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Hochglänzend, kratzfest und dabei kostengünstig

Cockpit-Oberflächen: Autohersteller und Zulieferer auf der Suche nach neuen Produktionsformen
Hochglänzend, kratzfest und dabei kostengünstig

Hochwertige Anmutung, Kratzfestigkeit, Integration von Elektronik– das sind derzeit die Trends bei den Oberflächen im Cockpit. Automobilhersteller und Zulieferer müssen dennoch die Kosten im Blick behalten. Deshalb sind produktionseffiziente Lösungen gefragt.

„Bei Cockpit-Oberflächen wird die Anmutungsqualität zunehmend wichtig“, stellt Dr. Roger Hillert fest, Abteilungsleiter Labor Polymere bei der Volkswagen AG in Wolfsburg. „Oberflächen tragen maßgeblich dazu bei, dass der Kunde ein Fahrzeug als wertig wahrnimmt“, so Hillert. „Da neben der Optik aber auch die Themen Leichtbau und Kosten große Herausforderungen in der Cockpitkonzeptionierung sind, sind wir bereits im Entwicklungsprozess gefordert, durch das Material die Anmutungsqualität im entscheidenden Maße zu beeinflussen.“

Bestand der Cockpit-Träger beim Golf 1 noch aus Holzfaserformstoff, versehen mit einer folienkaschierten Oberfläche aus ABS-PVC-Tiefziehfolie, werden heute wesentlich höhere Anforderungen an die Oberflächen im Cockpit gestellt. „Neben den hochwertigen matten Slush-Oberflächen fordern wir Hochglanz mit einer hohen Kratzfestigkeit“, so Hillert. „Schwarze Hochglanzoberflächen drücken einfach eine hohe Wertigkeit des Produkts aus.“ Was in der Möbelindustrie begonnen und sich bei Fernsehern oder Handys fortgesetzt hat, hält nun auch im Fahrzeug-Innenraum Einzug – und geht weit über lackierte Dekorrahmen für Klimatikblenden oder Radio- und Navigationssysteme hinaus.
Die Möglichkeiten zur Herstellung der Hochglanzoberflächen sind vielfältig und reichen von spritzblanken Spritzgussteilen über Folientechnologie bis hin zum Lackieren von Bauteilen. „Allerdings haben wir immer den Zielkonflikt, dass die Oberfläche kratz- und scheuerbeständig sein muss. Deshalb kommt nicht jede Herstellungsweise und nicht jeder Werkstoff infrage“, stellt der Kunststoffexperte von Volkswagen fest. „Vor allem spritzblanke Oberflächen bei thermoplastischen Kunststoffen aus Polymethylmetacrylat (PMMA) bereiten uns in Bezug auf die Kratzfestigkeit Sorgen. Hingegen weisen Oberflächen, die durch In-Mould-Labelling (IML) entstehen, eine exzellente Kratzbeständigkeit auf – insbesondere dann, wenn UV-härtende Lacksysteme verwendet werden.“
Deshalb differenziert Volkswagen zwischen verschiedenen Anforderungsbereichen für Hochglanzapplikationen im Fahrzeug-Innenraum: In Bereichen, bei denen eine geringe Scheuer- und Kratzbeständigkeit ausreicht, setzt der Automobilhersteller beispielsweise unbeschichtete Kunststoffe ein. Wo mittlere Anforderungen bestehen – also etwa beim Lenkrad-Emblem oder bei Ausströmern im Säulenbereich – kommen thermisch härtende Lacksysteme zum Einsatz, bei geforderter hoher Scheuer- und Kratzbeständigkeit hingegen UV-Lacksysteme. Letzteres ist der Fall im Bereich Türgriffe und auf horizontalen Flächen wie beispielsweise der Mittelkonsole.
Kratzempfindlichkeit ist auch die große Herausforderung bei matt genarbten Oberflächen, die als Designelement zum Einsatz kommen. Ziel ist es, möglichst jegliche Reflexion des Lichts im Fahrzeuginnenraum zu unterbinden. „PVC-Slush-Häute stehen weiterhin im Fokus, doch sind wir immer auf der Suche nach neuen Lösungen“, so Hillert. So setzt Volkwagen zum Beispiel beim neuen VW Up spritzblank genarbte Oberflächen aus modifiziertem Polypropylen PP/TD20 ein. „Doch je matter die Oberfläche, desto kratzempfindlicher ist sie“, sagt Hillert. Vor allem Abrasionskratzer, also tiefe Kratzer mit sichtbarem Materialabtrag, beschäftigen die Experten bei den weichen Kunststoff-Oberflächen aus diesem Material. Hingegen handelt es sich bei Kratzern auf harten, spröden Oberflächen wie etwa Hochglanzoberflächen um oberflächige Deformationskratzer.
Dennoch gehört die Zukunft nach Meinung des VW-Manns spritzblanken Oberflächen – vor allem wegen der deutlich niedrigeren Kosten im Vergleich zu folienkaschierten und lackierten Oberflächen. Wegbereiter dieser Entwicklung sind beispielsweise Werkstoffe wie Softell oder Velvex, kratzfeste PP-Compounds oder 2K-Technologien. Hillert: „Neben der hohen Oberflächen- und Anmutungqualität steht aber auch das Thema Gewichtsreduzierung im Mittelpunkt, beides gilt es mit innovativen Werkstoffkonzepten zu erreichen.“
Ein Beispiel dafür ist das so genannte Directskinning-Verfahren von Bayer Materialscience, Leverkusen, das seit zwei Jahren in Cockpits zum Einsatz kommt – etwa bei einer Dekorblende für ein kinematisches Schubfach im BMW 5er Gran Turismo. Es führt Spritzgießen und Reaktionstechnik in einer sogenannten Skinform-Anlage von KraussMaffei, München, zusammen. Der konventionell hergestellte Thermoplastträger wird nach seiner Formgebung nicht entformt, sondern verbleibt auf dem schließseitigen Werkzeugkern. Mithilfe eines Schiebetischs, Drehtellers oder einer Wendeplatte wird er dann in eine zweite Kavität überführt. An dieser Kavität ist ein PUR-Mischkopf angebracht, der nach dem erneuten Schließen des Werkzeugs das Bayflex LS Material analog der Gießhautherstellung injiziert. Das Material überflutet bereits in diesem Schritt den späteren Bauteilträger. Somit sind kein zusätzlicher Aufwand (Transport, Reinigung) sowie kein zusätzliches Werkzeug erforderlich. Nach einer kurzen Aushärtephase kann das beschichtete Bauteil entnommen werden. Das Verfahren basiert im Prinzip auf dem 2K-Spritzguss, allerdings kommt als zweite Komponente statt eines Thermoplasten ein reaktives PUR-System zum Einsatz, das über einen PUR-Mischkopf direkt in die Werkzeugkavität eingebracht wird. Mit dem Verfahren lassen sich dekorative PUR-Häute mit Dicken von etwa ein bis mehreren Millimetern kompakt oder geschäumt aufbringen. Dr. Rolf W. Albach, Leiter Anwendungsentwicklung PU-halbhart bei Bayer Materialscience sagt: „Einer der wesentlichen Vorteile der Prozessintegration ist, dass es für den Verarbeiter einfacher und schneller geht. Außerdem kommen die so erzeugten Schaumstoffe ohne Haut und Träger daher.“
Analog funktioniert das Aufbringen dünner PUR-Lackschichten; Bayer nennt es Directcoating, KraussMaffei Colorform. Dabei ist der Lackierprozess in den Spritzgießprozess integriert. Der Träger wird dazu spritzgegossen, um dann in eine zweite, leicht größere Kavität umgesetzt zu werden, in die der PUR-Lack einfließt. Die PUR-Mischeinheit steht dabei neben der Spritzgießmaschine und der Mischkopf wird an das Werkzeug angedockt. Dabei reinigt sich der Hochdruck-Mischkopf bei jedem Schuss von selbst. Das PUR reagiert bereits während der Zykluszeit aus, so dass das fertige Bauteil sofort genutzt werden kann.
Somit werden hier Spritzgieß- und Reaktionstechnik miteinander kombiniert. Bislang gibt es laut Jochen Mitzler, Leiter Produkt- und Technologiemanagement bei KraussMaffei, noch keine Colorform-Serienproduktion im Cockpit-Bereich mit dem Verfahren, das vor anderthalb Jahren vorgestellt wurde. „Doch ist es durchaus für großflächige Bauteile – auch mit unterschiedlichen Strukturen – geeignet“, so der KraussMaffei-Experte. In Projekten außerhalb der Automobilbranche wurden damit bereits Wandstärken von 0,3 bis 0,4 mm beim PUR-Lack realisiert. Mitzler: „Wir sehen ein Riesenpotenzial für das Verfahren, da der Energieaufwand im Vergleich zum traditionellen Lackieren um über 90 Prozent gesenkt werden kann. Außerdem entsteht kein Overspray. Insgesamt, so haben wir errechnet, können die Kosten um rund 30 Prozent unter denen für das Lackieren liegen.“ Dazu trägt auch bei, dass vor dem Lackierprozess weder Reinigung, Maskieren noch Primer notwendig sind. Um die Entwicklung zu Nachhaltigkeit im Cockpit zu unterstützen, lassen sich mit Colorform beispielsweise auch kratzfeste Oberflächen bei naturfaserverstärkten Bauteile realisieren.
Prozessintegration steht auch hinter dem Multi-Deco-Molding-Verfahren von Jacob Plastics, Wilhelmsdorf. Mit ihm lassen sich großflächige, dreidimensionale Cockpit-Bauteile mit unterschiedlichen optischen und haptischen Gestaltungsflächen herstellen – ohne zusätzliche Fügevorgänge wie Clipsen, Verschweißen oder Verkleben. „Das Insert-Molding ist eine gute Technologie, um großserientauglich und preiswert Bauteile mit unterschiedlichen Dekors zu fertigen, denn es ermöglicht höhere Umformgrade und eine höhere Gestaltungsfreiheit im Vergleich zum In-Mould-Decoration (IMD)“, erklärt Dr. Marcus Schuck, Bereichsleiter Forschung und Entwicklung.
Der Automobilzulieferer stellt die Inserts her und hinterspritzt sie anschließend. Beim Multi-Deco-Molding verwendet das Unternehmen mehrere Folien in einem Spritzgießprozess; beim aktuellen Opel Astra sind es drei. Schuck: „Dadurch, dass die Teile mit dem gleichen Spritzgießwerkzeug gefertigt werden, spielt ein Versatz keine Rolle. Außerdem konnten wir beim Opel Astra durch das Überlappen von Folien eine schicke Schattenfuge realisieren. Das wäre mit Fügeverfahren unmöglich gewesen.“ Außerdem seien verschiedene Materialien kombinierbar – bis hin zu Metall und Echtholz. Das Multi-Deco-Molding-Verfahren will Jacob Plastics weiter ausbauen – beispielsweise durch die Kombination mit der so genannten Flexfolie. Dabei handelt es sich um Folienschaltungsträger aus strahlenvernetzten Thermoplasten.
Sabine Koll Journalistin in Böblingen

O&S adressiert ressourceneffiziente Oberflächen

Die Entwicklung und der Einsatz umweltgerechter Produkte und Technologien in der Oberflächentechnik stehen im Mittelpunkt der O&S 2012. Die internationale Fachmesse für Oberflächen und Schichten zeigt vom 12. bis 14. Juni auf dem Stuttgarter Messegelände Technologien und Lösungen, die für Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit sorgen. Den Trend zu Effizienz und Nachhaltigkeit greift die Messe mit dem Leitthema „Material, Ressourcen, Prozessoptimierung“ auf. Zahlreiche Aussteller nutzen die Messe, um ganz neue und weiterentwickelte Verfahren, Maschinen und Konzepte vorzustellen. Die Besucher erwartet ein Angebotsspektrum aus allen Bereichen der Oberflächenbehandlung. Zu den Schwerpunkten gehören Galvanotechnik, Reinigung und Vorbehandlung von Oberflächen, Lackiertechnik und Nanotechnologie. Auch industrielle Plasma- Oberflächentechnik, Funktionalisierung textiler Werkstoffe sowie Analyse-, Mess- und Prüftechnik gehören zum Angebots-Portfolio der Messe. Die Aussteller werden ihre Neuheiten in den benachbarten Hallen 7 und 9 präsentieren.
Erstmals wird der Preis „Die Oberfläche“ verliehen. Er zeichnet Innovationen aus, die als Schlüsseltechnologie die Einführung neuer Produkte und Technologien ermöglichen. Bewertet werden Faktoren wie Energie- und Ressourceneffizienz, Nachhaltigkeit, Innovationsgrad, Erhalt von Wettbewerbsfähigkeit und industrielle Machbarkeit.
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