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Gebaut, um abzuheben

Faserverbund-Kunststoffe: Starterlaubnis für die Serienfertigung
Gebaut, um abzuheben

Viele strukturelle Bauteile im Außenbereich heutiger Flugzeuge – sogar der Rumpf – werden aus Faserverbund-Kunststoffen hergestellt. Die Herstellverfahren erleben derzeit eine rasante Weiterentwicklung in Richtung Serienfertigung.

Heute gelingt es Faserverbund-Kunststoffen (FVK), die Belastbarkeit moderner Flugzeuge deutlich zu erhöhen und ihr Gewicht entscheidend zu reduzieren. Sie verbessern Aerodynamik und strukturelle Festigkeit. Bei den verwendeten FVK handelt es sich überwiegend um kohlenstofffaserverstärkte Materialien (CFK). So besteht der neue Airbus A 380 zu einem Viertel aus solchen hochfesten Verbunden, mit denen sich gegenüber Aluminium 30 % an Kosten und 40 % an Gewicht sparen lassen. Auch Wettbewerber Boeing setzt bei seinem Dreamliner 787 mit bis zu 50 % Verbundwerkstoff-Anteil auf die Vorzüge von FVK; man nennt ihn deshalb auch scherzhaft „Plastikbomber“.

Wenn im Flugzeugbau von Faserverbunden gesprochen wird, sind damit Seiten- und Höhenleitwerk, Flügelkasten, -kanten und -beplankungen sowie Ladeluken gemeint, aber auch Bug- und Landeklappen, Spoiler, ja, sogar Druckkalotten und Rümpfe oder Rumpfschalen aus FVK. Da die Flugzeugindustrie an Materialien sehr hohe Ansprüche stellt, um die Sicherheitsanforderungen einhalten sowie Gewicht und Kosten reduzieren zu können, ist die Anwendung faserverstärkter Kunststoffe Herausforderung und Risiko zugleich. Die Luftfahrtindustrie gliedert Produktionen für Baugruppen ihrer Modelle an Zulieferer aus, um die Kosten zu senken. Dabei kann es geschehen, dass die Hersteller ihre Techologien bis an die Grenzen ausreizen, so dass sie nicht von Anfang an wie gewünscht funktionieren, weil sie nicht komplett ausgereift sind. Und es kommt vor, dass sich Zulieferer zu Niedrigstpreisen verleiten lassen, ja sogar dazu verführt und damit überfordert werden. Statt einzelner Komponenten bauen sie dann Systeme, die sie teilweise auch selbst entwickeln. Mögliche Folgen, wie sie zuletzt bei Boeing bekannt wurden: Angebote können letztlich nicht gehalten werden, was zu Terminverzögerungen führt.
Unabhängig davon ist nicht zu übersehen, dass es in der Fertigung große Fortschritte gibt. Die Fülle der Herstellprozesse für FVK-Bauteile wurde in Industrieanzeiger-Ausgabe 26/27 umfangreich dargestellt (S. 26-30): Sie reicht von handwerklichen Verfahren mit EP- und UP-Harzen sowie Glasfaserhalbzeugen bis hin zu Hightech-Prozessen mit CFK-Prepregs, die im Autoklaven ausgehärtet werden. Dies sind vorimprägnierte flächige Halbzeuge aus vernetzungsfähigen Harzen und Kohlenstofffasern.
Ein Nachteil der Prepregs könnte jetzt der Vergangenheit angehören. Bislang mussten sie bei Minusgraden im Eisschrank gelagert und zur Verarbeitung wieder aufgetaut werden. Neuartige, so genannte Epsilon-Harze von Henkel lassen sich dagegen bei Raumtemperatur lagern. Das vereinfacht die Verarbeitung und führt zu deutlich weniger Ausschuss: Bei ihnen steht also Automatisierungspotenzial auf der Habenseite. Außerdem sind die mit den neuartigen Harzen getränkten Prepregs hitzebeständiger und stabiler als ihre konventionell gefertigten Vergleichsprodukte.
Der neueste Schrei bei der Herstellung von maßgeschneiderten Teilen sind alte Methoden: Textiltechniken wie Nähen, Flechten oder Stricken von Geweben, die mit Harzinjektionstechniken und Mikrowellenhärtung kombiniert werden. Der hintere Teil der Kabine des A 380 wird nach dieser Technologie von der Saertex Stade GmbH & Co. KG, Stade, hergestellt. Die Druckkalotte mit 6,2 m Durchmesser schließt diesen „Riesen der Lüfte“ nach hinten ab. Sie muss den gesamten Innendruck abfangen, der während des Fluges entsteht, und besteht aus einem Faserverbundwerkstoff, der mit Nähverfahren automatisiert hergestellt wird. Es sind so genannte CFK-Multiaxialgelege-Teppiche, die zur Kalotte drapiert, vernäht und mit Harz getränkt werden. Es entstehen mehrdimensional belastbare Gewebe, die zu höherer Strukturintegrität im Bauteil, besserer Schadenstoleranz und größerer Energieaufnahme im Crashfall führen. Auch diese Methode bietet ein hohes Automatisierungspotenzial für komplexe Strukturen. Beteiligt daran sind mittelständische Textilfirmen und Maschinenlieferanten, die mit dem Institut für Flugzeugbau IFB an der Uni Stuttgart als Entwicklungspartner zusammenarbeiten. Produktionsstandort für die erwähnten Komponenten ist das Center of Excellence VTP von Airbus im CFK-Valley Stade.
Einen völlig anderen Weg beschreitet Boeing bei der Herstellung des Rumpfes seines Dreamliners 787: Er wird gewickelt. Dazu Prof. Elmar Breitbach, Vorstandsvorsitzender des European Center of Adaptive Systems, ECAS e. V., Göttingen: „Durch Endlos-Aufwickeln der mit Kunststoff getränkten Kohlenstofffasern entstehen Teilröhren, also in Längsrichtung des Rumpfes abgeteilte Segmente, die nach dem Aushärten miteinander verbunden werden müssen.“ Wie diese Rumpfteile gefügt werden, ist natürlich von Bedeutung. Etwa durch klassisches Nieten wie bei Aluminium? „Wesentlich ist, dass diese Segmente aneinandergeklebt werden“, erklärt Breitenbach. Die Klebetechnik spiele hier eine ganz wichtige Rolle. Obwohl die Erfahrung zeige, dass die Entwickler immer noch das Risiko scheuen und so genannte Angstniete mit verarbeiten. „FVK-Strukturen werden immer noch wie eine Art schwarzes Metall behandelt, mit der Konsequenz, dass man so das volle Potenzial der Faserverbundbauweise bei weitem nicht ausschöpft“, sagt Breitbach. „Ein solcher fertigungstechnischer Kompromiss ist allerdings nicht das Mittel der Wahl, in Zukunft wird das anders laufen müssen.“
Entsprechende Prüfverfahren sind von den Zulassungsbehörden genehmigt. Boeing wie auch Airbus arbeiten darüber hinaus an automatischen Diagnoseverfahren, dem „Health Monitoring“, bei dem während des Fluges durch Piezomaterialien oder mit einem Prägegitter versehene Glasfasern die Materialstruktur ständig auf Mikrorisse überwachen.
Völlig neu ist in diesem Zusammenhang die erst ganz am Anfang stehende Entwicklung eines „Selbstheilungssytems“ durch Luftfahrtingenieure der University of Bristol, mit dem Materialschäden automatisch und auch während dem Flug behoben werden sollen. In einen Faserverbundwerkstoff werden hohle Glasfasern integriert, aus denen Epoxidharz und Härter „bluten“. Ähnlich einer Wundheilung würden kleine Löcher oder Risse verschlossen und damit die Gefahr deutlich reduziert, die von kleineren strukturellen Schäden ausgehen kann.
Faserverbundgerecht konstruierte Systemlösungen und moderne Fertigungsmethoden machen CFK-Strukturen auch als Kleinserien wettbewerbsfähig. Doch nicht nur im Flugzeugbau. Im Automobilbau können Jahresproduktionen von bis zu 20 000 Teilen schon heute kostengünstiger als metallische Baugruppen gefertigt werden, wie von Airbus zu erfahren ist. Der Grund sind die geringeren Investitionen im Formen- und Werkzeugbau. Automatisierte Fertigungsmethoden können den Break-even-Point weiter zu größeren Stückzahlen hin verschieben. Daneben ist schon heute deutlich, dass sich die neuen Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoffe nicht nur im Flugzeug- und Automobilbau weiter durchsetzen werden, sondern auch in vielen Bereichen des allgemeinen Maschinenbaus.
Klaus Diebold Fachjournalist in Nürnberg
Rumpf der Boeing 787 wird endlos-gewickelt

Neue Technologien
Der Zwang zu Kostenreduktion und mehr Wettbewerbsfähigkeit führt auch im Flugzeugbau zur Auslagerung von Produktionen an Zulieferer und zum Einsatz innovativer Herstellmethoden. Faserverbundgerecht konstruierte System- und Fertigungslösungen für superleichte CFK-Strukturen machen diese Werkstoffe zum Material der Wahl. Sie besitzen ein hohes Automatisierungspotenzial, wodurch sie auch für größere Stückzahlen interessant werden.
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