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„Wir müssen alle Kompetenzen bündeln!“

WZL- und IPT-Direktor Prof. Fritz Klocke über die Anforderungen, die die Elektromobilität an die Fertigungstechnik stellt
„Wir müssen alle Kompetenzen bündeln!“

„Wir müssen alle Kompetenzen bündeln!“
„Deutschland muss der führende Anbietermarkt für Elektromobilität werden. Um das zu erreichen, müssen wir die Antriebstechnik und die notwenfigen Fertigungssysteme parallel entwickeln“, sagt Prof. Fritz Klocke. Er ist Mitglied des Direktoriums des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und leitet das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen Bild: WZL
Fertigungsspezialisten müssen frühzeitig in die Entwicklung moderner Antriebskonzepte eingebunden werden. Das sieht Prof. Fritz Klocke vom WZL als Voraussetzung dafür, die Systeme später wirtschaftlich produzieren zu können – und damit auch für den potenziellen Erfolg der Technologie.

Herr Prof. Klocke, lässt sich heute bereits sagen, welchen Einfluss die neuen Antriebskonzepte auf die Fertigungstechnik haben werden?

Grundsätzliche Anforderungen und Tendenzen sind durchaus zu erkennen. Um die Produktionskonzepte jedoch bereits heute zu definieren, sind noch zu viele Fragen offen. Werden die Energiespeicher in den Fahrzeugen geladen oder ausgetauscht? Welches Speichersystem setzt sich durch? Welche Materialien kommen in welchem Umfang zu Einsatz? Wie sieht die Karosserie aus? Diese und weitere Fragen wirken sich auch auf die Produktionssysteme aus. Noch fehlen aus Sicht der Fertigungstechnik nicht nur einige Antworten, wir kennen noch nicht einmal alle Fragen.
Macht es dann Sinn, sich bereits heute mit der Fertigungstechnik für die Elektromobilität zu beschäftigen?
Es macht nicht nur Sinn, es ist sogar elementar wichtig! Wenn wir nicht nur ein Leitmarkt für die neuen Mobilitätskonzepte sein wollen, sondern ein weltweit führender Leitanbieter, dann müssen die Antriebstechnologie und die zugehörigen Fertigungssysteme gemeinsam entwickelt werden – und zwar heute. Die besten Elektromobilitätskonzepte werden nur dann erfolgreich sein, wenn sie sich wirtschaftlich herstellen lassen. Nur wenn das Wissen und die Erfahrung von Fertigungsspezialisten bereits frühzeitig in die Konzepte einfließen, ist eine optimale Gesamtlösung möglich. Deshalb mein Appell an alle, die sich mit der Antriebstechnologie beschäftigen: Vergesst die Produktion nicht!
Wie reagiert die Automobilindustrie auf diese Aufforderung?
Die Hersteller bestätigen, sich mit den Fertigungskonzepten zu beschäftigen. Sie sind teilweise wohl auch schon auf dem Reißbrett und werden untersucht. Entscheidungen sind jedoch noch keine gefallen, die produktionstechnischen Institute sind aber nach meiner Wahrnehmung eingebunden.
Welchen Zeitrahmen veranschlagen Sie für diesen Umbruch?
Das ist im Moment nur schwer abzuschätzen. Ich rechne mit zehn bis zwanzig Jahren. In dieser Phase wird es komplett neue Produktionsstrukturen geben, aber auch solche, die sich den neuen Anforderungen fließend anpassen. Wie schnell sie im Markt Eingang finden, hängt wesentlich vom Erfolg der Elektrofahrzeuge ab.
Welche grundsätzlichen Tendenzen sind bereits erkennbar?
Eine zentrale Frage wird sein: Wie lassen sich auch bei kleineren Losen Skaleneffekte erzielen? Deshalb müssen die Fertigungssysteme flexibler, anpassungsfähiger werden. Plattformen, auf denen verschiedene Technologien bedarfsorientiert zum Einsatz kommen, sind in der Entwichlung. Wie Werkzeugmaschinen künftig aussehen, hängt auch davon ab, welche Materialien in welchem Umfang zu bearbeiten sind. Faserverstärkte Kunststoffe werden an Bedeutung gewinnen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob bei kleineren Stückzahlen beispielsweise Tiefziehprozesse noch sinnvoll sind. Bereits heute werden Anlagen konzipiert, die kleinere Lose von Teilen aus Faserverbundwerkstoffen durch Tapelegen in freier Formgebung wirtschaftlich fertigen. Aus meiner Sicht sind deshalb hybride Systeme wahrscheinlich, die sowohl Metalle als auch Verbundmaterialien bearbeiten können. Ich gehe davon aus, dass der Anteil der spanenden Prozesse, bezogen auf ein Fahrzeug, eher abnimmt.
Sind solche hybriden Systeme in einer Maschine integriert oder aus mehreren Modulen zusammengesetzt?
Beides ist möglich. Wo auf ein bereits bestehendes Produktionsumfeld aufgebaut wird, sind hintereinandergeschaltete Module ein nahe liegender Ansatz. Wie immer gilt es auch hier, das technisch Mögliche gegen das wirtschaftlich Sinnvolle abzuwägen. Neue Produktionen werden unter anderen Rahmenbedingungen realisiert als bestehende umgebaut. Für uns als Forschungseinrichtung stellt die integrierte Anlage die spannendste Aufgabenstellung und die größte Herausforderung dar.
Welche Aufgaben könnte eine solche Anlage übernehmen?
Das kann beispielsweise beim flexiblen Legen der Fasern von verstärkten Kunststoffen beginnen und über das Aushärten bis hin zum Besäumen, Bohren oder Ausschneiden der Teile reichen. Eine solche Maschine sollte aber auch in der Lage sein, Metalle und Metall-Kunststoff-Verbundmaterialien, dort wo unumgänglich, spanend zu bearbeiten.
Ist es wirklich sinnvoll, all das in eine Maschine zu packen?
Die zu erwartenden Losgrößen in der Elektromobilität sind zumindest zu Beginn deutlich kleiner, als das die Automobilindustrie bislang gewohnt ist. Deshalb muss das Fertigungssystem flexibel sein. Außerdem: Wenn wir es schaffen, ein praktikables integriertes System zu entwickeln, ist es keine allzu große Herausforderung mehr, die Teilsysteme bei Bedarf in einzelnen Modulen zu realisieren.
In welche Richtung sollten die Hersteller von Fertigungssystemen heute denken und arbeiten?
Zunächst sollten sie bestehende Verfahren optimieren. Es ist sicher nicht verkehrt, sich nochmals intensiv mit der Hochleistungszerspanung zu beschäftigen – sowohl aus Sicht der Maschine und der Werkzeuge, als auch hinsichtlich der Prozessführung. Davon profitieren aktuelle Fertigungsaufgaben ebenso wie künftige. Auch unter den Komponenten für die Elektromobilität sind genügend Teile, die eine hohe Zerspanleistung erfordern, etwa Gehäuse oder Leichtbaustrukturen. Über all dem dürfen die Hersteller nicht vergessen, sich bereits sehr zeitnah mit den hybriden Fertigungssystemen für die Zukunft zu beschäftigen.
In Sachen Elektromobilität – wo sehen Sie Deutschland international?
Wir sind in einer sehr guten Ausgangsposition. Wir haben in vielen Technologiebereichen hohe Kompetenzen. In Einzelbereichen sind auch viele Wettbewerber stark. Deshalb liegt unsere große Chance in der prozesskettenbezogenen Integration unseres Wissens. Wir müssen die überzeugende Gesamtlösung anbieten und mit ausgewählten Einzellösungen auch in Nischen stark operieren. Allerdings haben wir es noch nicht geschafft, all unsere Kompetenzen zu bündeln. Das muss uns schnellst möglich gelingen.
Wie könnte das gehen?
Wir müssen Modellproduktionen aufbauen. Wir brauchen eine konzertierte Aktion, die von der Forschung und den OEMs gemeinsam ausgeht. Und hier müssen wir die kleineren Zulieferer und die Hersteller von Produktionstechnik einbinden. Ein kleines oder mittleres Unternehmen kann im Moment kaum abschätzen, welche Teile, Komponenten oder Betriebsmittel künftig gebraucht werden, geschweige denn Strategien entwickeln oder Konzepte umsetzen. Eine Modellproduktion wäre die ideale Basis für alle Beteiligten, die erforderlichen Kompetenzen auf- und auszubauen.

Aus Sicht der Fertigungstechnik werden sich Veränderungen bei den Kfz-Antrieben zunächst weniger drastisch auswirken als zurzeit diskutiert. Bis 2020 geht der VDW davon aus, dass Verbrennungsmotoren weiter optimiert werden. Wichtig wird der verstärkte Einsatz kleiner aufgeladener Otto- und Dieselmotoren sein, ergänzt durch einen begrenzten Anteil an Hybrid- und Elektroantrieben. Auch wenn mittelfristig eine Existenzbedrohung unwahrscheinlich ist, müssen betroffene Unternehmen relevante Indikatoren im Auge behalten, die eine Änderung des Entwicklungspfads anzeigen. Langfristig wird sich die Situation radikal verändern. Die Übergangszeit sollte genutzt werden, sich intensiv Gedanken über die Ausrichtung für eine alternative automobile Zukunft zu machen.

Fast alle Automobilhersteller planen derzeit E-Mobile oder haben bereits ihr erstes Modell vorgestellt. Diese Entwicklung beeinflusst maßgeblich auch die Anforderungen an die Hersteller von Präzisionswerkzeugen. Neue Antriebskonzepte fordern gerade jetzt, auf ihrem Weg zur Serienfertigung, wirtschaftlich optimierte Produktionsprozesse. Als Zerspanungsspezialist weiß ich, dass insbesondere bei der hochpräzisen Bearbeitung von Leichtbauwerkstoffen große Kosten- und Qualitätspotenziale schlummern. Im Rahmen der Elektromobilität sehe ich neue Wertschöpfungsmöglichkeiten und eine bedeutende technologische Weiterentwicklung in der Zerspanung, die unter anderem auch den wirtschaftlichen Erfolg und die Leistungsfähigkeit dieser Branche sichert.

Gerade die Elektromobilität oder auch das Bearbeiten von Faserverbundstoffen im Leichtbau eröffnen der Lasertechnik Riesenchancen. Gut leitende Materialien für Elektromotoren sehr fein, präzise und zuverlässig zu schweißen, dafür ist der Laser prädestiniert. Ebenso fürs Beschneiden von Carbon-Bauteilen. In diesem Zusammenhang liegt mir eines besonders am Herzen: Alles dreht sich derzeit darum, diese neuen Technologien für die Elektromobilität zu entwickeln. Kaum jemand redet über die Fertigungstechnik. Wenn wir verpassen, die entsprechenden Produktionsmittel gleich mit zu entwickeln, dann werden wieder nicht wir in Deutschland, sondern andere von der bei uns entwickelten Technologie profitieren – so wie dies beispielsweise beim LCD-Display der Fall war.
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