Erfahrungen rund eine halbe Stunde, vor allem um den Brenner neu zu justieren. Nicht immer lohnt sich das: Entwicklungsleiter Nagel wertet denn auch den „problemlosen Wechsel zwischen Automatik- und Handbetrieb“ als zusätzliches Plus – ein Vorteil, den der Roboter nicht bieten kann.
„Keine Roboter, keine Projektteams“, so umwirbt Lorch seinen Automationsbaukasten. Den größten Vorteil sieht Bernd Foschiatti, verantwortlich für den Bereich Systemintegration, darin, dass sich die Komponenten „plug&play“ zusammenstecken und in bestehende Fertigungen einbinden lassen. „Die Komponenten verstehen und erkennen sich. Oft kann die Schweiß-Produktion schon nach wenigen Stunden beginnen.“ Dafür sorgt das Bussystem LorchNet mit seinen standardisierten Schnittstellen. Die Baukastenlösung preist Lorch als Alternative zu den Vorrichtungs-Basteleien an, die im Mittelstand häufig anzutreffen seien und bei denen der Anwender oft mit Fehlern und Kompromissen leben müsse. Zusammen mit Partnern bietet der Schweißtechnik-Spezialist auch roboterisierte Lösungen mit allen gängigen Roboterherstellern an. Doch für den wirtschaftlichen Einstieg in die Automatisierung legt Lorch den Fokus bewusst auf die günstigen Längs- und Rundnaht-Automatisierungen. Foschiatti: „Hier decken wir ein Anwendungsgebiet ab, das bisher niemand richtig bedienen konnte.“
Roboter und Rund- oder Längsnahtschweißsysteme sind keine Konkurrenten. Das zeigt sich auch am Angebot der Rehm GmbH & Co. KG in Uhingen. Rehm hat nachgezogen und mit Partnern in einjähriger Entwicklungsarbeit einen eigenen Baukasten auf den Markt gebracht: Er enthält Schweißdrehtische, Längs- und Rundnahtschweißgeräte, Ecknaht- und Kantenschweißgeräte – und eben auch Roboter-Schweißzellen in sechs Basisvarianten. „Von vornherein war klar, dass wir unser Automationssystem komplett ausstatten und dafür Komponenten auf breiter Front entwickeln“, sagt Marketingmanager Werner Essich. Sein Kollege Matthias Einert, Entwickler, betreut Kunden als Projektverantwortlicher. Auf die Frage, in welchen Fällen sich ein Roboter lohnt, hat er eine klare Antwort: „Muss ein Anwender nur Rund- und Längsnähte ziehen, braucht er in der Regel keinen Roboter. Dann können Rund- und Längsnahtschweißgeräte selbst bei Millionenstückzahlen rentabler sein.“
Anders sieht es bei komplizierteren Nähten aus, die weder linear noch rund sind. Dann konkurriert der Roboter mit einem Handschweiß-Arbeitsplatz. Wie sich die jeweiligen Kosten kalkulieren lassen, verdeutlicht eine Modellrechnung von Rehm: Die Investition in die Roboterzelle wird innerhalb der zuvor festgelegten Amortisationszeit auf die Stückkosten umgelegt. Dasselbe gilt für die Personalkosten, die beim Robotereinsatz niedriger liegen als bei einem Handarbeitsplatz, weil anstatt eines ausgebildeten Schweißers (für vielleicht 55 Euro) eine angelernte Kraft (für 19 bis 30 Euro) zum Einsatz kommt. Auch sie werden auf die Stückkosten umgelegt. Nun liegt es an den Mengen, ob die Stückkosten durch die Automatisierung wirklich so stark fallen, dass sich der Robotereinsatz lohnt. Entscheidend ist die Gesamtsumme der zu fügenden Teile: „Beim Kunden fragen wir immer, ob er auch ähnliche Teile zu schweißen hat“, erklärt Matthias Einert. Trifft dies zu, rückt der Robotereinsatz näher. Und noch eine weitere Option bringt Einert ins Spiel. „Least der Anwender einen Roboter, vereinfacht sich die Rechnung. Mit den dann bekannten monatlichen Fixkosten lässt sich ganz leicht ausrechnen, ob und wann sich die Investition amortisiert.“
Option Nummer drei: Einen gebrauchten Roboter kaufen. Darauf weist ausgerechnet Jürgen Czischke hin, Vertriebsleiter der Hamburger Dinse GmbH, die den Markt unter anderem mit High-End-Komponenten für die Schweiß-Automation bedient. Komplette Garnituren für den Roboter aus Schlauchpaket, Drahtvorschub, Strom- und Steuerkabel gehören dazu bis hin zu den Pistolenköpfen. Die „Revo.Torch“ zum Beispiel ermöglicht eine endlose Drehbarkeit der Schweißpistole mit Medienführung im Roboterarm – und holt so das Letzte aus eng getakteten Schweißproduktionen heraus. Eher ein Thema bei Großserien wie im Automobilbau. Kleinere Unternehmen dagegen „besorgen sich manchmal einen Second-Hand-Roboter und lassen ihn von uns für ihre Schweißaufgaben ausstatten“, sagt Czischke. Ein cleverer Einstieg in automatisierte Kleinserien, findet er. Sei ein neuer Roboter heute schon ab 40 000 Euro zu haben, so lassen sich mit einem gebrauchten die Kosten weiter deutlich senken. „Schon ein Viertel des Automationsgeschäftes machen wir mit kleinen Firmen“, schätzt der Vertriebsleiter. „Und dieser Anteil steigt, auch in osteuropäischen Ländern wie Polen und Tschechien.“
Der Roboter ist also im Kommen. Und dafür wird auch einiges getan. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert zum Beispiel das Verbundprojekt Rorarob, in dem der Roboter zum Gehilfen in der Rohr- und Rahmenkonstruktion wird (siehe Seite 42). Denn gerade bei komplexen Systemen kommt der Schweißer an Grenzen, manchmal fehlt ihm einfach die dritte Hand. Er ist hohen körperlichen Belastungen ausgesetzt. Zeit geht oft dadurch verloren, dass die Fachleute sequenziell arbeiten müssen und Systeme erst dann anpassen können, wenn die Komponenten und Anschlussstellen der Gesamtanlage vorhanden sind. Mit den Assistenzsystemen, die in Rorarob entwickelt werden, könnte es einfacher und besser gehen: Zwei Handhabungsroboter halten die Werkstücke in der ergonomisch und schweißtechnisch optimalen Position, der Schweißer zieht die Naht. Die Assistenzsysteme lassen idealerweise Expertendaten in die Parametrierung einfließen, so dass Verzugserscheinungen von Anfang an kompensiert werden.
Auch die Roboterhersteller arbeiten permanent daran, den Einsatz ihrer Produkte zu vereinfachen. Vorprogrammierte Software hat das Schweißen stark vereinfacht. Für Gerald Mies, Geschäftsführer von Fanuc Robotics Deutschland, gehört die Zukunft dem flexiblen Roboter: „Die Entwicklungsgeschwindigkeit ist derart hoch, dass der Roboter stetig intelligenter wird. Damit kann er flexibel integriert und an unterschiedliche Produkte angepasst werden.“
Wir berichteten in Industrieanzeiger 47/48, 2009
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