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Ein Spiel mit Zehntelsekunden

Robotik: Software verkürzt Entnahmezeit beim Spritzguss
Ein Spiel mit Zehntelsekunden

Um die Effizienz von Prozessen zu steigern, ist oft minutiöse Detailarbeit nötig. ABB Robotics und Peguform entwickelten zusammen ein Softwaretool für Entnahme-Roboter an Spritzgießmaschinen. Das Programmpaket verkürzt die Entnahmezeit bis zu zehn Prozent.

Der Kunststoffverarbeiter und Automobilzulieferer Peguform setzt in seinem Werk in Neustadt schon seit Jahren auf robotergestützte Spritzgießlinien. Der Erfolg des Unternehmens basiert darauf, dass die Entwickler stets den erreichten Stand der Technik hinterfragen und nach neuen Lösungen suchen, um Vorhandenes weiter zu verbessern. Dabei spielen Mess- und Regeltechnik sowie intelligente IT-Lösungen eine wichtige Rolle.

Bei den kontinuierlichen Verbesserungsmaßnahmen rückten auch die Entnahmezeiten an den Spritzgießlinien in den Fokus der Planer. Analysen zeigten, dass zwar die Verfahrwege der Roboter und Spritzgießmaschinen optimiert sind, nicht jedoch die dafür erforderlichen Zeiten. Mit 6 bis 8 s für einen vollständigen Zyklus ist das verfügbare Zeitfenster zum Optimieren der Entnahme allerdings knapp bemessen. Trotzdem ist hier noch weiteres Rationalisierungspotenzial gegeben. Dabei geht es nicht darum, die Maschinen mit höheren Geschwindigkeiten zu fahren oder diese schneller zu beschleunigen. Der Schlüssel liegt in der Synchronisation der Schaltzeitpunkte zwischen Entnahmeroboter und Spritzgießmaschine.
Nach dem Beenden des Spritzvorgangs öffnet die Spritzgießmaschine ihre Form gerade so weit, dass der Roboter seinen Arm zur Entnahme des Spritzgussteils einfahren kann. Dazu sendet die Maschine nach dem vollständigen Auffahren der Form ein Freigabesignal an den Roboter. Daraufhin fährt dieser aus seiner Warteposition in die Form. Nachdem er diese mit dem Spritzgussteil wieder vollständig verlassen hat, sendet der Roboter seinerseits ein Freigabesignal an die Spritzgießmaschine, damit diese mit dem nächsten Produktionszyklus beginnen kann.
Die Zeitpunkte zum Senden der Signale legen Achsbegrenzungsschalter oder elektronische Begrenzungsschalter fest. Diese Schaltzeitpunkte lassen sich aus zwei Gründen optimieren. Zum einen hat der Roboter beim Einfahren in die Form und beim Verlassen derselben mit dem Bauteil einen unterschiedlichen Raumbedarf. Es lässt sich etwas Zeit gewinnen, wenn das Freigabesignal von der Spritzgießmaschine bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt, bevor die Form vollständig aufgefahren ist. Denn so kann der Roboter seinen Arm bereits während des Öffnens zwischen die Formwerkzeuge führen.
Der Vorgang ist vergleichbar mit dem Fahrverhalten eines Autofahrers, der von einer Nebenstraße kommend auf eine Hauptstraße links einbiegen will. Er muss seine Bewegungen mit denen des restlichen Verkehrs koordinieren. Ein wenig routinierter Fahrer wartet, bis weder von links, noch von rechts ein Fahrzeug kommt und biegt erst dann ein. Das entspricht etwa der beschriebenen Fahrweise des Entnahmeroboters bei konventioneller Betriebsweise. Ein geübter Autofahrer jedoch, vorausgesetzt von links kommt kein Fahrzeug, fährt in solchen Situationen bereits an, wenn der von rechts kommende Wagen noch vor ihm ist. Er synchronisiert seine Bewegung mit der des kreuzenden Verkehrs hinsichtlich Weg, Zeit und der eigenen Beschleunigung. So kann er wertvolle Zeit gewinnen und auch kleinere Lücken nutzen. Genau das macht auch das von Peguform und ABB entwickelte Softwarepaket Machine Sync.
Der zweite Ansatzpunkt liegt in der Trägheit der hydraulischen Schließzylinder. Diese müssen zum Schließen der Form zunächst den erforderlichen Arbeitsdruck aufbauen. Bei konventioneller Fahrweise erhält die Spritzgießmaschine das Freigabesignal hierzu aber erst dann vom Roboter, wenn der mit dem Spritzgussteil komplett aus dem Formraum gefahren ist. Sendet er das Signal dagegen bereits früher, also noch während er den Formraum verlässt, kann die Spritzgießmaschine schon mit dem Druckaufbau beginnen und so die Form auch etwas früher schließen.
So weit die Theorie. In der Praxis lässt sich das hypothetische Zeitfenster jedoch nicht vollständig nutzen. Sollte der Roboter nämlich aus technischen Gründen nach dem Erteilen des Freigabesignals innerhalb der Form plötzlich langsamer fahren oder gar stoppen, muss er das der Spritzgießmaschine signalisieren. Und da diese infolge der Trägheit des hydraulischen Systems auch nur zeitverzögert bremst, ist ein Sicherheitsabstand unumgänglich, um einen Crash auszuschließen. Trotz dieser schwierigen Bedingungen lassen sich mit intelligenten Steuerungsalgorithmen und leistungsfähiger Sensortechnik beachtliche Leistungssteigerungen realisieren. Das entwickelte Synchronisationsprogramm macht das deutlich.
Hohe Geschwindigkeiten und Beschleunigungen sind zwar das A und O für die optimale Leistung von Maschinen. Doch bei großen bewegten Massen muss das Beschleunigen und Abbremsen gedämpft erfolgen, denn das schont die hydraulischen und mechanischen Bauteile der Maschinen. Deshalb verzögert die Spritzgießmaschine auf den letzten Zentimetern vor Erreichen der jeweiligen Endstellung die Fahrgeschwindigkeit der Form. Ein am beweglichen Werkzeugteil angebrachter Sensor sendet kontinuierlich dessen exakte Position an die Steuerung. So kann Maschine Sync die aktuelle Formposition direkt in die Bahnplanung des Roboters einbeziehen und dessen Bewegungen perfekt mit der sich öffnenden Form synchronisieren – so wie der routinierte Autofahrer. Ein permanenter Datenabgleich der Bewegungsbahnen vermeidet Kollisionen.
Während des Herausfahrens aus der Form bewegt sich der Roboter in der Regel mit maximaler Geschwindigkeit. ABB hat das Programm so eingestellt, dass die Spritzgießmaschine die Form erst dann voll zufährt, wenn der Roboter den kritischen Bereich soeben verlassen hat. Das ist ein Spiel mit Zehntelsekunden. Sollte der Roboter jedoch aus technischen Gründen plötzlich langsamer fahren, erkennt Machine Sync diese Abweichung und sendet der Spritzgießmaschine ein Stoppsignal, damit sie kurzfristig anhält.
Ein weiterer Vorteil der Software ist ihre Lernfähigkeit. Dadurch kann der Roboter selbstständig eine schonendere Fahrweise außerhalb der Form entwickeln. Normalerweise legt der Roboter das entnommene Teil auf ein Förderband und fährt anschließend schnell in seine Parkposition oberhalb der Spritzgießmaschine. Dort wartet er dann auf das nächste Freigabesignal zum erneuten Einfahren. Abhängig von den Spritzparametern für die unterschiedlichen Teile kann diese Wartezeit mehr als 30 s betragen.
Das Programm ermöglicht hier eine intelligentere und schonendere Fahrweise. Das Programm merkt sich die Wartezeit des Roboters, wenn dieser das erste Mal seine Parkposition nach dem Ablegen des entnommenen Teils einnimmt. Wartet er dort länger als 3 s bis zum nächsten Job, erkennt das Programm, dass der Roboter beim nächsten Mal langsamer in die Parkposition fahren kann. Diesen Abgleich macht das System mehrfach und tastet sich so iterativ an eine Fahrweise heran, bei der sich der Roboter statt mit 100 % nur noch mit etwa 80 % der programmierten Geschwindigkeit bewegt. Das ergibt eine deutlich geringere Belastung der Getriebe und erhöht deren Lebensdauer. Ein weiterer Effekt ist die niedrigere Stromaufnahme, was wiederum die Betriebskosten senkt.
Prozessoptimierung bedeutet, die Effizienz vieler kleiner miteinander verketteter Teilprozesse zu erhöhen. Doch je fortgeschrittener ein Prozess bereits ist, umso schwieriger wird es, weitere Rationalisierungspotenziale wirtschaftlich nutzbar zu machen. Das Verkürzen der Entnahmezeit um 10 % macht deutlich, dass dieser Weg zunehmend über Software und intelligente Sensortechnik führt.
Gerd Trommer Fachjournalist in Gernsheim

Neue Technologien
Oft sind Prozesse schon so fortgeschritten und ausgereift, dass sich nur noch über die Software etwas Effizienz herauskitzeln lässt. Diesen Weg haben der Roboterhersteller ABB und der Automobilzulieferer Peguform beschritten. Ein Software-Tool optimiert bei Peguform die Bewegungen des Roboters, der aus der Spritzgießmaschine ein Teil entnimmt. Die Bahnen des stählernen Kollegen wurden harmonischer und unter dem Strich um zehn Prozent schneller.
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