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Damit Maschinen nicht durchdrehen

Modalanalyse: Entwicklungstool für schnelllaufende Maschinen
Damit Maschinen nicht durchdrehen

Eine Modalanalyse klärt schon in der Entwicklungsphase, ob und wo eine schnelllaufende Maschine an ihre Belastungsgrenzen durch Eigenschwingungen stößt. Wie nützlich dies in der Konstruktion ist, zeigt das Beispiel eines Ventilators, der bei Fahrzeugtests für Fahrtwind sorgt.

Bei Ventilatoren und Verdichtern führen vor allem Unwuchten zu unerwünschten Vibrationen. Hin und wieder lassen sie sich durch Auswuchten der Maschinen nicht ausreichend reduzieren. In der Regel liegt das dann daran, dass Eigenfrequenzen der Maschinenstruktur angeregt werden. Solche Schwingungen schaukeln sich zu dynamischen Belastungen hoch, die weit über den statischen Belastungen liegen. Im schlimmsten Fall kommt es zu Schäden an einzelnen Bauteilen wie etwa an Lagern und dem Laufrad, oder es wird sogar die ganze Maschine zerstört.

Um die verschiedenen Eigenschwingungen der Anlage herauszufinden, könnten die Ingenieure Tests mit Prototypen betreiben. Doch in der Praxis erweist sich dieses Verfahren auf der Basis von Versuch und Irrtum als sehr aufwändig. Hingegen kann das Problem durch eine Modalanalyse im Vorfeld analysiert und „eine sichere Lösung erarbeitet werden“, erklärt Dr. Axel Müller, Leiter Entwicklung Strömungstechnik bei der Fima Maschinenbau GmbH, Obersontheim. Die Berechnung von Antriebssträngen mittels Modalanalyse ist weit verbreitet. Bei der Auslegung kompletter Maschinen kommt sie jedoch aufgrund der Komplexität der Rechnung kaum zum Einsatz. Ist allerdings schon bei der Projektierung klar, dass Laufräder besonders stark belastet werden, „dann empfehlen wir eine Modalanalyse während der Entwicklungszeit“, betont Dr. Müller, „zur Sicherheit für Mensch und Maschine“.
Die Vorgehensweise von Fima Maschinenbau wird am Beispiel eines Fahrtwindgebläses, einem Axialventilator, deutlich. Automobilhersteller simulieren auf Rollenprüfständen verschiedene Fahrsituationen (Stadtverkehr, Autobahn- oder Überlandfahrt). Dabei werden Schadstoffemissionen gemessen sowie Kühler, Heizungs- und Bremsanlagen optimiert. Ein Gebläse steuert den Fahrtwind bei, der sich in seiner Stärke je nach Geschwindigkeit stark unterscheidet. Der Ventilator muss dafür verschiedene Drehzahlbereiche durchlaufen, je nachdem, welcher Fahrtzyklus getestet wird. Die Anlage soll dabei so konstruiert sein, dass keine Eigenfrequenzen angeregt werden, die den Ventilator beschädigen könnten. Es gibt viele Quellen für mögliche Anregungsfrequenzen: Die Drehzahl durch Unwuchten oder auch die Blattfolgefrequenz und ihre Vielfachen. Experimentelle Untersuchungen wären teuer: Um allen möglichen Anregungsfrequenzen auf die Spur zu kommen, müssten Bauteile zunächst hergestellt und dann geprüft werden.
Aus diesem Grund wird das Grobkonzept des Ventilators zunächst durch eine Software getestet: Das Axiallaufrad wird mit dem Programm ProE modelliert, anschließend mit ProMechanica eine Modalanalyse durchgeführt. Als erstes Ergebnis erhalten die Entwickler die Eigenfrequenzen und die zugehörigen Schwingungsformen. Am Beispiel der ersten Biegeschwingung lässt sich die Bedeutung des Befundes leicht nachvollziehen – ebenso wie die Maßnahmen, die ergriffen werden sollten: Wird der Ventilator mit der Frequenz der ersten Biegeschwingung angeregt, schwingen alle Schaufeln gleichsinnig, was zu Spannungsspitzen im Schaufelfuß führt. Um dies zu verhindern, muss zunächst versucht werden, die betreffende Eigenfrequenz in Bereiche zu verschieben, die nicht angeregt werden können. Die Ingenieure verändern dafür das Modell: Die Eigenfrequenzen werden durch die unterschiedliche Verteilung von Massen (zum Beispiel durch die Dicke der Schaufel) oder abweichende Kurvenradien (Anbindung der Schaufel an die Nabe) beeinflusst.
Neben der rechnerischen Untersuchung können die Eigenfrequenzen auch im Versuch am Originalbauteil gemessen werden – gleichzeitig wird die Modalanalyse validiert. Dazu werden die Schaufeln mit einem Impulshammer an verschiedenen Punkten angeregt und die dabei entstehenden Schwingungen an einem Referenzpunkt erfasst. Das Ergebnis ist eine Übertragungsfunktion (FRF, Frequency Response Function) für jeden Messpunkt (siehe Diagramm). Die Ergebnisse zeigen, dass die Modalanalyse gut mit der Messung übereinstimmt.
Fallen die Amplitudenmaxima mehrerer Messpunkte – die schwarzen Spitzen – aufeinander, so weist das Bauteil in diesem Frequenzbereich eine Eigenfrequenz auf. Ein Animationsmodus ermöglicht die Darstellung der Schwingungsbewegungen in Form eines kurzen Films. Damit sind die Eigenfrequenzen des Schaufelrads bekannt. Allerdings geraten die Bauteile erst bei einer kritischen Anregung in Resonanz. Welcher Art diese Anregung für den Ventilator ist, konnte durch die Analyse nicht herausgefunden werden – ebenso wenig wie die Dämpfungswerte der angeregten Struktur. Darum sind die Messungen bei laufender Maschine zu verfeinern.
Dazu werden Dehnungsmessstreifen am Schaufelfuß aufgeklebt, welche die aufgenommenen Daten vom drehenden System per Funk übermitteln. Beim Anfahren des Ventilators erhalten die Entwickler eine Hochlaufkurve mit dem Frequenzspektrum der Schwingungen (Eigenfrequenzen) über der Drehzahl. Farben geben Auskunft über die Höhe der Schwingamplitude – kritische Bereiche sind beispielsweise rot eingefärbt. Diese Bereiche werden in der Regel später eingehender untersucht.
Die Ergebnisse ermöglichen Aussagen über das tatsächliche Schwingverhalten des Bauteils, abhängig von der Maschinendrehzahl. Sind Eigenfrequenzen nicht drehzahlabhängig, zeigt sich dies ebenfalls. Beim Ventilator wird unter anderem deutlich, dass sich die Eigenfrequenzen bei laufender Maschine hin zu höheren Werten verschieben. Dahinter verbirgt sich ein ähnlicher Effekt wie bei der schwingenden Saite einer Geige: Das Vorspannen der Bauteile „drückt“ die Eigenfrequenzen nach oben.
Konkret: Im Falle des Fahrtwindgebläses tritt die Schwingung mit 6-facher Drehfrequenz in Resonanz mit dem ersten Biegemodus der Schaufeln. Der Grund dafür ist schnell ausgemacht: Die drei Streben zur Befestigung des vorgeschalteten Schalldämpfer-Innenkerns mit einem Winkelabstand von 120°. Das Problem kann durch unregelmäßiges Anordnen oder Reduzieren der Stützen mit geeignetem Winkelversatz gelöst werden.
Die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungen fließen in die Konstruktion des Fahrtwindgebläses ein. Seitdem die Anlage in Betrieb ist, leistet es zuverlässig seinen Dienst – in keinem Drehzahlbereich sind unerwünschte Schwingungen aufgetreten.
Thorsten Hiller Fachjournalist in Gerabronn
Versuche belegen die Präzision der Modalanalyse

„Ein Aufwand, der nützlich ist“

Nachgefragt

Wo wird die Modalanalyse häufig eingesetzt?
Hauptanwendungsbereiche sind Flugzeuge, Karosserien, Maschinenbau – aber auch der Bau, Brücken zum Beispiel. Berühmt geworden ist die Tacoma-Narrows-Hängebrücke in den USA, bei der keine Modalanalyse gemacht wurde. Der Wind versetzte die Brücke so in Erregung, dass sie einstürzte. Mit Modalanalyse wäre dies nicht passiert.
Wo empfiehlt sich die Modalanalyse im Maschinenbau?
Dort, wo es durch die Drehung von Bauteilen zu Eigenschwingungen kommt, zum Beispiel in der Verdichtertechnologie. Man muss darauf achten, dass die Drehzahlen nicht mit den Eigenfrequenzen zusammen fallen, damit sich die Schwingungen nicht hochschaukeln.
Wie aufwändig ist eine Analyse?
Sehr aufwändig. Bei einer Ventilatoranwendung arbeitete eine Mitarbeiterin beispielsweise drei Monate daran, das System nachzuvollziehen. Für eine Einzelanwendung ist das sehr viel. Es hat aber den Vorteil, dass sich frühzeitig konstruktive Maßnahmen ergreifen lassen, um Probleme auszuschließen.
Machen Sie auch Vorschläge zur Beseitigung der erkannten Probleme?
Ja. So war es auch bei dem vorliegenden Fall des Ventilators.
Olaf Stauß
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
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