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EEG-Debatte: Land unter Strom

Entwicklung
EEG-Debatte: Land unter Strom

Angesichts der steigenden Ökostrom-Förderung sehen viele Akteure beim Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) dringend Verbesserungsbedarf. Mit dieser Debatte sind jetzt auch die weitreichenden Ausnahmen für energieintensive Industrie- unternehmen ins Blickfeld geraten.

Der Rekordanstieg bei der EEG-Umlage von 3,6 auf knapp 5,3 Cent/kWh (+47 %) ab 2013 ist ein alarmierendes Signal: Die von der schwarz-gelben Regierungskoalition beschlossene Energiewende kommt die Stromkunden deutlich teurer zu stehen als bisher. Voraussichtlich 20 Mrd. Euro wird die Stromverbraucher im nächsten Jahr die Förderung der erneuerbaren Energien kosten. Ein Durchschnittshaushalt wird dann mit 185 Euro pro Jahr belastet.

Damit die Kosten dafür nicht noch mehr aus dem Ruder laufen, fordern Wirtschaft und Politik den Umbau des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes. Ob „neue Instrumente für eine grundlegende Reform hin zu einem EEG 2.0“ (BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber), eine „Mengensteuerung mit festen Quoten bei Öko-Strom“ (Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler), ein „künftig regional und zeitlich gesteuerter Ausbau der Erneuerbaren“ (Umweltminister Peter Altmaier) oder „eine Runderneuerung des EEG-Fördersystems“ (die Energieintensiven Industrien in Deutschland, kurz EID) – der konstatierte Handlungsbedarf zielt in eine Richtung: den Ausbau der erneuerbaren Energien berechenbar zu machen – „eng abgestimmt mit dem Ausbau der Netze, den konventionellen Energien und der Marktintegration sowie einer regionalen Koordinierung“, unterstreicht Markus Kerber.
Zeit darf keine verloren werden. „Die zuständigen Ministerien sollten jetzt in enger Zusammenarbeit rasch handeln, um eine wirksame Kostenbremse noch vor der Bundestagswahl zu schaffen“, so der BDI-Hauptgeschäftsführer. Die Zeit bis zur Wahl dürfe nicht ungenutzt verstreichen, betonten auch die EID-Sprecher Michael Basten und Martin Kneer, weder mit Koordination noch mit bloßer Suche nach Konsens. Der Appell richtet sich auch an die Länder. Energie-Kleinstaaterei dürfe weder zum Kostentreiber noch zum Hemmschuh für das Gelingen der Energiewende werden, mahnte Kerber.
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hält dem entgegen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht der wesentliche Treiber für steigende Strompreise sei. „Nicht einmal die Hälfte der Umlage für das kommende Jahr geht auf die reinen Förderkosten für 2013 zurück“, rechnet BEE-Präsident Dietmar Schütz hoch. Der Rest der EEG-Umlage diene einer immer stärker ausgeweiteten Industrieförderung, der Kompensation sinkender Strompreise an der Börse sowie dem nachträglichen Ausgleich zu geringer Einnahmen im Jahr 2012. Vielmehr habe die Politik die Umlage mit immer neuen Zusatzkosten aufgebläht. Umgekehrt würden die preissenkenden Effekte der erneuerbaren Energien bisher nicht an die Privatkunden weitergegeben“, kritisiert Schütz.
Im Gegenteil: Ein mindestens ebenso wichtiger Grund sind die weitreichenden Ausnahmen für energieintensive Industrieunternehmen. 2011 hatten noch 813 Unternehmen einen Antrag auf Befreiung von der Öko-Umlage gestellt, in diesem Jahr ist die Zahl auf mehr als 2000 hochgeschnellt.
Dabei haben die Ausnahmen für jene Unternehmen, die besonders viel Strom benötigen, durchaus einen Sinn: Energieintensive Betriebe sind von der Umlage befreit, weil sie, so argumentiert auch Bundesumweltminister Peter Altmaier, „im internationalen Wettbewerb stehen“. In anderen Ländern ist der Strom für die Industrie deutlich günstiger, die Konzerne warnen vor dem Abbau von Arbeitsplätzen, sollten sie benachteiligt werden. Gemeint waren damit vor allem Industrieunternehmen wie Zementhersteller, Aluminiumhütten oder Stahlproduzenten. Eindeutig ist geregelt, dass nur Unternehmen des produzierenden Gewerbes die Privilegierung nutzen können. Tatsächlich aber liest sich die Liste der im vergangenen Jahr begünstigten Unternehmen wie ein buntes Sammelsurium.
Bisher sah die Regelung vor, dass ein Unternehmen dann als energieintensiv gilt, wenn es pro Jahr mehr als zehn Gigawattstunden Strom verbraucht oder die Stromkosten bei mindestens 14 % seiner Wertschöpfung liegen.
Kuriose Folge des Beschlusses: Unternehmen, so wird gemunkelt, die unter der Grenze lagen, trieben ihren Stromverbrauch bewusst in die Höhe, beispielsweise indem sie in den Zeiten von Werksferien ihre Maschinen und Anlagen weiterlaufen ließen – ohne zu produzieren. Die Folge: Unternehmer, die ihre Prozesse sparsamer machen und teure, energieeffiziente Maschinen kauften, stellten plötzlich fest, dass sie unter die Befreiungsgrenze fielen und nun erheblich mehr zahlen mussten.
Das Umweltministerium hat das Problem erkannt und in der jüngsten Novelle des EEG die Verbrauchsgrenze auf eine Gigawattstunde pro Jahr gesenkt. Die Befreiung gilt zudem von 2013 an nur noch für die Strommenge, die diese Grenze überschreitet – nicht wie vorher für den gesamten Verbrauch. Damit wird der bewusste Mehrverbrauch zwar eingeschränkt, dafür allerdings der Kreis der Berechtigten deutlich ausgeweitet.
Außerdem schlüpfen immer mehr Unternehmen durch eine andere Lücke des Gesetzes: das sogenannte Eigenstrom-Privileg. Das sollte jene Betriebe begünstigen, die ihren Strom selbst erzeugen. Weil das Gesetz aber unscharf formuliert war, haben findige Unternehmen Wege gefunden, um in den Genuss der Befreiung zu kommen. In einem Rechtsgutachten aus dem Umweltministerium heißt es, die nicht berechtigten Unternehmen entwickelten „gesteigerte Kreativität“ bei dem Versuch, das Privileg für sich zu nutzen. So kamen sie auf die Idee, Kraftwerke oder Teile davon zu pachten oder Strom als Dienstleistung von Dritten zu beziehen und das Ganze als Eigenverbrauch zu definieren.
Das Gutachten kommt zu dem Schluss, dass alle untersuchten Tricks unzulässig sind. Dass das grundsätzlich etwas ändert, ist allerdings nicht zu erwarten. Denn ob beim Eigenverbrauch die Voraussetzung für die Befreiung von der Ökostrom-Umlage vorliegt, prüfen nicht die Beamten des Berliner Umweltministeriums, sondern die privaten Netzbetreiber. Und denen kann es egal sein, ob ein Unternehmen die Ökostrom-Umlage zahlt oder nicht.
Andererseits führt die starke Zunahme der erneuerbaren Energien dazu, dass – Stichwort Merit-Order-Effekt – „die Großhandelspreise für Strom eher fallen“, meint der Aachener Energieberater und Gesellschafter der BET GmbH, Knut Schrader (siehe Interview Seite 12). Die Politik habe ja eine ganze Reihe Maßnahmen im EEG und Stromsteuergesetz ergriffen, die die Energiebelastungen der Industrie im internationalen Wettbewerb in engen Grenzen halte. Schrader glaubt daher, „dass es sich auch etwas um ein Jammern auf hohem Niveau handelt“.
Werner Möller, Dietmar Kieser werner.moeller@konradin.de
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