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Nur spritzgießen? Nö, auch tiefziehen!

IKV-Kolloquium 2016 bietet Einblicke in die anwendungsnahe Forschung
Nur spritzgießen? Nö, auch tiefziehen!

Kunststofftechnik | Das 28. IKV-Kolloquium präsentiert vom 24. bis 25. Februar im Eurogress Aachen nicht nur neueste Technologien, die für die Industrie interessant werden. Die Veranstaltung bietet auch Ein- und Überblicke zu den Branchenthemen Industrie 4.0, Leichtbau und additive Fertigung. ❧ Olaf Stauß

„Nachwuchs, Netzwerk, Innovationen“ ist das Motto des IKV-Kolloquiums, das zum 28. Mal die aktuelle Forschung vor internationalem Publikum präsentiert – mehr dazu auf S. 68. Dieses Leitmotiv hat das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) mit gutem Grund gewählt. Sind doch derzeit über 12 000 Studierende im Maschinenwesen der RWTH Aachen eingeschrieben – eine Zahl, die jährlich wächst und an der das renommierte IKV mit über 300 Mitarbeitern Anteil hat. Die Aachener sind vernetzt mit führenden Köpfen der Branche weltweit.

Das verpflichtet. Konsequenterweise greift das IKV nicht nur die Forschung auf, sondern auch Branchenthemen, die zuweilen Reizthemen sind: Industrie 4.0, Leichtbau und additive Fertigung. Experten aus Industrie und Institut wagen einen nüchternen Blick und zeigen Perspektiven auf.
Industrie 4.0 sei „keine Revolution“ sondern ein evolutionärer Prozess, betont etwa Prof. Christian Hopmann schon im Vorfeld, Institutsleiter des IKV. „Wer auf den Start einer Revolution wartet, könnte darüber verpassen, wie sich der Prozess entwickelt und wie er zum Abschluss kommt.“ Die Umsetzung der Vision dürfe nicht der IT überlassen werden. Vielmehr müsse die Produktion die treibende und damit prägende Kraft der Entwicklung bleiben. Der IKV-Leiter verweist auf eine Reihe von Forschungsvorhaben, die dafür den Boden bereiten. Ein Beispiel ist das „Spritzgießen als selbstoptimierender Prozess“.
Am Starttag eröffnet Professor Christian Hopmann das Kolloquium mit einem Plenarvortrag zu Industrie 4.0. Darin stellt er Strategien speziell für die Kunststofftechnik vor – Ausführungen, die mit Spannung erwartet werden dürften in einer Branche, in der dynamische Maschinenhersteller bereits eigene Strategien, Roadmaps und Produkte zu Industrie 4.0 definiert und veröffentlicht haben. Plenarvorträge halten außerdem Industrievertreter von BMW, Siemens und Siegfried Hofmann zu den Themen Leichtbau und additiver Fertigung.
36 Fachvorträge präsentieren die aktuelle Forschung am IKV. Erneut wird es eine begleitende Fachausstellung mit Industrieunternehmen geben. Darüber hinaus erhalten die Fachbesucher die Gelegenheit, vielversprechende Entwicklungen für die industrielle Anwendung in den IKV-Laboren persönlich zu inspizieren: Unter dem Programmpunkt „IKV 360°“ öffnet das Institut am Nachmittag des ersten Veranstaltungstages seine Pforten für die Kolloquiums-Teilnehmer und zeigt seine Forschung live in den Technika. Die Wissenschaftler stehen an den laufenden Anlagen für Gespräche zur Verfügung. Die Vorträge am zweiten Kolloquiumstag sind darauf ausgerichtet, die Eindrücke der Vorführungen zu vertiefen.
Auszugsweise erste Einblicke in diese Highlights: Das IKV arbeitet mit dem Institut für Umformtechnik und Leichtbau IUL der TU Dortmund daran, das Tiefziehen von Metall und das Spritzgießen in nur einem Werkzeug zu kombinieren. Und zwar in der Spritzgießmaschine. Die Schließbewegung wird zunächst dazu genutzt, das Blechbauteil zu etwa 90 % tiefzuziehen. In die so entstehende Kavität wird die Kunststoffschmelze mit hohem Druck eingespritzt und verformt das Blech weiter bis zur Endgeometrie. Die Schmelze dient also zugleich als Wirkmedium. Der Nutzen ist ein großer Gewinn an Produktivität bei der Herstellung solcher Hybridbauteile, die ihrerseits ein großes Leichtbaupotenzial eröffnen.
Haftvermittler sorgen für eine stoffschlüssige Verbindung – und zwar schon „sehr reproduzierbar“, wie Prof. Hopmann betont. Zu beherrschen gelte es dabei vor allem Effekte, die durch die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten von Kunststoff und Metall im späteren Bauteil auftreten. Das IKV hat dazu eine „integrative Simulationskette“ entwickelt, die das komplexe thermomechanische Bauteilverhalten vorhersagt und damit Hinweise für die Bauteilgestaltung und ihre Grenzen gibt. Für Prof. Hopmann ein Beispiel, das in Richtung Industrie 4.0 weist: hin zu dem Trend, Schritte der Bauteil- und Prozessgestaltung auf dem Rechner vorwegzunehmen und so den Entwicklungsprozess zu verkürzen. Ein Ansatz, der sich in vielen IKV-Projekten wiederfindet.
Auf die Spitze getrieben wird dieser Industrie-4.0-Ansatz bei der Vision einer „selbstoptimierenden Spritzgießmaschine“. Dazu wurde im Rahmen des Exzellenzclusters ein Prozessführungskonzept entwickelt, das Störgrößen in Echtzeit ausregelt. Dieses Konzept beruht auf dem materialspezifischen Zusammenhang zwischen Druck, spezifischem Volumen und Temperatur. Gemessen wird im Werkzeug, geregelt über die Einspritzgeschwindigkeit mit der Schnecke als Stellglied – live zu sehen am ersten Kolloqiumsnachmittag.
In eine ähnliche Richtung weisen die Arbeiten im Sonderforschungsbereich 1120, der eine höhere Bauteilpräzision durch das Beherrschen von Erstarrungsvorgängen zum Ziel hat. Kunststoffe haben hier noch Nachholbedarf gegenüber Metallen. Das IKV ist mit drei Teilprojekten für das Spritzgießen beteiligt. Idealerweise führen die Ergebnisse zu einer thermischen Werkzeugauslegung, die mit geeigneten Regelungsstrategien den Bauteilverzug auf Null reduzieren.
Großes Leichtbaupotenzial bietet die Verarbeitung von Langfaser-verstärkten Thermoplasten (LFT). Durch Fließpressen werden LFT bereits wirtschaftlich zu Leichtbauteilen verarbeitet. Allerdings noch nicht optimal: Die niedrige Temperatur des Presswerkzeugs erhöht die Materialviskosität und damit den Presskraftbedarf. Ein weiteres Problem sind Einfriereffekte und Faserabzeichnungen, die den Einsatz im Sichtbereich verhindern.
Das IKV hat nun eine variotherme Werkzeugtechnik entwickelt, mit der sich die Temperatur vor dem Füllvorgang kurzzeitig erhöhen und damit die Viskosität senken lässt. Dies verringert die Anlagenkosten aufgrund niedrigerer Presskräfte, ermöglicht höhere Fasergehalte (für bessere mechanische Eigenschaften) und erhöht die Oberflächenqualität. LFT-Pressbauteilen eröffnen sich damit neue Anwendungsmöglichkeiten, speziell im Automobilbau.

28. Internationales Kolloquium Kunststofftechnik

Kunststoff-Kolloquium | Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen lädt am 24. bis 25. Februar zum 28. Mal zum Kolloquium nach Aachen ein. Rund 800 Fachleute werden zu dem zweijährlich stattfindenden Event der Kunststoffbranche erwartet. 2014 kamen Teilnehmer aus mehr als 300 Unternehmen und 15 Nationen nach Aachen. Alle Vorträge werden simultan ins Englische übersetzt.
IKV-Wissenschaftler referieren in 36 Vorträgen über die aktuelle Forschung. Fünf Plenarvorträge aus Industrie und Forschung greifen aktuelle Branchenthemen auf. Unter dem Programmpunkt „IKV 360°“ können sich die Teilnehmer am ersten Nachmittag an den laufenden Anlagen über die aktuelle Forschung live informieren lassen. Zur begleitenden Fachausstellung im Foyer des Eurogress Aachen werden 50 Aussteller erwartet.
Das IKV-Kolloquium widmet sich seit über 60 Jahren der Kommunikation und dem Transfer von Innovationen in die Kunststoffbranche, wobei die Fachvorträge des IKV die Bandbreite der Forschung am Institut widerspiegeln. Sie thematisieren innovative Verfahrenstechniken des Spritzgießens und der Extrusion, die Kautschukverarbeitung, Werkstofftechnik und Formteilauslegung sowie die faserverstärkten Kunststoffe. Die Präsentation von Forschung und Innovation auf dem gesamten Gebiet der kunststoffverarbeitenden Technologien hebt das Kolloquium aus Sicht des IKV von anderen Veranstaltungsformaten ab.
Für Praxis- und Industriebezug sorgen unter anderem Keynote- und Plenarvorträge namhafter Referenten. Ein weiterer Programmpunkt ist die Verleihung des Georg-Menges-Preises, gestiftet vom VDMA, PlasticsEurope und der IKV-Fördervereinigung. Er wird 2016 zum zehnten Mal vergeben.
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