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Schweizer Spezialstahl senkt Herstellkosten

Bainitischer Stahl: Nach dem Kaltumformen entfallen Glüh- und Vergütungsprozesse
Schweizer Spezialstahl senkt Herstellkosten

Kaltumgeformte Bauteile sollen kostengünstig sein. Den Spagat zwischen niedrigeren Herstellungskosten einerseits und hohen Festigkeiten bei guter Umformbarkeit andererseits meistert die Swiss Steel AG mit ihrem bainitischen Stahl Swissbain-7MnB8 – einer Alternative zu Vergütungsstählen.

Die Kaltmassivumformung bietet viel Potenzial: Anders als bei spanabhebenden Verfahren entstehen die Bauteile mit sehr geringem Materialverlust. Das Einsatzmaterial wird fast vollständig zum fertigen Produkt umgeformt. Zudem ist die Bearbeitungsgeschwindigkeit deutlich höher. Gegenüber der Warmmassivumformung (Schmieden) kommen die Energieersparnis, eine hohe Oberflächengüte und Formgenauigkeit als Vorteile hinzu. Nachfolgende Bearbeitungsgänge lassen sich reduzieren oder können in bestimmten Fällen ganz entfallen. Der Anteil der Kaltmassivumformung am Gesamtvolumen der Fertigungsverfahren wächst daher.

Der Bedarf an höheren Umformgraden, höheren Festigkeiten, endkonturnah geformten Teilen und einer hohen Qualität in der Kaltmassivumformung geht einher mit steigenden Anforderungen an eine wirtschaftliche und energieeffiziente Produktion. Der neue Werkstoff Swissbain-7MnB8 der Swiss Steel AG macht die Kaltmassivumformung dank kürzerer Durchlaufzeiten im Vergleich zu konventionellen Vergütungsstählen jetzt noch effizienter. Swiss Steel gehört zur Schmolz+Bickenbach-Gruppe.
Konventionelle Vergütungsstähle wie 23MnB4, 41Cr4 oder auch 42CrMo4 haben den Nachteil, dass sie vor der Kaltumformung geglüht und im Anschluss durch Vergütung gehärtet werden müssen. Insbesondere lange Bauteile können sich dabei verziehen. Der Verzug muss durch zusätzliches Richten behoben werden. Der Swissbain-7MnB8 hingegen bringt bereits im Walzzustand eine höhere Festigkeit mit, die während der Kaltumformung auf 800 bis 1000 MPa am fertigen Bauteil gesteigert werden kann, je nach Wahl des Drahtabzuges und Auslegung der Umformstufen. Kostenintensive separate Wärmebehandlungen und Richtprozesse entfallen.
Durch die höheren Ausgangsfestigkeiten kann es nötig sein, die Bauteile auf einer stärkeren Presse mit höherer Presskraft und stabilerem Abschersystem zu fertigen. Dieser Mehraufwand kann durch weitere Einsparungen im Herstellungsprozess kompensiert werden und bauteilspezifisch zu Kosteneinsparungen führen. Die Neuentwicklung ist sehr gut umformbar und bringt zusätzliche Eigenschaften wie eine gute Schweißbarkeit und Zerspanbarkeit mit.
Dadurch eignet sich der Swissbain-7MnB8 für eine kosteneffiziente Fertigung einer Vielzahl von Artikeln unter anderem für die Automobil- und Bauindustrie, bei denen kein Vergütungsgefüge vorgeschrieben ist: Kurz- und Langschaftskugelzapfen, diverse Schrauben, Muttern, Hohlteile, Stufenbolzen, Gewinde- und Dübelbolzen. Kunden können das Produkt standardmäßig als Walzdraht in Abmessungen von 7 bis 40 mm bei Swiss Steel beziehen. Anwender, die nicht mit der Bearbeitung hochfester Produkte wie dem Swissbain-7MnB8 vertraut sind, berät Swiss Steel ausführlich zur Handhabung.
Entwickelt wurde das Produkt im Rahmen des Projektes „Coheadbain“, das durch den europäischen Research Fund for Coal and Steel gefördert wurde. Ziel war es, einen für die Kaltumformung idealen bainitischen Stahl herzustellen, der das Fertigen hochfester Bauteile ohne zusätzliche Glüh- und Vergütungsprozesse ermöglicht.
Ein Fokus der Aufgabenstellung waren reduzierte Herstellungskosten kaltumgeformter Bauteile. Innerhalb von drei Jahren wurden in Zusammenarbeit mit Forschungsinstituten und Projektpartnern aus der Industrie ein geeignetes Werkstoffkonzept entwickelt und umfangreiche Labor- und großtechnische Versuche durchgeführt. Ausgangsprodukt waren bereits im Flachstahlbereich angewandte bainitische Stahlkonzepte, die auf den Langproduktebereich übertragen wurden.
Ein Element, mit dem sich die Festigkeit bainitischer Stähle einstellen lässt, ist Kohlenstoff. In Verbindung mit Eisen bildet Kohlenstoff die spröde Phase Zementit (Eisenkarbid). Diese erhöht beim Kaltfließpressen das Risiko der Rissbildung. Zudem senkt ein höherer Kohlenstoffgehalt die Duktilität und die Umformbarkeit eines Werkstoffs. Die Lösung lag auf der Hand: Swiss Steel reduzierte den Kohlenstoffgehalt deutlich. Um die geforderten Festigkeiten trotz niedriger Kohlenstoffgehalte zu erreichen, setzte der Stahlspezialist stattdessen auf Mikrolegierungselemente wie Titan, Vanadium und Niob. Zudem konnte bei diesem Werkstoffkonzept auch der Einsatz von teuren Legierungszugaben wie Chrom, Molybdän und Nickel verringert werden.
Die Basis für das Produkt bildet sortenreiner Eisenschrott, den Swiss Steel im 80-t-Elektrolichtbogenofen schmilzt. Im Pfannenofen fügt der Stahlproduzent die Mikrolegierungselemente hinzu. Anschließend wird der flüssige Stahl in der Stranggießanlage zu Knüppeln vergossen. Sie bilden das Vormaterial, aus dem im Walzwerk der Draht gefertigt wird. Neben der chemischen Analyse spielt die gezielte Steuerung von Temperatur und Abkühlung beim Walzen eine entscheidende Rolle, um das für die Kaltumformung besonders geeignete zementitfreie, bainitische Gefüge respektive die gewünschten mechanischen Eigenschaften einzustellen.
In Zusammenarbeit mit Kaltumformern testete Swiss Steel das Endprodukt erfolgreich auf Praxistauglichkeit und führte es zur Marktreife. Derzeit leitet der Stahlhersteller die normative Verankerung des Swissbain-7MnB8 (Werkstoffnummer 1.5519) in die Wege.
Fazit: Der Swissbain-7MnB8 stellt bei hochfesten Bauteilen insbesondere der Automobil- und Bauindustrie eine ressourcenschonende Alternative zu Vergütungsstählen dar. Speziell entwickelt für die Kaltmassivumformung weist er eine hohe Festigkeit bei gleichzeitig sehr guter Kaltumformbarkeit auf, ohne separate Wärmebehandlungen zu erfordern. Bauteilspezifisch profitieren Kaltumformer und Komponentenhersteller von kürzeren Durchlaufzeiten, niedrigeren Bearbeitungskosten und einer optimierten Energiebilanz.
Stephan Hasler Manager Research & Development der Swiss Steel AG, Emmenbrücke/Schweiz
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