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Des Roboters neue Hände wachsen über Nacht

Rapid-Techniken: Individuelle Greifer entstehen durch Lasersintern
Des Roboters neue Hände wachsen über Nacht

Sie müssen leicht sein, werden nur in Mini-Stückzahlen gebraucht und haben meist eine spezielle Form: Robotergreifer. Für ihre Herstellung nutzen Ass Maschinenbau und das Fraunhofer IPA mit Partnern das werkzeuglose, generative Verfahren des Lasersinterns.

„Sie stellen kleine und filigrane Spritzgießteile her? Und Sie mussten bisher einen erheblichen Aufwand betreiben, um eine platzsparende Greiflösung zu erhalten?“, so fragt die Ass Maschinenbau GmbH aus Overath-Untereschbach auf ihrer Homepage. Um dann beruhigend nachzuschieben: „Jetzt können Sie kleine Bauteile in beliebiger Form selbst bei geringsten Nestabständen noch greifen.“ Das Zauberwort für den Robotergreifer-Spezialisten heißt „PA-Forming“. Unter dieser Bezeichnung setzt Ass seit 2007 das Lasersintern ein, mit dem sich Bauteile aus Polyamid werkzeuglos im Pulverbett fertigen lassen. Der Laser verschmelzt die Kunststoffpartikel selektiv nach den Maßen aus den CAD-Daten und lässt so das gewünschte Teil Schicht für Schicht heranwachsen. In Roboterhänden von Ass übernehmen diese generativ gefertigten Bauteile Schlüsselfunktionen, die sonst nur mit höherem Aufwand, höherem Gewicht oder gar nicht zu realisieren wären.

„Wir nutzen PA-Forming erstens, um Greifern eine spezielle Kontur zu geben und zweitens, um Funktionen zu integrieren, etwa eine Bewegungsfunktion“, erklärt Geschäftsführer Reinhold Ziewers. Ein typisches Beispiel sind Greifer für Parfum-Fläschchen mit individuellem Design. Das dafür generierte Polyamid-Bauteil öffnet sich durch Beaufschlagen mit Druckluft (Bewegungsfunktion) und gibt so die Innenkontur frei, in die sich das Fläschchen passgenau einfügen lässt. Die Geometrie der Passfläche ergibt sich aus den CAD-Daten des Fläschchens, die dazu mehr oder weniger modifiziert übernommen werden. Die integrierten Funktionen sparen viel Platz und damit Gewicht ein, wozu auch die niedrige Dichte des Kunststoffes beiträgt. „Mit unseren Greifsystemen kommen wir oft auf das halbe Gewicht von herkömmlichen Systemen, je nach PA-Forming-Anteilen“ sagt Reinhold Ziewers. Und damit halbieren sich auch die zu handhabenden Massen.
Der Leichtbau ist jedoch nicht der einzige Vorzug. Entscheidend ist die hohe Gestaltungsfreiheit bei generativ gefertigten Bauteilen. Sie bietet die Möglichkeit, viele Funktionen auf engstem Raum zu kombinieren – und daraus lässt sich eine Fülle von Vorteilen ableiten, die dem Robotereinsatz zugute kommen:
  • geringes Greifer-Gewicht
  • niedrige Teilezahl
  • integrierte Funktionen, zum Beispiel Bewegung
  • niedrige Baugröße
  • werkzeuglose und damit schnelle Herstellung
Fünf bis sechs Werktage veranschlagt Ass für einen komplexen Greifer. Ist eine Roboterhand nur zu ersetzen, kann das PA-geformte Teil über Nacht nachwachsen.
Für Ziewers hat sich PA-Forming bewährt. Zwei Drittel der in Untereschbach produzierten Greifer enthalten Teile, die generativ hergestellt wurden. Dennoch will der Ass-Geschäftsführer das Thema nicht zu hoch aufhängen. Noch immer seien potenzielle Anwender skeptisch und ließen sich erst überzeugen, wenn sie die Vorteile in Zahlen auf den Tisch gelegt bekämen. „Wir sind auf die Technologie nicht angewiesen für unsere Greifer“, meint Reinhold Ziewers. „Aber die Möglichkeiten des Lasersinterns haben wir immer im Hinterkopf, wenn wir Greiferlösungen mit Kunden erörtern.“ Allerdings käme es selten vor, dass ein Greifer komplett lasergesintert wird. Meist werde das Rapid-Bauteil in die Greiferkonstruktion eingebaut.
In diesem Punkt unterscheidet sich der Ansatz, den das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) mit Partnern verfolgt. Das IPA setzt durchaus auf komplett generativ gefertigte Greifer, um das Potenzial für Funktionsintegration und Leichtbau voll auszuschöpfen. „Wir gehen bei jeder Anwendung sehr individuell vor“, sagt Andrzej Grzesiak, Gruppenleiter Technische Informationsverarbeitung, zugleich Sprecher der Fraunhofer-Allianz Generative Fertigung. „Prinzipiell beschreiten wir zwei Wege. Entweder entwickeln wir sehr komplexe Greifersysteme mit hoher Funktionsintegration. Oder wir haben ein Greifersystem, das sich sehr leicht skalieren und für ähnliche Aufgaben modifizieren lässt.“
Das IPA ist mit seinem Programm zur generativen Greiferentwicklung relativ spät an die Fachöffentlichkeit getreten, steckte zuvor aber drei bis vier Jahre Vorarbeit in das Thema, inklusive eigenen Patentanmeldungen. Nur so ist zu verstehen, dass Pionier Ass mit den Stuttgarter Wissenschaftlern über moderate Lizenzgebühren verhandeln musste, um den eigenen Ansatz fortführen zu können. Auf der Motek im September präsentierte sich das IPA mit den Partnern EOS, ABB Robotik, Robomotion und Kuhnstoff auf der gemeinsam kreierten Sonderschau „Generative Technologien in der Handhabung und im Sondermaschinenbau“. Die dort gezeigten Exponate lassen die vielfältigen Möglichkeiten erahnen, die generative Greifer eröffnen. So hat ein Greifer, der in einem Stück aus den CAD-Daten hergestellt wurde, im Test bei Schunk bereits 15 Mio. druckluftbetätigte Greifzyklen überstanden. Er ist aus PA2200 und lässt sich in Größe und Fingerzahl skalieren.
Für Theegarten-Pactec entwickelte das IPA einen generativen Greifer, der acht Schokoladenherzen gleichzeitig von einer Palette abheben und auf ein Förderband legen kann. Er muss dabei die Herzchen drehen und beim Ablegen die Finger spreizen, um Abstandsunterschiede auszugleichen – alles Funktionen, die im Lasersinter-Teil integriert sind. Grzesiak: „Der Greifer ist sehr steif gebaut, obwohl er nur 800 Gramm wiegt. Mit einer Stahlkonstruktion wäre das unmöglich.“
Die Stuttgarter Robomotion GmbH, ebenfalls IPA-Partner, berichtet von einer Lösung, die industriell bereits umgesetzt wurde. Mit den Fischerwerken entwickelte Robomotion eine Automation zum Verpacken von Kleinstmengen aus unterschiedlichen Produkten wie Dübeln und Schrauben. Die Anlage ermöglicht es Fischer, eine Montagelinie von bisher manuell verpackten Produkten aus Tschechien nach Deutschland zurück zu holen. Der Kostenvorteil beträgt 50 %, teilt Robomotion mit. Die Anlage enthält einen Multifunktionsgreifer mit Fingern, die sich an die Objekte anpassen können – und für die sich das generative Fertigen anbot, auch wegen der guten Eigenschaften des PA-Werkstoffes.
Die Beispiele deuten das Potenzial an, das in generativ gefertigten Greifern steckt. Für den Leichtbau lassen sich waben- oder taschenartige Strukturen umsetzen, die konventionell nie hergestellt werden würden. „Wenn wir solche Strukturen vernünftig simulieren, können wir hohe Steifigkeiten mit enormen Materialeinsparungen verbinden“, ist sich Andrzej Grzesiak sicher. Genauso viele Möglichkeiten gibt es, Bewegungs- und Antriebsfunktionen mit Hilfe von Filmscharnieren, Faltenbälgen und ähnlichen Features zu integrieren.
Grzesiak sieht die Technologie am Durchbruch. „Immer mehr potenzielle Anwender kommen direkt auf uns zu“, stellt er fest. „Sobald die Großen der Branche einsteigen, wird technologisch viel passieren und auch der Preis für die Werkstoffe sinken.“

Neue Technologien
Es ist erstaunlich, dass bisher außer drei Firmen (Ass, LMD und Festo) und dem Fraunhofer IPA niemand auf die Idee gekommen ist, Robotergreifer generativ herzustellen. Denn dafür ist das Lasersintern geradezu prädestiniert: Die Greifer werden in minimalen Stückzahlen benötigt, individuell gestaltet, müssen sehr leicht und sehr steif sein. Das setzt Geometrien voraus, die mit konventionellen Methoden kaum wirtschaftlich herzustellen sind – generativ aber schon.
Industrieanzeiger
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