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Nur wenige werden sich etablieren

Industrial Ethernet: Variantenvielfalt schafft Probleme
Nur wenige werden sich etablieren

Um Ethernet als Datennetztechnik im industriellen Umfeld einsetzen zu können, braucht es Erweiterungen des Standards in Richtung Echtzeitverhalten. Das haben inzwischen viele Unternehmen umgesetzt. Heute muss der Anwender aus 22 unterschiedlichen Ethernet-Varianten wählen.

Früher war alles ganz einfach: Je perfekter der Maschinentakt eingehalten wurde, desto effizienter arbeitete ein Werk. Heute gelten andere Grundsätze. Zur hohen Produktivität im Regelbetrieb kommt eine möglichst kurze Reaktionszeit bei Änderungen oder Fehlern als Erfolgsfaktor hinzu. In den fein abgestimmten Abläufen eines Extruders hätte beispielsweise ein verzögertes Signal an ein Ventil fatale Folgen. Also müssen die Daten der Produktionssensoren in Echtzeit ausgetauscht werden.

Als Netzwerk-Medium bietet sich das aus der Büroumgebung bekannte Ethernet an. Da dieses keine Echtzeitfähigkeit zulässt, haben die Systemanbieter unterschiedliche Maßnahmen getroffen, um ein deterministisches Zeitverhalten zu erreichen. Beispiele dafür sind spezielle zeitbasierte Switching-Mechanismen oder der Einsatz zusätzlicher Prozessoren (Asic), um Transferzeiten zu verkürzen.
Offenheit, uneingeschränkte TCP/IP-Transparenz, vertikale Integration, Nutzung der Webtechnologie – so lauten die Argumente aller Anbieter. „Heute hat der Anwender hat die Qual der Wahl aus 22 unterschiedlichen Ethernet-Varianten“, räumt Prof. Klaus Bender ein. Der Vorstand der Profibus-Nutzerorganisation (PNO) prophezeit: „Da offene Systeme einen sehr hohen Pflege- und Qualitätssicherungsaufwand erfordern, wird es in einigen Jahren aus Kostengründen nur noch wenige Systeme geben. Wichtige Frühindikatoren sind daher die Performance, die Kompatibilität zum Ethernet-Standard sowie die Marktmacht der Promoter.“
Die PNO hat aus diesem Grunde die Studie „Echtzeit-Ethernet für die Sensor/Aktorvernetzung“ der Fachhochschule Lippe/Höxter gefördert. „Ziel der Untersuchung war zunächst eine systematische Analyse der zukünftigen Potenziale heutiger Echtzeit-Ethernet-Systeme, insbesondere unter Berücksichtigung der Gigabit-Technik“, so Projektleiter Jürgen Jasperneite. „Im Fokus stand dabei vor allem die in typischen Applikationen unter realen Bedingungen tatsächlich erreichbare Performance.“
Die Ethernet-Varianten arbeiten entweder mit den Standard-Controllern (Powerlink) oder mit Spezial-Ethernet-Controllern (Ethercat, Profinet IRT und Sercos III). „Bei der Datenübertragung gibt es zwei Prinzipien: einerseits das Summenrahmenverfahren wie bei Ethercat und Sercos III, andererseits die Datenzustellung mit individuellen Rahmen für jeden Teilnehmer wie bei Profinet IRT und Powerlink“, erläutert Hochschulprofessor Jasperneite.
„Deshalb haben wir uns in unserer Untersuchung auf die Systeme Ethercat und Profinet IRT konzentriert“, erklärt Jasperneite seine Vorgehensweise. Die beiden wichtigsten Einflussfaktoren waren dabei die physikalische Laufzeit und die Übertragungszeit eines Datenrahmens. Als optimale Verkabelung haben sich so genannte Kammstrukturen, also Hauptlinien mit mehreren Abzweigen, erwiesen. Im Bereich der einfachen Sensor/Aktorvernetzung innerhalb einer Maschine ist hingegen oft eine reine Linienstruktur vorteilhaft. „Als Ergebnis zeigte sich bei der Kammstruktur, dass Profinet IRT durch seine individuellen Frames die Anforderungen von Anlagenstrukturen flexibler berücksichtigen kann. Dagegen muss Ethercat immer alle Teilnehmer zweimal durchlaufen. Die absolute Differenz wächst hier quadratisch mit der Zahl der Teilnehmer“, stellte Japerneite fest. „Auch im Szenario der einfachen Sensor/Aktorvernetzung mit reiner Linienstruktur und 100 MB/s ist Profinet für größere Datenmengen im Vorteil. Bei kleinen Datenmengen, das ist üblicherweise der Fall bei einfachen Sensoren/Aktoren, besteht dagegen noch Optimierungspotential. Würde man die Bitrate auf 1 GB/s erhöhen, so wäre Profinet auch für die einfache Sensor/Aktorvernetzung einem Summenrahmenverfahren überlegen“, erklärt Jasperneite.
Eine solche Studie, die zwei Verfahren direkt miteinander vergleicht und zudem öffentlich gefördert wird, war bisher recht ungewöhnlich und provoziert natürlich eine Stellungnahme der anderen Seite. „Die Studie weist nach, dass in üblichen Anwendungsszenarien Ethercat deutlich schneller ist als die schnellste Profinet-IRT-Variante“, sagt Martin Rostan. Der Direktor der Ethercat Technology Group (ETG) beglückwünscht vielmehr die PNO dazu, ein spezielles Szenario gefunden zu haben, bei der eine zukünftige Version von Profinet IRT die heutige Ethercat-Performance scheinbar erreicht oder übertrifft. Rostan bemängelt, dass diese Kammstruktur mit einer Ethercat-Linienstruktur verglichen wurde und nicht mit einer Ethercat-Kammstruktur, bei der die Knoten in den Abzweigen wahlweise auch in jedem Zyklus bedient werden können.
„Auf dem Weg zum Gigabit-Ethernet sind aber weder Ethercat noch Profinet IRT geeignet, hierfür müssen erst neue Asics entwickelt werden, während Powerlink als reine Softwarelösung einfacher erweiterbar ist“, meint Martin Müller. Der Marketingleiter der Business Unit Automation Systems von Phoenix Contact Electronics in Bad Pyrmont prophezeit: „Die zehnfache Bandbreite im Vergleich zu Ethernet kommt dem Kommunikationsbedarf in den Industrieanlagen und den hohen Echtzeitanforderungen der Automation entgegen, allerdings wird Gigabit-Ethernet in industriellen Netzwerken noch drei bis fünf Jahre auf sich warten lassen“.
Wer heute Lösungen braucht, der setzt wie der Nürnberger Antriebshersteller Baumüller auf Ethercat und CANopen als Feldbus. Ethercat bietet dabei die Möglichkeit, den zyklischen Datenaustausch zwischen Antrieben ohne den Eingriff einer Steuerung zu bewerkstelligen. Die Schlüsselfaktoren für CANopen sind die hohe Durchgängigkeit und Verfügbarkeit von Automatisierungsgeräten, hohe Zukunftsfähigkeit durch internes Safety-Protokoll bis Level 3 sowie viele Geräte-spezifische Profile für elektrische Antriebe oder Positionsgeber. „Mit CANopen lassen sich bis zu 128 verteilte Antriebe synchronisieren, mit unserer eigenen Implementierung CANsync sogar bis zu 512, das reicht sogar für anspruchsvolle Anwendungen in Druckmaschinen“, stellt Markus Britsch, Leiter Produktmanagement, fest. Ethercat ist seit Oktober letzten Jahres auch IEC-Standard. Damit sind Protokolle und Dienste genormt. Besondere Bedeutung hat die IEC 61800-7, da sie Ethercat zu einer genormten Kommunikationstechnologie für die Sercos- und CANopen-Antriebsprofile macht.
Auf CAN und Ethernet-Powerlink setzt Hamelner Antriebshersteller Lenze. „Aufgrund der deutlich höheren Übertragungsraten und den längeren Distanzen unterstützt Powerlink leistungsstärkere Automatisierungsnetzwerke“, sagt Entwicklungsleiter Edwin Kiel. Außerdem lassen sich in gleichem Maße zentrale und dezentrale Lösungen unterstützen. „Mit dem Einsatz von Gigabit-Ethernet dürfte für uns als Powerlink-Anwender die Diskussion um die richtige Ethernet-Variante auch ein Ende finden, weil die Gigabit-Geschwindigkeit in einer Antriebsapplikation nicht auszuschöpfen ist“, meint Kiel. „Wenn der Magnetismus eine physikalische Grenze setzt, gibt es in puncto Performance von Ethernet-Feldbussen nun nichts mehr zu diskutieren“, sagt Kiel. Mit Standard-Hardware und einem Gigabit-fähigen Protokoll sei die Lenze-Lösung in jedem Fall schnell genug. „Wer allerdings Ethernet-Asics einsetzt, muss wieder von vorn anfangen und neue Prozessoren entwickeln“.
CAN als Ergänzung zu Ethernet hält Holger Zeltwanger für ideal. Der Managing Director des Industriekonsortiums CAN in Automation (CiA): „Das zur IEC-Normung anstehende CANopen-Geräteprofil für elektrische Antriebe wird von vielen Antriebsherstellern unterstützt“. Und wenn die Kommunikation mit übergeordneten Systemen per industriellem Ethernet erforderlich ist, entwickelt die CiA Gateways.
Diese Software wertet die vom Ethernet eingehenden Kommandos aus, initiiert auf der CAN-Seite den korrekten Dienst und stellt die Antwort dem Ethernet wieder zur Verfügung. „Mit ModbusIDA haben wir schon lange ein entsprechendes Gateway standardisiert“, erläutert Zeltwanger. Für Ethernet-Netzwerke wie Ethercat oder Powerlink, beide basieren auf dem CANopen-Standard, reiche ein Gateway. „Ein Gateway zu Profinet wird derzeit mit der Profibus-Nutzerorganisation diskutiert“, freut sich Zeltwanger.
Achim Scharf Fachjournalist in München
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