Startseite » Technik » Fertigung »

Jetzt wird´s für die Masse interessant

Neue Fertigungslinie für die Motorentechnik der Zukunft
Jetzt wird´s für die Masse interessant

Produktionstechnik | Motoren mit thermisch beschichteten Zylindern waren bislang exklusiven Fahrzeugen vorbehalten. Eine neue Produktionslinie von MAG und Sturm macht die Technologie nun auch für Volumenmodelle interessant. §

Autor: Haider Willrett

„Bislang war diese Technologie Hochleistungsmotoren und Antrieben von Luxusfahrzeugen vorbehalten“, sagt Dr. Manfred Berger. Inzwischen hätten aber auch Großserienhersteller die Vorteile erkannt, die thermisch beschichtete Zylinderlaufbahnen im Vergleich zu klassischen Motoren mit Graugussbuchsen bieten, so der Executive Vice President Global Sales bei der MAG IAS GmbH in Eislingen weiter. So sind Motoren mit beschichteten Zylinderlaufflächen

  • kompakter und
  • leichter,
  • sie haben eine geringere Reibung,
  • eine verbesserte Wärmeabfuhr,
  • eine hohe thermische und mechanische Belastbarkeit,
  • eine höhere Verschleißfestigkeit,
  • eine höhere Korrosionsbeständigkeit bei schlechter Kraftstoffqualität und
  • einen geringeren Ölverbrauch.
„Deshalb verwendet beispielsweise BMW bereits heute in 60 Prozent seiner Motoren thermisch beschichtete Zylinderlaufflächen. 2018 sollen es dann 100 Prozent sein“, erzählt Berger. Die Technologie sei aber nicht nur für Highend-Motoren interessant. „Gerade auch bei den im Zuge des Downsizings entstehenden kleineren Aggregaten – etwa 3-Zylinder-Turbos – bietet sie viel Potenzial“, betont der promovierte Ingenieur.
Diese modernen Motoren sollen aus weniger Hubraum die gleiche Leistung liefern, was zu höheren Drücken und Arbeitstemperaturen in den Zylindern führt. Damit die Teile der höheren Belastung standhalten, ist eine effiziente Wärmeabfuhr wichtig. Über eine 100 bis 150 µm dünne Stahlschicht gelingt das erheblich besser als über eine vergleichsweise dicke und schlecht leitende Graugussbuchse. „Außerdem ist nicht nur der Zylinderblock kompakter und leichter, sondern als Folge auch andere Teile wie die Kurbelwelle. Unterm Strich spart das einiges an Gewicht und es hat spürbare Auswirkungen auf den Kraftstoffverbrauch des Motors sowie dessen Schadstoffausstoß“, ergänzt Berger.
Der Grund, weshalb diese Technologie bislang vor allem in hochpreisigen sowie in kleinen Stückzahlen gebauten Motoren eingesetzt wurde, lag in der aufwändigen und teuren Bearbeitung der Teile. Die thermisch gespritzten Laufflächen sind extrem abrasiv. Die Standzeit der Werkzeuge war entsprechend gering. Dass das Verfahren inzwischen auch für Massenmotoren interessant wird, dafür sind – neben den höheren Anforderungen an die Triebwerke hinsichtlich Effizienz und CO2-Ausstoß – moderne Fertigungskonzepte verantwortlich. Mit ihrer Hilfe lassen sich die Zylinderblöcke erheblich kostengünstiger herstellen. So sind thermisch beschichtete Zylinderblöcke mittlerweile auch dort ein Thema, wo jeder Euro an Fertigungskosten zählt.
Die thermische Beschichtung von Zylinderlaufbahnen stellt die Hersteller von Produktionssystemen vor neue Herausforderungen. Kosteneffizienz, Qualitätssicherung, Platzeinsparung und Produktivität sind auch hier wesentliche Aspekte. Gemeinsam mit Partner Sturm hat MAG kürzlich eine großserientaugliche Fertigungsanlage für thermisch beschichtete Zylinderblöcke vorgestellt. In der Kooperation, die seit rund 1,5 Jahren läuft, übernahmen die Eislinger das als Vorbereitung fürs Beschichten nötige mechanische Aktivieren der Zylinderlaufbahnen sowie das Honen der beschichteten Zylinder. Die Salchinger Sturm-Gruppe ist fürs Waschen, Beschichten sowie die In-Prozess-Kontrolle der Schicht verantwortlich.
Zwischen März 2014 und Januar 2015 entwickelten die beiden Partner eine schlüsselfertige Systemlösung, bei der das Beschichtungszentrum ACCS TWS (Thermal Wire Sprayer) von Sturm in einer Linie mit den Specht-Bearbeitungszentren von MAG angeordnet sind. Das Advanced Cylinder Coating System (ACCS) ist die effiziente und modulare Lösung, um beschichtete Zylinderlaufflächen in modernen Aluminium-Zylinderkurbelgehäusen herzustellen.
In der Linie übernehmen zuerst Specht-Maschinen das Aktivieren der Laufflächen. Die Eislinger haben dazu mit verschiedenen Werkzeugherstellern Aufrauverfahren getestet und weiterentwickelt. Unter anderem hat die Aalener Mapal Dr. Kress KG Werkzeuge mit Mikroschneiden entwickelt, mit deren Hilfe sich die fürs Beschichten nötige Struktur in den Rohzylindern sehr viel einfacher einbringen lässt, als mit dem bislang üblichen Hochdruck-Wasserstrahlen. „Die fürs Wasserstrahlen erforderlichen Anlagen sind sehr flächenintensiv“, sagt Dr. Jan Kotschenreuther. „Zudem kommen die Bauteile über 100 Grad heiß aus der Anlage und müssen zuerst abgekühlt werden. Auf CNC-Maschinen mit entsprechenden Werkzeugen lassen sich die Strukturen definiert und deutlich wirtschaftlicher herstellen“, erläutert der Leiter Neue Technologien bei MAG. Dieses so genannte Aktivieren oder Aufrauen der Zylinderoberflächen vor dem Beschichten ist notwendig, damit sich die Schicht bestmöglich mit dem Grundmaterial verbinden kann.
Auch beim Aufbringen der thermischen Beschichtung hat der potenzielle Kunde der Kooperationspartner die Wahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten. Sturm bietet in seinem Beschichtungszentrum ACCS-TWS alternativ die Verfahren RSW (Rotating Single Wire) und APS (Atmosphärisches Plasmaspritzen) an. Die entstehenden Schichten sind zwischen 350 und 500 µm dick und müssen anschließend auf rund 150 µm abgearbeitet werden. Das überschüssige Material wird heute in der Regel noch durch Honen abgetragen. Der Grund: Die Standzeiten der Werkzeuge mit geometrisch bestimmter Schneide sind beim Bearbeiten des abrasiven Materials noch immer zu gering. „Hier könnte die kryogene Kühlung der Schneiden noch Vorteile bringen“, sagt Kotschenreuther.
Die kompakte und flexible Beschichtungsanlage braucht kaum mehr Stellfläche als ein Bearbeitungszentrum. In die Maschine integriert, scannt der CylinderInspector (CI) hauptzeitparallel die Oberfläche. Damit lässt sich der Prozess regeln und Teile, die den Vorgaben nicht entsprechen, werden automatisch ausgeschleust.
„Bei der Präsentation hat sich gezeigt, dass die Inspektion für die Anwender ein Schlüsselthema ist. Damit lässt sich sicherstellen, dass keine Ausschussteile weiterverarbeitet werden“, sagt Manfred Berger. Die berührungslose Qualitätskontrolle kann vor und nach dem Beschichten sowie nach dem Honen eingesetzt werden – und zwar als integraler Bestandteil eines ACCS-TWS oder als Stand-alone-System. Kernkomponente des CI ist ein Bildverarbeitungssystem, das – basierend auf unterschiedlichen Beleuchtungstechniken – die Zylinder-Innenwände mit einer Auflösung von 90 μm scannt, die Oberfläche analysiert und schritthaltend auswertet. Das System erkennt damit sowohl zweidimensionale als auch topografische Fehler.
Um die Werkstücke zu reinigen, lässt sich der ACCS-CC (Crankcase Cleaner), eine Roboter-basierte Hochdruckwaschanlage, innerhalb der Prozesskette oder an deren Ende integrieren. Die Anlage entfernt typische Verunreinigungen, die in den vorhergehenden Prozessschritten auftreten.
Auch fürs Fertigbearbeiten nach dem Beschichten haben die Entwickler neue Ansätze gewählt. „Gegenüber dem klassischen Honen hat unsere Lösung den Vorteil, dass das Honwerkzeug über die HSK-Schnittstelle in die Bearbeitungsmaschine eingewechselt und von der Spindel exakt geführt wird“, erläutert Kotschenreuther. „Mit diesem Verfahren, das wir Schrupphonen nennen, stellen wir wieder die exakte Position und Lage der Bohrung her. Das ist für eine zuverlässige Funktion der Motoren sehr wichtig.“
Auf den Specht-Zentren werden in einer Aufspannung der Honfreigang und die Fase bearbeitet, sowie die Zylinderbohrung schruppgehont. Diese Technik läuft bereits seit gut einem Jahr mit Erfolg in der Serienproduktion. Alternativ ist auch das Feinbohren der Beschichtung mit anschließendem Fertighonen auf dem Bearbeitungszentrum möglich. Die Maschinenfamilie ist konzipiert für den Einsatz in der Serienfertigung, wo Langlebigkeit, Präzision und Produktivität auf höchstem Niveau gefordert werden.
Mit dieser Kombination aus serienerprobten Einzelprozessen und einem Bündel an Innovationen und neuen Prozesstechnologien wollen die Kooperationspartner neue Maßstäbe setzen für die Volumenfertigung in höchster Qualität, Produktivität und zu besten Herstellkosten.
Der Einzug thermisch beschichteter Zylinderlaufbahnen in die Volumenfertigung erweitert die Arbeitsfolge in den Produktionsanlagen um einen Prozessbaustein, der auch entsprechend der Kundenspezifikation flexibel in die Prozesskette integrierbar sein muss. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten für die Bearbeitungsstrategie: Für bestehende Fertigungslinien kann die Beschichtungslösung als Bypass konfiguriert, für neu geplante Linien kann der Prozess auch voll integriert werden. Ein wichtiges Kriterium ist auch hier die Rekonfigurierbarkeit der Anlage nach dem Produktauslauf der Teile, für die die Anlage ursprünglich ausgelegt war.
Die im Januar bei Sturm vorgestellte Produktionslösung ist laut Jan Kotschenreuther bereits voll serientauglich. Ein von Anfang an hoher Reifegrad sei den Entwicklern bereits bei der Konzeption wichtig gewesen. Manfred Berger geht davon aus, dass es noch in diesem Jahr zu ersten Abschlüssen kommt, diese Kunden aber noch keine komplette Anlage kaufen, sondern Einzelmaschinen für die Produktion von Edelmotoren. „Bis eine komplette Fertigungslinie Zylinderblöcke in Serie produziert, das dürfte aber noch ein bis zwei Jahre dauern.“ Trotzdem werde die Technologie auf Wunsch des Kunden bereits heute bei der Konzeption konventioneller Produktionslinien berücksichtigt, der benötigte Platz freigehalten, so dass die entsprechenden Komponenten bei Bedarf nachgerüstet werden können.
Für Kunden, die zunächst sowohl Zylinderblöcke mit Graugussbuchsen als auch thermisch beschichtete Zylinder fertigen wollen, bieten MAG und Sturm auch eine Bypass-Lösung an. „Teile der mechanischen Bearbeitung laufen auf denselben Maschinen. Wenn’s dann an die Beschichtung geht, werden die betreffenden Zylinderblöcke ausgeschleust und parallel bearbeitet“, beschreibt Jan Kotschenreuther. •

Zylinderblock-Fertigungslinie
Unsere Webinar-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de