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„Die Mitarbeiter mitzunehmen ist wichtig“

Industrie 4.0 in der Praxis
„Die Mitarbeiter mitzunehmen ist wichtig“

Industrie 4.0 sei durchaus in den Betrieben angekommen, sagt Prof. Fritz Klocke. Damit sich der Nutzen vernetzter Fertigungsprozesse in der Praxis voll auswirken könne, müsse aber noch die Durchgängigkeit der Datenkette verbessert werden, betont der Wissenschaftler, der den Direktorien von WZL und Fraunhofer IPT angehört. ❧ Mona Willrett

Herr Prof. Klocke, neue Geschäftsmodelle oder optimierte Prozesse in Entwicklung und Produktion – was bietet künftig den größeren Hebel für geschäftlichen Erfolg?

Nun, ich denke, für etablierte Unternehmen geht es zunächst darum, im Kerngeschäft eine sichere Position am Markt zu etablieren. Neue Geschäftsmodelle können neue Möglichkeiten für die Zukunft bedeuten.
Seit Jahren ist Industrie 4.0 ein Hype-Thema. Trotzdem beschäftigen sich gemäß Standpunktpapier der WGP, der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Produktionstechnik, nur rund zehn Prozent der Fertigungsbetriebe ernsthaft damit. Warum?
Ich würde es nicht als Hype-Thema bezeichnen. Zumindest nicht mehr. Ich glaube, die Thematik wird inzwischen von der Industrie ganz realistisch eingeschätzt. Es wird auch in der Mehrzahl schon recht gut gesehen, welche Potenziale die digitale Vernetzung bietet. Aber letztlich braucht es Zeit, und es ist vor allen Dingen auch notwendig, die Mitarbeiter mitzunehmen. Wir sind auf einem guten Weg.
Lassen sich die immer kürzeren Entwicklungs- und Produktlebenszyklen ohne vernetzte Prozesse überhaupt noch umsetzen?
Vernetzung wird dann wirkungsvoll, wenn wir einen durchgängigen Datenaustausch ermöglichen. Wir denken manchmal, dies sei leicht möglich und schon geübte Praxis. Das ist aber bei weitem nicht der Fall. Hier ist noch einiges an Forschungsarbeit notwendig. Entscheidend scheint mir, dass die Produktionstechnik keine fertigen Lösungen am Markt kaufen kann. Deshalb müssen zunächst die relevanten Probleme aus produktionstechnischer Sicht sauber formuliert werden. An Einzelfällen können wir die Möglichkeiten und Grenzen gut erklären. Wir benötigen aber ganzheitliche Konzepte über Unternehmensgrenzen hinaus.
Inwieweit hat der Mittelstand bereits ver-innerlicht, was Industrie 4.0 bedeutet und welche Potenziale damit verbunden sind?
In meiner Wahrnehmung hat der Mittelstand schon sehr gut realisiert, was Industrie 4.0 bedeutet. Hier muss man auch den Fachverbänden Lob zollen, die als wichtige Multiplikatoren zwischen der Wissenschaft und der mittelständischen Industrie gelten.
Laut WGP-Standpunktpapier unterschätzen deutsche Produktionstechniker die Chancen, während sie die Risiken überbewerten. Wie lässt sich das ändern?
Die Prämisse, dass die Chancen unter- und die Risiken überbewertet werden, mag ich nicht stützen. Ich bin von den Chancen überzeugt. Letztlich müssen wir für den harten Industriealltag aber immer nachweisen, wie sich die Potenziale in Euro bewerten lassen. Und da bin ich bei dem Punkt, dass unter Umständen zunächst auch Infrastrukturinvestitionen notwendig sein können.
Welche Gefahren drohen, wenn das Thema nicht ausreichend beachtet wird?
Ich argumentiere ungern mit erhobenem Zeigefinger. Klar ist aber, dass wir noch heikle Punkte zu lösen haben. Dazu gehört auch der Schutz von geistigem Eigentum – im Grunde für mich die plausibelste Erklärung für die Zurückhaltung. Ich kann noch keine Lösungen vorschlagen, bin aber überzeugt, dass uns dies in Zusammenarbeit mit Datenfachleuten gelingen wird. In der Forschung ist dieses Problem einfacher zu lösen – insbesondere, wenn die Ergebnisse frei zugänglich sein müssen. Wir haben uns im Fraunhofer-Produktionsverbund deshalb entschlossen, eine in Stuttgart am IPA eingeführte Plattform namens Fort Knox in allen Instituten zu realisieren. Jetzt können wir gemeinsam aus unterschiedlichen Standorten die Cloud befüllen und nutzen. Das ist eine hervorragende Lernumgebung.
Wo liegen – im globalen Vergleich – die Stärken und Schwächen hinsichtlich der Entwicklung vernetzter Prozesse sowie deren praktischer Umsetzung?
Wir durften in Zusammenarbeit mit dem Heinz-Nixdorf-Institut und der Acatech das BMBF-geförderte Forschungsprogramm Inbenzhap durchführen, ein internationales Benchmark-Projekt. In der Dokumentation sind gute Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Ich empfehle jedem, sich diese anzuschauen. Einen Stärkepunkt will ich aber doch herausheben: Die Erfahrung und die Ausbildung der Mitarbeiter sind ein wichtiger Bestandteil im Leistungsnetz. Der Ausbildungsstand unserer Mitarbeiter ist schon hoch und durch die Vernetzung wird er weiter steigen. Und auch das Netzwissen an sich wird weiter wachsen.
Müssen sich Fertigungsbetriebe mehr in Richtung IT-Unternehmen entwickeln?
Nein, das glaube ich nicht. Ich denke, dass Unternehmen im Bereich der Produktionstechnik auch künftig in ihrem Kerngeschäft produzieren müssen. Gleichwohl gilt es aber zu erkennen, dass auch Umfeldbedingungen geschaffen werden müssen, die eine Vernetzung ermöglichen. Dazu gehört auch die Investition in Hardware und eine Organisation, die unternehmensintern IT-Lösungen vorantreibt. Wir werden auch gute Mitarbeiter in den Planungsabteilungen brauchen, die in der Lage sind, technologische Anwendungsprogramme – oder Tech-Apps – zu formulieren und zu schreiben.
Was bedeutet das für die Aus- und Weiterbildung von Ingenieuren und Fachkräften?
In der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften kommt uns zunächst entgegen, dass die jungen Leute von heute in Ausbildungsberufe der Technik gehen und, dass diese Generation mit den Möglichkeiten des Internet und dem Nutzen von Assistenz-Systemen vertraut ist. Hier müssen wir keine große Akzeptanzhürde überwinden. Bemerkenswert finde ich Aktionen, wie sie etwa vom VDW in Berufsschulen und Ausbildungszentren angeboten werden. Hier wird auch das Ziel verfolgt, in die eingeführten Berufsbilder zusätzliche Module zu integrieren, die die neuen Techniken abbilden.
Sind zentrale rechtliche Fragen, etwa wem welche Daten gehören, inzwischen geklärt?
Die Frage der Eigentumsrechte von Daten ist sicher essentiell. Aber hier verweise ich gerne auf die Kollegen aus anderen Fachdisziplinen. Ich gehe davon aus, dass sie diese Fragen angemessen lösen werden.
Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf?
In der Durchgängigkeit von Datenflüssen. Wenn Datenströme unterbrochen sind, haben wir ein grundsätzliches Problem. Dann ist auch die Aktualität der Datenstämme nicht gewährleistet. Man kann sich leicht vorstellen, dass nur aktuelle Daten zur Nutzung motivieren. Die Frage der Durchgängigkeit ist essentiell. Daran müssen wir arbeiten. Wir brauchen schnell rechnende Modelle, die maschinenintegriert in Realzeit Entscheidungsoptionen erzeugen. Dabei ist es wichtig, robuste Stammdatensätze zu generieren. Sie sind die Basis der Datenspeicherung, müssen aber auch die Möglichkeit zulassen, in der Anwendung anfallende, signifikante Informationen anzudocken. Diese Informationen können auch aus dem Erfahrungsschatz des Bedieners kommen. Wir haben hier zwar noch keine fertigen Lösungen, aber viele Ideen. Wir werden diese Herausforderungen auch auf dem AWK, dem Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquium, im Mai nächsten Jahres diskutieren, sowie Praxislösungen präsentieren und die noch offenen Fragen adressieren.
Wird das Vernetzen von Prozessen in anderen Regionen zielführender gefördert?
Wir haben eine gute Förderlandschaft, vielleicht sogar die beste im Vergleich zu anderen Ländern weltweit. In anderen Ländern sind andere Fördermöglichkeiten etabliert, etwa Steuerabschreibungen für FuE-Aufwendungen. Ich will jetzt nicht werten, welches System besser oder schlechter ist. Alles in allem können wir uns in Deutschland über die Förderlandschaft nicht beklagen. Es liegt an uns, die signifikanten Probleme zu definieren und mit guten Lösungen zu überzeugen.
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