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Diese Zähne bewegen die Welt

Verzahnungsfräsen: Clevere Werkzeugkonzepte pushen Produktivität und Wirtschaftlichkeit
Diese Zähne bewegen die Welt

Höhere Produktivität, längere Standzeiten und zugleich höchste Bearbeitungsqualitäten – das sind die Herausforderungen, die Verzahnungsfertiger zu meistern haben. Mit innovativen Wälz- und Formfräskonzepten sowie Engineering-Unterstützung helfen Werkzeughersteller dabei.

Der Antriebsstrang eines Autos ist für rund 6000 Betriebsstunden ausgelegt. Zwanzigmal so lang, etwa 120 000 Stunden, müssen Getriebe von Windkraftanlagen zuverlässig funktionieren. Besonders groß sind die Herausforderungen im Offshore-Bereich. „Weil die Anlagen nicht nur immer größer werden, sondern auch immer länger ohne Störung arbeiten müssen, stehen auch die Fräsprozesse in der Zahnradfertigung im Fokus“, sagt Thomas Falk. Der Leiter des Segments Verzahnen bei LMT Fette in Schwarzenbek präzisiert: „Einerseits gilt es, die Bauteile effizient und schnell zu bearbeiten, andererseits fordern die Kunden zunehmend enge Bearbeitungstoleranzen und hohe Oberflächengüten.“ Dadurch sollen die Komponenten nicht nur hohen, variierenden Windlasten standhalten, es ist auch die Basis dafür, dass die Zahnräder möglichst reibungs- und verlustarm ineinander greifen und zudem die Geräuschemission auf ein Minimum sinkt.

Werkzeughersteller wie LMT Fette, Ingersoll oder Sandvik sehen im Bereich der Großverzahnungen in den kommenden Jahren interessante Wachstumspotenziale. Die Experten sind sich zwar einig, dass die einstige Boombranche Windkraft nicht so schnell wachsen wird, wie noch vor zwei, drei Jahren angenommen – noch fehlt es an der Infrastruktur für die Speicherung und den Transport der Energie; aber Perspektiven bieten auch andere Einsatzfelder, etwa Industriegetriebe, das Transportwesen oder großes Gerät im Berg- und Tagebau.
In der Fertigung von Großverzahnungen kommen vor allem Zahnform- und Wälzfräser zum Einsatz. Auf welchen Werkzeugtyp die Wahl fällt, hängt unter anderem von der Losgröße und der benötigten Zähnezahl ab. Innenverzahnungen sowie Ritzel mit wenigen Zähnen und großem Modul sind die Domäne von Zahnformfräsern. Wälzfräsen gehört dagegen zu den wirtschaftlichsten und genauesten Fertigungsverfahren für Außenverzahnungen mit größeren Zähnezahlen. Das Werkzeug hat dabei die Form einer ein- oder mehrgängigen Schnecke mit am Umfang angeordneten Schneiden. Gegenüber klassischen Teilverfahren hat das Wälzfräsen den Vorteil, dass Teilungsfehler und Profilabweichungen weitgehend ausgeschlossen sind. Bei größeren Modulen ermöglichen Fräskörper mit tangential montierten Schneidplatten auch bei großen Werkzeugen den wirtschaftlichen Einsatz des Schneidstoffs Hartmetall. Neben der höheren Produktivität und den längeren Standzeiten bieten diese Tools weitere Vorteile:
  • Die Grundkörper lassen sich auch mit anderen Platten bestücken, etwa für die Fertigung einer Zahnkontur mit Protuberanz.
  • Die Schneidplatten lassen sich vergleichsweise einfach vom Nutzer wechseln, wodurch das Werkzeug schnell wieder einsatzbereit ist und
  • nicht zum Nachschleifen und Beschichten außer Haus gegeben werden muss.
  • Weil dadurch weniger Werkzeuge im Umlauf sind, kommt der Anwender in der Regel mit weniger Fräsern aus, und
  • das reduziert sowohl die Lagerkosten als auch den logistischen Aufwand.
Plattensitze und Befestigungselemente benötigen allerdings Platz. Deshalb ist eine wirtschaftliche Anzahl effektiver, tangential angeordneter Schneiden umso schwieriger unterzubringen, je kleiner das Werkzeug wird. Bei mittleren und kleineren Modulen ab etwa 7 mm abwärts dominierten daher bis vor kurzem einteilige Wälzfräser aus HSS oder Hartmetall. Zu deren Vorteilen gehören die hohe Profilgenauigkeit und die vorhandene Erfahrung bei der Prozessauslegung. Betrachtet man nur die Investitionskosten sind einteilige Wälzfräser bis zu einer Größe von Modul 6 mm kaum zu schlagen, zumal sie sich bis zu 20mal wieder aufbereiten lassen.
Allerdings sind bei HSS-Tools die Schnittdaten und damit die Produktivität ebenso begrenzt wie die Standwege. Um diese Nachteile zu eliminieren, bieten Werkzeughersteller mittlerweile auch im Modulbereich zwischen 4 und 10 mm Lösungen mit Hartmetall-Wechselschneidplatten an. Beispiele dafür sind die Vollprofil-Wälzfräser von Sandvik Coromant oder Ingersoll. Beide Hersteller heben die stabile Klemmung der Platten und die hohe Wechselwiederholgenauigkeit hervor. Durch die gut zugänglichen Befestigungselemente sei eine einfache, schnelle und sichere Montage der Schneidplatten gewährleistet.
Deutlich höhere Schnittgeschwindigkeiten steigern die Produktivität massiv. „Im Vergleich zu einem HSS-Wälzfräser können wir mit unserem Wechselplattensystem die Produktivität zum Teil um mehr als 200 Prozent und die Standzeiten um Faktor zwei bis drei steigern“, sagt Axel Küpper, Leiter Verkauf und Anwendungstechnik bei Sandvik Coromant in Düsseldorf. Neben den direkten Kosteneinsparungen bedeute das, dass der Anwender möglicherweise auf eine Maschine verzichten oder bei gleicher Kapazität mehr Aufträge abarbeiten könne.
Thomas Falk von LMT Fette stellt dagegen fest: Die Wechselplatten-Werkzeuge, die seit einiger Zeit auf dem Markt sind, seien handwerklich ausgereift. „Die Frage ist nur: Sind sie die wirtschaftlich bessere Lösung? Wir meinen, mit unseren SpeedCore-Wälzfräsern im kleinen und mittleren Modul-Bereich deutliche Vorteile zu bieten.“ Laut Falk sorgt der neuartige Schneidstoff und die Nanosphere-Beschichtung für einen Leistungsschub. Im Vergleich zu HSS-Wälzfräsern soll die Standzeit um bis zu 40 % ansteigen, die Produktivität um bis zu 70 %. „Die SpeedCore-Wälzfräser kommen hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit nah an Hartmetallwerkzeuge heran, sind aber deutlich günstiger.“ Preislich lägen sie zwischen HSS- und Vollhartmetall-Tools. Zudem sind diese Werkzeuge sehr einfach auf vorhandenen Maschinenkonzepten zu implementieren. Als weiteren Vorteil der einteiligen Wälzfräser hebt Falk die höhere Präzision der Tools hervor. „Sie erreichen problemlos die Qualitätsstufe AA. Gute Wechselplatten-Fräser erfüllen bestenfalls die Anforderungen der Klasse B.“
Dass einteilige Wälzfräser im Neuzustand höhere Güteklassen erreichen, das bestätigen auch Axel Küpper von Sandvik und Gerd-Thomas Weber, der am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen, Abteilung Getriebetechnik, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig ist. Er sagt aber auch: „Für viele Einsatzbereiche reicht die Qualität von Wendeplattenwerkzeugen absolut aus.“ Und Küpper ergänzt: „Entscheidend ist nicht die Werkzeuggüte, sondern die erreichbare Bauteilqualität. Und aus dieser Sicht ist ein gutes Wendeplattenwerkzeug nicht weit von den Pendants aus HSS oder Vollhartmetall entfernt.“ Der Grund dafür seien Parameter, auf die das Fräswerkzeug keinen Einfluss habe, etwa die Werkstückspannung. Und: „Gerade bei mittleren und größeren Verzahnungen reicht den Kunden meist eine gute Vorbearbeitung, da die Werkstücke anschließend ohnehin geschliffen werden“, sagt Küpper und ergänzt, ab März werde Sandvik Schneidplatten-Wälzfräser ab Modul 3 mm anbieten. Noch kleinere Verzahnungen bleiben jedoch auf absehbare Zeit den einteiligen Werkzeugen vorbehalten.
Markus Grebe, Produktmanager Verzahnungsfräsen bei der Ingersoll GmbH in Haiger, nennt als Ziel seines Hauses Wälzfräser der Güteklasse A als ein- oder mehrgängige Werkzeuge für den Modulbereich von 4 bis 8 mm. „Dazu verfolgen wir zwei verschiedene Konzepte: Hartmetall-Schneidplatten mit Schraubenklemmung bei grober Teilung, sowie mit Keilklemmung für eine enge Teilung.“ Beim Bearbeiten großmoduliger Bauteile seien zudem die Aufspannung sowie die Auswahl der Werkzeugkonzepte und der Frässtrategie enorm wichtig.
Ingersoll entwickelt und fertigt Verzahnungswerkzeuge mit Hartmetall-Wendeplatten im Modulbereich von 2 bis 80. Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden, erarbeiten die Ingenieure in enger Zusammenarbeit mit den Kunden neue Lösungen. Ein Beispiel dafür ist ein Zahnformfertigfräser mit Modul 100 mm und 168 Hartmetall-Schneiden. Das Werkzeug mit einem Durchmesser von 460 mm und einer Länge von 440 mm wiegt 260 kg. Es ist konzipiert, um jene Ritzel zu fertigen, die auf Errichterschiffen für Offshore-Windkraftanlagen die Zahnstangengetriebe der Hebeeinheit antreiben. Für das Werkzeug war eine Formabweichung von lediglich 0,02 mm vorgeschrieben. Eine weitere Herausforderung war – aufgrund der großen Durchmesserunterschiede – die Wahl der richtigen Schnittgeschwindigkeit. Das Ritzel mit Modul 100 mm, sieben Zähnen und einem Gewicht von 3,5 t wird nun in einem Bruchteil der Zeit bearbeitet, die der bisherige Stoßprozess erfordert hätte.
Gerade bei größeren Modulen ab 12 mm aufwärts ist es angesichts hoher Zerspanraten enorm wichtig, die heißen Späne schnell und zuverlässig zu entsorgen. In diesem Zusammenhang sieht Gerd-Thomas Weber vom WZL auch bei der Werkzeuggestaltung noch einiges Optimierungspotenzial, insbesondere hinsichtlich der Gestaltung des Werkzeuggrundkörpers und der Spanräume. „Die Späne müssen sich sauber und ohne Verklemmen aus der Zerspanungszone entfernen lassen.“
Die Aachener Wissenschaftler arbeiten an einem Simulationssystem, mit dessen Hilfe sich Verzahnungsprozesse untersuchen und optimieren lassen. „Der Abgleich von Zerspanungsversuchen und unserer Simulation ergab zunächst eine gute Übereinstimmung von Realität und Simulation bei HSS-Wälzfräsern. Bei Wechselplatten-Tools hingegen war die Simulation anfangs ungenügend. Inzwischen haben wir eine Software, die auch das kann.“ Dieses Simulationssystem wurde im Rahmen des WZL-Getriebekreises entwickelt. Unter den rund 80 Mitgliedern sind unter anderem Maschinen-, Werkzeug- und Getriebehersteller. Die Software bietet unter anderem die Möglichkeit, Prozesse schnell und sauber abzubilden, innerhalb von Minuten eine Aussage zu liefern und so den Einfluss bestimmter Parameter auf die entstehenden Spanformen und die Belastungen der Werkzeuge abzuschätzen. Das sei vor allem deshalb so wichtig, weil viele Anwender – und teilweise sogar die Werkzeughersteller – bei der Auslegung der Prozesse noch immer iterativ vorgehen. Wo das tatsächliche Optimum aus Produktivität, Wirtschaftlichkeit und Bearbeitungsqualität liegt, sei oft noch unklar. „Gerade bei großen und sehr teuren Werkzeugen und Bauteilen wird das Potenzial aus Vorsicht vielfach bei weitem noch nicht ausgeschöpft“, sagt Gerd-Thomas Weber.

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Flexible Fertigung großer Kegelräder

Bis vor kurzem standen Lohnfertiger von Kegelrädern vor der Wahl, in eine hochproduktive Spezialmaschine zu investieren oder auf ein flexibles, aber langsames 5-Achsen-Bearbeitungszentrum zu setzen. Nun bieten die Gebr. Heller GmbH, Nürtingen, und Gleason, Ludwigsburg, eine Lösung, um Produktivität, Flexibilität und Wirtschaftlichkeit in der Produktion großer Kegelräder zu steigern. Das 5-Achsen-Zentrum CT 8000 bearbeitet bis zu 1810 mm durchmessende Kegelräder und 1500 mm lange Ritzel – vom Rohteil bis zum Schlichten gehärteter Zahnräder. In die Kooperation brachte Gleason seine Kegelrad-Konstruktionssoftware Cage ein und Heller die uP-Gear-Technologie, die speziell entwickelt wurde, um die Kegelrad-Produktion auf hochproduktiven 5-Achsen-Zentren zu steuern. Durch die hohe Zerspanleistung der standardisierten Fräser sollen die Zykluszeiten auf ein Viertel bis Achtel schrumpfen. Cage ermöglicht das Auslegen einer Verzahnung mit optimiertem Tragbild im Bruchteil der Zeit, die mit der herkömmlichen Methode nötig ist. In Kombination mit der uP-Gear-Technologie liefert das System alle Eingabedaten, einschließlich der Korrekturen und Flankenmodifikationen. hw
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