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Energiewirtschaft beginnt, sich für Wasserstoff zu öffnen

Energieträger Wasserstoff
Energiewirtschaft beginnt, sich für Wasserstoff zu öffnen

Wasserstoff, der umweltfreundliche chemische Energieträger, kann mit überschüssigem Windstrom produziert und über das gut ausgebaute Erdgasnetz transportiert werden. Eine Reihe von Pilotprojekten zeigt, welche Möglichkeiten sich damit eröffnen können und welche Hindernisse es noch gibt.

Ein Stück Zukunft der Energieversorgung könnte ungefähr so aussehen wie in Prenzlau. Hier, im Nordosten Brandenburgs, steht seit fünf Jahren ein Hybridkraftwerk des Windparkbetreibers Enertrag. Es nutzt den Strom aus benachbarten Windrädern, um den umweltfreundlichen chemischen Energieträger Wasserstoff zu produzieren. Der Wasserstoff dient gemeinsam mit Biogas dazu, in Motoren und Generatoren bedarfsgerecht Strom und Wärme zu produzieren. Seit zwei Jahren wird der Wasserstoff auch in eine nahe Ferngasleitung des Betreibers Ontras eingespeist und kann so vom Ökoenergie-Anbieter GPE Greenpeace Energy bundesweit in einem Mischprodukt mit Erdgas als „Pro-Windgas“ vermarktet werden.
Mit diesem Mischprodukt beliefert GPE inzwischen knapp 15000 Kunden, die in den ersten elf Monaten 2016 insgesamt 170 Gigawattstunden bezogen. Der Wasserstoff-Anteil ist dabei mit 0,5 % im Jahresdurchschnitt, bezogen auf den Energieinhalt, zwar noch recht bescheiden. Im nächsten Jahr soll er auf 1 % verdoppelt werden, weil GPE inzwischen auch Wasserstoff aus neuen Produktionsanlagen im fränkischen Haßfurt und in Mainz bezieht. Für die kommenden Jahre hat sich GPE das Ziel gesetzt, den Wasserstoff-Anteil im Mischprodukt nach und nach weiter anzuheben.
Als wichtige Voraussetzung dafür nennt GPE-Pressesprecher Michael Friedrich, dass die Beimischungsgrenze für Wasserstoff in Erdgasnetzen erhöht wird. Derzeit liege sie in der Nähe von Erdgas-Tankstellen bei 2 Vol.-%, sonst bei 5 %. „Eine Erhöhung auf zehn Prozent ist technisch möglich und wird angestrebt“, berichtet Friedrich. Außerdem hofft er auf Kostenentlastungen bei der Produktion des Wasserstoffs aus Ökostrom per Elektrolyse: Bisher werde sie noch mit der Umlage für erneuerbare Energien belastet, was er für nicht gerechtfertigt hält. Auch eine künftige Serienproduktion der bisher noch teuren zentralen Anlagentechnik – der Elektrolyseure – könnte zu sinkenden Kosten und damit zu einer wachsenden Produktion von Wasserstoff aus Windstrom führen.
Zwei-Prozent-Grenze
Das Hybridkraftwerk Prenzlau hat in den ersten elf Monaten 2016 insgesamt 735 MWh an GPE geliefert. Enertrags Pressesprecher Robert Döring lässt durchblicken, dass diese Menge deutlich größer sein könnte, wenn die Einspeisung des Wasserstoffs in die Ontras-Ferngasleitung nicht mehr so stark wie bisher begrenzt wäre. „Mit dem Wegfall der Zwei-Prozent-Grenze könnte mehr Wasserstoff eingespeist werden“, berichtet Döring. „Vor allem in den Frühlings-, Sommer- und Herbstmonaten, in denen der Erdgas-Durchfluss in der Leitung gering ist und damit die Zwei-Prozent-Grenze schnell erreicht wird.“
Zunächst hat Enertrag nun einen weiteren Absatzweg für den Prenzlauer Wasserstoff erschlossen: Im November ging eine Flaschenabfüll-Anlage in Betrieb, so dass der Energieträger nun auch mit Lastkraftwagen ausgeliefert werden kann. Der erste Großkunde ist die DB Bahnbau-Gruppe, die den Wasserstoff als Brennstoff für Notstrom-Systeme nutzt.
GPE hat sich inzwischen weitere netzgebundene Lieferungen von Wind-Wasserstoff gesichert. Im fränkischen Haßfurt nahm der Ökoenergie-Anbieter im Oktober gemeinsam mit den dortigen Städtischen Betrieben einen Elektrolyseur in Betrieb, der mit Windstrom und Wasser jährlich 1 Mio. kWh Wasserstoff produzieren und ins städtische Gasnetz einspeisen soll. In diesem Netz ist nun überwiegend ein Erdgas-Wasserstoff-Gemisch mit einem Anteil von bis zu 5 % Wasserstoff unterwegs. Testweise liefert GPE auch einen Wasserstoff-Anteil von 10 % an eine nahe gelegene Mälzerei, die dort ein Block-Heizkraftwerk betreibt. Dazu speist der Elektrolyseur zusätzlichen Wasserstoff in eine Abzweigung des städtischen Gasnetzes ein, die zur Mälzerei führt.
An der Pionierarbeit bei der Wasserstoff-Einspeisung ins Erdgasnetz beteiligen sich auch der Energiekonzern Eon und seine neue Tochter Uniper. In Falkenhagen, im Nordwesten Brandenburgs, hatte Eon im Jahr 2013 eine Elektrolyse-Anlage in Betrieb genommen, die Wasserstoff aus Windstrom und Wasser produziert und in eine Ferngasleitung von Ontras eingespeist. Als Uniper vom Eon-Konzern abgetrennt wurde, ging die Falkenhagener Anlage an Uniper über. Die Vermarktung des Windgases erfolgt teilweise über den Schweizer Partner Swissgas und teilweise über den eigenen Vertrieb. Auch Uniper mischt dabei den Wasserstoff mit Erdgas und erreicht wohl sogar einen relativ hohen Wasserstoff-Anteil von 10 %. Möglich wurde das, nachdem Uniper im Oktober 2015 eine zweite Wind-Wasserstoff-Anlage in Hamburg in Betrieb genommen hatte, die Wasserstoff in das Hamburger Gasnetz einspeist.
Stromspeicher für Windräder
Windstrom dient auch in Altentreptow, im Osten von Mecklenburg-Vorpommern, zur Produktion von Wasserstoff. Hier hat das Windpark-Planungsunternehmen Wind-Projekt einen Anlagenpark aufgebaut, der es ermöglichen soll, einen Windpark mit Hilfe des Speichermediums als regelbares Kraftwerk zu betreiben. Hier wird seit 2013 der aus Windstrom per Elektrolyse gewonnene Wasserstoff zwischengespeichert und bei Bedarf wieder in einem Block-Heizkraftwerk zur Strom- und Wärmeerzeugung genutzt. Dabei dient der Strom des BHKW dazu, den Eigenbedarf des Windparks zu decken, wenn dieser bei Windstille selbst keinen Strom erzeugen kann.
Wind-Projekt hatte eigentlich auch geplant, Wasserstoff in eine Ferngasleitung einzuspeisen und zu vermarkten. Dem dafür zuständigen Partner Ontras gelang es allerdings bisher nicht, die für eine Anschlussleitung nötigen Grundstücke zu erwerben. Mit einer Aussage dazu, ob eine Wasserstoff-Einspeisung ins Ferngasnetz zustande kommt, hält sich der Altentreptower Projektleiter Torsten Jackwitz zurück: „Sie ist in Vorbereitung, aber noch nicht endverbindlich absehbar.“
Einen etwas anderen Weg geht der Energiepark Mainz. Hier haben die Stadtwerke Mainz, der Industriegase-Konzern Linde, der Technikkonzern Siemens und die Hochschule Rhein-Main im Juli 2015 eine mit 6 MW Leistung besonders große Elektrolyse-Anlage für Forschungszwecke in Betrieb genommen. Sie bezieht Überschuss-Strom aus erneuerbaren Energien sowohl von benachbarten Windrädern als auch aus dem Mittelspannungsnetz der Stadtwerke. Um die schwankende Ökostromproduktion gut ausgleichen zu können, ist die Anlage besonders dynamisch ausgelegt: Sie soll bei einem Kaltstart innerhalb von 2 min ihre volle Leistung erreichen und in Betriebs-bereitschaft innerhalb weniger Sekunden regelbar sein. Auch der Wirkungsgrad von bis zu 70 %, der bei der Energieumwandlung erreicht wird, erscheint bemerkenswert. Bisher habe die Anlage alle Erwartungen erfüllt, berichtet Stadtwerke-Pressesprecher Michael Theurer.
Lokale Gasnetze
Der erzeugte Wasserstoff wurde zunächst in Tankfahrzeuge abgefüllt oder vor Ort gespeichert. Seit April gibt es eine weitere Verwendung für den sauberen chemischen Energieträger. Er wird direkt in das Gasnetz des Mainzer Stadtteils Ebersheim eingespeist, das die Haushalte mit Erdgas zum Kochen und Heizen versorgt. Zuvor waren das Gasnetz und alle Kundenanlagen auf ihre Wasserstoff-Verträglichkeit geprüft und für tauglich befunden worden. Der Wasserstoff-Anteil am transportierten Gas soll von anfänglich 2 Vol.-% auf bis zu 10 % gesteigert werden. Theurer zufolge lag er im Dezember bei sieben Prozent, ohne unerwartete Auswirkungen zu verursachen: „Die bisherigen praktischen Erfahrungen bestätigen das positive Prüfergebnis, da seit vielen Wochen Wasserstoff ohne Probleme eingespeist und in den Haushalten genutzt wird.“
Zu ähnlichen Ergebnissen war bereits ein Forschungsprojekt des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfachs (DVGW) gekommen. Im lokalen Erdgas-Verteilnetz von Klanxbüll/Neukirchen, im Norden Schleswig-Holsteins, haben die DVGW-Fachleute in den Jahren 2014 und 2015 eine Wasserstoff-Einspeisung schrittweise von 2 auf 9 Vol.-% angehoben und die Wirkungen im Gasnetz und an den Haushaltsgeräten untersucht. Dabei lösten sie zahlreiche technische Detailfragen, stießen aber auf keine größeren Schwierigkeiten. Die DVGW-Fachleute halten es sogar für möglich, den Wasserstoff-Anteil auf mehr als 10 % anzuheben. Im Labor seien schließlich auch schon Haushaltsgeräte mit einer Wasserstoff-Zumischung von 30 Vol.-% erfolgreich getestet worden, schrieben sie in ihrem Bericht.
Das dürfte derzeit allerdings nur in Gasnetzen möglich sein, an die keine Erdgas-Tankstellen, Erdgasspeicher und Gasturbinen angeschlossen sind. Für Erdgas als Kraftstoff gilt eine DIN-Norm, die lediglich eine Wasserstoff-Beimischung von 2 % erlaubt. Ähnliche Beschränkungen gibt es für Gasturbinen und Erdgasspeicher. Allerdings arbeiten Hersteller und Betreiber hier auch schon an Lösungen, die eine größere Wasserstoff-Beimischung erlauben.
Der DVGW weist auch darauf hin, dass bei steigenden Wasserstoff-Anteilen der Energie-Inhalt des Erdgases abnimmt. Das macht es nötig, größere Gasmengen zu transportieren, um die gleiche Energiemenge liefern zu können. Damit steigt auch der Energieaufwand für den Transport, und möglicherweise müssen an einigen Verdichterstationen deshalb sogar leistungsstärkere Antriebsaggregate eingebaut werden.
Die Einspeisung von Wasserstoff aus Ökostrom in Erdgasnetze hat den großen Vorteil, dass dafür eine flächendeckende Infrastruktur mit leistungsfähigen Speichern zur Verfügung steht. Dass es technisch möglich ist, Gasnetze auch mit einem sehr hohen Wasserstoffgehalt sicher zu betreiben, zeigen die Erfahrungen mit reinen Wasserstoff-Pipelines. So betreiben der Industriegase-Konzern Air Liquide die 240 km lange Rhein-Ruhr-Pipeline in Nordrhein-Westfalen und sein Wettbewerber Linde eine 135 km reichende Pipeline in der Region Leuna/Bitterfeld/Böhlen in Sachsen-Anhalt und Sachsen.
Air Liquide und Linde nutzen diese Pipelines auch schon zur Einspeisung von grünem Wasserstoff, halten sich aber mit konkreten Informationen dazu zurück. Der Pressesprecher von Air Liquide, Andreas Voss, lässt immerhin durchblicken, dass das Unternehmen in Dormagen eine Biomethan-Reformierungsanlage betreibt, in der Wasserstoff für eigene Tankstellen produziert wird. Ein Produktionsprozess für die strombasierte Elektrolyse von grünem Wasserstoff werde derzeit vorbereitet. Auch Linde plant eine Elektrolyse-Anlage am Chemiestandort Leuna in Sachsen-Anhalt.
Indirekt beliefern beide Unternehmen auch schon Wasserstoff-Tankstellen aus ihren Pipelines. Dabei wird der Energieträger in Tanklaster abgefüllt und über die Straße transportiert. Dass es prinzipiell auch möglich ist, netzgebundene Wasserstoff-Tankstellen zu betreiben, zeigt das Beispiel des Industrieparks Höchst bei Frankfurt/Main. Dort fällt Wasserstoff als Nebenprodukt der Chlorproduktion an. Über eine 1,7 km lange Hochdruck-Pipeline strömt er seit dem Jahr 2006 zu einer öffentlichen Tankstelle, wo er gespeichert und an Zapfsäulen abgegeben wird. Allerdings wird diese Tankstelle noch wenig genutzt, so dass sie zuletzt als unwirtschaftlich galt. Wegen eines Schadens am Verdichter ist sie auch seit einem Jahr außer Betrieb, soll aber ab Mai wieder zur Verfügung stehen.
Nordroute für Brennstoffzellen-Fahrzeuge
Die Wasserstoff-Mobilität steckt immer noch in den Kinderschuhen. Bisher sind erst wenige Brennstoffzellen-Fahrzeuge verfügbar, die Wasserstoff als Kraftstoff nutzen und als Abgas nur noch Wasserdampf ausstoßen. Auch das Tankstellen-Netz, das Industriegase- und Autohersteller derzeit aufbauen, ist noch ziemlich lückenhaft. Obwohl inzwischen schon bundesweit 25 Wasserstoff-Tankstellen in Betrieb sind, gibt es derzeit vor allem westlich und südlich von Berlin noch große weiße Flecken. Die Fahrer von Brennstoffzellen-Pkw, deren Tankinhalt für knapp 500 km reicht, können daher nicht auf direktem Weg von Berlin nach Nordrhein-Westfalen oder Süddeutschland fahren. Sie müssen sich zunächst nach Norden wenden und Hamburg ansteuern, wo sich die nächsten Wasserstoff-Tankstellen befinden. Von dort aus ist die Wasserstoff-Route nach Süden mit Zapfstellen abgesichert.
Diesen nördlichen Umweg will die Infrastrukturgesellschaft H2-Mobility bald überflüssig machen. „Wir werden bis Ende 2017 mit Sicherheit Wasserstoff-Tankstellen in Potsdam und Leipzig eröffnen“, kündigt Pressesprecherin Sybille Riepe an. „Damit schließen wir dann die Lücke zwischen Berlin und Süddeutschland. Derzeit prüfen wir auch im Raum Hof noch weitere Standorte.“ Bei H2-Mobility haben sich sechs Unternehmen aus der Gase-, Mineralöl- und Automobilindustrie zusammengeschlossen, um bis 2019 insgesamt 100 Wasserstoff-Tankstellen zu errichten. Als Standorte sind die sechs Ballungszentren Berlin, Frankfurt/Main, Hamburg, München, Rhein-Ruhr und Stuttgart sowie Korridore entlang von Autobahnen vorgesehen.
Stefan Schroeter, Energiejournalist in Leipzigw (www.stefanschroeter.com)

H2 – ein sauberer chemischer Energieträger
Wasserstoff (H2) ist ein chemischer Energieträger, der selbst keine Schadstoffe enthält und daher allein auch nicht freisetzt. Daher spielt er eine wichtige Rolle in Zukunftsszenarien für eine umwelt- und klimafreundliche Energiewirtschaft. Entscheidend ist dabei die Herstellung. Denn bei traditionellen Herstellungsverfahren wie der Dampfreformierung aus Erdgas wird das Treibhausgas Kohlendioxid freigesetzt. Indirekt gilt das auch für die Elektrolyse, wenn sie Strom aus fossilen Kraftwerken dazu nutzt, um Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff zu zerlegen. Deutlich besser ist die Umwelt- und Klimabilanz, wenn Biomasse für die Dampfreformierung und Windstrom für die Elektrolyse genutzt wird.
Im Normalzustand ist Wasserstoff gasförmig und kann erst bei sehr tiefen Temperaturen verflüssigt werden. Sein Energieinhalt, bezogen auf das Volumen, ist deutlich geringer als der Energiegehalt von Erdgas. Daher steigt der Energieaufwand für den Transport, wenn Wasserstoff gemeinsam mit Erdgas in dessen Rohrleitungen transportiert wird. Alternativ kann Wasserstoff auch in Tankwagen oder in großen Flaschen auf Lastkraftwagen transportiert werden.
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