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Das passende Equipment für flexible MRK-Szenarien

Mensch-Roboter-Kollaboration
Das passende Equipment für flexible MRK-Szenarien

Mit einer neuen Generation von kollaborativen Greifern will Schunk den Weg ebnen für eine flexible Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Doch bevor die Modelle beim Kunden zum Einsatz kommen, werden sie bei Schunk in der eigenen Produktion ausgiebig getestet.

Uwe Böttger

Wenn es um Spann- und Greiftechnik geht, kommt man an Schunk nicht vorbei. Doch bevor das passieren kann, muss man Schunk erst einmal finden. Ok, mit einem handelsüblichen Navi kein wirkliches Problem, aber am Standort Brackenheim-Hausen der Schunk GmbH & Co. KG sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht. Oder was in unserem Fall besser passt: Roboter und Greifer.

In dem kleinen Dorf im unteren Zabergäu mit seinen knapp 2000 Einwohnern werden Techniken aus der Taufe gehoben, die in den kommenden Jahre die Automatisierung entscheidend mit prägen werden. Co-act heißt die neue Greiferserie von Schunk. Der Name ist eine Abkürzung für „Collaborative Actuator“ und deutet an, um was es im Kern der Sache geht: Mensch-Roboter-Kollaboration oder kurz MRK, die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter. Neben Industrie 4.0 und Digitalisierung sicher einer der aktuellen Mega-Trends. „Mit unserer neuen Greiferreihe haben wir den großen Aufschlag gemacht“, so Dr. Markus Klaiber, technischer Geschäftsführer bei Schunk. „Das Ganze ist eine logische und konsequente Weiterentwicklung im Bereich des intelligenten Greifens.“

Entscheidend für diesen Vorstoß ist nach Ansicht von Klaiber die Mechatronik. Mit Pneumatik hat sich Schunk einige Jahrzehnte beschäftigt und diese Technik wird es auch noch viele Jahre im Unternehmen geben geben. Aber in Zukunft werden mechatronische Komponenten den Ton angeben. “Wenn wir unsere Greifer intelligenter machen wollen, dann tun wir uns mit mechatronischen Antrieben leichter“, ist sich Klaiber sicher. „Mechatronik macht intelligentes Greifen erst möglich.“ Ein smarter Greifer muss zum Beispiel erkennen können, ob ein Werkstück vorhanden ist oder nicht. Mit einem mechatronischen Antrieb kein Problem, denn es gibt einen Motor, an dem sich der Motorstrom messen lässt. „Wenn der steigt, dann wissen wir, dass wir das Werkstück gegriffen haben“, so der Schunk-Manager. „Bei einem pneumatischen Greifer ist das nicht so einfach, da drückt die Luft auf ein Ventil und fertig.“

Alle Co-act-Greifer basieren auf Standard-Module aus dem Greifer-Programm von Schunk, das mit über 2500 Varianten das umfangreichste am Markt ist. Es werden also Komponenten genutzt, die sich längst im praktischen Einsatz bewährt haben und fit gemacht wurden für intelligentes Greifen und den boomenden MRK-Betrieb. So ist das Modell MPG plus konzipiert für das Kleinteilehandling und kommt zum Beispiel in der Elektronik- und Konsumgüterindustrie zum Einsatz. Mögliche Applikationen finden sich auch in der Automotive-Industrie und im Maschinenbau. Die Variante EGP ist das elektrisch angetriebene Pendant zum MPG plus und wird ebenfalls im Kleinteilehandling eingesetzt. Hohe Greifkräfte entwickelt der elektrische Greifer EGN und kann deswegen auch mit langen Fingern beim Felgenhandling eingesetzt werden. Den Co-act-Greifer WSG schließlich haben die Ingenieure bei Schunk für feinfühlige und variantenreiche Greifoperationen entwickelt. „Bei allem technischen Fortschritt haben wir stets das beibehalten, was die Zuverlässigkeit unserer Greifer ausmacht“, betont Klaiber. „Die Kreuzrollenführung im oberen Teil.“

Mit seinen Co-act-Modellen will Schunk das Greifen auf ein neues Niveau heben. „Unsere Greifer können mehr, als ein Bauteil von A nach B bewegen“, bringt es Klaiber auf den Punkt. „Sie übernehmen Handling, Condition-Monitoring und Teile des operativen Prozessmanagements.“ „Closest to the part“ nennt Schunk die exponierte Position seiner Greifer im Handhabungsprozess. Und wenn man schon mit dem Greifer so nahe am Bauteil ist, dann liegt es doch nahe, gleich weitere Aufgaben mit zu erledigen. Zum Beispiel die Qualitätssicherung. Beim sogenannten Smart Gripping vermessen, identifizieren und überwachen die Greifer in Echtzeit die gegriffenen Bauteile und damit den laufenden Produktionsprozess. Die mit dem Greifer ermittelten Daten werden an die Anlagensteuerung weitergeleitet und können parallel an übergeordnete Systeme und Cloud-Lösungen für statistische Prozessanalysen übertragen werden. „Während bei konventionellen Handling-Lösungen das Augenmerk auf der Stabilität und Wirtschaftlichkeit einzelner Operationen lag, sollen nun moderne Applikationen die Prozesskette flexibler machen und detaillierte Prozessdaten bereitstellen“, ergänzt Klaiber. Ohne zusätzliche Sensorik erkennt der Greifer ein fehlerhaftes Bauteil und entscheidet, ob dieses Teil aus dem Prozess ausgeschleust werden muss.

Wie das Ganze in der Praxis aussehen kann, zeigt das Tochterunternehmen Schunk Electronic Solutions GmbH am Beispiel eines Nutzentrennsystems. Die Anlage trennt kleinere Leiterplatten aus einer Trägerplatte, dem sogenannten Nutzen. Nach der Trennung werden die Bauteile über ein Achssystem an ihrem Bestimmungsort abgelegt, beispielsweise einem Ladungsträger. Vor dem Ablegen werden die Bauteile in der Regel vermessen und ihre Qualität geprüft. Für diesen Handhabungsschritt setzt Schunk einen intelligenten Greifer ein, der über eine integrierte Sensorik die Vermessung der Bauteile während des Greifvorgangs übernimmt. Die ermittelten Daten leitet er zur weiteren Prozessteuerung an die Anlagensteuerung weiter. Außerdem stellt der Greifer die Daten einem Analyse-Tool auf der SAP Cloud HANA zur Verfügung, wo alle Daten gesammelt werden, die für eine Prozessoptimierung relevant sind. Mit der Cloud-Lösung kann der Betreiber jeden Greifvorgang auf beliebigen Endgeräten live mit verfolgen, die Ergebnisse statistisch auswerten, visualisieren und Prozessoptimierungen vornehmen. Die integrierte Qualitätskontrolle und die automatische Ausschleusung von Schlechtteilen anhand individuell definierbarer Sollgrößen verhindert, dass defekte Leiterplatten in den nachfolgenden Prozessschritten mit hohen Kosten weiterveredelt werden. Zugleich entfallen teure Messsysteme und Auswerteeinheiten inklusive deren Anbindung und Konfiguration. Nicht zuletzt spart der Anwender die Zeit für externe Prüfungen. Und am Ende wird der Prozesse insgesamt schneller, effizienter und damit wirtschaftlicher.

Schlüsselkomponente bei dieser Anwendung ist das Modell EGL Profinet. Mit einem variablen Hub und einer flexiblen Greifkraft zwischen 50 und 600 N deckt der Greifer ein breites Teilespektrum ab und nutzt seine Position unmittelbar am Teil voll aus. Die integrierte Sensorik erfasst Größe und Elastizität des Bauteils und die Daten werden im Greifer verarbeitet. Das Schunk-Modell erkennt Beschädigungen und kann schließlich entscheiden, ob das Bauteil gut oder schlecht ist.

Mit der neuen Greiferreihe ist Schunk aber nicht nur nahe am Bauteil, sondern auch nahe am Werker. „Closest to the human“ heißt in diesem Fall das zugehörige Motto der schwäbischen Spezialisten. Die Befreiung der Roboter aus ihren Käfigen ist in vollem Gange. „In wenigen Jahren schon wird die unmittelbare Kollaboration des Menschen mit dem Roboter ein fester Bestandteil der Produktion sein“, ist sich Klaiber sicher. „Deswegen arbeiten wir mit Hochdruck an der Zähmung des Greifers für kollaborative Szenarien.“ Dazu gehört auch die Fertigung. Monotone Arbeiten wie das Beladen und Entladen einer Werkzeugmaschine werden sukzessive durch kollaborierende Systeme ersetzt, so die Prognose des Schunk-Managers. Während der Werker mehrere Maschinen überwacht und sich um die Roh- und Fertigteile kümmert, übernehmen kollaborierende Roboter die Beladung. Im Gegensatz zu klassischen Lösungen mit Roboter und Schutzzaun bleibt die Werkzeugmaschine bei diesem Ansatz frei zugänglich. Einzelaufträge und Kleinserien kann der Mitarbeiter weiterhin umsetzen. Ein weiteres Anwendungsfeld ist die Handhabung von Werkstücken in gesundheitsgefährdenden Bereichen, zu denen die Röntgenprüfung von Alugussteilen zählt. Hier kann ein Co-act-Greifer die Handhabung im Strahlungsbereich der Röntgenanlage übernehmen und das Bauteil danach für die weitere Verarbeitung an den Mitarbeiter übergeben.

Schunk gehört zu den Unternehmen, die neue Entwicklungen in der eigenen Produktion ausgiebig testen (siehe auch Interview) und das gilt derzeit besonders für MRK-Anwendungen. Derzeit entwickeln die Schwaben einen Arbeitsplatz, an dem künftig ein Werker mit einem Kuka-Roboter LBR iiwa zusammenarbeiten soll, der für den kollaborativen Betrieb zertifiziert ist. Der Roboter ist mit dem inhärent sicheren Co-act-Greifer EGP 40 ausgestattet, der ebenfalls zertifiziert ist und zusätzlich über eine Kamera und eine Bilderkennungssoftware verfügt. Falls ein weiterer Mitarbeiter von der Seite in den Arbeitsraum des Roboters eintreten würde, sorgt ein Sicherheitslaser des Herstellers Sick dafür, dass der stählerne Kollege seine Verfahrgeschwindigkeit reduziert beziehungsweise ganz stehen bleibt. Vor der Einführung in den Regelbetrieb findet eine Erprobungsphase statt, in der bei Schunk die Bereiche Entwicklung, Arbeitssicherheit und Montage eng zusammenarbeiten. Das Feedback des Werkers ist dabei für den erfolgreichen Prozess unerlässlich und fördert darüber hinaus die Akzeptanz des neuen Kollegen. „Durch das Trennen von Tätigkeiten konnten wir die Ergonomie des Arbeitsplatzes deutlich verbessern“, unterstreicht Klaiber.


„Wir sind unser eigener Pilotkunde“

Im Gespräch mit Dr. Markus Klaiber, technischer Geschäftsführer bei Schunk.

Herr Dr. Klaiber, sind die neuen Co-act-Greifer bereits in der praktischen Anwendung?

Es gibt einige Pilotanwender. Bei denen stehen manchmal zwanzig oder dreißig Linien nebeneinander und wir nehmen uns dann eine vor und stellen sie um auf Mensch-Roboter-Kollaboration. MRK ist eine massive Forderung aus der Automobilindustrie. Der stellen wir uns gern. Aber es ist nicht so, dass von heute auf morgen alles umgestellt wird.

Werden die neuen Greifer auch bei Schunk in der eigenen Fertigung genutzt?

Natürlich, wir sind unser eigener Pilotkunde. Was wir im Moment in der Entwicklung haben kommt bitte schön als erstes in die eigene Produktion.

Die klassische Lernfabrik also?

Der Begriff ist ein wenig in die Jahre gekommen, aber das trifft es schon. Unsere kritischen Meister geben uns immer wieder ein direktes Feedback und geben uns Hinweise. So haben wir die Chance zu lernen und über neue Entwicklungen nachzudenken.

Und dem Kunden zu zeigen, was heute schon möglich ist?

Es ist auch eine Art Leistungsshow. Wir präsentieren unsere neuen Entwicklungen im Haus und zeigen damit, dass wir uns mit den eigenen Produkten identifizieren. Was hätte das für eine Außenwirkung wenn wir sagen würden: Wir können unsere Greifer nur verkaufen, aber in den eigenen vier Wänden haben wir keine Verwendung dafür.

Das Thema Sicherheit spielt bei MRK eine zentrale Rolle. Profitieren die Kunden in dieser Hinsicht von den internen Tests?

Ganz sicher. Wir entwickeln bei uns gerade eine MRK-Applikation mit einem Kuka LBR iiwa und dem Greifermodell EGP 40. Der Arbeitsplatz ist inzwischen von der Berufsgenossenschaft abgenommen und frei gegeben worden. Das war ein Leidensweg, bei dem wir viel gelernt haben. Auch der Kunde profitiert, denn durch unsere Vorarbeit wird der Zertifizierungsaufwand bei ihm geringer.

Wie viele MRK-Arbeitsplätze wird es mittelfristig bei Schunk geben?

In absehbarer Zeit werden die MRK-Arbeitsplätze fünf bis zehn Prozent ausmachen. Wichtiger ist in diesem Zusammenhang aber unser übergeordnetes Ziel: MRK wird in die eigene Produktion nur dann aufgenommen, wenn es Sinn macht. Wir machen MRK nicht, weil es ein Trendthema ist und jeder darüber spricht. Das Ganze muss einen Effekt haben, bessere Ergonomie, reduzierte Durchlaufzeit oder höhere Produktivität. Das ist die Vorgabe der Geschäftsleitung und das ist auch richtig so. Sonst würden wir unseren Kunden etwas vormachen.

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