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Kompressor goes Rechenzentrum

Bei Kaeser ist Vernetzung mehr als nur ein Modebegriff
Kompressor goes Rechenzentrum

Druckluft | Für Kaeser ist Industrie 4.0 doppelt Realität: Durch die Vernetzung arbeiten die Kompressoren bei den Kunden energieeffizient und hochverfügbar. Gleichzeitig verändert sich das Geschäftsmodell von Kaeser – hin zu einem Druckluft-Provider. §

Autor: Sabine Koll

Die Industrie-4.0-Geister, die Kaeser auf der Hannover Messe in diesem Jahr rief, wird der Druckluft-Spezialist wohl so schnell nicht mehr los: „Journalisten laufen uns seit der Messe die Tür ein, und auch bei unseren Kunden stößt unsere Neuentwicklung auf riesiges Interesse“, freut sich Erwin Ruppelt, Projektingenieur Druckluft-Technik beim Unternehmen mit Sitz in Coburg. Ruppelt ist allerdings nicht der Zauberlehrling, der Industrie 4.0 beim Kompressoren-Hersteller mit einem Zauberspruch ins Leben rief – vielmehr hat er entscheidenden Anteil daran, dass Kaeser bereits funktionsfähige Maschinen für das Industrie-4.0-Zeitalter auf dem Markt hat – während andere Unternehmen nur darüber reden.

Das entscheidende Produkt sind dabei nicht die Kompressoren, Filter oder Vakuumpumpen selbst, sondern die übergeordnete Steuerung Sigma Air Manager 2, kurz SAM 2, für alle Komponenten der Drucklufterzeugung und -aufbereitung. Sie optimiert im Verbund mehrerer Druckluftstationen die Druckgüte, passt die Förderleistung der Kompressorenstation bei schwankendem Druckverbrauch automatisch an und optimiert die Energieeffizienz auf Basis von Regel- und Schaltverlusten.
„Wir haben allerdings nicht erst angefangen mit unseren Entwicklungen der vernetzten Kompressoren, als das Schlagwort Industrie 4.0 erstmals auf der Hannover Messe 2011 die Runde machte“, gesteht Ruppelt. „Wir machen uns schließlich schon seit 1989, also mit der Entwicklung der ersten übergeordneten Steuerung für Kompressoren, Gedanken darüber, wie wir durch Intelligenz den Druckluft-Erzeuger beim Kunden weiter hinsichtlich Energieeffizienz optimieren können. Wir wollen dem Kunden damit letztlich nur soviel Equipment für die Druckluft-Versorgung zur Verfügung stellen, wie er auch tatsächlich für seinen Betrieb benötigt.“
Datenlogger verraten, wie viel Druckluft welche Verbraucher abgreifen, wo der Druck im Netz abfällt
Doch wie groß der Bedarf eines Kunden an Druckluft in der Realität ist, weiß dieser oft selbst nicht. „Deshalb fängt bei uns Industrie 4.0 schon bei der elektronischen Analyse der Druckluftanlage an“, so Ruppelt. Während früher die Druckluftverbräuche beim Kunden häufig nur geschätzt wurden, weil die Messungen aufwendig waren und diese Informationen in Papierform vorlagen, lassen sich heute alle notwendigen Daten in einer konsolidierten Datenbasis zusammenführen und analysieren. Datenlogger verraten dabei, wie viel Druckluft welche Verbraucher abgreifen, wo der Druck im Netz abfällt und wo es Schwachstellen im System gibt. Dies ist seit einigen Jahren Stand der Technik – auch bei den Wettbewerbern von Kaeser.
„Der Clou bei unserer Lösung ist, dass wir die übergeordnete Steuerung mit den mittels der Ist-Analyse gewonnenen Daten direkt aus diesem Datenpool heraus programmieren – und dass die Steuerung dabei nicht statisch mit den Daten aus der Vergangenheit arbeitet, sondern die Druckluftversorgung flexibel dem laufenden Betrieb anpasst“, sagt Ruppelt.
Deshalb arbeitet SAM 2 simulationsbasiert – im Gegensatz zu anderen übergeordneten Steuerungen am Markt, die rein reaktiv auf Basis starrer Regeln arbeiten und deshalb inflexibel sind – und damit Energieeinsparpotenziale ungenutzt lassen. Die Grundidee der simulationsbasierten Steuerung, die Kaeser adaptive 3D-advanced-Regelung nennt, besteht darin, Entscheidungen zur Steuerung nicht mehr nur basierend auf dem Ist-Zustand des Prozesses zu treffen, sondern auch auf dessen möglichem zukünftigen Verhalten.
Dazu liegt hinter SAM2 eine Datenbank mit Simulationsergebnissen und Expertenwissen, sodass die Steuerung zur Ermittlung des zukünftigen Verhaltens verschiedene Szenarien annimmt und durchspielt – zum Beispiel im Fall eines Schalt- oder Störgrößenverlaufs. Alle möglichen Szenarien werden simuliert und bewertet – und die Steuerung wählt automatisch die Option, mit der das Steuerungsziel am besten erreicht wird. Der Vorteil für den Kunden: Die starre Schaltreihenfolge der Kompressoren lässt sich durch eine dynamische, auf Simulation basierende ersetzen, was weitere Effizienzsteigerungen verspricht.
Industrie 4.0 bedeutet für Kaeser aber noch weit mehr als eine übergeordnete Steuerung: Damit die Daten in der vernetzten Umgebung ausgetauscht werden können, hat das Unternehmen auf der Hannover Messe mit Sigma Network auch gleich ein lokales IP-basiertes Netzwerk für die Verbindungen innerhalb der Druckluftstation vorgestellt. Es nutzt Ethernet-Technologie als Übertragungsstandard – statt wie bislang Profibus. Damit ist eine hohe Datenübertragungsgeschwindigkeit von 100 Mbit/s sichergestellt. Durch die Nutzung von Standards lassen sich auch Kompressoren oder Trockner anderer Hersteller mit SAM 2 und über das Sigma Network verbinden.
Beide Produkte – SAM 2 und Sigma Network – sind bei Kaeser Basis für weitere Services wie Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung der Druckluftstationen, sowie Druckluft Contracting, bei dem der Kunde die Druckluftanlagen nicht kauft, sondern sie von Kaeser betreiben lässt und dabei nur den tatsächlichen Verbrauch an Druckluft in Rechnung gestellt bekommt.
„SAM 2 und Sigma Network kann der Kunde natürlich auch intern bei sich im Haus nutzen, um Daten über seine Druckluftanlagen zu sammeln und diese zu optimieren. Aber der ganz große Wurf hinsichtlich Effizienz gelingt erst dann, wenn diese Daten richtig analysiert und mit entsprechenden Algorithmen feingranular ausgewertet werden“, stellt Ruppelt klar. Doch fehlen den meisten Betrieben das dafür notwendige Know-how sowie die Manpower – im Gegensatz zu Kaeser.
Datenanalyse bei Kaeser spart bis zu 30 % Kosten über den gesamten Lebenszyklus
Deshalb können die Betriebsdaten der Druckluftstationen über eine Breitbandverbindung sicher an das Rechenzentrum von Kaeser in Coburg übertragen werden, sodass die Spezialisten des Herstellers das Equipment aus der Ferne permanent überwachen und bei Bedarf vorausschauend eingreifen können – und es so erst gar nicht zum Ausfall eines Kompressors kommt. „Der Kunde profitiert von einem solchen Full-Service-Vertrag nicht nur, weil seine Druckluftanlagen damit garantiert hochverfügbar sind. Er kann damit auch die Lebenszykluskosten um bis zu 30 Prozent verringern, da wir das energetische Verhalten der Druckluftstation bei Bedarf so anpassen können, dass die Station immer energetisch optimal betrieben wird“, verspricht Ruppelt.
Noch einen Schritt weiter gehen Contracting-Verträge, Sigma Air Utility genannt, bei dem Kaeser den kompletten Betrieb von Druckluftstationen übernimmt. Gut 20 % der Kunden nutzen dieses Vertragsmodell. „Wir gehen davon aus, dass sich der Anteil der Full-Service- und Utility-Verträge an unserem Geschäft in den nächsten Jahren weiter vergrößern wird. Unsere Geschäftsmodelle haben sich in den zurückliegenden Jahren bereits entsprechend verändert und werden sich weiter verändern in Richtung Dienstleister. Industrie 4.0 und die Möglichkeiten der intelligenten Vernetzung sind für uns letztlich die Wegbereiter“, sagt Ruppelt.
Eine Million Messwerte laufen täglich im Rechenzentrum von Kaeser auf
Für beide Geschäftsmodelle hat Kaeser in seinem Rechenzentrum in Coburg die Infrastruktur-Weichen gestellt: Das Unternehmen hat mit SAP Hana eine schnelle Datenbank installiert, die in der Lage ist, die Datenmengen, welche die Druckluftstationen bei den Kunden in aller Welt übermitteln, in Echtzeit zu analysieren und auszuwerten. Und diese Datenmengen sind gewaltig: Pro Sekunde überträgt ein Kompressor ungefähr 200 Messwerte.
Eine Million Messwerte kommen jeden Tag zusammen – und summieren sich im Jahr zu einem Datenvolumen von 100 Terabyte. Diese Daten nutzen nicht nur die Service-Techniker bei Kaeser, um die Anlagen der Kunden zu optimieren, sondern auch die Mitarbeiter in Forschung & Entwicklung: Sie können das Verhalten von Produkten vor einem Störfall analysieren und Muster beziehungsweise Gründe dafür erkennen. •

Investitionen in Höhe von 40 Mio. Euro

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Kaeser beschäftigt weltweit rund 5000 Mitarbeiter, in Deutschland sind es 1900: 300 davon am Standort Gera, wo Gebläse und Kältetrockner entwickelt und gefertigt werden. 1600 Mitarbeiter zählt das Stammwerk in Coburg. Damit ist der Kompressoren-Hersteller der drittgrößte Arbeitgeber der oberfränkischen Stadt – hinter dem Versicherungsunternehmen HUK-Coburg und dem Automobilzulieferer Brose. Das Familienunternehmen, das in der dritten Generation von Thomas Kaeser und seiner Frau Tina-Maria Vlantoussi-Kaeser geleitet wird, produziert ausschließlich in Deutschland. Der Umsatz der deutschen Gesellschaft lag 2013 bei 600 Mio. Euro – Tendenz steigend.
Deshalb investiert das Unternehmen derzeit kräftig: Anfang des Jahres wurde in Gera ein 10 Mio. Euro teures Forschungs- und Entwicklungszentrum für Gebläse in Betrieb genommen. Und auch in Coburg wird derzeit kräftig gebaut: Ein neues Kantinengebäude sowie ein Test- und Vorführzentrum sind gerade fertig gestellt. Derzeit entstehen zwei neue Produktionshallen. Im Juli erfolgt außerdem die Grundsteinlegung für ein fünfstöckiges Verwaltungsgebäude, das 2017 bezogen werden soll. Insgesamt belaufen sich die Investitionskosten in Coburg auf gut 40 Mio. Euro.

Antriebskonzept der nächsten Generation

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Bisher wurden bei Effizienzklassen für Antriebssysteme nur Einzelkomponenten betrachtet. Jetzt rückt das gesamte Paket in den Mittelpunkt. Kaeser hat auf der Hannover Messe zusammen mit Siemens eine Studie eines drehzahlgeregelten Schraubenkompressors mit einem neuen Synchron-Reluktanz-Motor gezeigt. Dieser bietet im Teillastbereich eine Wirkungsgradverbesserung von bis zu 10 %. Durch den Einsatz dieser Motoren können so rund 300 Euro/Jahr an Energiekosten eingespart werden (gerechnet bei rund 6000 Betriebsstunden/bei 10 Cent pro kW/h).
Das Projekt bietet noch einen weiteren Vorteil: Es ist das Antriebskonzept der nächsten Generation und für Anlagen optimiert, die mit Frequenzumrichter am Netz betrieben werden. Denn für diese gibt es zukünftig gesonderte Wirkungsgradklassen.
Die neue Norm EN 50598 betrachtet nicht mehr nur Einzelkomponenten, sondern rückt das gesamte Antriebssystem in den Fokus, also Motor plus Frequenzumrichter. Mit dieser neuen Norm gehen auch neue Bezeichnungen für die Beurteilungsklassen einher. Die derzeitige Spitzenklasse wird jetzt als IES2 bezeichnet und fasst die Verluste ins Auge statt wie bisher den Wirkungsgrad. Motor und Frequenzumrichter sind aufeinander abgestimmt und erreichen in der Summe mehr als 50 % geringere Verluste als das Referenzsystem nach Norm vorschreibt. Dieser ASD Schraubenkompressor in der SFC-Variante wird 2016 am Markt sein. •
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