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Komponenten auf der Goldwaage

Gifa 2015: Innovative Gusstechnik beflügelt den Automobilbau
Komponenten auf der Goldwaage

Automobilindustrie | Guss-Komponenten spielen im Leichtbau eine wichtige Rolle. Neben Aluminium kann auch Eisen mit Dünnwandguss punkten. Zudem gibt es neue Methoden zur Oberflächenbehandlung.

Edgar Lange Fachjournalist in Düsseldorf

Um Treibstoffverbrauch und CO2-Emissionen zu senken, werden Leichtbau-Konstruktionen im Automobilsektor immer wichtiger. Nicht zuletzt deswegen nehmen Pkw-Komponenten wie Motorblöcke oder Strukturteile aus Aluminium im Druckgießverfahren weiter zu. Dieser Trend war auch auf der Gifa zu vernehmen. Nach Angaben von Bühler wird heute bereits jeder vierte Aluminiummotorblock mit dieser Technologie hergestellt. Und die Nachfrage nach Aluminiumteilen wird auch in den nächsten Jahre weiter steigen: „Zusätzlich zu Motorblöcken und Getriebekasten wird Druckguss immer mehr für die Herstellung von tragenden Strukturteilen wie Türrahmen oder Stoßdämpferdomen verwendet. Die leichten Gussteile aus Aluminium finden nicht nur in größeren Autos Platz, sondern bald vermehrt auch in Mittelklasse- und Kompaktwagen“, fasst Jonathan Abbis, Leiter Business Area Druckguss, den aktuellen Trend anlässlich der Messe zusammen.
Besucher durchleuchten einen Rennwagen
An einem originalen Rennwagen demonstrierte Bühler, welche Vielzahl an Autoteilen heute mit dieser Gießereitechnik produziert werden können: vom Getriebegehäuse über Motorblöcke und Zylinderköpfe bis hin zu Mittelkonsole und Sitzschale. Mit einer anschaulichen virtuellen Präsentation konnten Messebesucher einen Rennwagen virtuell durchleuchten und bekamen einen guten Einblick ins Innere des Wagens und die Teile, die auf den Gießereimaschinen des Unternehmens produziert wurden. Heute rechnet der Hersteller bei einem durchschnittlichen Fahrzeug mit 100 kg Gewichtsersparnis durch Nutzung von Aluminium-Leichtbaulösungen.
Im Rahmen der Auftaktpressekonferenz gab Heinz-Jürgen Büchner, Branchenanalyst der IKB Industriebank einen Ausblick. Er sagt bis zum Jahr 2020 eine weltweite Produktionsausweitung beim Aluminiumguss auf rund 16,8 Mio. t vorher. Die deutschen Gießereien könnten davon rund 1,2 Mio. t beisteuern. Eine Studie des Committee of Associations of European Foundries (CAEF) mit dem Titel „The European Foundry Industry“ zeigt beispielhaft den Türrahmen eines Pkws auf: Das ursprünglich aus Stahlblech durch Tiefziehen hergestellte Teil wurde durch ein Teil aus Aluminium-Druckguss ersetzt, wodurch sich eine Gewichtsreduktion von mehr als 14 kg auf 4,2 kg ergab.
Das richtige Material am richtigen Platz
Eine Lanze für das Leichtmetall brach auf dem Newcast-Forum auch Klaus Decking von der Gießerei Georg Fischer (GF) Automotive mit einem Vergleich zwischen Eisen, Aluminium und Karbonfasern: „Man denkt oft an Kohlefaser als die beste Lösung“, sagt Decking. Composites böten zwar 50 bis 70 % Gewichtsvorteile gegenüber Stahl und im Vergleich zu Aluminium immerhin noch 30 bis 60 %. Zudem habe CFK hervorragende Materialeigenschaften, doch es werde oft vergessen, dass Materialien sich auch in der Serienproduktion bewähren müssten, und da weise Kohlefaser mehr Grenzen auf – auch wenn es um die Gestaltung und Konstruktion von Teilen gehe, so Decking. Seine Prognose: „Im Jahr 2020 werden die Kosten für Kohlenstofffaser serielle Gießlösungen bei weitem überschreiten.“
Gegenüber bewährtem Stahlblech kann Aluminium beim Gewicht ebenfalls punkten: Als Beispiel führen die GF-Leute einen Türrahmen an, der im Alu-Druckguss 17 % leichter im Vergleich zur tiefgezogenen Blechvariante ist. Dass aber auch gegenüber dem Leichtmetall Aluminium noch Reduktionspotenzial drin ist, beweist GF-Automotive mit einem Ölführungsmodul in Magnesium-Druckguss, dass rund ein Viertel leichter als die Alu-Variante ist.
Hohe Drehzahlen bei kleinem Hubraum senken den Spritverbrauch
ASK Chemicals präsentierte eine Kernschussmaschine, die auf der Messe aus Spezialsand mit anorganischen Bindersystemen kleine Rennwagen formte. Im Industrieeinsatz stellt sie komplexe Gussformelemente her, die beispielsweise zur Fertigung von Motorblöcken gebraucht werden und hohe Drehzahlen bei kleinem Hubraum aushalten – ein Muss, wenn der Spritverbrauch gesenkt werden soll. Zylinder-Downsizing ist das Stichwort. Denn ein Zylinder weniger bedeutet weniger Reibung, kleineres Kurbelgehäuse, kleinerer Zylinderkopf, etc. und damit weniger Gesamtgewicht.
Grundsätzlich bedeutet die Erhöhung des Zünddrucks durch Aufladung jedoch eine steigende Beanspruchung des Kurbelgehäuses. Um dies auszugleichen, müssten die Wände dicker bemessen oder Werkstoffe mit erhöhter Festigkeit eingesetzt werden. ASK leistet einen Beitrag zur Festigkeitserhöhung mittels verbesserter Wärmeabführung durch verbesserten Formstoff und Binder. Denn die Bauteilfestigkeit wird neben der chemischen Zusammensetzung des Werkstoffs auch durch die thermophysikalischen Eigenschaften des Formstoffs mitbestimmt. Dazu Jens Müller, Entwicklungsleiter bei ASK Chemicals: „Optimierte Formstoffe und Bindermaterialien unterstützen dies, indem beim Gießprozess in bestimmten Bereichen besser gekühlt werden kann, sodass das Aluminium schneller erstarrt, was zu höheren Festigkeiten des Bauteils führt und Motoren widerstandsfähiger macht.“
Walther Trowal hat Aluminium als sanftes Strahlmittel entdeckt. Das Strahlen von Schmiede- oder Druckgussteilen aus Aluminium, wie zum Beispiel Achsschenkeln oder Armaturenträgern, erfordert ein weiches Strahlmittel. Auf der Gifa zeigte der Maschinenbauer im Bereich Oberflächentechnik erstmals die neuen Muldenband-Strahlanlagen der Serie THM, die das Unternehmen speziell für das Strahlen von Leichtmetallteilen optimiert hat. Der Vorteil: Die Betriebskosten im Vergleich zu Edelstahl sind deutlich geringer, da der Verschleiß der Schleuderräder nahezu gegen Null geht. Ein technisches Detail der neuen Anlage: Da raue Wurfschaufeln das Aluminium-Strahlmittel in kürzester Zeit zerkleinern würden, glättet Walther Trowal sie vorher auf seinen Gleitschleif-Maschinen.
Zunderfreie Oberfläche
Mit innovativen Strahllösungen ist auch Aussteller Rösler Oberflächentechnik am Markt. Seine neuesten Long-Life-Strahlturbinen Gamma 520 sind bei Thyssenkrupp Gerlach, einem Anbieter geschmiedeter und vergüteter Kurbelwellen, in einen vollautomatischen Produktionsablauf integriert, um eine absolut zunderfreie Oberfläche herzustellen. Zunächst weisen die jährlich rund sechs Millionen gefertigten Kurbelwellen eine dicke und hartnäckige Zunderschicht auf. „Bei unserer bisherigen Strahlanlagen war das Handling der Kurbelwellen sehr arbeits- und mannintensiv und stellte ein Unfallrisiko dar. Daher wollten wir diesen Prozess optimieren und haben uns für die Investition in ein neues Strahlsystem entschieden“, berichtet Stefan Nussbaum, Leiter der Vergüterei bei Thyssenkrupp. Die Rösler-Anlage ist mit Hängebahnförderern und Handling-Robotern ausgestattet und weist einen hohen Automatisierungsgrad auf. Für 150 Kurbelwellentypen mit den zugehörigen Strahl-Parametern wurden teilespezifische Programme entwickelt und in der SPS der Anlage hinterlegt. Bis zu 4,5 t Strahlmittel pro Minute prasseln so auf die Kurbelwellen. Im Vergleich zu herkömmlichen Turbinen erzielen die Gamma-Turbinen eine bis zu 30 % höhere Abwurfgeschwindigkeit.
Eisen bleibt wichtiger Werkstoff
Dass auch mit dem althergebrachten Material Eisen beim Leichtbau noch Staat zu machen ist, zeigte die Eisengießerei Fritz Winter auf der Newcast: Die letzte Entwicklung der Hessen ist ein mit Dünnwandguss erzeugtes 4-Zylinder-Kurbelgehäuse, das mit 24 kg gerade einmal 3 kg schwerer ist als ein vergleichbarer Aluminium-Block. Der Clou: die Wandstärke liegt bei nur 2,5 mm mit einer Toleranz von nur +/-0,5 mm. Zudem kann der Grauguss-Block mit einem Kostenvorteil von 28 % gegenüber Aluminium-Druckguss punkten. Im Vergleich zum Kokillenguss ist es sogar deutlich mehr. Dafür haben sich die Ingenieure einiges einfallen lassen: Ein kompaktes Design mit reduziertem Zylinderabstand sowie einer optimierten Hauptlagerwand und vor allem ein spezielles, bisher bei Eisengusskurbelgehäusen einzigartiges Gießverfahren. Damit will der Zulieferer dem Markt eine ernsthafte Alternative zu Aluminium bieten und sich selbst fit halten für die automobile Leichtbau-Zukunft. Richard Pausch, Director Sales der Gießerei Fritz Winter, sieht Eisenguss immer noch als unschlagbar kostengünstig und damit zukunftssicher: „Der Werkstoff Eisen noch lange nicht tot.“ •
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