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Roboter kennen keinen Schmerz

Bei Scott Fetzer übernehmen mobile Automaten Jobs, die auf die Knochen gehen
Roboter kennen keinen Schmerz

Beim Elektronikhersteller Scott Fetzer in Tennessee erledigen mobile Roboter des Herstellers Universal Robots wechselnde Aufgaben. Mit den kollaborierenden Modellen konnte das Unternehmen Prozesse in die USA zurückholen, die bereits nach China ausgelagert waren.

Matthew Bush, Director of Operations bei der Scott Fetzer Electrical Group (SFEG), ist immer auf der Suche nach Möglichkeiten, das Unternehmen wettbewerbsfähiger zu machen und mehr Nutzen aus den vorhandenen Maschinen zu ziehen. Dabei stieß er irgendwann auf mobile Roboter. „Wir sind ein High-Mix-Low-Volume-Hersteller und das ist zugleich eine große Herausforderungen“, sagt Bush. „Die meisten unserer Fertigungslinien sind nicht kontinuierlich in Betrieb und deswegen können wir Roboter nicht auf die herkömmliche Weise integrieren.“

Die Roboterflotte soll kontinuierlich ausgebaut werden
Bush hatte ein konkretes Ziel vor Augen. Er wollte eine mobile und flexible Roboterflotte aufbauen. „Wir erhielten nur wenige Angebote“, erzählt er. „Dabei waren die Modelle von Universal Robots die einzigen, die unserer Anforderungen erfüllen konnten.“ Für Bush war es entscheidend, dass die Modelle des dänischen Herstellers mit der Geschwindigkeit und Präzision eines Standard-Industrieroboters arbeiten und zudem direkt neben einem Menschen eingesetzt werden konnten. Das war eine radikale Veränderung im Vergleich zu den traditionellen Industrierobotern, die üblicherweise fest verdrahtet hinter Sicherheitszäunen aufgestellt werden müssen. Die Modelle von Universal Robots, kurz UR, sind einfach zu bedienen und lassen sich leicht für eine neue Aufgabe konfigurieren. Durch die integrierten Sicherheitsfunktionen hält der Roboterarm sofort an, wenn er bei der Arbeit auf Menschen oder Objekte stößt.
Scott Fetzer hat seine Modelle auf Sockel mit Rädern platziert und baut jetzt schrittweise eine mobile Roboterflotte auf, die überall in der Blechverarbeitung eingesetzt werden kann. Die Geräte sind dabei in den kompletten Produktionszyklus integriert. Der reicht vom Zuschneiden des Rohlings auf der Schneidpresse über die Formung und Falzung bis hin zur Endmontage der Elektrokomponenten. Der Einsatz weiterer Roboter ist bereits geplant. Sie sollen die Bedienung der Revolverstanzmaschinen und Abkantpressen unterstützen. „Wir brauchen Roboter, die allzeit bereit sind und auf den nächsten Job warten“, versichert Bush. „Heute biegt der Roboter Metallblech, morgen übernimmt er Montage-Aufgaben und übermorgen hat er einen Einsatz beim Manufacturing Day an der örtlichen Hochschule.“ Die Mitarbeiter fahren die Roboter am Morgen einfach zu den Arbeitseinsätzen, die an diesem Tag anstehen. Dabei orientieren sie sich an den ausgedruckten Arbeitsaufträgen.
Vor dem ersten Einsatz der neuen, kollaborierenden Roboter war Jamie Cook, Principal Engineer bei Scott Fetzer, etwas nervös. Er hatte vorher noch nie Roboter ohne Schutzumhausung programmiert. Jedes Modell ist mit einem Touchpad ausgestattet, über das die gesamte Programmierung erfolgt. Der Roboterarm kann entweder über Pfeiltasten auf dem Bildschirm oder im Teach-Modus durch einfaches Greifen des Roboterarms angelernt werden. Dabei werden ihm die einzelnen Wegpunkte, die er anfahren soll, Schritt für Schritt gezeigt. Der Programmierer führt den Arm einfach mit der Hand an die einzelnen Punkte, die über das Touchpad bestätigt werden. Die aufwendige Programmierung im Code, wie es Cook von den traditionellen Robotern her kennt, fiel unter den Tisch. „Das Ganze ist wirklich einfach und mit einem minimalen Trainingsaufwand zu schaffen“, sagt Cook. „Ich habe einfach das Handbuch gelesen und bin der intuitiven Benutzeroberfläche gefolgt“. Im Vergleich zu früher ist nach Ansicht von Cook die Implementierungszeit auf rund ein Drittel geschrumpft.
Bei der Suche nach Aufgaben, die automatisiert werden könnten, hatte Matthew Bush vor allem eintönige und potentiell gefährliche Arbeiten im Blick. Eine davon ist zum Beispiel das Befüllen von Platinen mit Epoxidharz. Früher bereiteten die Mitarbeiter erst eine große Menge Platinen vor, füllten diese dann manuell mit Epoxidharz und leiteten sie zur Aushärtungslinie weiter. „Jetzt erledigt der Roboter diese Arbeit den ganzen Tag, sodass wir zu einem One-Piece-Flow-Konzept übergehen konnten”, sagt Bush. Mit einem ortsfesten Modell wäre das nicht möglich gewesen, denn schließlich muss der Roboterarm jeden Tag in die Zelle hinein- und wieder hinausgefahren werden, damit die Epoxidharzmaschine demontiert und die Zelle gereinigt werden kann.
Jeden Tag 16 000 Drähte schneiden kann auf Dauer nicht gesund sein
Ein weiteres Einsatzbeispiel ist die Produktionslinie für Motoren. Hier lassen sich jetzt Sicherheitsrisiken vermeiden, weil der Roboter das Drahtschneiden übernommen hat. Früher wurden an diesem Platz jeden Tag 16 000 Drähte mit der Hand geschnitten. Schmerzhafte Krankheiten im Handgelenk wie das Karpaltunnelsyndrom sind da fast schon vorprogrammiert. „Hier sind die Roboter an der richtigen Stelle im Einsatz, denn sie kennen keinen Schmerz und kriegen auch keine Beschwerden“, stellt Bush richtig fest. Im Einsatz sind die Modelle UR5 und UR10. Die Bezeichnungen orientieren sich an der Tragfähigkeit der Roboter in Kilogramm. Der UR5 steht am Ende der Linie direkt neben einem Mitarbeiter, der dem Roboter ein Motorteil übergibt. Die Maschine nimmt das Teil an, legt es in eine Halterung, greift einen Drahtschneider, schneidet damit die Drähte zu und platziert das Teil dann so, dass es vom UR10-Roboter aufgenommen und zur Endmontage auf ein Förderband gelegt werden kann. Die beiden Modelle arbeiten im Akkord und tauschen ihre jeweilige Position über eine so genannte Modbus-Socket-Verbindungen aus. Auf diese Weise lassen sich auch mehrere Roboter zusammenschalten. Außerdem können Daten auf andere Software-Systeme übertragen werden. „Es eröffnen sich so viele Möglichkeiten, die wir gerade erst zu entdecken beginnen“, freut sich Jamie Cook.
Nach Ansicht von Rob Goldiez, General Manager bei Scott Fetzer, hat sich die Produktivität an den Fertigungsanlagen durch die stählernen Werker verbessert. „Bevor wir die Roboter an unserer Transformatorlinie eingesetzt haben, sind wir im Schnitt auf zehn Teile pro Person und Stunde gekommen“, rechnet Goldiez vor. „Heute schaffen wir in der gleichen Zeit mit einer Person ein Dutzend Teile und das ist immerhin eine Steigerung von zwanzig Prozent.“ Oder anders ausgedrückt: Mit den Robotern hat das Unternehmen einen echten Schrittmacher gewonnen, der mit den Angestellten Hand in Hand arbeiten.
In einer ebenfalls neuen Applikation testet der Roboter neue Konstruktionen und sammelt nebenbei kräftig Daten. Konkret geht es dabei um kleine Motoren von Scott Fetzer, die im Kundenprodukt platziert sind und die der Roboter ein- und ausschaltet. Der Ablauf ist immer er gleiche: Einschalten, eine Minute laufen lassen, ausschalten, eine halbe Minute Pause. Dann beginnt der Zyklus wieder von vorn. Der ganze Test dauert insgesamt 400 Stunden. „Für uns ist das eine effiziente Methode, die Lebenszyklusprüfung eines Produkts automatisiert durchzuführen“, sagt Matthew Bush. Das Ganze ließ sich ohne großen Aufwand realisieren. Bush versichert, dass die erste Version der Anwendung nach fünf Minuten programmiert war. Während der Prüfzyklen erfasst der Roboter alle relevanten Daten. Dazu zählen zum Beispiel der Maximalstrom, die durchschnittliche Stromstärke und natürlich die Zahl der durchgeführten Zyklen. Alle Informationen werden zentral abgelegt. Mit der Lösung können die Amerikaner nicht nur ihre Entwicklungen schneller zur Serienreife bringen. Sie verschafft ihnen auch Wettbewerbsvorteile gegenüber Herstellern, die tausende Meilen entfernt in Niedriglohnländern tätig sind. „Inzwischen können wir uns auch gegen chinesische Wettbewerber durchsetzen und Aufträge zurückgewinnen, die bereits in China erledigt wurden“, freut sich Bush.
Der drahtschneidende UR5, der mit dem UR10 eng zusammen arbeitet, wurde von den Mitarbeitern inzwischen gut angenommen. Am Anfang allerdings befürchteten viele, die neue Technik würde ihnen den Job nehmen. „Deswegen verpasste man dem Roboter-Duo den Namen „Thelma und Louise“, erzählt Sebrina Thompson, Leiterin der Produktionslinie bei Scott Fetzer. Sozusagen frei nach dem gleichnamigen amerikanischen Roadmovie, in dem sich zwei durchgeknallte Hausfrauen den Weg frei schießen. „In Wirklichkeit ist es so, dass die Roboter heute viele mühsame Aufgaben erledigen und wir können uns auf anspruchsvollere Tätigkeiten konzentrieren“, so Thompson. Inzwischen machen sich die Kollegen sogar Gedanken, wo der nächste Roboter eingesetzt werden könnte. Und die Handhabung der Modelle ist dabei denkbar einfach. „Wenn man mit einem Smartphone umgehen kann, dann kann man schon fast die Roboter bedienen“, versichert Thompson.
Nach 12 bis 14 Monaten sollen sich die Roboter amortisiert haben
Mitarbeiter, deren Aufgaben teilweise von den Robotern übernommen wurden, sind jetzt in Produktionsbereichen aktiv, wo das Unternehmen Wachstumsmöglichkeiten erkannt hat oder wo durch natürliche Fluktuation Stellen neu zu besetzen waren. „Wir konnten tatsächlich alle betroffenen Mitarbeiter in anderen Unternehmensbereichen unterbringen“, sagt General Manager Rob Goldiez. „Aktuell haben wir 14 Roboter von Universal Robots erworben und wenn die endgültig im Einsatz sind, werden wir voraussichtlich 14 Mitarbeiter mit neuen Aufgaben beschäftigen können. Dadurch werden wir insgesamt flexibler.“
Eine der nächsten Roboteraufgaben, die man derzeit bei Scott Fetzer entwickelt, ist das Anbringen von C-Clips auf Armaturen. Und am Lackierofen sollen zwei UR10-Modelle Körbe mit Motoren beladen und entladen. Am Ende des Lackierförderbands ist bereits ein UR10-Roboter im Einsatz. Er fungiert als einfache Umladestation und transportiert Körbe zwischen den Linien. Die Entscheidung, dort einen Roboter zu installieren, hatte nichts mit Optimierung zu tun. Es war gerade einfach ein Modell übrig, der nicht im Einsatz war und der sich an dieser Stelle problemlos integrieren ließ und mit dem sich die Förderlinie tagsüber vollständig steuern ließ. „Auf diese Weise konnten wir rund 10 000 Dollar sparen, die wir sonst in eine neue Umladestation hätten investieren müssen“, sagt Bush, der im Übrigen die Amortisationszeit für die UR-Roboter auf 12 bis 14 Monate einschätzt. „Wir achten jetzt bei allen neuen Produktentwicklungen darauf, ob wir mit einem Roboter montieren können. Ist das nicht der Fall, überdenken wir das Design noch einmal und versuchen es erneut“, so Bush.
Die Roboter für Scott Fetzer wurden über den Vertriebshändler Cross Automation gekauft, der den Südosten der USA bedient. Karl Bentz, Sales Engineer bei Cross Automation, stellt eine zunehmende Nachfrage nach kollaborierenden Robotern fest, vor allem bei den Automobilzulieferern. „Dabei geht es meist darum, ergonomisch ungünstige Aufgaben zu automatisieren, die bislang von Mitarbeitern erledigt werden müssen“, so Bentz. Auch in der Medizintechnik hält der neue Robotertyp Einzug, etwa bei der Lasermarkierung oder in der Montage. „Und wie bei Scott Fetzer denken die Kunden nach der Installation des ersten Modells sehr schnell darüber nach, welche Aufgaben als nächstes automatisiert werden könnten.“ (ub)
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