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Taschenfräsen: Neues Konzept spart eine komplette Bearbeitungsschicht

Taschenfräsen
Neues Konzept spart eine komplette Bearbeitungsschicht

Das Siemens-Werk in Erfurt fertigt Generatorwellen, die bis zu 65 t schwer und 250 000 Euro teuer sind. Ein neues Fräskonzept von Walter für die Stromzuführungstaschen kommt mit nur zwei Standardtools aus und spart eine Bearbeitungsschicht.

Michael Pyper
Freier Autor in Wehrheim

Um zwei Stromzuführungstaschen in eine Generatorwelle einzubringen, brauchten die Spezialisten im Erfurter Generatorenwerk von Siemens in der Vergangenheit länger als eine komplette Arbeitsschicht. Das Ziel war, diese Bearbeitungszeit deutlich zu verkürzen.

Die Wellen – auch Rotoren genannt – bestehen aus zähem und entsprechend schwer zu bearbeitendem Nickel-Chrom-Molybdän-Stahl (26NiCrMo14-5). Sie bringen bis zu 65 t auf die Waage, sind bis zu 16 m lang und haben Durchmesser von mehr als 1 m. Trotzdem drehen sie sich später mit 3000 und 3600 min-1, um die geforderte Frequenz von 50 Hz und 60 Hz zu erreichen.

Die Taschen sitzen – um 180 Grad versetzt – schwer zugänglich an einem Durchmesserabsatz auf dem kleineren Durchmesser. „Um sie in die Wellen einzubringen, brauchen wir eine Auskraglänge des Werkzeugs von 4,5xD, mehr als dem Vierfachen des Werkzeugdurchmessers“, erklärt Frank Sänger, CNC-Programmierer im Industrial Engineering bei Siemens Power Generation. Damit sei das Rattern praktisch vorprogrammiert. „Wir hatten immer wieder Probleme mit der Oberflächenqualität und konnten beim Schlichten nur mit geringer Zustellung fahren.“ Die Herausforderung bei dieser Bearbeitung: Bei Stückkosten von bis zu 250 000 Euro ist Ausschuss nicht erlaubt. Fehler lassen sich nicht reparieren. Die Wellen würden dadurch an dieser kritischen Stelle geschwächt.

Früher waren drei Bearbeitungsschritte nötig, um die Taschen herzustellen. Ein High-Feed-Fräser übernahm das Schruppen. Dabei blieb viel Material stehen, das zunächst mit einem Rundplattenfräser entfernt werden musste, bevor derselbe Fräser die Endkontur schlichtete. Die durch das ungünstige Durchmesser-Längenverhältnis häufigen Rattermarken erforderten zudem vielfach eine manuelle Nacharbeit.

Die Werkzeugspezialisten von Walter stellten sich der Aufgabe, diesen Prozess und damit die Bearbeitungszeit zu optimieren. Nur noch ein Werkzeugsystem sollte für alle Bauteile verwendet werden und ein Wendeschneidplatten-Typ sollte alle Konturradien herstellen.

Um Effizienz zu gewährleisten fordern Großkunden immer häufiger Komplettlösungen. Michael Hartsch, Außendienstmitarbeiter der Walter Deutschland GmbH erklärt: „Die Kunden wünschen die komplette Ausarbeitung für einen bestimmten Anwendungsfall.“ So bat auch Siemens mehrere Werkzeuglieferanten um Konzeptvorschläge. Anwendungstechniker Alexander Deck hatte die richtige Idee: „Warum nicht das Eckfrässystem F4042 nutzen und mit einer Wendeplatte mit Eckenradius den größeren Radius in den Ecken der Taschen herstellen?“ Der Vorteil: Die Wendeplatten mit 4 mm Eckenradius statt Rundplatten mit 10 mm Radius benötigen deutlich weniger Druck und erzeugen entsprechend weniger Schwingungen und damit Rattermarken. Das erforderte allerdings eine spezielle CNC-Programmierung. Die Werkzeugspezialisten mussten also eine Paketlösung aus Werkzeug und CNC-Programm erarbeiten.

Die Bearbeitungsstrategie basiert auf dem sogenannten Radius-Interpolationsfräsen, einem Punkt-zu-Punkt-Verfahren, bei dem Kreise durch interpolierte gerade Wegstrecken entstehen. Eingesetzt werden fürs Schruppen ein High-Feed-Fräser M4002 und fürs Schlichten ein Xtratec-Eckfräser F4042, jeweils bestückt mit PVD-beschichteten Wendeschneidplatten der Sorte WSP45S. Die Schnittgeschwindigkeit beim Schruppen sank von 200 auf 180 m/min und stieg beim Schlichten von 200 auf 325 m/min. Der Zahnvorschub halbierte sich beim Schruppen von einem auf 0,56 mm und stieg beim Schlichten von 0,2 auf 0,24 mm. Am deutlichsten fiel die Veränderung bei der Vorschubgeschwindigkeit aus: Zwar halbierte sich die Vorschubgeschwindigkeit beim Schruppen von 4800 auf 2400 mm/min, verdreifachte sich aber beim Schlichten von 800 auf 2400 mm/min. Des Weiteren konnte hier die zirkulare Zustellung in die Tiefe von 1 auf 4 mm gesteigert werden. Bearbeitungszeit und Kosten pro Bauteil konnten um etwa 90 % gesenkt werden. Der Programmieraufwand von gut einer Woche lohnte sich. Die Standzeit der Werkzeuge hat sich etwa verdoppelt.

Zunächst wurde das System für rund 35 Generatorwellen pro Jahr eingesetzt. „Das Programm ist so variabel, dass es für alle Stromzuführungstaschen und Radien verwendet werden kann. Wir werden das System sukzessive auf die anderen Maschinen übertragen und letztlich alle 120 bis 140 Wellen pro Jahr so fertigen“, sagt CNC-Programmierer Frank Sänder.

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