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Batterietechnik: Doppelte Reichweite – länger haltbar

Batterietechnik
Doppelte Reichweite – länger haltbar

Drei Brüder aus Österreich mischen die Elektromobilität auf: Mit einem Schlag verdoppeln sie die Reichweite und erhöhen die Lebensdauer von Akkus – obwohl sie nur mit Standardkomponenten arbeiten.

Ende Januar besuchte Arnold Schwarzenegger seine alte Heimat, um ein dort gefertigtes Einzelstück abzuholen: Kreisel Electric hatte eine G-Klasse von Mercedes Benz – die in Serie übrigens ebenfalls bei Magna Steyr in Österreich gefertigt wird – auf Elektroantrieb umgerüstet. Der in zweimonatiger Entwicklungszeit umgebaute Geländewagen soll eine Reichweite von 300 km mitbringen. Möglich macht das der hauseigene Akku mit einer Kapazität von 80 kWh. „Der insgesamt 510 kg schwere Kreisel-Akku ist im Auto verteilt: Unter der Motorhaube, im Heck als Ersatz für den Diesel-Tank sowie unterhalb des Einstiegs“, erklärt Christian Schlögl, Mitglied der Geschäftsführung bei Kreisel Electric. Damit sei das Elektrofahrzeug seinem Vorbild weder in Sachen Geländetauglichkeit noch bei der Steigfähigkeit unterlegen. Alle Komfortfunktionen sind durch Software-Updates auch weiterhin verfügbar. Mehrere Elektromotoren mit Reduktionsgetriebe wurden direkt auf das Verteilergetriebe aufgesetzt, das Hauptgetriebe hat man entfernt. Der Wagen bringt 360 kW (490 PS) auf die Straße und schafft es von 0 auf 100 km/h in 5,6 Sekunden – über drei Sekunden schneller als das Original mit Diesel-V6-Motor. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 183 km/h. Das Elektroauto kann in 25 Minuten zu 80 % aufgeladen werden. Schwarzenegger ist begeistert, er will in Kalifornien bei der Weiterentwicklung helfen.
Alles begann damit, als ein europäischer E-Kleinwagen eher enttäuschend für die Kreisel-Brüder war, woraufhin sie den als maximale Hightech bekannten Tesla orderten – und kurz darauf wieder stornierten. Im Familienbetrieb, einem Elektrofachhandel, warb man seither damit, regional zu sein. Dass mit dem neuen Wagen die komplette Wertschöpfung nach Übersee ging, war für sie daher nicht akzeptabel. Also griffen die Kreisel-Brüder selbst zum Lötkolben – Philipp ist Maschinenbautechniker, Johann Elektroniker, der dritte Bruder Markus Kreisel bringt heute seine kaufmännische Ausbildung mit ins Team – und bauten einen gebrauchten Audi auf Elektroantrieb um. Das Ergebnis war zwar ebenfalls ernüchternd, ihr Ehrgeiz aber war geweckt.
Bereits im Dezember 2015 stellt das österreichische Unternehmen eine Batterie-Technologie vor, die das Schnellladen innerhalb von 18 Minuten für 300 km Reichweite schaffen soll. Einen E-Golf von VW rüsten sie auf ihre Technik um und steigern dessen Reichweite nach eigener Aussage von 190 auf 430 km.
Komplett in den Fahrzeugbau oder die Umrüstungsbranche will das Startup aber nicht einsteigen, ihre Fahrzeuge – unter anderem ein Porsche Panamera mit 360 kW und 450 km Reichweite oder ein 3,5-Tonnen-Lieferwagen mit 300 km Reichweite – sollen einerseits Aufmerksamkeit erregen, andererseits sollen sie beweisen, was technisch möglich ist: „Ein fahrbereites Elektrofahrzeug überzeugt deutlich besser als theoretische Daten über die effizienteste Batterie. Anhand der Prototypen wird der Elektroantrieb spürbar und die überragende Reichweite kann direkt gemessen werden, außerdem sammeln wir damit Erfahrungswerte über die verschiedenen Fahrzeuge in verschiedenen Fahrsituationen – unsere Prototypen sind ständig im Einsatz, vollständig fahrtüchtig und regulär zugelassenen“, erklärt Kreisel-Mitarbeiter Martin Lettner. Die Strategie des 2014 gegründeten Unternehmens mit aktuell 40 Mitarbeitern setzt auf eine eigene, neu gebaute Fabrik nahe Freistadt, in der ab Mitte 2017 70 zusätzliche Mitarbeiter unterschiedliche Akku-Kleinserien bis 500 Stück fertigen sollen. So streben die Brüder an, jährlich 800 000 kWh auf der vollständig automatisierten Fertigungslinie zu produzieren. Für größere Stückzahlen arbeiten sie in Partnerschaft mit der Industrie auf Lizenzbasis zusammen.
Das Geheimnis ihrer Akkus ist keine grundlegend neue Technologie, sondern schlicht eine bessere Verbindung und Anordnung von Standardkomponenten. Die einzelnen Rundzellen – ganz ähnlich denen, die auch Tesla verwendet – werden bei Kreisel durch Laserschweißen verbunden: „Bei diesem Verfahren kann an sehr vielen Parametern geschraubt werden, es war eine große Herausforderung über Jahre, hier die perfekten Werte zu finden. Auch die unterschiedlichen Materialien spielen eine wichtige Rolle, um einen sauberen Prozess zu gewährleisten“, so Lettner. Bisher war es üblich, dass ein gewisser Teil der Rundzelle beim Verbinden durch den Hitzeeintrag beschädigt wird, was natürlich einkalkuliert ist. Bei Kreisel werde die Zelle durch das Schweißen mit Laser dagegen praktisch nicht verletzt, zudem sorge das Verbinden durch Laserschweißen für einen sehr geringen Innenwiderstand des kompletten Akkus. So können die gleichen Rundzellen eine höhere nutzbare Kapazität als bei den Mitbewerbern liefern.
Der zweite Vorteil der Kreisel-Technik ist ihr Aufbau, die geschickte Anordnung der Zellen reduziere ebenfalls den Innenwiderstand und ermögliche eine sehr kompakte Bauweise. Jede einzelne Zelle wird zudem von einer nichtleitenden Flüssigkeit umspült. Ein Thermomanagement, beispielsweise via Wärmepumpe, könnte den Akku so auch beim für die Zellen bisher stark strapaziösen Schnelladen bei bis zu 150 kW Ladeleistung auf moderaten 30 °C halten. Das erhöhe den Wirkungsgrad zusätzlich und steigere zudem die Lebensdauer des Akkus auf über 400 000 km, was etwa 80 % Restkapazität entsprechen soll. Die nichtbrennbare Kühlflüssigkeit fungiere im schlimmsten Fall auch als Löschmittel. Einige Marktmitbewerber setzten hier lediglich auf einzelne Kühlkanäle durch den Akkublock – oder verzichten ganz auf aktive Kühlung. In Zahlen kommt der Kreisel-Energiespeicher auf ein Leistungsgewicht von 4,1 kg/kWh und eine Leistungsdichte von 1,95 dm³/kWh, was laut Aussage des Unternehmens aktuell die leichteste und effizienteste Batterie am Markt darstelle.
Neben den Batterien hat das Start-up auch passende Leistungselektronik sowie ein modulares Zweigang-Getriebe speziell für die Elektromobilität entwickelt. Und natürlich will man auch bei den Ladesystemen ganz vorne mitspielen: Der Clou von Kreisels System besteht darin, in die Ladestation selbst einen Akku einzubauen. So kann die Ladestation Energie etwa via Photovoltaik langsam speichern und im Bedarfsfall extrem schnell abgeben, heißt es. Kreisel-Schnellladestationen verfügen über einen 92-kWh-Speicher, womit etwa drei – herkömmliche – VW E-Golf nacheinander schnellgeladen werden könnten. Damit stelle eine Ladeleistung von 320 kW (850 V, 400 A) kein Problem dar, Elektrofahrzeuge könnten laut des Unternehmens binnen 20 Minuten geladen werden. Durch die intelligente Steuerung schätzt der Hersteller eine Verwendung von mehr als 30 Jahren als realistisch ein, und selbst danach werde eher die Elektronik ausfallen, als die Akkuzellen, so die Herstellerangaben.
Anfang Januar hat Porsche Austria bekanntgegeben, sich die Vertriebsrechte für Stromspeichertechnik von Kreisel gesichert zu haben. Die ersten Schnellladestationen mit Batteriespeicher werden voraussichtlich ab Mitte 2017 errichtet. Zielgruppe seien trotz des Vertriebspartners grundsätzlich alle Interessierten, nicht nur Firmen der Volkswagen-Gruppe.
„Wir wollen Werte in der Region schaffen“
Warum vor ihnen keine der großen OEM-Entwicklungsabteilungen auf die eigentlich nicht sehr komplizierte eigene Lösung gekommen ist, erklären sich die Brüder mit dem Grundaspekt, der viele Start-ups ausmacht: Man konnte einfach Out-of-the-Box denken, bei Null anfangen und hatte als kleine Werkstatt keine großen Bedenken von oben zu berücksichtigen. Inzwischen reisen die drei Brüder rund um den Globus, von Vorstandsetage zu Vorstandsetage – gefühlt will jeder an ihrer revolutionären Technik teilhaben. Das Herz der Firma Kreisel wird aber in Oberösterreich bleiben, das war schließlich seit Beginn das Ziel der Brüder: „Wir haben schon einige konkrete Kaufangebote erhalten, aber immer abgelehnt. Wir wollen Werte in der Region schaffen.“ Vielleicht kommt die Zeit der Elektroautos doch schneller, als viele bisher gedacht haben, dank eines kleinen Familienbetriebs aus Österreichs Provinz. Knackpunkt könnte nach dem Akku nun die Infrastruktur sein. Denn auch wenn die Reichweite theoretisch langsam an den Verbrennungsmotor heranreicht, bringt das alles nichts, wenn praktisch nirgends eine Ladesäule steht.
Tobias Meyer, freier Journalist in Nürnberg

Fallende Preise auf dem Batteriemarkt
Die Zellen-Hersteller machen ihre Produkte ebenfalls effizienter: Zwischen 2007 und 2014 fiel der Preis daher jährlich um durchschnittlich 14 %. Vor zehn Jahren kostete eine Kilowattstunde Kapazität etwa 1000 Euro, heute strebt die Branche 150 Euro an.
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